Ein kurzer Film über das Töten

Nach dem Selbstverständnis eines seriösen Filmkritikers sieht die ideale und wohl einzig mögliche Kritik zu „John Rambo“ wie folgt aus: Nachdem man noch einmal pflichtbewusst-beschämt an den Erfolg der ersten drei „Rambo“-Filme in den Achtzigerjahren erinnert und Rambo/Stallone als ehemalige Leit- und jetzige Witzfigur der Reaganomics verhöhnt hat, geht man dazu über, Stallones ersten eigenen Regiebeitrag zum wohl berühmtesten Action-Franchise der Welt von der immer willkommenen ideologiekritischen Seite her abzukanzeln. Keine Polemik ist da zu billig: Stallone als Wahnsinnigen zu bezeichnen der Gipfel journalistischer Rechtschaffenheit. Zugegeben, „John Rambo“ bietet seinen schlangestehenden Kritikern reichlich Futter: Es dürfte schwierig werden, diesen Film in punkto Brutalität und Kompromisslosigkeit noch in den Schatten zu stellen, ohne dabei in filmische Grenzbereiche vorstoßen zu müssen.

johnrambo_poster_04.jpgAuch in der in Deutschland erscheinenden gekürzten Fassung lotet Stallone die Grenzen der Belastbarkeit seiner Zuschauer gnadenlos aus; fast hat man den Eindruck, er wolle sein Publikum dafür bestrafen, dass es zwanzig Jahre auf die Rückkehr John Rambos gewartet und ihn zur Rückkehr gezwungen hat. Dennoch: „John Rambo“ rundheraus zu verdammen, zeugt einerseits von genereller Ratlosigkeit und Unverständnis dem Genre gegenüber wie auch von einem mangelnden Blick für die Entwicklungen, denen es in den Achtziger- und Neunzigerjahren ausgesetzt war und auf die „John Rambo“ eine sehr schlagkräftige Antwort ist; andererseits tritt in solchem Vorwurf überdeutlich die völlige Fehlinterpretation des Charakters John Rambo hervor. Symptome der Borniertheit: Das Actionkino ist eben immer noch „pfui“, man möchte sich daran weder die Hände schmutzig machen noch sich eine Blöße geben, indem man ihm etwas Positives abseits der bloß affirmativen Bedürfnisbefriedigung abgewinnt. In der feuilletonistischen Rezeption der Rambo-Filme spiegelt sich so das Drama des Veteranen, der im eigenen Land nichts mehr wert ist und zum Abschuss freigegeben wird – die Geschichte von „Rambo“ –, nahezu deckungsgleich wider.

Birma: Das Land wird von kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der Junta und einigen Freiheitskämpfern geschüttelt, der Wahnsinn regiert. Im benachbarten Thailand verdient John Rambo sein Geld damit, Schlangen einzufangen, bis eine Gruppe humanistischer Hilfskräfte in seiner Hütte steht, die von Rambo per Boot in das Krisengebiet gebracht werden will, um der Zivilbevölkerung Birmas medizinische Hilfe zukommen zu lassen. Widerwillig hilft Rambo der Gruppe und kehrt nach getaner Arbeit zurück in seine Hütte. Einige Wochen später bekommt er jedoch erneut Besuch: Die Hilfskräfte sind seit einem Angriff der Junta verschwunden, eine Gruppe von Söldnern ist bereits abgestellt worden, um sie zu suchen. Und natürlich soll Rambo auch diesen dabei helfen ins Feindesland zu gelangen. Ein Gemetzel bahnt sich an …

johnrambo_scene_13.jpgNach einigen dem Film vorangestellten Nachrichtenbildern, die von den unmenschlichen Zuständen in Birma berichten, sehen wir eine Gruppe Gefangener, die von den birmesischen Soldaten für ein grausames Spiel missbraucht wird: Mit vorgehaltenen Waffen treiben die Soldaten die ängstlichen Zivilisten durch ein Minenfeld, hysterisch lachend, wenn schließlich ein Mensch explodiert. Gegenschnitt auf John Rambo beim Einfangen einer Kobra: Der ehemalige Soldat und Posterboy der Reagan-Administration ist aufgedunsen und alt, das Gesicht eingefroren, der Blick müde. Seine ersten Worte in „John Rambo“ lauten „Fick dich!“ und das darf man durchaus programmatisch verstehen. Unterschlupf findet dieser Rambo nicht mehr wie im dritten Teil bei buddhistischen Mönchen, sondern in einem dreckigen Bretterverschlag im Regenwald. Dieser John Rambo hofft nicht mehr auf Absolution oder Erlösung, er hat längst aufgegeben, versteckt sich vor einer aus den Fugen geratenen Welt, damit er nichts mehr mit ihr zu tun haben muss. Oder – diese Interpretation scheint noch stichhaltiger – damit die Welt vor ihm sicher ist, dem das Töten so leicht fällt wie das Atmen. Auf das Hilfegesuch der amerikanischen Wohltäter reagiert er entsprechend ablehnend, weil er weiß, was den frommen Wünschen am Ende des Tages zwangsläufig folgen wird: Schmerzen, Qual und Tod. Doch dann kommt auch wieder die Gewissheit: Es ist nicht sinnlos, sein Leben für ein anderes aufs Spiel zu setzen.

„John Rambo“ steht symptomatisch für das moralische Dilemma, in dem sich unsere Welt gegenwärtig befindet: Sieht man tatenlos zu, wenn Unschuldige abgeschlachtet werden, weil eine Intervention alles noch verschlimmern würde, oder greift man ein und riskiert eine weitere Eskalation? Weil John Rambo seine Antwort auf diese Frage kennt, entzieht er sich der Welt. Er ist nichts anderes als die menschliche Inkarnation dieser moralischen Aporie: Ein Mann, der das Töten hasst, gleichzeitig aber nie etwas anderes gelernt hat. „Du hast nicht für dein Land getötet. Du hast es nur für dich getan.“, sagt eine Stimme in einem Albtraum zu ihm. Dieser John Rambo ist kein Held, sondern ein Monster. Er ist das Produkt unserer Zeit. Vor dem Hintergrund seiner Instrumentalisierung in den ersten drei Teilen kommt dieser Aussage ein besonderes Gewicht zu. Und die Erkenntnis, die sich dahinter verbirgt, ist der Schlüssel zum Verständnis des Films, der seinen Soldaten nicht mehr zum Helden verklärt, sondern ihn als seelischen Krüppel darstellt, den die Gewalt von innen heraus zerfressen hat.

johnrambo_scene_29.jpgStallones Aktualisierung seines mythischen Kriegers wirkt umso radikaler, als er in seinem Film Elemente der Vorgänger aufgreift und einer Neuinterpretation unterzieht: Das beginnt bei seinem Exil in Thailand, das nun einer selbstauferlegten Gefangenschaft gleicht, setzt sich bei der Zeichnung Birmas als Hölle auf Erden fort und endet beim zyklischen Ablauf der Handlung (Aufbruch, Rückkehr, Aufbruch, Rückkehr), die keine großen Illusionen mehr zulässt. Vor allem im direkten Vergleich zu „Rambo II – Der Auftrag“ ist „John Rambo“ sehr aufschlussreich: Hatte Kamermann Jack Cardiff den vietnamesischen Urwald im Jahre 1985 noch als comichaft überhöhtes Fantasieland in satten Farben gezeichnet, dessen von der Natur überwucherten Buddhastatuen von einer ruhmreichen Zeit und einer uralten Kultur kündeten, hängen nun verrostete Fliegerbomben in den Bäumen, wabert dichter Nebel durch die Bilder und legt ein blasses Leichentuch über die in bleichen, kaum als solche zu erkennenden Grün- und Brauntöne. Birma ist kein Land, in dem Männer durchs Feuer marschieren, um erstarkt daraus hervorzugehen: Es ist schlicht die Hölle selbst, ein Ort, der nur vom Tod erzählt.

johnrambo_scene_09.jpgDas Eindringen sowohl der Missionare als auch der Soldaten wird als ein aussichtsloses Unterfangen dokumentiert: Beide gehören hier nicht hin. Mehr als an einer Auseinandersetzung mit einem existierenden Konflikt fungiert „John Rambo“ als Statement zum weltpolitischen Status Quo: Die Konflikte, die sich überall entzünden, sind für einen Außenstehenden längst nicht mehr nachvollziehbar, die nackte Gewalt, mit der der Zuschauer konfrontiert wird, lässt sich kaum noch adäquat in Worte fassen. Sie steht monolithisch vor ihm und zwingt zur Positionierung, gefallen will sie nicht. Demzufolge zeichnet Stallone auch keine übersichtlichen Actiontableaus mehr, die einer Agenda des Thrills folgen würden, sondern nähert sich ästhetisch hyperrealen Kriegsfilmen wie Spielbergs „Der Soldat James Ryan“ oder Ridley Scotts „Black Hawk Down“ an. Mit Scotts Film teilt „John Rambo“ auch den völligen Verzicht auf eine Charakterisierung der Gegner: Die birmesische Junta steht nicht für sich, sondern für jeden beliebigen fremden Aggressor. Der etwa in „Die Welt“ von Uwe Schmitt diagnostizierte Rassismus von „John Rambo“ ist kein solcher, sondern viel eher die Erkenntnis, dass die Werte der abendländischen Aufklärung nicht überall wirken, es Orte gibt, an denen – nach unserem Verständnis – das Irrationale selbst wütet. Diese Erkenntnis geht mit einer Parallelführung des Plots mit Motiven von Coppolas „Apocalypse Now“ einher: die Flussfahrt ins Feindesland, die Begegnung mit dem Fremden, die Konfrontation mit dem Unsagbaren, der Abstieg in Hölle und Wahnsinn. Doch was Coppola zum surrealen LSD-Trip stilisiert, holt Stallone zurück auf den Boden der Tatsachen, in den menschlichen Urschlamm sozusagen.

„John Rambo“ ist ein immens hässlicher, dreckiger Film, hin- und hergerissen zwischen tosender Wut und resigniertem Fatalismus. Und es ist ein Film des Ausbruchs: Nachdem in den letzten Jahren Dutzende von Actionfilmen über die Leinwände vergossen wurden, in denen das Tötungshandwerk als cooler Job für toughe Metrosexuelle verniedlicht wurde, öffnet Stallone seinen Zuschauern förmlich die Augen, bläst einem sein Film mit der Kraft eines Orkans ins Gesicht. „John Rambo“ ist auch ein Befreiungsschlag: Sein fragwürdiger Held hat sein Schicksal mit offenen Armen akzeptiert, die Maske endgültig abgelegt. Was darunter zum Vorschein kommt, lässt schaudern. Dieser John Rambo eignet sich weder zum neuen Volkshelden noch zum Liebling des Feuilletons. Innerhalb des Actiongenres ist die Bedeutung dieses Film jedoch kaum zu überschätzen: „John Rambo“ ist ein Endpunkt.

John Rambo
(Rambo, USA 2008)
Regie: Sylvester Stallone, Drehbuch: Art Monterastelli, Sylvester Stallone, Kamera: Glen MacPherson, Musik: Brian Tyler, Schnitt: Sean Albertson
Darsteller: Sylvester Stallone, Julie Benz, Matthew Marsden, Graham McTavish, Reynaldo Gallegos
Länge: 90 Minuten
Verleih: Warner

7 Antworten auf „Ein kurzer Film über das Töten“

  1. Diese Besprechung ist ihrerseits wieder nur eine reine Reaktion auf die vermeintlich altbackene Ideologiedebatte, die – so sie denn so überholt sei – dadurch aufgewertet wird. Die dilettantische Inszenierung, die fast keinen Anfängerfehler umgehende Dramaturgie, das völlige Fehlen einer Idee, eines Stils, einer Rechtfertigung für irgendwas, zumindest ein Gedanke, der über die tumbe Existenz des Films hinausgehe, wird zugunsten einer typisch pikierten und streng feuilletonistischen Gegenwehr totgeschwiegen, die lediglich ihre Vorzeichen verändert hat. Dies ist mehr eine Kritik an der Kritik – für einen Film, den man „kaum überschätzen“ könne, dürftig.

  2. Mr.VV, ich habe selten eine engstirnigere Scheuklappenperspektive vorgesetzt bekommen als die obige.
    Sämtliche Vorwürfe, die du dem Rezensenten machst, finden sich in deiner eigenen Erhebung zum Objekt des Anstoßes wieder, nachzulesen an entsprechender Stelle. Das Beste aber: Treffender als du hätte ich deine „Kritik an der Kritik“, mit ein paar zu ersetzenden Termini, vermutlich kaum formulieren können.
    Einen dortigen Kommentar habe ich mir aus schlichtem Desinteresse verkniffen, da du deinen kleinen, erklärten Kreuzzug gegen „Rambo“ aber auszuweiten versuchst, kann ich nur hoffen, dass dir allerorten mehr Protest entgegenschlägt als dir lieb sein kann.

  3. „das völlige Fehlen einer Idee, eines Stils“ – bloß weil man etwas nicht sieht, heißt das noch lange nicht, dass es nicht da ist… mein rat: augen auf, und vielleicht mal endlich wieder ohne vorurteile und schon eine im kopf fertig verfasste kritik ins kino gehen, vielleicht macht dann irgendein film auch wieder spaß.

  4. @Frank Stegemann:

    Es geht hier nicht um meine Erhebung.

    Ferner führe ich die ach so leidige Ideologiedebatte nur ins Feld, um letztlich zu resümieren, wie sehr diese nunmehr nicht geführt werden muss. Ich fand RAMBO nicht gut und konnte ihn nicht ernstnehmen, das hat weder etwas mit Kreuzzug noch Scheuklappen zu tun. Immer die gleichen Floskeln.

    @DJ:

    Die im Kopf vorverfasste Kritik hätte anders ausgesehen. Wie (unfreiwllig) komisch ich den Film finden würde, war ebenso wenig abzusehen wie der Umstand, dass mich RAMBO eigentlich nicht einmal mehr dazu anregen kann, mich innerlich halbwegs zu entrüsten. Also immer locker bleiben.

  5. @ Vincent Vega

    Zunächst einmal möchte ich mich entschuldigen, dass ich Sie mit meiner Kritik geärgert habe. Es tut mir Leid, dass ich diesen Film als ungemein kraftvoll, originell und kompromisslos in Aussage und Komposition empfunden und vor lauter Begeisterung nicht erkannt habe, welchem Trugschluss ich tatsächlich aufgesessen bin.

    Ein paar Dinge muss ich trotzdem klarstellen: Meine Reaktion auf die Ideologiekritik steht mitnichten im Dienste einer Aufwertung derselben, auch wenn Sie das gerne glauben möchten (wenn einen schon sonst keiner Ernst nimmt …). Aber da ich ihren Ausführungen an anderer Stelle entnehmen kann, dass Sie ihrerseits der Meinung sind, Ihr Hauen in eine seit 20 Jahren unermüdlich von Legionen von Film- und Kulturkritikern beackerte Kerbe trage tatsächlich etwas Neues zum Diskurs bei, lassen Sie mich Ihnen versichern: Ihre Sichtweise ist so abgestanden wie kalter Kaffee. Ihr vermeintlicher gallischer Widerstand ist das Schwimmen im Strom, das Sie anderen unterstellen.

    Außerdem: Es ist ungeschickt, lauthals Kritik zu üben, wenn man einen Text nur halb gelesen (und verstanden) hat. Dass das so ist, geht daraus hervor, dass Sie mir unterstellen, weder auf Form noch Inhalt in für Sie ausreichender Form einzugehen. Wahrscheinlich lesen Sie Texte genauso wie Sie Filme sehen.

    Die „typisch pikierte Feuilletonkritik“ haben Sie verfasst, nicht ich. Und dem Ganzen dann auch gleich noch den „typisch pikierten Leserbrief“ hinterhergeschoben. Alle Achtung!

    Viele Grüße
    Oliver Nöding

  6. „[…] dass mich RAMBO eigentlich nicht einmal mehr dazu anregen kann, mich innerlich halbwegs zu entrüsten […]“

    Allein das spricht doch Bände.

  7. @ Mr. VV: die Frage ist, warum schauen Sie sich überhaupt Filme wie Rambo an? Sie sollten doch eigentlich wissen, worum es geht, was passiert. Wo „Rambo“ draufsteht, ist nunmal „Rambo“ drin. An Ihrer Stelle hätte ich einfach einen großen Bogen um den Film gemacht. Oder fanden Sie Rambo 1 bis 3 so überragend, dass Sie jetzt mit extrem hohen Erwartungen ins Kino gegangen sind? Wenn man keinen Zugang zu Pornofilmen hat, dann macht es doch auch wenig Sinn einen Pornofilm zu rezensieren und sich dann über mangelnde Dramaturgie oder dessen „tumbe Existenz“ zu beschweren.
    „John Rambo“ ist nach meinem Verständnis fantastisches Actionkino, das seine Aufgabe übererfüllt. Und diese Aufgabe heißt m.E. schlichtweg „Unterhaltung“. Die Reaktion des (zu 95% männlichen) Publikums erinnerte mich an die Atmosphäre in einer ausverkauften Fußballarena. Gänsehaut! Dass Herr Nöding in „John Rambo“ auch mehr erkennt als bloße Unterhaltung, finde ich persönlich sehr beeindruckend und zeigt, dass er seiner Pflicht als Filmkritiker nachkommt – sich nämlich wirklich mit dem Film auseinanderzusetzen.

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