Insane Clown Posse

„Kann ich mein Kostüm ausziehen?“, fragt der Clown bevor er Francos vorrückende Soldaten aufhalten soll. Nein, anlassen solle er es, befiehlt der Rebellenführer – angesichts eines solchen Aufzuges würden sich die feindlichen Truppen „vor Angst in die Hosen machen“. In der Tat ist die Angst vor Clowns (Coulrophobie) erstaunlich weit verbreitet: In psychologischen Studien wurde herausgefunden, dass zahlreiche Kinder sich vor Clowns fürchten, obwohl die Eltern ja gerade glauben, ihrem Nachwuchs mit dem Besuch eines Clown-Auftritts Freude zu bereiten. Diese Angst wird von Horrorfilmen wie der Stephen-King-Adaptation „It“, „House of 1000 Corpses“ oder „The Devil’s Rejects“ ausgebeutet. In der spanischen Zirkus-Groteske „A Sad Trumpet Ballad“ („Balada triste de trompeta“) hört man, bevor die ersten Bilder einsetzen, Kinder in einer Mischung aus Faszination und Furcht schreien. Dieses ambivalente Gefühl der Angst-Lust rührt daher, dass Clowns nicht allein unterhaltsam sind und Spaß verbreiten, sondern zugleich unberechenbar erscheinen, da ihre Mimik unter der Schminke nicht lesbar ist. Auch ein mörderischer Clown lacht noch, ganz zu schweigen von den ins Monströse verzerrten Körperproportionen und der alarmierend grellen Kleidung.

Wie zuletzt „Black Bread“ und „Pan’s Labyrinth“, so nutzt auch „A Sad Trumpet Ballad“ den Spanischen Bürgerkrieg als historischen Hintergrund. Der kämpfende Clown wird, nachdem er zahlreiche Franco-Soldaten in einer von äußerst mobiler Kameraführung und raschen Schnitten geprägten Sequenz niedergemetzelt hat, festgenommen und von seinem Sohn Javier getrennt. Vom Krieg und der Abwesenheit des Vaters gezeichnet, versinkt Javier (Carlos Areces) in tiefe Melancholie – einer denkbar ungünstigen emotionalen Lage angesichts seines Wunsches, wie sein Vater Clown zu werden und Kinder zu erfreuen (oder eben zu ängstigen). Aus dem kleinen traurigen Jungen von 1937 ist im Jahr 1973 ein beleibter, trübseliger Mann geworden, der lediglich die Rolle des traurigen Clowns übernehmen und als Opfer der Scherze des lustigen Clowns dienen kann.

Im Zirkus lernt er die schöne Artistin Natalia (Carolina Bang) kennen, die sich rasch zu ihm hingezogen fühlt, da er so ganz anders ist als ihr unberechenbarer, gewalttätiger Freund Sergio (Antonio de la Torre), der trotz seines bösartiges Wesens den lustigen Clown spielt. Von Eifersucht getrieben, schlägt Sergio seinen Konkurrenten eines Tages brutal nieder – doch anders als bei ihren gemeinsamen Auftritten hat diesmal Javier das letzte Wort. Seine Rache ist so fürchterlich, dass er vor der Strafverfolgung in den Wald fliehen und in einer Höhle leben muss. Per Zufall entdeckt ihn dort ein alter Lakai Francos, der Javier daraufhin entführt und erniedrigt, indem er ihn wie einen Hund behandelt. Vom Leid seines Daseins überwältigt, verfällt Javier dem Wahnsinn und aus dem traurigen wird ein böser Clown, der sich das Gesicht mit Säure verätzt und es mit einem Bügeleisen verbrennt. In ein Kardinalsgewand gehüllt, läuft er Amok und schießt sich seinen Weg zu Natalia frei.

„A Sad Trumpet Ballad“ ist ein mit brachialer Energie ausgestatteter Film, der sich in seinen 107 Minuten nicht eine Pause gönnt. Auch der Zuschauer muss sich bei diesem Tempo auf einen konstant erhöhten Puls einstellen, denn das Werk ist eine einzige Bilderflut, ein Film im Modus der sinnlichen Überwältigung. Visuell bis in kleinste Details durchkomponiert, grundiert er mit seiner düsteren Einfärbung des desaturierten Filmmaterials eine Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit, die von Javiers schmerzvollem Leben ausgeht. Diese Verzweiflung mündet schließlich in orgiastischen Gewalttaten, die Regisseur Álex de la Iglesia als ästhetisch, cool und konsumierbar stilisiert und sich damit merklich an Tarantino orientiert. Diese Ähnlichkeit wird auch durch die zwanghaften Versuche belegt, sowohl den Plot als auch das Szenenbild möglichst bizarr und damit Kult-prädestiniert auszustatten.

Angesichts der visuellen Stärke großer Teile von „A Sad Trumpet Ballad“ wirken die letzten Minuten, in denen auf der Flucht vor Polizei und Sergio ein gigantomanisches Monument aus der Franco-Ära erklommen wird, erstaunlich plump. Der seltsam abrupte Wechsel von am Filmset gedrehten Aufnahmen zu fast vollständig Computer-animierten Bildern sorgt für zu starke visuelle und atmosphärische Kontraste, wodurch auch der Plot an Glaubwürdigkeit einbüßt. Zudem erweist  sich die angebliche politische Relevanz der Erzählung als bloße Fassade – der Bürgerkrieg wird nie ernsthaft thematisiert, sondern dient allein als willkürlicher Hintergrund für einen reinen Unterhaltungsfilm. Exploitation wird aber gerade dann problematisch, wenn sie vorgibt mehr zu sein. Wer bereits im Vorspann Fotografien von Hitler und Franco zusammenhangslos mit Aufnahmen von Filmdiven, Priestern und religiöser Malerei vermischt, hat jedoch offensichtlich kein Interesse an mehr als einer oberflächlichen Referenzierung historischer Ereignisse.


THE LAST CIRCUS (Balada Triste de Trompeta) -… von myfilm-gr

 

A Sad Trumpet Ballad
(Balada triste de trompeta, Spanien/Frankreich 2010)
Regie: Álex de la Iglesia; Drehbuch: Álex de la Iglesia; Kamera: Kiko de la Rica; Schnitt: Alejandro Lázaro; Musik: Roque Baños;
Darsteller: Carlos Areces, Carolina Bang, Antonio de la Torre, Manuel Tallafé, Sasha Di Bendetto
Länge: 107 Min.
Verleih: Films Distribution

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