Teenager außer Kontrolle

Ein Stück braunes Papier, darauf fein säuberlich ausgebreitet eine Handvoll Pommes, ein Burger und ein ordentlicher Klecks Ketchup. Das ist die Mahlzeit von Reggie (Nick Cannon) und er hat sich vorgenommen, sie zu genießen. Während die Credits laufen, nimmt er in Zeitlupe einen kräftigen Bissen und kaut dann gedankenverloren vor sich hin, die Kamera dicht vor dem Gesicht. Dann schiebt sich hinter ihm eine nur unscharf zu erkennende Person ins Bild. Sie hebt ein Gewehr und schießt dem Jungen eine Gesichtshälfte weg, die dem Zuschauer mit viel Blut entgegenfliegt. Diese Szene eröffnet Adam Bhala Loughs Jugendkriminalitätsfilm „Weapons“ mit einem Knalleffekt, von dem nach 75 Minuten allerdings nicht mehr als ein Gefühl der Taubheit viel übrig ist.

Weil Jason (Riley Smith) Sabrina (Regine Nehy) erst entjungfert und geschwängert, ihr dann aber den Laufpass gegeben hat, will ihr Bruder Reggie (Nick Cannon) Rache. Zusammen mit seinen beiden Kumpels besorgt er sich eine Waffe, fährt dann zum Basketball-Court, auf dem Jason mit seinen Freunden spielt, und lässt ihn schließlich erschießen, weil er selbst plötzlich Hemmungen verspürt. Die Ermordung Jasons wiederum weckt in Chris (Paul Dano) den Wunsch nach Vergeltung, denn er ist an den Verwicklungen, die zum Mord des Freundes führten, nicht ganz unbeteiligt …

Jugendkriminalität ist ein schwieriges Thema. Nicht nur, weil der soziale Absturz oder gar der gewaltsame Tod von Kindern und Jugendlichen für jede Gesellschaft schwer zu ertragen ist, sondern auch, weil jede Zeit der Meinung ist, dass nun aber endgültig der Gipfel der Verkommenheit und Anstandslosigkeit erreicht sei. Der seit den frühen Neunzigern mit dem Erfolg von John Singletons „Boyz ‚N The Hood“, „Menace II Society“ von den Hughes Brothers oder dem etwas späteren Skandalfilm „Kids“ von Larry Clark revitalisierte und seitdem regelmäßig upgedatete Jugendkriminalitätsfilm hat seine Wurzeln im Juvenile-Delinquents-Drama der Fünfziger- und Sechzigerjahre und damit in der Exploitation. So sehr sich die Filmemacher mithin auch bemühen, den Jugendlichen mit Verständnis, Toleranz und Vorurteilslosigkeit zu begegnen, sie können sich nie ganz vom Vorwurf des Voyeurismus freimachen. Adam Bhala Lough kippt für seinen zweiten Spielfilm „Weapons“ gleich jeden konkreten sozialen Kontext über Bord, vermutlich auch, um sich lobenswerterweise vom wohlfeilen sozialkritischen Thesenkino zu distanzieren – er versäumt es aber leider, seinen Kids auch nur einen Hauch von charakterlicher Tiefe zu verleihen, die ihr Handeln, ihr Verlangen, ihre Sehnsucht, ihre Angst oder ihren Trieb nachvollziehbar machen würde. Die schonungslose Härte, mit der er ihren trostlosen Alltag zwischen Drogen, emotionslosem Sex und Gewaltfantasien ablichtet, mag dem Wunsch nach Authentizität verpflichtet sein, doch leider fühlt man sich als Zuschauer mehr und mehr in die Perspektive eines „Bild“-Lesers gedrängt, der dem Treiben der sprichwörtlichen ‚Jugend von heute‘ verständnislos gegenübersteht, als Ursache reflexartig eine zu laffe Erziehung vermutet und als Lösung lediglich härtere Strafen vorschlagen kann. „Weapons“ wäre gern ein nachdenklich machender, ein wachrüttelnder Film, doch leider ist er genau das Gegenteil: Er ist affirmativ, weil er doch nur das Bild bestätigt, dass man sich vom Zustand der Jugend in zahlreichen sensationsheischenden Dokusoaps und Reportagen eh schon gemacht hat.

Das ist schade, weil man der Inszenierung durchaus das in Bhala Lough schlummernde Potenzial anmerkt: Nach eigener Aussage ebenso inspiriert von „Mann beißt Hund“ (das Geschehen wird teilweise von einer Videokamera festgehalten und durch diese betrachtet) wie von Gabriel Garcia Marquez‘ Roman „Chronik eines angekündigten Todes“  (die Nüchternheit der Erzählung) zersplittert der Regisseur seine Geschichte in mehrere kurze Kapitel, die er dann in eine neue, nichtlineare Reihenfolge bringt (man möchte daher auch Gaspar Noés „Irréversible“ zu den genannten Einflüssen hinzufügen, der auch bei dem schmerzhaften Einsatz eines Feuerlöschers Pate gestanden haben dürfte). Nicht nur, dass die sehr einfache Geschichte um einen doppelten Rachemord durch diese Strategie bis zum Ende spannend bleibt, Bhala Lough zeigt so auch, dass fehlende oder aber mangelhafte Kommunikation die Wurzel allen Übels ist. Aufgrund von Gerüchten oder halbgaren Vermutungen eilen die Kids bedröhnt von Dope und den Klängen des Chopped-and-Screwed-Sounds – eine vor allem in den Südstaaten populäre Spielart des Hip-Hops, bei der die Songs verlangsamt und zerhackt werden, um den von Hustensaft erzeugten Promethazin- bzw. Codein-Rausch noch zu verstärken – zur Tat, anstatt innezuhalten, nachzudenken oder gar das klärende Gespräch zu suchen. Auch die rhetorische Degeneration ist bemerkenswert: Ganze Sätze werden kaum noch formuliert, lediglich in einem kraftmeierischen Slang palavert, der schon die Vorstufe zur physischen Gewalt markiert, und man darf folgern, dass dieser Verfall der Sprachbegabung auch der Grund für die Unfähigkeit zur erhellenden Selbstreflexion ist. Eltern, die korrektiv eingreifen könnten, sind im ganzen Film nicht zu sehen, und die wenigen Erwachsenen, die auftreten, scheinen kaum besser dran zu sein als die Jugendlichen. Es ist ein desolates Bild, das „Weapons“ zeichnet, aber eines, das leider kaum Erkenntnisgewinn bringt.

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Weapons
(USA 2007)
Regie: Adam Bhala Lough; Drehbuch: Adam Bhala Lough; Musik: Ethan Higbee; Kamera: Manuel Alberto Claro; Schnitt: Jay Rabinowitz
Darsteller: Nick Cannon, Paul Dano, Mark Webber, Riley Smith, Kareem-Abdul Jabbar II, Amy Ferguson
Länge: 75 Minuten
Verleih: I-On New Media

Zur DVD von I-On new Media

„Weapons“ erscheint in der Edition Störkanal und kommt wie alle Filme der Reihe als Digipack mit eingeklebtem Booklet im Pappschuber. Leider sind außer einem Trailer keine weiteren Extras enthalten und die deutschen Untertitel zeichnen sich auch durch die ein oder andere Stilblüte aus: Den Ausruf eines Protagonisten „I’m in the fucking zone!“ mit „Ich bin im Fickbereich!“ zu übersetzen, zeugt jedenfalls von einem gerüttelten Maß Fantasie.

Zur technischen Ausstattung der DVD:

Bild: 1,78:1 (anamorph/16:9)
Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Extras:Trailer
Freigabe: FSK 18
Preis: 16,99 Euro

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