Survival of the Undead

Manchmal bemerkt man eine jahrelang klaffende Lücke erst dann, wenn sie plötzlich unerwartet gefüllt wird. Dass es zum Beispiel im deutschsprachigen Raum bis heute keine Monographie zu George A. Romero gab, der dem amerikanischen Kino mit „Night of the Living Dead“ und „Dawn of the Dead“ zwei seiner ganz großen Meisterwerke schenkte, das mutet eigentlich kaum glaublich an und dürfte wohl in erster Linie der schwierigen Zensurgeschichte zumindest des letzteren Films geschuldet sein. Der umfassenden Wiederentdeckung nicht nur durch die Splatterfanbasis, sondern auch von Seiten der Filmwissenschaft standen die Probleme mit Verfügbarkeit, Kürzungen, Verboten und vergleichbaren Hindernissen jedoch nicht im Weg, sodass Romeros Ästhetik und Gesellschaftsanalyse im Grunde seit gut einer Dekade zum filmanalytischen Grundwissen zählen dürften.

Georg Seeßlens Buch „George A. Romero und seine Filme“ kommt daher nicht nur von unerwarteter Seite – vom Verlag kuk nämlich, der mit seiner Edition Phantasia vor allem für edle (und teure) Sammlerausgaben klassischer Texte der phantastischen Literatur steht –, sondern, dem nahenden Kinostart von Romeros jüngstem Zombiefilm „Survival of the Dead“ zum Trotz, in gewisser Weise auch zur Unzeit: zu einer Zeit nämlich, in der jahrelange ausführliche Beschäftigung mit den längst kanonisch gewordenen Hauptwerken des Regisseurs den Eindruck hinterlassen hat, im Grunde sei zu diesen bereits alles gesagt.

Nun gehört ja Georg Seeßlen sicherlich zu jenen Autoren in der deutschsprachigen Filmpublizistik, die auch scheinbar abgegrasten Feldern noch neue Erkenntnisse und originelle Betrachtungsweisen abzuringen verstehen. Seine teilweise furiosen Monographien zu Filmemachern wie David Lynch, Martin Scorsese oder Steven Spielberg sind längst zu Standardwerken avanciert, und seine fortlaufende Publikationsreihe zu Geschichte und Mythologie des Genrekinos mag nicht immer ganz sauber recherchiert und fehlerfrei sein, in ihren weit ausgreifenden Verkettungen und Assoziationslinien bietet doch jeder Seeßlen-Band immer wieder eine inspirierte wie inspirierende Lektüre.

Leider fällt im Vergleich zu den zitierten Bänden das vorliegende Buch zum Werk von George A. Romero doch merklich ab. Das liegt nur einerseits daran, dass zahlreiche nicht ganz neue Gedanken zu Romeros Filmen sich hier wiederfinden; Seeßlen wäre sicherlich imstande gewesen, über diese hinaus faszinierende Exkurse und Einordnungen vorzunehmen. Leider aber fehlt es ihm hier offensichtlich am benötigten Raum, um ein wirklich interessantes Buch über Romero vorzulegen. „George A. Romero und seine Filme“ ist zwar eines schönes Buch geworden, aber nicht eben ausführlich geraten, worüber der Umfang von 368 Seiten (in sehr großzügigem Druckspiegel) und der hochwertige Einband ein wenig hinwegtäuschen mag. Den interessantesten Teil macht dabei noch ein knapp 55 Seiten umfassendes, einleitendes Kapitel zu Leben, Werk und Motiven Romeros aus. Die Einzelanalysen zu den Filmen bilden dann den Hauptteil und sind schlichtweg zu knapp ausgefallen.

Die Konzentration auf die „großen“ Filme Romeros – so sind seinen Untotenfilmen jeweils zwischen 10 und 20 Seiten gewidmet, unbekannteren Filmen teilweise nur eine oder zwei Seiten – erweist sich zudem als nicht eben produktiv, da eben die eingehender betrachteten Werke allzu oft auch die „abgegriffeneren“ sind, die wiederum weit ausführlicher hätten ausgeführt werden müssen, um ihnen überhaupt noch etwas Neues abzuringen. Im Grunde bieten nur die Abschnitte zu „Martin“ und „Bruiser“ einige originelle Thesen. Zu eher apokryphen Werken wie „There’s Always Vanilla“ oder „Season of the Witch“ hingegen, die bis dato kaum beachtet wurden, gibt es kaum mehr als Inhaltsangaben zu lesen.

Das alles bedeutet nicht unbedingt, dass dies eine Publikation ohne Wert sei. Denn obgleich denjenigen unter den Lesern, die sich bereits zuvor mit Romeros Werk auseinandergesetzt haben, nicht viel Neues geboten wird, führt Seeßlen auf knappem Raum Erkenntnisse zusammen, welche die Filmwissenschaft der letzten Jahrzehnte über Romeros Werk sowie den Splatter- und Zombiefilm im Allgemeinen erarbeitet hat. Für Einsteiger in das Werk oder das Genre legt er folglich ein durchaus brauchbares Buch vor. Und eine, wenngleich äußerst knapp gehaltene, Bibliographie für die anschließende Weiterbeschäftigung mit dem Thema gibt es immerhin auch.

Georg Seeßlen:
George A. Romero und seine Filme.
Bellheim: kuk 2010.
368 Seiten (gebunden), 23,00 Euro

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