Der Kollaps des White Trash

Spun, USA/Schweden 2002, Jonas Åkerlund

Jonas Åkerlund lässt in Spun die Zeichenwelt des White Trash förmlich implodieren. Vielleicht ist ja seine Vergangenheit als Schlagzeuger des schwedischen Black-Metal-Urgesteins BATHORY in den 80ern Jahren die beste Voraussetzung hierfür. War es doch diese, ironischerweise, wohl weißeste aller Musikspielarten, die den erdigen, ehrlichen Rock wieder mit Metaphysik und einem Spiel mit den Zeichen auflud und sich, für viele Anhänger, als Ersatzreligion installierte. Es mag wirklich diesem biografischen Detail geschuldet sein, dass sich SPUN souverän in erster Linie – auch mittels eines hektischen, nervösen Schnitts – auf die zeichenhaften Details der Alltagskultur jenes White Trash konzentriert.

Der Vorspann unterstreicht dies: Anstatt nur die Namen der Darsteller aufzulisten, ergänzt man diese – „… is … „ – mit dem Rollennamen, jeder mit einer eigenen Schriftart versehen, dieser aber allesamt dem White-Trash-Kosmos zuzuordnen: Anlehnungen an emblematische Schriftzüge von Def Leppard, Coca Cola, das reaktionäre Country-Spektrum oder Striptease-Club-Logos. Keine dieser Figuren ist Charakter im eigentlichen Sinne – schon die Namen, „Mullet Cop“ etwa oder „The Cook“, kennzeichnen sie nicht als solche -, bloß Epiphänomen eines von Personen unabhängig sich selbst fortschreibenden Texts, der, bis ins Unendliche in sich gespiegelt, sich an sich selbst nährend und monströs vergrößernd, nur noch ins bloße Feedback hässlicher Übersteuerungen mündet. Dort, wo Alltag nur noch Klischee eines Klischees sein kann, kann kein Mensch mehr leben. Ergo ist keine der Figuren menschlich, Unsympathen allesamt.

Dieser Übersteuerung sieht man in SPUN bei der Arbeit zu. Eine Spielhandlung im klassischen Sinne gibt es nicht, kann es deshalb nicht geben. Gewiss, da sind ein paar Drogenjunkies im typischen Milieu. Abgefuckte Wohnungen, Kommunen gleich, wer hier aber wohnt und wer nur vorbeischaut ist auf den ersten Blick kaum auszumachen. Alltagsprobleme: Wo man den Stoff herkriegt, wie man den Stoff nimmt, wer den Stoff herstellt, was man für den tut, wie man immer weiter degeneriert. Aber nicht, wie man ans Geld kommt, wie man in die Szene abrutscht und welche Folgen das mit sich bringt. Diess verhindert alleine schon der kurze Ausschnitt von gerade mal drei Tagen, der beobachtet wird. Alles halb so wichtig, das machen andere eh schon besser. Von Interesse sind Momente, Beziehungsgeflechte, Reaktionen – Alltag! Die Drogen – es geht vornehmlich um härtere Kaliber: Speed, Kokain – sind nur Metapher für den weißen, pickligen Moloch der Unterklasse, der sich selbst immer schneller reproduziert, sich selbst verschlingt, um sich immer wieder in neuen Zusammensetzungen auszukotzen. Nach Möglichkeit aufs vergilbte Rippunterhemd und am besten noch alles fortwährend gleichzeitig. Ein ekelerregender Sud wird da gebraut, bestehend aus morschen Zähnen, fusseligen Plüschhausschlappen, geschmacksunsicheren Oberteilen, schmierigen Cowboystiefeln, schlechten Tatoos auf geschwollen, nicht aber auf Ästhetik hin trainierten Oberarmen, fettigen Haaren, Stoppelbärten mit dickflüssigem Speichel drin, Wohnkasernen, aufgequollenen, kalten Pizzaresten, Ernußflips zwischen Sofapolstern,bizarrem Telefonsex, hysterischer Dauerwellen-Nagellack-Pornografie der 80er Jahre und Trailerpark-Abschaum a la Pink Flamingos (USA 1972), der, nebenbei bemerkt, fast schon aufdringlich zitiert wird.

Drogen wird man nach Spun nicht unbedingt nehmen wollen. Aber: Man wird sie auch nicht zwangsläufig meiden wollen. Ein ideologisches Projekt verfolgt der Film, was den Drogenkonsum betrifft, zum Glück nicht. Der ideale Zuschauer verfügt wohl wirklich über einschlägige Erfahrungen, ohne aber – Junkies gehen eh nicht ins Kino – hängen geblieben zu sein. Diese Position verspricht am meisten noch Souveränität in diesem hässlich-faszinierendem Treiben. Es geht allein um den Speed, die Beschleunigung einer Zeichenwelt, die außer Kontrolle geraten ist, in der es keinen guten Pop mehr gibt. In der selbst die Cops, die die Junkies der Reihe nach hochgehen lassen, noch nicht mal mehr die andere Seite der Medaille darstellen, sondern selbst schon, mit Fliegerbrille, Schnurbart und Vokuhila versehen, Karikaturen der gleichen Klischeewelt darstellen. Eine Welt, in der keine Befreiungsbewegung mehr möglich ist, da nur noch die Verstärkung der Groteske als Option denkbar scheint: Analog dazu immer wieder, wie beiläufig, Blicke auf Fernsehschirme, in denen immer fettere und hässlichere Wrestler sich gegenseitig die Fresse breiig schlagen.

Ein wahrer Glücksgriff in diesem Zusammenhang die Besetzung des Films, vor allem der Nebenrollen: Pornoikone Ron „Hedgehog“ Jeremy gilt es als Barkeeper zu entdecken, Debbie Harry alias Blondie spielt die blonde, nietenbewehrte Kampflesbe von nebenan, Rob Halford, der schwule Sänger der Lack- und Leder-Hardrockkombo Judas Priest spielt einen schwulen Angestellten eines Pornoladens, Billy Corgan, der auch den Soundtrack schrieb, erhält einen Cameo-Auftritt und Mickey Rourke findet in seiner Rolle des Drogenkochs und Bodybuilder-Cowboys „The Cook“ ein verdientes Comeback. Stimmiger hätte man diesen bemerkenswerten, so abstoßenden wie faszinierenden Film nicht besetzen können. Die niedrige Kopienzahl, mit der Spun hierzulande eine Kinoauswertung gegönnt wurde, ist schlichtweg ein Skandal.

Spun
USA/Schweden, 2002
Regie: Jonas Åkerlund; Drehbuch: Will De Los Santos, Creighton Vero; Kamera: Will De Los Santos
Creighton Vero; Schnitt: Johan Söderberg, Jonas Åkerlund; Musik: Billy Corgan, Nikki Sixx; Darsteller: Jason Schwartzman, Mickey Rourke, Brittany Murphy, John Leguizamo, Patrick Fugit, Deborrah Harry, Ron Jeremy, Rob Halford, u.a.
Verleih: Tobis-Film Länge: 101 Minuten

Thomas Groh

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