The Panic in Needle Park

Es dauert eine knappe Stunde bis Helen (Kitty Winn) der Versuchung erliegt und endgültig zum Junkie wird. Von diesem Moment an gibt es kein Zurück mehr, wird der Film seine Figuren auf eine abwärts führende Spirale schicken, die für sie dort enden wird, wo sie der junge Bulle, der Helens Entwicklung begleitet, von Anfang an gesehen hat: in der Selbstaufgabe jeglicher moralischer Wertvorstellungen, schließlich in der Denunziation.

Jerry Schatzbergs Film landete in der Retrospektive in einer komplett neu restaurierten Fassung, ein Glücksfall für das Publikum, wirkten beim komplizierten Color Matching auch der Regisseur selbst und sein Kameramann Adam Holender mit. Die frisch gezogene Kopie trägt damit in nicht unerheblichem Maße zu einer atemberaubenden Zeitreise bei, die uns die Möglichkeit eröffnet, Schatzbergs dem Cinema Verite verhafteten Film in einer Art und Weise wiederzuentdecken, die an das ursprüngliche Kinoerlebnis im Jahr 1971 heran reicht.

Die bedrückende Authentizität des Films zerstreut jedoch sehr schnell die Freude am ästhetischen Genuß, zieht den Zuschauer mit unwiederstehlicher Sogwirkung in seine Geschichte, die sich ausschließlich in einem klar abgesteckten Rahmen abspielt, an der 72.ten Ecke Broadway, eben am titelgebenden „Needle Park“, einem Drogenumschlagplatz für Manhattans Junkieszene.

Kitty Winn gewann zwar den Oscar für die beste Hauptrolle, es ist aber Al Pacino, der den Film unvergesslich werden läßt. Er spielt den Hustler Bobby, manisch, immer in Bewegung, eine faszinierend anzusehende Demonstration von der Technik des Method Acing beeinflusster Schauspielkunst. Es war seine erste große Rolle und man findet bereits hier all das wieder, was ihn zu einem der größten Filmschauspieler unserer Zeit werden ließ.

Schatzbergs Inszenierungsstil, kühl, kontrolliert, die unbarmherzige Umgebung in schäbige Farben gießend, zeigt uns ein New York, in das kein Tageslicht zu dringen scheint. Es ist ein langer Weg von der verbrähmten Drogenromantik der 60er Jahre bis hierhin, die Diskrepanz zu „Easy Rider“ etwa könnte kaum größer sein.

Der erbarmungslos anmutenden Montagetechnik, die in abrupten Schnitten die Entwicklungsstufen der Protagonisten hart aneinanderreiht, kommt gesteigerte Bedeutung zu. Als Pacino einen Kurierjob erledigt, reicht die Andeutung eines Polizisten, der sich aus dem Schatten einer Häuserwand löst. In der nächsten Einstellung finden wir ihn unter der Dusche im Knast, mit anderen Inhaftierten scherzend, voll in seinem Element. Nächste Einstellung: Pacino tritt in die Freiheit, läuft an einer trostlosen Häuserzeile entlang. Hinter ihm taucht Helen auf, die ihn verraten hat. Sie will wissen, ob er nachtragend sei. Pacino entgegnet: „Well“. Sie schließt zu ihm auf. Die beiden gehen nebeneinander, ohne sich anzusehen. Schnitt. Schwarzblende. Abspann. Keine Musik, kein Geräusch im Kinosaal. So macht man das.

Thomas Reuthebuch

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.