A Paler Shade of White

Was hätte das für ein Film werden können! Die Geschichte des „Dancing Outlaw“ Jesco White, der in den Backwoods der Appalachen als Sohn eines gefeierten „Mountain Dancers“ in einer von Schmutz, Armut, Gewalt und selbst hergestellten Drogen (der Titel des Films verweist auf selbstgebrannten Schnaps) geprägten Umwelt aufwächst und die eigenen Dämonen mit der vom Vater erlernten Kunst des Tanzens bekämpft, bietet mehr als genug Material für eine faszinierende Außenseiterbiografie. Leider jedoch verrät „White Lightnin‘“, das Spielfilmdebüt des britischen Regisseurs Dominic Murphy, dem Zuschauer nur wenig über die inneren Konflikte und Ängste seines Protagonisten, seine Motivation, sein Verlangen, die Kultur der Backwoods und die Bedeutung des „Mountain Dance“ – einer volkstümlichen Spielart des Stepptanzes – für sein Seelenheil, dafür aber viel über die filmischen Schablonen, in die auch solche Menschen gepresst werden, deren Unangepasstheit, Unbezähmbarkeit und Wildheit doch eigentlich betont werden sollen. „A Paler Shade of White“ weiterlesen

Teenager außer Kontrolle

Ein Stück braunes Papier, darauf fein säuberlich ausgebreitet eine Handvoll Pommes, ein Burger und ein ordentlicher Klecks Ketchup. Das ist die Mahlzeit von Reggie (Nick Cannon) und er hat sich vorgenommen, sie zu genießen. Während die Credits laufen, nimmt er in Zeitlupe einen kräftigen Bissen und kaut dann gedankenverloren vor sich hin, die Kamera dicht vor dem Gesicht. Dann schiebt sich hinter ihm eine nur unscharf zu erkennende Person ins Bild. Sie hebt ein Gewehr und schießt dem Jungen eine Gesichtshälfte weg, die dem Zuschauer mit viel Blut entgegenfliegt. Diese Szene eröffnet Adam Bhala Loughs Jugendkriminalitätsfilm „Weapons“ mit einem Knalleffekt, von dem nach 75 Minuten allerdings nicht mehr als ein Gefühl der Taubheit viel übrig ist. „Teenager außer Kontrolle“ weiterlesen

Rache ist Blutwurst

Eine nächtliche Landstraße. Ein Anhalter. Ein Kleinwagen mit zwei Insassen. Wenig später ist der Wagen Schrott, die beiden Insassen sind tot, der Anhalter, ein brutaler Serienmörder, hat nach einem Blick in den Kofferraum ein paar neue Anziehsachen und der Zuschauer die Gewissheit, dass in Kim Jee-woons „I Saw the Devil“ nur wenig Platz für Normalität ist: Im Kofferraum befindet sich eine Leiche, auch die beiden Toten waren also Mörder, die das Pech hatten, einem noch abgebrühteren Menschen über den Weg zu laufen. Willkommen in Südkorea. „Rache ist Blutwurst“ weiterlesen

Mutter hat ’ne Schraube locker

Charles Kaufmans „Muttertag“ von 1981 genießt vor allem in Deutschland einen gewissen Kultstatus, den ihm wohl nicht zuletzt seine Beschlagnahmung im Rahmen der Horrorvideo-Debatte eingebracht hat. Dennoch hat sich die gallige Satire auf den Way of Life des US-amerikanischen Mittelstands, der sich bis zur Verblödung mit Werbespots, Fernsehserien und Industrienahrung volldröhnt, sich unhinterfragt bevormunden lässt und seinen Gewaltfantasien hingibt, nie wirklich in das Horrorkino seiner Zeit eingliedern lassen. Trotz seiner teilweise herben Gewaltdarstellungen, die ab der Hälfte in den bis dahin recht standardisierten Slasher-Plot einbrechen und ihn zersetzen, ist „Muttertag“ mit seinen Slapstick-Anleihen viel zu reflektiert und konfrontational, um von der konservativen Horrorfilm-Fanschar wirklich geliebt zu werden. In den USA ist er einer von vielen Filmen aus einer für dieses Genre ungemein produktiven Phase, aber eben auch einer, der heute kaum etwas von seiner subversiven Kraft verloren hat. Und insofern verwundert es kaum, dass in Darren Lynn Bousmans nominellem Remake nicht viel vom Original übrig bleibt. Aber Etikettenschwindel ist nicht der schwerste Vorwurf, den sich Bousman für seinen deprimierend dummen Film gefallen lassen muss. „Mutter hat ’ne Schraube locker“ weiterlesen

Mit Hand und Fuß

Im Kern von „Burke and Hare“, der auf einem berühmten Kriminalfall des 19. Jahrhunderts basiert, steht der Konflikt zwischen der neuen und der traditionellen Medizin: Erstere wird verkörpert vom verbrecherischen Dr. Knox (Tom Wilkinson), einem überambitionierten Wissenschaftler, der es sich zum Ziel gemacht hat, die Medizin mithilfe einer neuen Erfindung namens „Fotografie“ zu revolutionieren, und der bei der Verfolgung seines hehren Ziels keinerlei Skrupel kennt. Ihm gegenüber steht Dr. Monro (Tim Curry), ein freundlicher Medizinhandwerker, der mit nie versiegender Begeisterung Gliedmaßen von den ihm zu Forschungszwecken zur Verfügung gestellten Körpern absägt und als Running Gag stets einen in chemischer Lösung eingelegten Fuß dabei hat. Dieses Bild dient nicht nur als beredtes Beispiel für das wiedergefundene Talent zur grafischen Pointierung, das Landis zum vielleicht besten Komödienregisseur der Achtzigerjahre gemacht hatte, bevor es ihm dann irgendwann abhanden kam, die Geschichte vom teuflischen Neuen und dem bewährten Alten lässt sich auch auf „Burke and Hare“ selbst anwenden.

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Löchrig

„Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich.“ Friedrich Nietzsches berühmtes Zitat hat schon viele Filme als Schrifteinblendung markant eröffnet, Joe Dantes neuester Film, der die Rückkehr des Regisseurs zu den familienfreundlichen Genrestoffen markiert, mit denen er in den Achtzigerjahren einen Erfolg nach dem anderen feierte, dürfte aber die erste nahezu bildgetreue Adaption des Philosophenspruches sein. Man ahnt schon, dass das als Konzept nicht besonders weit trägt: Joe Dantes Film wird auch durch 3D nicht lebendiger und bleibt hinter den Erwartungen zurück.

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Schwanz ab

Als „einen widerwärtigen Sack voll Müll“ bezeichnete der berühmte Filmkritiker Roger Ebert Meir Zarchis „I Spit On Your Grave“, die Sichtung als „eins der deprimierendesten Erlebnisse meines Lebens“. Auch wenn man zu einer anderen Bewertung des Films kommt als Ebert mit seinem damaligen Null-Sterne-Verriss, seine emotionale Reaktion muss man als durchaus angemessen bezeichnen. „I Spit On Your Grave“ – neben Ferraras „Ms. 45“ sowas wie die Apotheose des Rape-and-Revenge-Genres – ist kein schöner Film, den man sich zurückgelehnt ansieht, sondern im Gegenteil eine Rosskur, die durchstanden und erlitten werden muss. In seiner narrativen wie filmischen Schmucklosigkeit ragt „I Spit On Your Grave“ aus dem Horrorfilm jener Zeit, mit seinen übermenschlichen Killern und der fast schon als barock zu bezeichnenden Gewaltzelebrierung, einsam heraus. Regisseur Steven R. Monroe präsentiert mit seinem Remake nun eine geglättete Version des Skandalfilms, die sich im Kontext des seit ein paar Jahren reüssierenden Terrorfilms und aller gebotenen Überhärten zum Trotz sehr viel leichter rezipieren lässt und damit unweigerlich in die Ideologiefalle tappt … „Schwanz ab“ weiterlesen

Der Allestotmacher

In einer berühmten Szene von Woody Allens „Der Stadtneurotiker“ kontert Allens Alter Ego Alvy Singer in einem Kino-Foyer das selbstgefällige Geschwätz eines Intellektuellen über die Thesen Marshal McLuhans, indem er den berühmten Medienwissenschaftler höchstpersönlich hinter einem Plakataufsteller hervorzieht und ihn dem Dampfplauderer entgegnen lässt, dieser habe seine Thesen nicht im Geringsten verstanden. „Wenn es nur einmal so sein könnte“, seufzt Singer in die Kamera, die Szene als Wunschtraum eines am Leben Verzweifelten enttarnend. Auf den durchschnittlichen Actionhelden angewendet, könnte McLuhans Rolle von Steven Seagal eingenommen werden: Anstatt seine körperliche Unversehrtheit und sein Leben beim Kampf für die gute Sache zu riskieren, walzt Seagal von Anzahl und Qualifikation seiner Gegner vollkommen unbeeindruckt durch seine Filme und richtet jeden, der sich ihm entgegenstellt, auf brutalste Art und Weise hin, ohne das leiseste Anzeichen einer menschlichen Empfindung wie Mitleid oder auch nur ein Minimum an körperlicher Anstrengung zu zeigen. Wenn es doch nur einmal so sein könnte im Actionhelden-Leben … „Der Allestotmacher“ weiterlesen

Betriebsausflug der Strukturalisten

Der Actionfilm-Darsteller ist schon immer eine besonders enge Bindung mit seinem Actionfilm-Helden eingegangen. Das mag zum einen daran liegen, dass der Physis und dem Körper im Actionfilm eine immense Bedeutung zukommt, vom Darsteller also totaler Einsatz verlangt wird, zum anderen daran, dass das Dasein als Held viel zu verlockend ist, als dass ein Schauspieler es ohne Weiteres auf die Sphäre des Films reduzieren wollte. So drehte Kollege Jean-Claude Van Damme mit „JCVD“ konsequenterweise einen Film über sein hartes Leben als Schauspieler/Actionheld, Steven Seagals (erfundene?) Biografie infiziert immer wieder auch die seiner Filmfiguren oder umgekehrt und Stallone, dessen phänomenaler Erfolg mit „Rocky“ in den Siebzigerjahren den Erfolg seines Titelhelden, eines drittklassigen Boxers, spiegelte, wurde fortan zum Inbegriff des Underdogs, der gegen jede Wahrscheinlichkeit triumphiert. „The Expendables“ macht sich diese symbiotische Verbindung von Schauspieler und Figur zunutze und vereint einige der größten Actionstars der vergangenen 30 Jahre vor der Kamera und auch in der Handlung zu einem unschlagbaren und im Sinne des – natürlich ironisch zu verstehenden – Titels unersetzlichen Team. „Betriebsausflug der Strukturalisten“ weiterlesen

Hinter dem Horizont

„I’m a cowboy, on a steel horse I ride …“, sang einst der heutige Hausfrauenrocker Jon Bon Jovi und zog damit die Parallele zwischen Biker und Westernheld, nicht ganz ohne Drang zur Selbstmythologisierung. Dennoch ist der Vergleich nicht nur im Hinblick auf die von beiden gleichermaßen zu erduldenden Gesäßschmerzen stimmig. Der Biker sucht wie der Cowboy des Westerns nach dem Paradies hinter dem Horizont, doch meist kommt ihm dabei die Schlechtigkeit des Menschen in die Quere: eine Lehre, die man sowohl aus dem Western als auch aus dem Bikerfilm ziehen kann. „Die grausamen Sieben“ von Richard Rush fügt sich nahtlos in das Bikerfilm-Genre, legt dessen Verwurzelung im Western aber offen wie kein zweiter: Er lässt Biker auf Indianer treffen. „Hinter dem Horizont“ weiterlesen

Nachbeben

Der Selbstjustizfilm hat sich als Subgenre fest etabliert. Alle paar Jahre erfährt er eine Aktualisierung, indem er seine Verbrecher den gerade kursierenden Angstvorstellungen anpasst, in seinen Gewaltdarstellungen heftiger wird (schließlich diagnostiziert er ja auch auf Inhaltsebene die zunehmende Brutalisierung der Gesellschaft) und als logische Konsequenz auch seine Vigilanten immer rücksichtsloser vorgehen lässt. „Savage“ geht jedoch einen Schritt über solche rein kosmetischen Veränderungen hinaus: Er stellt nicht das Verbrechen und den anschließenden Vergeltungsakt in den Mittelpunkt, sondern die seelische Verwundung, die das Opfer nach einem ebenso brutalen wie sinnlosen Überfall erleidet und die es in den Sog der vielfach beschworenen Gewaltspirale reißen.

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der flug des phoenix

„Enter,“ lädt eine riesige Leuchtreklame gegenüber von Oscars (Nathaniel Brown) winzigem Appartement in Tokio ein. Doch wohin? Oscar kommt der unbestimmten Einladung trotzdem gern nach – meist unter Zuhilfenahme von Drogen – und landet im „The Void“, einer finsteren Kneipe, in der er bei einer Polizeirazzia erschossen wird. Zurück lässt er seine jüngere Schwester Linda (Paz de la Huerta), zu der er seit dem Unfalltod der Eltern eine enge Beziehung pflegt und seinen Freund Alex (Cyril Roy), der Oscar mit dem tibetanischen „Buch der Toten“ und dem Gedanken der Reinkarnation vertraut gemacht hatte. Beider Wege verfolgt Oscar im Verlauf von „Enter the Void“ als unsterbliche, immaterielle Entität auf der Suche nach dem für eine Wiedergeburt geeigneten Körper … „der flug des phoenix“ weiterlesen

Familienplanung für Biochemiker

Eine Frau, die ihr Kind dazu benutzt, den Missbrauch durch die eigene Mutter zu verarbeiten, und ihr Mann, der in dem Kind jene Geliebte erkennt, die diese nach der Geburt nicht länger ist, und sich verliebt: Das klingt nach einem provokanten Tabubrecher oder einem bedrückenden Psychodrama. Doch „Splice – Das Genexperiment“ ist ein Science-Fiction-Film, der die Frage nach den moralischen Grenzen wissenschaftlichen Handelns und dem Wesen des Menschen stellt.

„Familienplanung für Biochemiker“ weiterlesen

Jaa-Markt der Eitelkeiten

„Wer am lautesten schreit, hat Unrecht.“: ein typischer Elternsatz, den wahrscheinlich jedes Kind irgendwann einmal zu hören bekommen hat und der ohne Frage einen wahren Kern enthält – Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel. Wirft man aber einen Blick in E-Mails, Forenbeiträge oder Blogkommentare, kommt man kaum umhin, anzunehmen, dass sich diese Erkenntnis ins Gegenteil verkehrt hat: Nicht die Qualität der Argumente zählt, sondern die Zahl der verwendeten Ausrufezeichen, Großbuchstaben und Beleidigungen. Was das mit „Ong-Bak 3“ zu tun hat? Auch ihm liegt der Irrglaube zugrunde, dass inhaltliche Mängel durch formalen Überfluss ausgeglichen würden, dass sich die gewünschten Emotionen beim Zuschauer schon einstellten, wenn man ihn nur beharrlich genug bedrängt und anschreit. „Ong-Bak 3“ ist das filmische Äquivalent zur Caps-Lock-E-Mail.

„Jaa-Markt der Eitelkeiten“ weiterlesen

Schach dem Killer

In Stefan Zweigs „Schachnovelle“ ist ein Buch mit berühmten Schachpartien die einzige Ablenkung für den monatelang von den Nazis festgehaltenen Arzt Dr. B., der erst akribisch jede einzelne der im Buch dokumentierten Partien memoriert, bevor er schließlich beginnt, im Kopf gegen sich selbst zu spielen und dabei eine „Schachvergiftung“ erleidet, eine akute Spaltung seiner Persönlichkeit. – Ganz Ähnliches widerfährt dem Protagonisten von Éric Tessiers „5150 Elm’s Way“: Seine einzige Chance einem Soziopathen zu entkommen, besteht darin, ihn im Schachspiel zu besiegen.

„Schach dem Killer“ weiterlesen

Man ist, was man isst

„Mathers hat am besten geschmeckt. Zart wie Lamm.“ So lautet eine Zeile aus Jonathan Auf Der Heides bemerkenswertem Spielfilmdebüt „Van Diemen’s Land“ und der Mann, der sie ausspricht, ist kein wahnsinniger Serienmörder, kein Hannibal Lecter mit einer Vorliebe für menschliche Leber und Chianti, kein Horrorfilm-Monster, sondern ein einfacher Mann, der mehrere seiner Kameraden gegessen hat, um zu überleben. Aus seinen Worten sprechen zwar Sarkasmus und Zynismus, noch mehr aber die Unfähigkeit, das von ihm begangene Verbrechen – Kannibalismus – in seiner ganzen Tragweite zu fassen und zu verarbeiten.

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Die Waffen der Frauen

Frauen lösen Beziehungen häufiger auf als Männer. So lautet eine weit verbreitete These, die sich zumindest durch die Scheidungsstatistik belegen lässt: Nach dieser wurden in Deutschland 2007 ca. 55 % der Scheidungsanträge von der Frau eingereicht und nur 36 % von Männern. Ein Grund für dieses Ungleichgewicht wird oft in der besser ausgeprägten Fähigkeit der Frau gesehen, emotionale Probleme nach pragmatischen Grundsätzen zu lösen, während der Mann – dem man ja eigentlich nachsagt, pragmatisch veranlagt zu sein – eher sentimental entscheidet. Erkennt die Frau, dass eine Beziehung mehr Nachteile als Vorteile bringt, zieht sie die Konsequenzen, während der Mann der Sache zunächst verbunden bleibt. In Beziehungsdingen hat also die Frau die Hosen an: Das muss auch der erfolgreiche Geschäftsmann Steve in Rolf De Heers Film „Alexandra’s Project“ erfahren, und zwar auf ausgesprochen schmerzhafte Art und Weise … „Die Waffen der Frauen“ weiterlesen

Frechheit siegt!

Ein ohrenbetäubender Pfeifton ist das letzte, was Cooper (Chris Marquette) und seine Bürokollegen wahrnehmen, bevor sie in tiefe Bewusstlosigkeit fallen. Drei Tage später wachen einige von ihnen in Kokons eingesponnen wieder auf und müssen verblüfft feststellen, dass überaus aggressive Rieseninsekten in der Zwischenzeit die Herrschaft über die Erde übernommen haben. Was nun?

„Infestation“ gehörte auf dem Fantasy Filmfest 2009 zu den ausgesprochen positiven Überraschungen, was umso erstaunlicher ist, als vom B-Horror- und -Monsterfilm kaum noch neue Impulse ausgehen, beide vielmehr in gelangweilter Routine erstarrt sind und sich nur noch darauf zu beschränken scheinen, sich Jahr für Jahr dem tricktechnischen Status quo anzunähern. Dass es aber durchaus noch möglich ist, innerhalb eines eng abgesteckten Genres für frischen Wind zu sorgen, beweist Regisseur Kyle Rankin mit seinem Spielfilmdebüt. Und er benötigt dafür nicht etwa clevere Gimmicks oder gemeine Taschenspielertricks, sondern einzig sein erzählerisches Talent und eine genaue Kenntnis der Genremechanismen. Das soll nicht etwa heißen, dass „Infestation“ altmodisch wäre: Er gewinnt, weil er über die Jahrzehnte unnötig gewordenen erzählerischen Ballast gnadenlos über Bord wirft und sich wieder auf das Wesentliche besinnt.

„Frechheit siegt!“ weiterlesen

Lieber tot als Sklave

Zu Beginn von Perry Henzells Klassiker „The Harder They Come“ aus dem Jahr 1972 begleitet der Zuschauer den Protagonisten Ivan (Jimmy Cliff) auf seiner Reise vom Land nach Kingston, der Hauptstadt Jamaikas. Die Fahrt mit dem klapprigen Bus über Schotterpisten und durch winzige Dörfchen, denen man die Armut der Einwohner ansieht, wird untermalt von Desmond Dekkers inspirierendem „You can get it if you really want“, das Ivans Zuversicht und Tatendrang Ausdruck verleiht. Doch die bittere Ironie dieses Songs wird sich dem Zuschauer erst im weiteren Verlauf des Films erschließen …

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Die Hölle, das sind die anderen?

Selbstjustizfilme scheinen immer einen Sozialpessimismus zu vertreten, eine gesellschaftliche Umkehrung hegelianischer Geschichtsteleologie zu diagnostizieren: Anstatt nach vorn, einer goldenen Zukunft entgegen, bewegt sich die menschliche Zivilisation in einen Zustand der Barbarei zurück. Dieser Entwicklung begegnet der Vigilant mit Gewalt; zwar meist aus einem rein persönlichen Beweggrund heraus, doch scheint er ja auch ein geeignetes Beispiel dafür abzugeben, wie man dem Niedergang der Menschheit Einhalt gebieten könnte. Die moralische Aporie, in die sein Verhalten ihn jedoch führt, ist Problem wie Kniff des Selbstjustizfilms, der genau an jener Schnittstelle ansetzt, an der sich Recht und Emotion berühren und den Blick trüben. Auch „Harry Brown“ diagnostiziert – anscheinend – zunächst den moralischen Verfall einer immer gewalttätiger werdenden Jugend, der der Protagonist des Films nur noch mit einem Mittel beikommen kann. Doch die Realität sieht anders aus … „Die Hölle, das sind die anderen?“ weiterlesen