Eine nächtliche Landstraße. Ein Anhalter. Ein Kleinwagen mit zwei Insassen. Wenig später ist der Wagen Schrott, die beiden Insassen sind tot, der Anhalter, ein brutaler Serienmörder, hat nach einem Blick in den Kofferraum ein paar neue Anziehsachen und der Zuschauer die Gewissheit, dass in Kim Jee-woons „I Saw the Devil“ nur wenig Platz für Normalität ist: Im Kofferraum befindet sich eine Leiche, auch die beiden Toten waren also Mörder, die das Pech hatten, einem noch abgebrühteren Menschen über den Weg zu laufen. Willkommen in Südkorea.
Als die grausam verstümmelte Leiche von Geheimdienstagent Kim Soo-hyeons (Lee Byung-hun) Ehefrau gefunden wird, hat der nur noch eines im Sinn: Rache. Mithilfe seiner beruflichen Beziehungen kommt er dem Täter schnell auf die Spur. Es ist der perverse Serienkiller Kyung-chul (Choi Min-sik), der junge Frauen überfällt, mit dem Hammer bewusstlos schlägt und dann in seinem Unterschlupf fachgerecht auseinandernimmt. Kim Soo-hyeon gelingt es, den Killer zu überwältigen, doch anstatt ihn zu töten, verabreicht er ihm einen Sender, der ihm jederzeit Auskunft über dessen Aufenthaltsort gibt. So belauert er das Monster, kommt ihm immer wieder zuvor, quält und demütigt es, bevor er es schließlich erneut freilässt, um das Spiel von vorn anzufangen. Doch dann kommt Kyung-chul seinem Peiniger auf die Schliche …
Der Rache- und Selbstjustizfilm hält nur noch wenige Überraschungen bereit. Selbst wenn er – wie derzeit – ein kleines Revival erfährt, so besteht dies in erster Linie darin, alte, überkommene Feindbilder durch neue zu ersetzen und den Grad sozialer Verelendung der Realität anzupassen. Kim Jee-woon hat über Rache nachgedacht und ist dabei auf genau eine Idee gekommen: Weil Rache niemals dazu ausreicht, das Gefühl des Verlustes im Rächenden zu besänftigen, muss der Rächer noch brutaler vorgehen als sein Gegner. Es reicht nicht, einfach nur „auszugleichen“: Der Rächer muss einen draufsetzen – und wird dabei genau zu dem, was er selbst verabscheut.
Kim Jee-woon gelingt es zunächst ausgezeichnet, dieses Racheproblem emotional greifbar zu machen: Der Moment, in dem Kim Soo-hyeon früh im Film die Gelegenheit hat, den bewusstlosen Kyung-chul umzubringen, ihm der Strafe zuzuführen, die er „verdient“, und ihm bewusst wird, dass damit keinerlei Erlösung verbunden sein, im Gegenteil ein Gefühl der Leere folgen wird, ist einer der stärksten in einem Film, der sonst viel zu sehr damit beschäftigt ist, die technische Meisterschaft seines Regisseurs herauszustellen und darüber zu einer etwas sinnlosen Demonstration der Stärke verkommt, die eher wie ein Bewerbungsschreiben für Hollyood anmutet als wie ein für sich stehender Film, der sein Thema ernst nimmt.
Wie schon sein letzter Film „The Good, The Bad & The Weird“ so ist auch „I Saw The Devil“ bis unter’s Dach voll gestopft mit handelnden Figuren, ornamentalen Schlenkern, rätselhaften Subplots, lediglich die ausufernden Actionsequenzen ersetzt Kim Jee-woon diesmal mit happigen, die Grenze des Erträglichen mehr als einmal genussvoll übertretenden Gewaltszenen und Splattereffekten. Für sich betrachtet, ist jedes einzelne dieser Elemente ausgezeichnet gelungen: Kim Jee-woon weiß, wie man eindringliche Bilder komponiert und Tempo macht, in der Oberflächengestaltung macht ihm kaum jemand was vor. Doch unter dem Druck dieser Vielzahl von Ideen zerreißt es dabei wieder einmal den Film als Ganzes. Wenn „I Saw The Devil“ neben dem monströsen Choi Min-sik auch noch einen mit diesem befreundeten Kannibalen einführt, der mit seiner vegetarischen Frau in einem prachtvollen Landhaus residiert und sich, wenn der kleine Hunger kommt, nicht an den Kühlschrank, sondern in sein eigenes Schlachthaus begibt, in dem die lebenden Opfer schon warten, dann ist nicht ganz klar, ob Kim jee-woon das Terrain des ernsten Rachefilms ganz bewusst zugunsten der Splattergroteske verlässt oder ob er lediglich ein besonders schlechtes Menschenbild hat.
Die Ansammlung von Perversen, Verbrechern und Mördern, die Kim Jee-woon hier – durchaus nicht untypisch für sein Genre – auf kleinstem Raum vereint, ist jedenfalls beachtlich und es steht zu hoffen, dass er diese Überzeichnung auch als solche begreift: Wenn er den Serienmörder und den Superagenten im Schlussdrittel zu einem dramatischen Duell gegeneinander antreten lässt, mag das als Zugeständnis an die Konventionen des amerikanisch geprägten Actionfilms verstanden werden (die typgerechte Besetzung mit dem seit „Old Boy“ auf die Rolle des Leidenden abonnierten Choi Min-sik und dem schönen Lee Byung-hun spricht dafür), mindestens genauso gut ließe es sich aber auch als treffendes Bild dafür lesen, dass die beiden Gewalttäter längst nicht mehr zur Gesellschaft gehören, sondern in ihren eigenen hermetischen Gewaltfantasien gefangen sind.
„I Saw The Devil“ ist bei aller inszenatorischen Klasse – oder gerade deshalb – ein diskutabler, höchst widersprüchlicher Film geworden, der die Gratwanderung zwischen Big-Budget-Actionkino und transgressivem Thesenkino wagt, aber leider nicht seine Strategie offenlegt, vor deren Hintergrund man ihm dann ein Gelingen oder Scheitern attestieren könnte. Vielleicht muss man seine Hin- und Hergerissenheit auch als seine ausdrückliche Stärke erkennen, vielleicht ist er aber doch nur überkandideltes und letztlich plattes Gewaltkino. Ihn sich anzusehen, lohnt allein schon deshalb, um sich diese Frage selbst beantworten zu können.
Akamareul boatda(I Saw The Devil, Südkorea 2010)
Regie: Kim Jee-woon; Drehbuch: Hoong-jung Park; Musik: Mowg; Kamera: Mogae Lee; Schnitt: Na-young Nam
Darsteller: Lee Byung-hun, Choi Min-sik, Oh San-ha, Kim Yoon-seo
Länge: 140 Minuten
Verleih: Splendid