Schwanz ab

Als „einen widerwärtigen Sack voll Müll“ bezeichnete der berühmte Filmkritiker Roger Ebert Meir Zarchis „I Spit On Your Grave“, die Sichtung als „eins der deprimierendesten Erlebnisse meines Lebens“. Auch wenn man zu einer anderen Bewertung des Films kommt als Ebert mit seinem damaligen Null-Sterne-Verriss, seine emotionale Reaktion muss man als durchaus angemessen bezeichnen. „I Spit On Your Grave“ – neben Ferraras „Ms. 45“ sowas wie die Apotheose des Rape-and-Revenge-Genres – ist kein schöner Film, den man sich zurückgelehnt ansieht, sondern im Gegenteil eine Rosskur, die durchstanden und erlitten werden muss. In seiner narrativen wie filmischen Schmucklosigkeit ragt „I Spit On Your Grave“ aus dem Horrorfilm jener Zeit, mit seinen übermenschlichen Killern und der fast schon als barock zu bezeichnenden Gewaltzelebrierung, einsam heraus. Regisseur Steven R. Monroe präsentiert mit seinem Remake nun eine geglättete Version des Skandalfilms, die sich im Kontext des seit ein paar Jahren reüssierenden Terrorfilms und aller gebotenen Überhärten zum Trotz sehr viel leichter rezipieren lässt und damit unweigerlich in die Ideologiefalle tappt …

Die junge Schriftstellerin Jennifer Hills (Sarah Butler) bezieht ein Ferienhaus in der Wildnis der Südstaaten, um dort ein paar Wochen in Ruhe an ihrem neuen Buch zu arbeiten. Schon bei ihrer Ankunft erregt sie an einer Tankstelle die Aufmerksamkeit dreier Rednecks, die der attraktiven jungen Frau wenig später einen Besuch abstatten: Jennifer gelingt zunächst die Flucht vor dem sich anbahnenden Missbrauch, doch der Sheriff, den sie um Hilfe bittet, steckt mit den Übeltätern unter einer Decke. Der nun folgenden mehrfachen Vergewaltigung kann sich Jennifer nicht mehr entziehen, wohl aber ihrer anschließenden Hinrichtung. Von den Männern für tot gehalten, kehrt sie zurück, um sie für die erlittenen Qualen mit unerbittlicher Härte zu bestrafen …

Der Selbstjustiz- und Rape-and-Revenge-Film folgt dem alttestamentarischen Diktum „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, das Gerechtigkeit nach fast kaufmännischer Logik als ausgeglichene Bilanz beschreibt: Das Leid, das das Opfer erfährt, muss es im selben Maße dem Täter zufügen, um am Ende den Bilanzausgleich zu schaffen, das aus der Balance geratene Kräfteverhältnis widerherzustellen und nicht zuletzt den Zuschauer mit einem kathartischen Erlebnis aus dem Kinosaal zu entlassen. Doch die Rechnung geht nur höchst selten auf: Der Rächer muss immer noch einen draufsetzen, zum einen, weil er ja nicht nur Vergeltung für seine erlittene Pein haben möchte, sondern auch dafür, dass der Täter sich überhaupt erst das Recht genommen hat, die Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens zu verletzen, zum anderen, weil die filmische Dramaturgie eine Steigerung verlangt. Der aufgeklärte Rachefilm erzählt also nicht von der Wiederherstellung der Gerechtigkeit, sondern davon, dass sich Unrecht niemals gegeneinander aufrechnen lässt. Das Leid ist mit dem Menschen in die Welt gekommen und jeder Versuch, an der Bilanz herumzudoktern, häuft nur noch mehr davon an. Zarchis „I Spit On Your Grave“ lässt sich schon strukturell als Gewinn-und-Verlust-Rechnung lesen: Der Film ist in zwei klar voneinander geschiedene Hälften geteilt, lässt der über die ersten rund 40 Minuten ausgebreiteten Vergewaltigung in der zweiten die mit perfiden Mitteln ausgeführte Rache der Frau folgen, doch die Genugtuung über die „gerechte“ Strafe will sich beim Zuschauer trotzdem nicht einstellen. Es bleibt die Leere.

Das Remake folgt der Handlung und Ausrichtung des Originals zwar weitestgehend, kann dessen subversiver Kraft, die ihn auch heute noch zum Gegenstand film- und kulturwissenschaftlicher sowie gendertheoretischer und feministischer Debatten macht, aber nichts entgegensetzen. Das liegt vor allem daran, dass „I Spit On Your Grave“ unter der Regie von Steven R. Monroe jede formale Radikalität vermissen lässt, seinen schmerzhaften Inhalt einer recht gewöhnlichen Spannungsdramaturgie unterwirft, zu der mit dem Sheriff auch ein im Original noch abwesender handelsüblicher Oberbösewicht gehört, und somit durch genau jene dünne Eisdecke bricht, die Zarchi irgendwie unbeschadet überschritten hatte. Das heißt nicht, dass „I Spit On Your Grave“ nun ausgesprochenen Spaß bereiten würde: Die ausufernden Gewaltdarstellungen und der bestialische Einfallsreichtum, den Jennifer bei ihrer Rache an den Tag legt, haben zum Glück nichts mit zu bejohlenden Funsplatter-Eskapaden zu tun, aber das enthebt den Film nicht von dem Vorwurf, seine Missbrauchsthematik vor allem als Anlass für ein recht plumpes „Höher, schneller, weiter“ zu begreifen. Das Missverhältnis zwischen Ursprungstat und Racheakt, das wie oben beschrieben Thema des reflektierten Selbstjustizfilms ist, wird von Monroe nicht aktiv thematisiert, sondern lediglich strukturell dupliziert: Es ist augenfällig, dass er in der Inszenierung der Vergewaltigung stets innerhalb der Grenzen des Erlaubten (und Erträglichen) bleibt, mit der Videokamera, mit der einer der Vergewaltiger die Tat filmt, sogar eine zusätzliche Beobachterposition zwischen Zuschauer und Opfer schiebt, damit also vom Geschehen distanziert, während er die Rache Jennifers bis zur Unerträglichkeit und unter Zuhilfenahme aller Spezialeffektpower auslotet und mit sichtlichem Genuss ausbreitet. Roger Ebert hat diesen Unterschied freilich nicht gesehen: Auch das Remake erhielt von ihm null Sterne.

I Spit On Your Grave
(USA 2010)
Regie: Steven R. Monroe; Drehbuch: Stuart Morse; Musik: Corey A. Jackson; Kamera: Neil Lisk; Schnitt: Daniel Duncan
Darsteller: Sarah Butler, Jeff Branson, Andrew Howard, Daniel Franzese, Rodney Eastman
Länge: 107 Minuten
Verleih: Anchor Bay

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