Aufbruch nach Rhea

Sei es nun Pandora oder die Axiom oder Rhea – im jüngeren dystopischen Film wird es auf der Erde ungemütlich und fremde Welten oder, falls diese nicht zu finden sind, Raumschiffe müssen der Menscheit als Zwischenwohnraum herhalten, bis es mit dem Heimatplaneten wieder aufwärts geht, das heißt, bis die Natur sich wieder erholt hat und das tut sie in den meisten filmischen Fällen. Hinter diesen Fluchtpunkt-Fantasien steckt immer auch ein Heilswunsch und die Hoffnung, dass es – obwohl der Prozess der Naturzerstörung nicht mehr umkehrbar ist – einen Neuanfang geben könnte. Bleiben die Menschen auf der Erde, wie in „Book of Eli“ oder in Form puppengewordener Menschlichkeit in „9“, dann liegt die Hoffnung in einer neuen Metaphysik. Der schweizerische Science-Fiction-Film „Cargo“ bündelt etliche dieser Motive und holt sie quasi „zurück nach Europa“.

Die Erde wird in „Cargo“ schon gar nicht mehr gezeigt – sie ist unbewohnbar und die Menschen leben dicht gedrängt in geostationären Raumstationen. Dort herrschen Krankheit und Leid und allein die Hoffnung auf eine bessere Welt, die hier den Namen „Rhea“ trägt, hält sie zusammen. Die junge Ärztin Laura will dieser Situation entfliehen und ihrer Schwester nach Rhea folgen. Diese lebt seit Jahren mit ihren Kindern auf dem naturbelassenen erdähnlichen Planeten und hat nur über Funk Kontakt mit Laura. Die Ärztin entschließt sich einen Job auf dem Raumfrachter Kassandra anzunehmen, der industrielle Produktionsmittel zu einer neuen Kolonie transportieren soll. Eine jahrelange Reise, die sie immer mehr von der Erde und ihrer Schwester auf Rhea entfernt. Doch als es an Bord zu Unregelmäßigkeiten kommt und Laura die anderen Besatzungsmitglieder aus dem Kälteschlaf wecken muss, offenbart die Reise ihre Tücken: Offenbar ist jemand fremdes an Bord. Offenbar transportiert Kassandra eine viel heiklere und geheimere Fracht als nur Industriegüter. Und offenbar hat das Schiff auch ein ganz anderes Ziel, denn der Abstand zwischen den Funksprüchen von Laura und ihrer Schwester wird immer kürzer.

Zunächst einmal wirkt „Cargo“ in seiner Übernahme bekannter Erzählmuster aus verschiedensten US-amerikanischen Science-Fiction-Stoffen, die von „Alien“ über „The Matrix“ bis hin zu den oben erwähnten postapokalyptischen Dystopien reicht, etwas unoriginell. Dieses Problem entpuppt sich jedoch sehr schnell als Erzählstrategie, als ein Einschreiben in den jüngsten Science-Fiction-Diskurs, der die bekannten Motive variiert und kombiniert, weil das Thema, das er verfolgt, eben kein bloß US-amerikanisches, sondern ein internationales ist: die Umweltzerstörung und die Vertuschungs- und Beschwichtigungsstrategien multinationaler Konzerne. Diese für Science Fiction durchaus übliche Gegenwartskritik kulminiert in „Cargo“ zusätzlich in der Darstellung von Technologie, die die inhumane Wirtschaftspraxis sozusagen vergegenständlicht. Eine wichtige Seitenerzählung des Films handelt dann auch folgerichtig von einer Terrororganisation, die der Technologie den Krieg angesagt hat.

Insofern steht „Cargo“ durchaus auch in einer europäischen Science-Fiction-Tradition und ist mit früheren Werken wie Emmerichs „Das Arche Noah Prinzip“ und Petersens „Smog“ und später „Enemy Mine –  Geliebter Feind“ vergleichbar. Die Traditionslinie des Öko-SF reicht in der Tat sogar eher von Ost nach West; nur ist über die Jahrzehnte aufgrund der spärlichen europäischen SF-Produktion der Eindruck entstanden, das Filmgenre sei immer schon in US-amerikanischer Hand. Wenn in Europa utopische Stoffe entstanden sind, dann zumeist als Sozial-Dystopien. Dass „Cargo“ hier eine Ausnahme bildet und sich schon beinahe an eine „schweizerische Tradition“ anschließt, ist betonenswert. (Der „Alien“-Erfinder H. R. Giger, so zitiert ihn das Cover der DVD, habe „Cargo“ „gewaltig und beeindruckend“ gefunden.) Indem „Cargo“ also die Diskurse (wieder) aufgreift, verhilft er dem europäischen Science-Fiction-Film vielleicht zurück zur Aufmerksamkeit. Es wäre zu wünschen und scheint angesichts der hohen Qualität von „Cargo“ auch nicht unwahrscheinlich.

Cargo
(CH 2009)
Regie: Ivan Engler, Ralph Etter; Story: Arnold H. Bucher und Ivan Engler
Drehbuch: Ivan Engler, Patrick Steinmann und Thilo Röscheisen; Musik: Fredrik Strömberg; Kamera: Ralph Baetschmann; Schnitt: Ivan Engler, Timo Fritsche, Bastian Ahren; Ausstattung: Matthias Noger
Darsteller: Anna-Katharina Schwabroh, Martin Rapold, Claude-Oliver Rudolph, Yangzom Brauen, Pierre Semmler, Regula Grauwiller, Michael Finger u. a.
Verleih: Ascot Elite
Länge: 120 Minuten

Die DVD von Ascot Elite

Ascot veröffentlicht Cargo auf Blu-ray-Disc und DVD – letztere in einer aufwändigen Special-Edition im Pappschuber (mit 3D-Cover) und einer Bonus-Disc. Die DVD ist in Bild und Ton tadellos aufbereitet und genügt gerade den hohen Ansprüchen, die man an die Darstellung von Space-Operas stellt, voll.

Die Ausstattung der DVD im Einzelnen:

Bild: 2.35:1 (16:9 Cinemascope)
Ton: Deutsch (DD 5.1 und DTS 5.1)
Untertitel: Deutsch
Estras: Making of, Behind the Scenes Featurette, Entfallene Szenen, Bloopers, Still Galeries, Original Trailer, TV-Spots und TV-Berichte
FSK: ab 16 Jahren
Preis: 16,99 Euro (DVD); 15,99 Euro (Blu-ray-Disc)

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