Teenager außer Kontrolle

Ein Stück braunes Papier, darauf fein säuberlich ausgebreitet eine Handvoll Pommes, ein Burger und ein ordentlicher Klecks Ketchup. Das ist die Mahlzeit von Reggie (Nick Cannon) und er hat sich vorgenommen, sie zu genießen. Während die Credits laufen, nimmt er in Zeitlupe einen kräftigen Bissen und kaut dann gedankenverloren vor sich hin, die Kamera dicht vor dem Gesicht. Dann schiebt sich hinter ihm eine nur unscharf zu erkennende Person ins Bild. Sie hebt ein Gewehr und schießt dem Jungen eine Gesichtshälfte weg, die dem Zuschauer mit viel Blut entgegenfliegt. Diese Szene eröffnet Adam Bhala Loughs Jugendkriminalitätsfilm „Weapons“ mit einem Knalleffekt, von dem nach 75 Minuten allerdings nicht mehr als ein Gefühl der Taubheit viel übrig ist. „Teenager außer Kontrolle“ weiterlesen

der flug des phoenix

„Enter,“ lädt eine riesige Leuchtreklame gegenüber von Oscars (Nathaniel Brown) winzigem Appartement in Tokio ein. Doch wohin? Oscar kommt der unbestimmten Einladung trotzdem gern nach – meist unter Zuhilfenahme von Drogen – und landet im „The Void“, einer finsteren Kneipe, in der er bei einer Polizeirazzia erschossen wird. Zurück lässt er seine jüngere Schwester Linda (Paz de la Huerta), zu der er seit dem Unfalltod der Eltern eine enge Beziehung pflegt und seinen Freund Alex (Cyril Roy), der Oscar mit dem tibetanischen „Buch der Toten“ und dem Gedanken der Reinkarnation vertraut gemacht hatte. Beider Wege verfolgt Oscar im Verlauf von „Enter the Void“ als unsterbliche, immaterielle Entität auf der Suche nach dem für eine Wiedergeburt geeigneten Körper … „der flug des phoenix“ weiterlesen

Hinter’m Horizont geht’s weiter

Natürlich ist es ein Fluch, nach einem Film wie „Irréversible“ weitermachen zu müssen. Mit seinem Meisterwerk hatte Gaspar Noë im Jahr 2002 schließlich nicht nur einen der ganz zweifelsohne bedeutendsten Filme des letzten Jahrzehnts inszeniert, sondern im Grunde gleich eine ganze Entwicklungslinie der Kinogeschichte an ihren schlüssigen Endpunkt geführt und ganz buchstäblich zur Explosion gebracht. Sieben Jahre lang schwieg Noë im Anschluss an seinen großen Wurf, von einer Handvoll eher als Stilübungen zu begreifender Kurzfilme abgesehen. Nun liegt mit „Enter the Void“ sein neuer, mit einer Spielzeit von knapp 160 Minuten nur als monumental zu bezeichnender Kinofilm vor. Und das ist er sicherlich im allerwörtlichsten Sinne: ein KINOfilm, begriffen als somatische Rauscherfahrung.
„Hinter’m Horizont geht’s weiter“ weiterlesen

„There must be some kind of way out of here…“

Zwei Jungs, vermutlich im Grundschulalter, kümmern sich rührend um einen Säugling. Sie füttern ihn, spielen mit ihm, und taufen ihn schließlich sogar. Ein an sich schönes Bild leitet eine desolate Situation ein. Wir sehen Nick und seinen kleinen Bruder, die sich, von ihrer alkoholsüchtigen Mutter vernachlässigt, um den Neuzugang zur ihrer dysfunktionalen Familie sorgen müssen. Spät abends kehrt die Mutter betrunken zurück, schlägt ihre Kinder, lässt sie im Rausch unter sich und verschwindet eben so schnell wieder. Verzweifelt greifen die Jungen zu Mutters Schnaps und betrinken sich, um für eine Nacht ihre Sorgen zu vergessen; am nächsten Tag findet Nick den Säugling tot in der Krippe.
„„There must be some kind of way out of here…““ weiterlesen

Kein Superman mit Rückenschmerzen

Werner Herzog, der gerade die Festival-Jury der Berlinale leitet, meldet sich selbst mit einem neuen Spielfilm in der Filmszene zurück. Von Abel Ferraras „Bad Lieutenant“ hat er ein Remake angefertigt, ohne – wie er er behauptet – das Original gesehen zu haben. Mit Jörg Buttgereit und Sirkka Möller haben wir den Film in der Pressevorführung gesehen und danach ein Podcast aufgenommen. Moderiert hat Stefan Höltgen.

„Kein Superman mit Rückenschmerzen“ weiterlesen

The Panic in Needle Park

Es dauert eine knappe Stunde bis Helen (Kitty Winn) der Versuchung erliegt und endgültig zum Junkie wird. Von diesem Moment an gibt es kein Zurück mehr, wird der Film seine Figuren auf eine abwärts führende Spirale schicken, die für sie dort enden wird, wo sie der junge Bulle, der Helens Entwicklung begleitet, von Anfang an gesehen hat: in der Selbstaufgabe jeglicher moralischer Wertvorstellungen, schließlich in der Denunziation. „The Panic in Needle Park“ weiterlesen

The French Connection

Es dauert gut eine Stunde bis Doyle (Gene Hackman) den von Fernando Rey gespielten französischen Drogenboß Alain Charnier in den Strassen Manhattans beschattet. Er folgt ihm bis in eine U-Bahn Station, um dort von ihm ausgetrickst zu werden. Diese Plansequenz ist ein Musterbeispiel für Friedkins Inszenierungsstil, den man wohl am ehesten als „Straight into your face“ bezeichnen kann. Obwohl Friedkin sich immer wieder als frankophil bezeichnet hat, eine Haltung, die, wie manche behaupten, sich bis hin zur Obsession gesteigert hat und die schließlich in einer Heirat zu Jeanne Moreau mündete, outet er sich hier als amerikanischer Regisseur par excellence. Die Sequenz ist in ihrer Ökonomie atemberaubend, nichts ist überflüssig, alles notwendige im Bild. Doch damit nicht genug. Der Film nimmt Tempo auf, erreicht einen kaum zu übertreffenden Grad an Intensität und wird sich gute 30 Minuten lang keine Verschnaufpause gönnen. Erst wenn Doyle nach der vielleicht unglaublichsten Verfolgungssequenz der Kinogeschichte Charniers Hit Man stellt, fällt mit dem ohrenbetäubendem Todesschuß auch die Klappe für eine Demonstration in Sachen Filmhandwerk, die sich gewaschen hat.
„The French Connection“ weiterlesen

Der Kollaps des White Trash

Spun, USA/Schweden 2002, Jonas Åkerlund

Jonas Åkerlund lässt in Spun die Zeichenwelt des White Trash förmlich implodieren. Vielleicht ist ja seine Vergangenheit als Schlagzeuger des schwedischen Black-Metal-Urgesteins BATHORY in den 80ern Jahren die beste Voraussetzung hierfür. War es doch diese, ironischerweise, wohl weißeste aller Musikspielarten, die den erdigen, ehrlichen Rock wieder mit Metaphysik und einem Spiel mit den Zeichen auflud und sich, für viele Anhänger, als Ersatzreligion installierte. Es mag wirklich diesem biografischen Detail geschuldet sein, dass sich SPUN souverän in erster Linie – auch mittels eines hektischen, nervösen Schnitts – auf die zeichenhaften Details der Alltagskultur jenes White Trash konzentriert. „Der Kollaps des White Trash“ weiterlesen