Eine nächtliche Landstraße. Ein Anhalter. Ein Kleinwagen mit zwei Insassen. Wenig später ist der Wagen Schrott, die beiden Insassen sind tot, der Anhalter, ein brutaler Serienmörder, hat nach einem Blick in den Kofferraum ein paar neue Anziehsachen und der Zuschauer die Gewissheit, dass in Kim Jee-woons „I Saw the Devil“ nur wenig Platz für Normalität ist: Im Kofferraum befindet sich eine Leiche, auch die beiden Toten waren also Mörder, die das Pech hatten, einem noch abgebrühteren Menschen über den Weg zu laufen. Willkommen in Südkorea. „Rache ist Blutwurst“ weiterlesen
Schwanz ab
Als „einen widerwärtigen Sack voll Müll“ bezeichnete der berühmte Filmkritiker Roger Ebert Meir Zarchis „I Spit On Your Grave“, die Sichtung als „eins der deprimierendesten Erlebnisse meines Lebens“. Auch wenn man zu einer anderen Bewertung des Films kommt als Ebert mit seinem damaligen Null-Sterne-Verriss, seine emotionale Reaktion muss man als durchaus angemessen bezeichnen. „I Spit On Your Grave“ – neben Ferraras „Ms. 45“ sowas wie die Apotheose des Rape-and-Revenge-Genres – ist kein schöner Film, den man sich zurückgelehnt ansieht, sondern im Gegenteil eine Rosskur, die durchstanden und erlitten werden muss. In seiner narrativen wie filmischen Schmucklosigkeit ragt „I Spit On Your Grave“ aus dem Horrorfilm jener Zeit, mit seinen übermenschlichen Killern und der fast schon als barock zu bezeichnenden Gewaltzelebrierung, einsam heraus. Regisseur Steven R. Monroe präsentiert mit seinem Remake nun eine geglättete Version des Skandalfilms, die sich im Kontext des seit ein paar Jahren reüssierenden Terrorfilms und aller gebotenen Überhärten zum Trotz sehr viel leichter rezipieren lässt und damit unweigerlich in die Ideologiefalle tappt … „Schwanz ab“ weiterlesen
Contemplating the Complexity of Life
Mit „Universal Soldier“ von 1992 hat der schwäbische Blockbusterregisseur Roland Emmerich seinen vielleicht einzigen wirklich intelligenten Film geschaffen. Im Gegensatz zu späteren, ultrateuren Werken wie den (natürlich gleichwohl großartigen) apokalyptischen Opern „The Day after Tomorrow“ und „2012“ traf dort das schamlos Plakative seiner Inszenierung noch nicht auf eine gewaltsam nivellierte, familienfreundlich-biedere Narration, sondern kreierte im Zusammenspiel mit dem trashig-exploitativen Gestus der am teureren Rand des B-Pictures entlang navigierenden Narration eine Reibungsfläche, deren durchaus produktive Spannungen in einem grandiosen Shootout von grotesker Komik in einem Einkaufszentrum kulminierten. Das Einzige, was „Universal Soldier“ zur endgültigen Großartigkeit vielleicht noch fehlte, war ein Gespür für jene Bewegungspoesie, die den besten Filmen des Actiongenres zu eigen ist – eine Poesie, die in der ganz und gar geradlinigen Inszenierung des Regiepragmatikers Emmerich keinen Raum hat.
„Contemplating the Complexity of Life“ weiterlesen
In Kroatien, auf dem Berg, hinter dem Wald
Der französische Horrorfilm unterhält ein interessantes und spannungsgeladenes Verhältnis zum Balkan – und insbesondere zur dortigen Familienkultur, wie sich zuletzt am 2006 erschienenen „Ils“ gezeigt hat: Verwahrloste rumänische Kinder machen Jagd auf harmlose französische Erwachsene. In „Vertige“ sind es noch junge Franzosen, die dieses mal von einem kroatischen Kindskopf gejagt werden – ein erwachsener Mann, der, wie sich im Abspann herausstellt, als Kind in Kroatien entführt und auf einen einsamen Berg verschleppt wurde, wo ihm kaum etwas anderes übrig blieb, als verrückt & Kannibale zu werden.
Actionfilm of the Living Dead
Die Rache hätte so schön kalt serviert werden können: Eine Vorort-Gangster-Truppe ermordet einen Polizisten, und seine Kollegen machen sich auf den Weg zu dem halb baufälligen Hochhaus, in welchem die Verbrecher leben, um dort Rache für die Tat zu üben. Leider kommt ihnen ein gleichermaßen übereifriger und schlecht schießender Hausmeister in die Quere und ihr Plan fliegt auf, was zur Erschießung weiterer Polizisten und der Geiselnahme der Überlebenden führt. Doch bevor nun auch diese ins Jenseits befördert werden können, passiert etwas Unerwartetes: Die Erschossenen draußen auf dem Flur erheben sich und beginnen gegen die sich nun in der Wohnung verbarrikadierenden Menschen anzurennen. Durch weitere Schüsse sind sie nicht zu bremsen und vor dem Hochhaus sammelt sich eine riesige Menschenmenge – offenbar ebenfalls Untote mit Lust auf Menschenfleisch. In Zeiten solcher Not müssen Koalitionen über Interessengrenzen hinweg gebildet werden, also schließen sich die Gangster mit den überlebenden Polizisten zusammen und versuchen die Flucht aus dem Hochhaus.
Die Nacht zum Tag gemacht
Podcast mit Jörg Buttgereit und Stefan Höltgen über:
Red Riding: 1974 (GB 2009, Julian Jarrold)
- The Collector (USA 2009, Marcus Dunstan)
- [REC] 2 (Spanien 2010, Jaume Balagueró & Paco Plaza)
- Splice (USA/Kanada 2009, Vincenzo Natali)
- La Horde (F 2009, Yannick Dahan & Benjamin Rocher)
Survival of the Undead
Manchmal bemerkt man eine jahrelang klaffende Lücke erst dann, wenn sie plötzlich unerwartet gefüllt wird. Dass es zum Beispiel im deutschsprachigen Raum bis heute keine Monographie zu George A. Romero gab, der dem amerikanischen Kino mit „Night of the Living Dead“ und „Dawn of the Dead“ zwei seiner ganz großen Meisterwerke schenkte, das mutet eigentlich kaum glaublich an und dürfte wohl in erster Linie der schwierigen Zensurgeschichte zumindest des letzteren Films geschuldet sein. Der umfassenden Wiederentdeckung nicht nur durch die Splatterfanbasis, sondern auch von Seiten der Filmwissenschaft standen die Probleme mit Verfügbarkeit, Kürzungen, Verboten und vergleichbaren Hindernissen jedoch nicht im Weg, sodass Romeros Ästhetik und Gesellschaftsanalyse im Grunde seit gut einer Dekade zum filmanalytischen Grundwissen zählen dürften.
„Survival of the Undead“ weiterlesen
Operation misslungen, Patient lebt
Für Eli Roth war „Cabin Fever“ ein Einstand nach Maß: Aufgrund der Verbindung des Regisseurs mit David Lynch mit einigen Vorschusslorbeeren gestartet, entwickelte sich der Film zum Love-it-or-hate-it-Phänomen, schienen sich die positiven und negativen Stimmen gegenseitig anzustacheln und überbieten zu wollen. Die so entfachte Meinungsschlacht stand kaum noch in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung und Qualität des Films, den man unter anderen Umständen wahrscheinlich einfach egal gefunden hätte, so aber mindestens als Geniestreich, Kultklassiker oder filmisches Verbrechen titulieren musste, um gehört zu werden. Für Roths weiteren Werdegang mit „Hostel“ und „Hostel 2“ kann man diese Rezeptionsgeschichte als treffenden Prolog verstehen und auch für den Vertrieb Lions Gate hätte „Cabin Fever“ der Startschuss für ein neues erfolgversprechendes Franchise sein können. „Operation misslungen, Patient lebt“ weiterlesen
Die Zombies vor der Leinwand
Seitdem der Zombiefilm mit Danny Boyles „28 Days Later“, Zack Snyders „Dawn of the Dead“-Remake und Edgar Wrights „Shaun of the Dead“ Mitte des Jahrzehnts sein Revival erlebte, vergeht kaum ein Jahr, ohne dass ein neuer, vermeintlich origineller Beitrag zum Subgenre erscheint. Auf dem diesjährigen Fantasy Filmfest hieß dieser „Wasting Away“ und wurde von der Festivalleitung entsprechend vollmundig angekündigt. „Die Zombies vor der Leinwand“ weiterlesen
Serbien, postapokalyptisch
Marko ist ein junger, ambitionierter Filmschüler und will eigentlich Kunstfilme machen. Nicht als gefälliges Arthousekino, sondern in Horror- und Science-Fiction-Stoffe verpackt die nationalen Mythologien Serbiens erkundend. Natürlich findet er für seine ehrgeizigen Projekte keine Finanziers, und so nimmt er, was er bekommen kann: zunächst einmal das Geld des schmierigen Pornoproduzenten Cane. Damit inszeniert er einen surreal-prätentiösen Kunstpornofilm, der bei seinem Auftraggeber und dessen Kompagnon, einem skrupellosen Polizisten, auf wenig Begeisterung stößt. Marko wird gefeuert, bedroht und schließlich brutal zusammengeschlagen. Darauf entschließt er sich zu einem Medienwechsel und begründet das erste serbische Porno-Theater. Noch während der Premiere von der Polizei zerschlagen, entschließt sich die bunte Truppe um Marko herum schließlich, auf Tournee durch die Dörfer des ländlichen Serbiens zu gehen.
Ausgegraben
Als Dan O’Bannon am 17. Dezember des vergangenen Jahres nach langjähriger Krankheit verstarb, ging eine Persönlichkeit des Filmgeschäfts, die zwar nicht zu den ganz Großen zählte, aber dem fantastischen Film der letzten drei Jahrzehnte doch seinen Stempel aufgedrückt hatte. Als Schreiber und Drehbuchautor war Dan O’Bannon (meist im Verbund mit Ronald Shusett) maßgeblich beteiligt an John Carpenters Debüt „Dark Star – Finsterer Stern“, an Ridley Scotts „Alien“ und dessen Sequels sowie etwa an Verhoevens „Total Recall“. Als Regisseur konnte O’Bannon zwar nicht richtig Fuß fassen, doch hinterließ er mit der Zombiekomödie „Verdammt, die Zombies kommen!“ immerhin einen maßgeblichen Vorreiter des bis heute populären Funsplatters. Dan O’Bannons Scripte waren von einem schrägen Humor geprägt und ließen jederzeit erkennen, dass ihr Autor sich seinem Genre mit Leib und Seele verschrieben hatte. Diese Vorzüge zeichnen auch den von O’Bannon gescripteten „Tot & Begraben“ von Gary Sherman aus, der jetzt nach langjähriger Indizierung (von einigen minderwertigen Bootlegs abgesehen) zum ersten Mal ungekürzt in Deutschland auf DVD erscheint. „Ausgegraben“ weiterlesen
Familienzusammenführung
Eigentlich wollte Rob Zombie nie eine Fortsetzung seines John Carpenter-Remakes „Halloween “ drehen, doch als das Studio ihm die Pläne für ein Sequel eröffnete, gemahnte ihn sein künstlerischer Stolz, sein Projekt lieber selbst zu beenden, als es in die Hände eines anderen zu übergeben. Also willigte Zombie ein und griff das Thema des von klein auf delinquenten Michael erneut auf. Im Gegensatz zum zahmeren ersten Teil fällt „Halloween II“ durch brutale und auch groteske Gewaltdarstellungen auf. Bereits die erste Sequenz eröffnet dem Zuschauer einen voyeuristischen, doch anatomisch gut recherchierten Blick in die Erste-Hilfe-Behandlung der Überlebenden des ersten Teils, wobei einige Zuschauer bereits beim Anblick der Wundbehandlung zusammenzucken mögen. Man sieht Myers aus dem Leichenwagen fliehen und mit Brachialität den Kopf eines Coroners mit einer Glasscherbe abtrennen. Die Unwirksamkeit und mangelnde Schärfe einer derartigen Waffe rufen durchaus Bilder der Enthauptung von Nicholas Berg durch irakische Terroristen ins Gedächtnis, die ähnlich schwerfällig mit stumpfen Schnittwaffen den Tod des Geschäftsmannes herbeiführten. (Dass freilich derartige Vergleiche ein heißes Eisen sind, wissen wir seit des Bildvergleichs von Abu Ghuraib mit Pasolinis „Die 120 Tage von Sodom“ durch Ulrich Raulff, weshalb dieser Faden gar nicht weiter gesponnen werden und nur als Anmerkung bestehen bleiben soll.)
Die einleitende Sequenz, in der Myers Laurie bereits im Krankenhaus nachstellt, entpuppt sich, zum Glück des Regisseurs, als Albtraum der Protagonistin. Wäre dies die Realität der Exposition gewesen, hätte der Film bereits hier sämtliche Kredibilität eingebüßt, da er in diesem Fall von Minute Eins ein Slasher-Stalker-Film und somit als leidenschaftslose Pflichtproduktion erschienen wäre. Die Ehrenrettung durch das Erwachen der traumatisierten Laurie leitet einen ästhetisch wie dramaturgisch ausgeklügelteren Film ein, um dessen Nichterscheinen in deutschen Kinos es tatsächlich schade ist. Doch leider wird den deutschen Horror-Aficionados hier der Leinwandgenuss verweigert, der nur einigen wenigen dank der Macher des Fantasy Filmfests in einer Handvoll einmaliger bundesweiter Vorführungen ermöglicht wurde. Rob Zombie ästhetisiert in seinem Film das Hässliche: Neben Detailaufnahmen der von Michael Myers voll Inbrunst zerstörten Körper finden sich auf der Ton- und Bildebene absolute Kunstgriffe, die diese Gewalt zum Teil eines Gesamtkunstwerkes machen. Der gekonnte Einsatz von Schachtelmontagen und der den Zuschauer stellenweise in festgelegte Richtungen manipulierende Schnitt rufen Erinnerungen an Sergej Eisensteins Theorie der ‚Montage der Attraktionen‘ wach. So beispielsweise in der Szene, als der Sheriff versucht, seine Tochter von der Natürlichkeit des Fleischessens („man was meant to eat meat“!) zu überzeugen, während Zombie parallel dazu eine Szene montiert, in der Myers einen Hund schlachtet und dessen Innereien isst.
Wie bereits im ersten Teil setzt Zombie auch in „Halloween II“ auf gekonnt in den Vordergrund gestellte Alarmsignale, um die Prägnanz von Situationen zu betonen. So dröhnte in „Halloween“ ausschließlich der Alarm des Sanatoriums, in dem der kleine Michael gerade eine Krankenschwester tödlich verletzt hat, während sich auf der Bildebene die Handlung in Slow Motion tonlos weiter vollzieht. Die Fortsetzung bedient sich eben dieses sehr effektiven Mittels, diesmal in Form einer Hupe, die aus einem verunglückten Auto schmettert, in dem Laurie sich vor ihrem großen Bruder retten wollte. Michael Myers ist kein kunstvolles Monster, das seine Morde mit Präzision ausführt wie etwa Dexter Morgan oder Hannibal Lecter. Er ist ein unbegreifliches Böses, das seine gesamte Wut an seinen Opfern entlädt, deren Körper nicht nach einem bestimmten Muster destruiert, sondern vielmehr nach Belieben zerschmettert werden. Nicht die Methode zählt, sondern der Moment der Tat. Es fällt auf, dass Myers seinen Tötungsakt mit leidenschaftlicher Wut vollzieht. Obwohl sein Gesicht aufgrund der Maske den steten Ausdruck der Gleichgültigkeit trägt, macht sich die Intensität seiner Monstrosität durch Schnaufen und stellenweise sogar Grunzen bemerkbar. Die Debatte um die bio-psycho-soziale Prägung versus die genetische Bedingtheit von Delinquenz wird durch die Figur der Laurie wie bereits im Original aufgegriffen. Einerseits ist Laurie als Opfer einer Gewalttat eine therapiebedürftige Traumapatientin, andererseits werden besonders in ihren Albträumen und Halluzinationen Züge einer ähnlich gestörten Persönlichkeit wie die ihres Bruders Michael erkennbar. Die Trennung von Traum und Wirklichkeit wird von Anfang an aufgehoben, indem gleich einleitend auf ein Symbol der Psychoanalytischen Traumdeutung (das weiße Pferd als Vorbote eines Akts der Brutalität und Grausamkeit) hingewiesen wird und die Anfangssequenz sich als grausamer Albtraum entpuppt. Phantasmen dieser Art durchziehen den gesamten Film: die traumatisierte Laurie wird selbst ein Jahr nach der Konfrontation mit Michael Myers noch von luziden und verstörenden Albträumen geplagt, die sich im weiteren Verlauf auch in Tagträumen und Phantasien sowie somatischen Auswirkungen manifestieren. Je mehr Myers sich dem Ort Haddonfield, Illinois nähert, desto stärker wird die Belastung für Laurie.
Regelmäßig zeigt der Film einen bärtigen, verhüllten – aber außerhalb der Morde häufig maskenlosen – Myers, der sich langsam zu Fuß einen Weg durch die Landschaft bahnt, eine Reise, die für ihn und Laurie wie vom Schicksal gefügt scheint. Trugbilder und Wahnvorstellungen durchziehen den Film, sodass der Blick nicht nur auf die Opfer, sondern – wenn auch nur teilweise – auf gewisse Aspekte des Monsters fällt. Es offenbart sich wiederholt die Beziehung zur Mutter (die erneut durch Zombies Ehefrau Sheri Moon Zombie besetzt und erstaunlich überzeugend dargestellt ist), die ihn als Symbol seines Drangs, die Familie wieder zu vereinen, begleitet. Er, wie später auch Laurie, sieht diese Mutterfigur als regelmäßige Erscheinung, als imperative Stimme, die zu perfiden Taten anstachelt. Myers selbst wird in den Szenen der Interaktion mit dieser Revenanten stets als kleiner Junge gezeigt, eine Freud/Jungsche Anspielung par excellence. Rob Zombie arbeitet demnach tatsächlich mit Versatzstücken der Psychoanalyse, anstatt nur schräge Traumsequenzen zur Verwirrung seines Publikums einzubauen.
Der „Genuss“ eines derartigen Films, und damit die Wiederkehr der anatomischen Genauigkeit von Rob Zombies Gewaltdarstellungen laden eventuell zur Neuauflage der Gewaltdebatte ein, die an dieser Stelle nicht zu ausführlich ausgetragen werden soll. Dennoch kann eine kurze Anmerkung nicht schaden: Wenn man erst einmal die Fragilität des menschlichen Körpers akzeptiert hat, ist diese ausführliche Darstellung von Gewalt zwar nicht harmloser, doch nicht so drastisch Ekel induzierend wie bei einer unbedarften und unschuldigen Art des Sehens. Das habitualisierte Auge erkennt hier anatomische Präzision, während der unbedarfte Zuschauer abgeschreckt und schockiert wird. In dem Seherlebnis eines Rob Zombie Films stecken demnach die Habitualisierungs- und die Inhibitionsthese theoretisch sogar unter einer Decke, anstatt in gegnerischen Ecken des Horror-Boxrings.
Halloween II (USA 2009)
Regie & Buch: Rob Zombie; Schnitt: Glenn Garland, Joel Pashby; Kamera: Brandon trost; Musik: Tyler Bates Darsteller: Sheri Moon Zombie, Tyler Mane, Scout Taylor-Compton, Brad Dourif, Malcolm McDowell, Margot Kidder, Al Yankovic
Länge: 105 Min. (Unrated Director’s Cut: 119 Min.)
Verleih: Tiberius Film / Sunfilm
Jana Toppe
Ein kurzer Film über das Töten
Nach dem Selbstverständnis eines seriösen Filmkritikers sieht die ideale und wohl einzig mögliche Kritik zu „John Rambo“ wie folgt aus: Nachdem man noch einmal pflichtbewusst-beschämt an den Erfolg der ersten drei „Rambo“-Filme in den Achtzigerjahren erinnert und Rambo/Stallone als ehemalige Leit- und jetzige Witzfigur der Reaganomics verhöhnt hat, geht man dazu über, Stallones ersten eigenen Regiebeitrag zum wohl berühmtesten Action-Franchise der Welt von der immer willkommenen ideologiekritischen Seite her abzukanzeln. Keine Polemik ist da zu billig: Stallone als Wahnsinnigen zu bezeichnen der Gipfel journalistischer Rechtschaffenheit. Zugegeben, „John Rambo“ bietet seinen schlangestehenden Kritikern reichlich Futter: Es dürfte schwierig werden, diesen Film in punkto Brutalität und Kompromisslosigkeit noch in den Schatten zu stellen, ohne dabei in filmische Grenzbereiche vorstoßen zu müssen.
Die Einsamkeit des Wurstfachverkäufers
Am Ende des Gemetzels wankt der Koloss mit der Kettensäge langsam ins Dunkel. Sein Tagewerk ist verrichtet, das Geheimnis der Familie bewahrt. Doch er strahlt keine Freude aus, kein rauschhafter Triumph beflügelt ihn. Sein Kopf ist gesenkt, er wankt wie ein angeschlagener Boxer, erschöpft. Dann verschluckt ihn die Nacht. Der nächste Morgen wird auch nur einen weiteren Tag der Arbeit für ihn bereithalten, die er gewohnt zuverlässig verrichten wird.
Wunden
Wunden sind sichtbare Zeichen für Verletzung und Schmerz. Sollen diese eigentlich nicht-kommunizierbaren Phänomene vermittelt werden, so ermöglicht die Darstellung der Wunde dies noch am besten. Über sie wird beim Betrachter Empathie evoziert – aber auch Abscheu. Die blutende Wunde stößt ab – der Verwundete fordert jedoch Anteilnahme ein. Über den filmischen Kodierungsprozess und dessen Interpretation durch den Betrachter lassen sich eine Reihe sichtbarer und unsichtbaerer Wunden darstellen: von der Verletzung des Körpers über das psychische Trauma bis hin zur historischen (Erb-)Schuld. Filme bilden jede Form von Verwundung ab und bieten sich selbst als Bestandteil des Heilungsprozesses an.
Bodies that Splatter.
Der Splatterfilm konfrontiert die ZuschauerInnen mit gewaltsam geöffneten, aufgebrochenen und aufgeschlitzten Körpern. Augen werden ausgestochen, Arme und Beine abgetrennt und Köpfe durchbohrt. Die film- und kameratechnische Fragmentierung des Körpers in Schnitt und Ausschnitt wird in die Fragmentierung des Körpers durch das Aufschneiden und Zerteilen mit scharfen oder spitzen Gegenständen übersetzt. Die Kamera wird zum Endoskop und verfolgt das Mord- und Schlachtinstrument, wie es in das Körperinnere eindringt und Blut, Hirn und Eingeweide hervorholt.
Film und Metapher
David Cronenberg erinnert sich: »Einmal rief mich ein amerikanischer Kritiker an, der mir sagte: ‚Für einen Amerikaner sind Ihre Filme wie ein seltsamer Traum. Die Straßen wirken amerikanisch, sind es aber nicht. Die Personen sehen aus wie Amerikaner, sind aber keine. Sie sprechen wie Amerikaner und sprechen doch anders.’« Wollte man Cronenbergs Kino grob situieren, so könnte man seine Filme als eine Art Synthese zwischen dem recht puren Amerikaner David Lynch und dem recht puren Europäer Peter Greenaway bezeichnen. Mit seinem Kleinstadthorror in Blue Velvet (USA 1986) und Twin Peaks (USA 1990) und seinen Verirrungen auf dem Lost Highway (USA 1996) und dem Mulholland Drive (USA 2001) bebildert Lynch die Kehrseite des amerikanischen Traums. Die barock überladenen Bild-Ornamente eines Greenaway stehen somit in einem größtmöglichen Gegensatz zu Lynchs Gewalt-Agonie. Eine Art Synthese zwischen Lynchs amerikanischer Erzählweise und Greenaways Poetik erreicht Cronenberg dadurch, dass sein filmisches Schaffen selbst dann ausdrücklich von der Literatur geprägt ist, wenn er, wie bei seinen frühen Filmen, die Drehbücher selbst verfasst hat. Nabokow, Beckett und Kafka zählen zu Cronenbergs Lieblingsautoren, aber auch William S. Burroughs. In Naked Lunch (Can 1991), Cronenbergs Burroughs-Verfilmung, sagt die Frau des Kammerjägers Bill Lee, nachdem sie sich mit einer Heroin-Nadel das Wanzenpulver ihres Mannes in die Venen (bzw. in die Brust) geschossen hat: »Es ist ein Kafka-Rausch. Du fühlst Dich wie ein Käfer«. Das ist zugleich eine treffende Bezeichnung für Cronenbergs Vorlieben für Verwandlungen, Metamorphosen und Deformationen im körperlichen und seelischen Bereich.