Film und Metapher

David Cronenberg erinnert sich: »Einmal rief mich ein amerikanischer Kritiker an, der mir sagte: ‚Für einen Amerikaner sind Ihre Filme wie ein seltsamer Traum. Die Straßen wirken amerikanisch, sind es aber nicht. Die Personen sehen aus wie Amerikaner, sind aber keine. Sie sprechen wie Amerikaner und sprechen doch anders.’« Wollte man Cronenbergs Kino grob situieren, so könnte man seine Filme als eine Art Synthese zwischen dem recht puren Amerikaner David Lynch und dem recht puren Europäer Peter Greenaway bezeichnen. Mit seinem Kleinstadthorror in Blue Velvet (USA 1986) und Twin Peaks (USA 1990) und seinen Verirrungen auf dem Lost Highway (USA 1996) und dem Mulholland Drive (USA 2001) bebildert Lynch die Kehrseite des amerikanischen Traums. Die barock überladenen Bild-Ornamente eines Greenaway stehen somit in einem größtmöglichen Gegensatz zu Lynchs Gewalt-Agonie. Eine Art Synthese zwischen Lynchs amerikanischer Erzählweise und Greenaways Poetik erreicht Cronenberg dadurch, dass sein filmisches Schaffen selbst dann ausdrücklich von der Literatur geprägt ist, wenn er, wie bei seinen frühen Filmen, die Drehbücher selbst verfasst hat. Nabokow, Beckett und Kafka zählen zu Cronenbergs Lieblingsautoren, aber auch William S. Burroughs. In Naked Lunch (Can 1991), Cronenbergs Burroughs-Verfilmung, sagt die Frau des Kammerjägers Bill Lee, nachdem sie sich mit einer Heroin-Nadel das Wanzenpulver ihres Mannes in die Venen (bzw. in die Brust) geschossen hat: »Es ist ein Kafka-Rausch. Du fühlst Dich wie ein Käfer«. Das ist zugleich eine treffende Bezeichnung für Cronenbergs Vorlieben für Verwandlungen, Metamorphosen und Deformationen im körperlichen und seelischen Bereich.

Cronenbergs Bezug zur Literatur ist aber nicht nur motivisch, sondern auch konkret handwerklich zu verstehen. In einem Interview gestand er: »Es gibt bei mir ein zwanghaftes Interesse für Metaphern«. Dieses Interesse ist zunächst rein pragmatischer Natur. Wenn Cronenberg sich fragt »Wie benutzt man eine Metapher im Film?«, so geht es ihm darum, eine abstrakte Idee, ein am Reißbrett entworfenes filmisches Konzept auf eine möglichst anschauliche, sinnliche Weise darzustellen. »Denn«, so Cronenberg weiter, »Begriffe sind unsichtbar … Ich muß die Begriffe, das Wort zu Fleisch machen«.

1. Die Metaphern und Cronenberg

Dieser kleine Hinweis erklärt aber noch nicht, von welcher Art die Metaphern des kanadischen Kultregisseurs sind und warum diese Metaphern so häufig um medizinisch-naturwissenschaftliche Themen einerseits und um Sexualität andererseits kreisen. Schauen wir auf einige frühe Filme. In seinen ersten vier Spielfilmen Shivers (Can 1975), Rabid (Can 1976), The Brood (1979) und Scanners (1980) – den qualitativ aus der Reihe fallenden Rennfahrerfilm Fast Company von 1979 übergehe ich – erzählt Cronenberg jeweils von einem gescheiterten biomedizinischen Experiment. Dieses Thema hat bei ihm Tradition. Schon seine beiden zuvor realisierten einstündigen Undergroundfilme Stereo (1969) und Crimes of the Future (Can 1970) sind filmische Versuchsprotokolle hybrider biomedizinischer Experimente, bei denen es um das Phänomen der Telepathie geht, bzw. um eine Kosmetik, die den Tod aller gebärfähigen Frauen verursacht.

Die Naturwissenschaft im Allgemeinen und das unter Laborbedingungen stattfindende Experiment sind für gewöhnlich Sphären, bei denen jegliche Subjektivität, also insbesondere Gefühle und vor allem erotische Empfindungen, möglichst radikal ausgeschlossen werden, um die Objektivität der Beobachtung nicht zu beeinflussen. Aber bereits in Stereo wird dieses Ausschlussverhältnis von Cronenberg geradezu auf den Kopf gestellt: »Wenn es zwischen dem Forscher und seinem zu untersuchenden Subjekt keine Liebe gibt, kann auch kein Experiment stattfinden«. Behalten wir hier im Hinterkopf, dass die Übertragungsliebe der Motor einer jeden Analyse ist und konzentrieren wir uns wieder auf die Wissenschaft. Diese Forderung einer Liebesbeziehung zwischen dem Forscher und seinem Untersuchungsobjekt, aufgestellt von dem Wissenschaftler Luther Stringfellow in Stereo, kann für fast alle Filme als das Cronenberg’sche Paradigma gelten. Zwischen der Bio-Medizin und der menschlichen Sexualität kommt es immer wieder zu eigentümlichen Kurzschlüssen, die das Thema vor allem der frühen Filme bestimmen. In Shivers (Arbeitstitel: Orgy of the Blood Parasites) entwickelt ein mad scientist einen Parasiten, der in den menschlichen Körper implantiert wird. Angeblich dient dieser implantierte Parasit dazu, die Funktion kranker Organe zu simulieren. Organtransplantationen sollen auf diese Weise überflüssig gemacht werden. Später stellt sich jedoch heraus, dass der wurmartige, glitschige schwarze Parasit – der nicht zufällig eine phallische Gestalt hat – entwickelt wurde, um als eine Art transzendentes Aphrodisiakum zu wirken. Der durch Körperkontakt übertragene Parasit löst eine sich rasch verbreitende Art von Lust-Seuche aus, die zu einer radikalen, anarchischen Freisetzung von Libido führt. Ein seriöses Appartmenthochhaus verwandelt sich in eine Otto-Mühl-Kommune.

Von der aggressiven Variante dieser Lustseuche erzählt Cronenberg in seinem nächsten Film Rabid, wo sich eine Frau infolge einer unerprobten Technik der Hauttransplantation in eine Art Vampir verwandelt. Mit einem Stachel, der sich in ihrer Achselhöhle befindet – psychoanalytisch betrachtet, handelt es sich um eine »Verschiebung« der Schamgegend nach oben – saugt sie ihren Opfern das Blut aus, die sich daraufhin in tollwütige Zombies verwandeln. Daraufhin wird der Ausnahmezustand verhängt, die »Erschießung der Kranken« ist »nach Meinung der Fachärzte« die einzige Möglichkeit, der Seuche Herr zu werden. Scharfschützen machen Jagt auf die wie Zombies umhertappenden Amokläufer.

Um eine verhängnisvolle Manipulation der Frau geht es auch in The Brood. Der mad scientist Dr. Hal Raglan wendet eine Form von Therapie an, die den Patienten zum Schweigen ermuntert, damit er seinen Gefühlen in körperlicher Form Ausdruck gibt. Dieses therapeutische Paradigma steht im genauen Gegensatz zu Psychoanalyse. In der Analyse wird der Blickkontakt strikt unterbunden, und die Analyse fördert das Sprechen des Patienten. Cronenbergs Dr. Raglan und sein Demo-Patient Mike stehen jedoch in einem aggressiven Blickkontakt. Außerdem ermuntert Raglan seinen Patienten nicht zum Sprechen, sondern zum wortlosen Ausdruck seiner Gefühle.

Die Patienten entwickeln darauf Symptome psychosomatischer Art. Auf Mikes Oberkörper bilden sich pustelartige »(Brust-)Warzen« als leibhafter Ausdruck seiner durch den Therapeuten forcierten Verweiblichung. Raglans Star-Patientin Nola Carveth brütet indessen am laufenden Band geistlose Killer-Kinder aus, die ihren aggressiven Wünschen – genau nach der therapeutischen Vorgabe – unmittelbaren materiellen Ausdruck verleihen.

Im Hinblick auf diesen unmittelbaren materiellen Ausdruck lohnt es sich, auf das eingangs erwähnte Prinzip der Metapher in Cronenbergs Filmen zurückzukommen. Die von Nola im wahrsten Sinn des Wortes ausgebrüteten Killer-Wesen, die als leibhaftige Externalisierung ihrer aggressiven Wünsche eine Reihe von Morden begehen, sind buchstäblich »Kinder des Zorns«: Aber was heißt hier eigentlich »buchstäblich«? Wir haben hier eine typische Cronenberg’sche Metapher, aber es ist zugleich eine besondere Form von Metapher. Diese besondere Form von Metapher, für die noch einige weitere Beispiele herangezogen werden sollen, sagt einerseits etwas aus über die Motive und die Themenwahl Cronenbergs. Andererseits sagen die »Kinder des Zorns« etwas aus über die Struktur der Metapher als solche, die mit Seitenblick auf Lacans strukturale Lesart der Freud’schen Psychoanalyse ein wenig erhellt werden soll: In diesem Zusammenhang ist im Vorbeigehen auch auf Cronenbergs Bezug zur Psychoanalyse hinzuweisen: »Ich bin alles andere als ein dogmatischer Freudianer, aber ich denke, die von Freud beschriebenen Mechanismen sind völlig zutreffend. Wenn ich ein Drehbuch schreibe, versuche ich diese Funktion freizusetzen und zum Tragen zu bringen.« (Drew, 1984: 16) Konkret bedeutet das: Cronenberg bebildert und illustriert keine Fallgeschichten. Er wendet in seinen Filmen lediglich die gleichen Gesetzmäßigkeiten an, die Freud im Unbewussten entdeckt hat.

Dies zeigt sich anhand der Motive und Themen in seinen Filmen. Es wurde bereits angedeutet, dass er Wissenschaft auf der einen Seite und Sexualität auf der anderen Seite thematisiert. Es soll daher die Hypothese überprüft werden, dass Wissenschaft und Sexualität »Diskurse« sind, die einander eigentlich wechselseitig ausschließen. In Cronenbergs Filmen dient die Metapher nicht nur der Bebilderung abstrakter, unsinnlicher Themen. Die Struktur der Metapher bildet auch auf der erzählerischen Ebene eine Art Brücke zwischen den heterogenen Sphären Wissenschaft und Sexualität. Mit den »Kindern des Zorns« schafft Cronenberg ein verstörendes Bild und zugleich auch eine Dramaturgie. Cronenberg erzählt eine Geschichte, in der das naturwissenschaftliche Paradigma einer pervertierten Therapeutik die weibliche Sexualität und die Fortpflanzung auf eine krebsartige Weise verschmelzen.

Betrachtet man diese Metapher näher, so fällt auf, dass hier keine Bedeutung »im übertragenden Sinn« entsteht wie beim üblichen Gebrauch von Metaphern. Statt dessen dreht Cronenberg den üblichen Gebrauch der Metapher geradewegs um: Die »Kinder des Zorns« sind eine wortwörtlich genommene Metapher. Schauen wir uns den auf The Brood folgenden Film Scanners an, so wird deutlich, wie Cronenberg mit diesen beiden Mitteln – der fatalen Verschmelzung von Wissenschaft und Sexualität einerseits und der wörtlich genommenen Metapher andererseits – eines der verstörendsten Bilder der Filmgeschichte erzeugt: der legendären exploding head.

Zur Vorgeschichte: Wie in Shivers, Rabid und The Brood ist es ein mad scientist, der mit naturwissenschaftlichen Mitteln versucht, die Vaterrolle einzunehmen, diese Rolle dabei jedoch pervertiert. Statt seines Spermas verabreicht Dr. Paul Ruth seiner Frau ein Medikament, eine Art Tranqulizer, der die Frau beruhigen soll. Aber schon Freud hat gezeigt, dass die Wissenschaft (hier die Pharmakologie) der Hysterie nicht beikommt. Paul Ruths Medikament löst also Missgeburten aus. Die Mutter gebiert sogenannte »Scanner«, die mit telepathischen Fähigkeiten ausgestattet sind. Cronenberg nimmt diesen Begriff »Telepathie« einmal mehr wortwörtlich. Er versteht darunter nicht nur Karten lesen, sondern »die Verbindung zweier Nervensysteme, die räumlich voneinander getrennt sind«. Die qua Telepathie unmittelbare Kommunikation bedeutet zugleich die Aufhebung der Kommunikation.

Wie schon in seinem Undergroundfilm Stereo ist Telepathie eine Metapher für Liebe. Telepathie, so Cronenberg in Stereo, ist nur zwischen Menschen möglich, die einander lieben. Telepathie zwischen einander Unbekannten wird nur als ein Lärm, ein Rauschen erlebt. In diesem Sinne stellt Cronenberg auch die Scannerfähigkeit in seinem ersten kommerziell erfolgreichen Spielfilm Scanners dar. Entweder die Gedanken und Gefühle der Mitmenschen strömen auf den Telepathen ein wie ein auf alle Frequenzen eingestellter Radiosender. Dann ist der Scanner ohnmächtig. (In seiner Not bohrt einer der Scanner sich ein Loch in den Schädel – eine weitere wörtliche Metapher für das Öffnen und das herauslassen der quälenden Gedanken – auf dieses Loch kommen wir später in Videodrome zurück.) Oder der Scanner gibt diese Nullbotschaft in inverser Form zurück, dann ist der Scanner allmächtig. Im Rahmen einer für Cronenberg typischen »wissenschaftlichen« Demonstration wird dies dem Zuschauer eindrucksvoll vor Augen geführt.

»Scannen« – so erahnt der Zuschauer eher als dass er genau verstünde, worum es geht – erweist sich als eine mentale Tätigkeit, die, auf die Spitze getrieben, ins Körperliche umschlägt: Der »gescannte« Wissenschaftler erleidet dabei nicht nur Nasenbluten. Er zuckt förmlich wie in schamanischer Extase. Diese skurrile, gleichsam unter Laborbedingungen erfolgende »Vereinigung« von Körper und Geist führt mitnichten zur »Erleuchtung«, sondern zu einer verheerenden Destruktion des denkenden Organs. Wie eine Art geistiger Erektion, die die homöostatischen Grenzen des Verträglichen durchschlägt, detoniert vor den Augen des Zuschauers und dem wissenschaftlichen Fachpublikum der Schädel des Wissenschaftlers … Der Wissenschaftler wird unversehens zum Versuchskaninchen und erleidet – buchstäblich betrachtet – »Kopfzerbrechen«.

Cronenberg sagt: »Ich glaube, ich ziehe die Metapher der Wissenschaft der Realität der Wissenschaft vor.« (Wacker/Oetjen, 1993: 15) Der exploding head ist eine solche Metapher der Wissenschaft. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, den Begriff der Metapher in der strukturalen Psychoanalyse Jacques Lacans zu betrachten.

Exkurs: Lacan und die Metaphern

Nach Lacan ist die Metapher nicht nur eine Stilfigur der Rhetorik; sie kennzeichnet eine der wichtigsten Funktionsweisen des Unbewussten, die Freud bereits in seiner »Traumdeutung« als »Verdichtung« beschrieben hat. Auf Freud aufbauend, präzisiert Lacan den Begriff der Metapher, indem er ihn dem Begriff der Metonymie gegenüberstellt, welche Freuds »Verschiebung« entspricht. In seiner theoretischen Zuspitzung weicht Lacan vom konventionellen Gebrauch dieser Figuren ab. Statt der konventionellen Auffassung »ein Teil für ein Ganzes« ist für Lacan die Metonymie eine Kopula von Signifikanten und Begriffen, zwischen denen im weitesten Sinn noch eine Ähnlichkeitsbeziehung herrscht. Mit Seitenblick auf Kant könnte man sagen, dass die Metonymie mit den »analytischen Sätzen« vergleichbar ist. In Lacans Metonymie-Beispiel aus seinem Aufsatz über das Drängen des Buchstabens »Dreißig Segel für eine Flotte« geht es mitnichten darum, dass diese dreißig Segel für das Ganze dieser Flotte stehen. Es geht vielmehr darum, dass diese Segel nach dem Prinzip der Ähnlichkeit miteinander grammatisch in Verbindung gebracht werden können.

Diese Definition der Metonymie hat den Vorteil, dass man die Metapher – um die es uns bei Cronenberg ja geht – sehr leicht abgrenzen kann. Eine Definition im Lacan’schen Sinn könne daher wie folgt lauten: Ist die Metonymie eine Verknüpfung zwischen im weitesten Sinn Vergleichbarem – so ist die Metapher der Vergleich zwischen Unvergleichbarem. Dies wird sofort deutlich, wenn wir Lacans Beispiel heranziehen: »Die Liebe ist ein Kiesel, der in der Sonne lacht.« Im Sinne einer metonymischen Verschiebung kommen wir von einem Kiesel niemals zur Liebe, zwischen beiden gibt es keinerlei Ähnlichkeit. Gäbe es eine wie auch immer geartete Ähnlichkeit oder ein »tertium comparationis«, dann hätten wir es nicht mehr mit einer Metapher zu tun. Zwischen den in der Metapher verglichenen Elementen gibt es keine substanziell motivierte Beziehung.

Das besondere an der Metapher ist, dass durch den willkürlichen Vergleich heterogener Elemente ein neuer Sinn nicht unbedingt entstehen muss aber kann: und zwar auf eine jeweils überraschende Weise, wie das Phänomen des Witzes zeigt, der eine Spezialform der Metapher darstellt, auf das ich aber nicht weiter eingehen kann.

Aus dieser scheinbar banalen Tatsache hat Lacan einige luzide Schlüsse gezogen. Die Metapher macht aus der Sprache nicht zufällig ein offenes System von möglichen Bedeutungen und Zeichenbeziehungen. Aber worin genau besteht die Offenheit der Sprache? Lacan bezieht sich hier ausdrücklich auf die Poesie, die nicht nur ein Spezialfall der Sprache, sondern deren Ermöglichungsgrund bildet. Ein Blick auf Lacans Beispiel für die Metapher zeigt, was mit der Offenheit der Sprache als System gemeint ist. Lacan bezieht sich auf eine Zeile aus einem Gedicht von Victor Hugo: »Seine Garbe war nicht geizig, noch von Haß erfüllt.« Dazu Lacan: »Nichts im Gebrauch des Wörterbuchs vermag uns auch nur für einen Augenblick nahezulegen, dass eine Garbe geizig sein könnte, geschweige denn von Hass erfüllt. Und doch ist es klar, dass der Gebrauch der Sprache erst von dem Moment an bedeutungsfähig ist, da man Seine Garbe war nicht geizig noch von Hass erfüllt sagen kann, d. h. wo die Bedeutung den Signifikanten aus seinem lexikalischen Zusammenhängen reißt.« (Lacan, 1997: 258)

Der Begriff des Lexikons ist hier zentral. Das Lexikon versieht Signifikanten mit Bedeutungen gemäß der Struktur einer ein-eindeutigen Zuordnung. Die Entdeckung, dass die Sprache das Ideal dieser ein-eindeutigen Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat sprengt, ist die Voraussetzung dafür, dass Freud die Logik des Traumes entdecken konnte. Denn das Grundparadigma der Traumdeutung besteht darin, dass Freud der Chiffriermethode eine klare Absage erteilt. Denn die Chiffriermethode würde wieder auf ein Traum buch im Sinne eines Lexikons der Traumsymbole hinauslaufen.

Bleiben wir noch einen Moment beim Begriff des Lexikons. Stellen wir uns das Lexikon im mathematischen Sinn als eine Menge vor. Die Offenheit der Sprache lässt sich denken, wenn wir sie mit einem in prototypischer Weise geschlossenen System von Zeichenbeziehungen vergleichen, der Mathematik bzw. dem Ideal nach der Naturwissenschaft.

Wenn wir – wie Kurt Gödel das gemacht hat – auf hypothetische Weise jedes Wort aus dem Wörterbuch einem algebraischen Zeichen zuordnen, und wenn wir zugleich genau festlegen, wie diese Zeichen gebraucht werden dürfen und wie nicht – so werden wir feststellen, dass eine Metapher nicht mehr möglich ist. Ein Satz wie »5 = 4« macht in der Mathematik keinen Sinn. Die Mathematik – und mit ihr die Naturwissenschaft als solche – besteht darin, dass derart sinnlose Aussagen ausgeschlossen werden. Damit wird aber auch die Metapher ausgeschlossen, die ja ein Vergleich zwischen Unvergleichbarem, zwischen »5« und »4«, zwischen Äpfeln und Birnen darstellt. Denn – so eine weitere Definition der Metapher im Lacan’schen Sinn – die Metapher ist ein (kreativer) Missbrauch der Sprache, ein Missbrauch, der aber dem konventionellen Gebrauch von Sprache logisch vorausgeht.

Wenn wir hier einen Schritt weiter gehen, dann stellt sich die Frage: Was hat die Struktur der Metapher mit der Funktion des Subjekts zu tun? Diese Frage erhellt sich vor dem Hintergrund jener Interpretation, die Lacan dem berühmten Freud’schen Satz »Wo Es war, soll Ich werden« unterzieht. Lacan deutet diesen Satz im Sinne eines Prozesses permanenter Subjektgenese. Das Es und das Ich verfehlen einander permanent. Aber in diesem Verfehlen richtet sich eine gewisse Form von heterogener Konstanz ein. Zwischen Es und Ich schlagen auf ähnliche Art und Weise poetische Funken wie bei dem anderen Metaphernbeispiel Lacans »Die Liebe ist ein Kiesel, der in der Sonne lacht«. Aus diesem Grund bezeichnet Lacan das Subjekt als Effekt der Metapher. Lacan bezieht sich hier nicht nur auf die Forschungen de Saussures und Jacobsons, sondern maßgeblich auf den Linguisten Émile Benveniste. In zwei äußerst luziden Kapiteln seines Hauptwerks Probleme der allgemeinen Sprachwissenschaft hebt Benveniste hervor, inwiefern das Personalpronomen »ich« aus dem Korpus der lexikalisch fixierbaren Bedeutungen herausfällt. »Die Pronomen unterscheiden sich von allen Bezeichnungen, welche die Sprache artikuliert, in diesem Punkt: sie verweisen weder auf einen Begriff noch auf eine Person. Es gibt keinen Begriff »ich«, der alle ich umfasste, die in jedem Augenblick auf den Lippen aller Sprecher entstehen, in dem Sinne, in dem ein Begriff »Baum« existiert, auf den sich alle individuellen Anwendungen von Baum zurückführen lassen. Das ‚Ich’ bezeichnet also keine lexikalische Einheit«. (Benveniste, 1977: 291) Das von Benveniste angeführte Gegenbeispiel bezieht sich nicht zufällig auf eine Radiostation, wir sind hier beinahe wieder bei Scanners: »Wenn jeder Sprecher, um das Gefühl auszudrücken, das er von seiner nicht weiter zu zerlegenden Subjektivität besitzt, über einen unterschiedlichen ‚Indikativ’ verfügte (in dem Sinn, in dem jede Radiostation ihren eigenen ‚Indikativ’ besitzt), so gäbe es praktisch ebenso viele Sprachen wie Personen, und die Kommunikation würde schlechthin unmöglich«. (Benveniste, 1977: 283) Das »ich« entspricht also dem logisch notwendigen Ort eines Mangels im Zeichengefüge. Mann kann das »ich« nicht durch einen Platzhalter ersetzen. Es ist jeweils nur situativ neu bestimmbar – durch den sprachlichen Prozess einer möglichst neuen Aussage. Benveniste sagt klar, dass das »ich« nur im Zuge einer Redewendung entsteht. Für Lacan ist daher der Bezug zwischen dem »ich« und der Metapher zentral.

Interessant wird es nun, wenn wir einen Blick auf die berühmten »Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken« des Paranoikers Daniel Paul Schreber werfen. Nicht zufällig gibt es in diesem Buch keine einzige Metapher. Damit gibt es für den Psychotiker streng genommen aber auch kein ich. Nicht zufällig erklärt Schreber, er würde nur wiedergeben, was die göttlichen Strahlen ihm eingeben …

2. Lacan und Cronenberg

Aber wie steht es hier mit der Metapher? Es ist bekannt, dass Psychotiker sehr wohl Metaphern bilden – dies jedoch auf eine sehr eigentümliche Weise, eine Weise, die uns nun sofort zu Cronenberg zurück führt. Ein psychotischer Patient Hermann Langs kommentierte seine permanenten Schluckbewegungen einmal mit dem Ausspruch: »Ich schlucke Informationen.« – Wir haben es hier mit der gleichen Art der wörtlich genommenen, der verkörperten Metapher zu tun, die Cronenbergs Filme durchzieht. Die »Kinder des Zorns«, mit denen die qua Therapie stumm gemachte Patientin Nola Carveth in The Brood ihre Aggressionen auf wahrhaft mörderische Weise unmittelbar »ausdrückt«, ist eine filmische Variante zu »Ich schlucke Informationen.«

Interessanterweise wird dieses leibhafte »Kopfzerbrechen« – diese der Paranoia verwandte Struktur – bei Cronenberg immer wieder dadurch ausgelöst, dass der Wissenschaftsdiskurs auf die Libido und ihre ökonomische Struktur angewandt wird. Die »Kinder des Zorns« sind die inverse Botschaft Dr. Raglans, der seine Patienten mit dem therapeutischen Imperativ »Sag nichts! Zeig mir deinen Zorn!« aggressiv penetriert. Obwohl der Patient explizit schweigen soll, ist hier ein Sprachmodell impliziert: ein rigides Sprachmodell, bei dem die Sprache auf ein im mathematischen Sinn ein-eindeutiges Verhältnis zwischen Zeichen und Sache reduziert wird. In diesem Sinn ist die Therapie vergleichbar mit einer naturwissenschaftlichen Methode.

In Cronenbergs Spielfilmdebüt Shivers wird ein vergleichbares Paradigma durch die Architektur ausgedrückt. Denn Shivers beginnt nicht zufällig wie ein Werbespot für ein aus dem städtischen Kontext isoliertes Luxus-Apartmenthaus, dem sogenannten »Starliner«, der mit seinen Tennisplätzen, Bankfilialen und eigener ärztlicher Versorgung den Bewohnern jeden denkbaren materiellen Komfort zur Verfügung stellt – ohne dabei eine wirklich urban gewachsenen Struktur zu bieten. Stilistisch gesehen wurden derart »betonierte Ozeandampfer« in den 20er Jahren von Architekten des Bauhauses, allen voran Le Corbusier, nach dem Konstruktionsvorbild des Passagierschiffs (Titanic) entworfen. Die Maschine als Mittel zur Befreiung, die Faszination eines streng geordneten Systems des Gemeinschaftswohnens und die klosterhafte Selbstbeschränkung auf ein Minimum an Raum (Le Corbusier spricht von einer »Zelle im menschlichen Maßstab«) – all diese Motive kulminieren im Bild des »Starliners«, das Cronenberg sehr bewusst aufgreift.

Die vermeintlichen Vorzüge dieser »Wohn-Maschine« (machine à habiter) werden bei Cronenberg systematisch ins Gegenteil verkehrt. »David Cronenberg rechnet in ‚Parasitenmörder’ mit einer Heilslehre des modernen Wohnungsbaus ab.« (Loidolt, 1992: 32 ff.) Diese Abrechnung beinhaltet jedoch weit mehr als nur ästhetisch motivierte Architekturkritik. Die Dramaturgie des Films stellt einen strukturellen Zusammenhang her zwischen dem der Bauhaus-Architektur zugrunde liegenden Paradigma und der durch den Parasiten ausgelösten Lustseuche. Die im Bauhaus angestrebte Verschmelzung von Kunst und Technik, Urbanität und Rationalität wird in ihrer Konsequenz von Cronenberg wortwörtlich genommen. Das Prinzip der wörtlich genommenen Metapher zieht sich als roter Faden durch Cronenbergs Werk und führt in Shivers dazu, dass die Wohn-Maschine aus ihren Bewohnern regelrechte Genieß-Maschinen macht. Nicht zufällig bietet der »Starliner« als »Bauhaus« mathematisch perfekte optimale Ausbreitungsmöglichkeiten für die Lustseuche. Eine beißende Karikatur jenes Kontaktes zum Nachbarn, die das eingepferchte Tür-an-Tür-Wohnen mit einem engen Mittelgang im »Bauhaus« eigentlich ermöglichen sollte. Die »Krankheit«, die Lustseuche, erscheint zudem als ein Resultat und als logische Konsequenz des Bauhaus-Paradigmas.

Man könnte von hier aus noch einen Blick werfen auf die Doktrin des vormals »realexistierenden« Sozialismus’, der den Mensch als Mensch ebenfalls vom Ideal des Wissenschaftsdiskurses her begreift und definiert. Als rein mathematisches Zuordnungsverhältnis wird das Sein des Menschen allein im Rahmen der komplementären Zuordnung von Gütern bestimmt, die zur Befriedigung allein seiner materiellen Bedürfnisse dienen. »Immaterielle Bedürfnisse« – psychoanalytisch gesehen »Wünsche« – gibt es nicht, kann es insofern grundsätzlich nicht geben, als sie nur eine Untermenge der staatlich verordneten Befriedigung durch Zuteilung des materiellen Grundbedarfs (Nahrung, Wohnung, Arbeit) bilden. Dieser Bedarf verhält sich zum Sein des Menschen wie die linke zur rechten Seite einer mathematischen Gleichung. Der zirkulären Hermetik dieses »Systems« entgeht die offene Ökonomie, die Freud im Wirken des unbewussten Wunsches ausmacht, dessen Theorie Lacan mit dem Begriff des »Begehrens« fortschreibt.

Die durch den Wissenschaftsdiskurs kurzgeschlossene bzw. aufgehobene Metapher bewirkt, dass die defizitäre Struktur des Begehrens aufgehoben wird in einem polymorph perversen Genießen. Dies zeigt Cronenberg wunderschön in The Fly. Der Systemanalytiker Seth Brundle hat eine Technik entwickelt, die dem »beamen« aus Star Trek sehr verwandt ist. Einfacher ausgedrückt: Man kann sich mit Brundles Apparat selbst leibhaftig als Telefax verschicken. Ob er ein body builder sei, fragt eine Frau. Ja, antwortet Brundle im Sinne der wörtlich genommenen Metapher, ich nehme Körper auseinander und setze sie wieder zusammen. Bei dieser Teletransportation von Körpern durch den Raum gibt es anfangs Schwierigkeiten. Schickt Brundle einen lebenden Affen durch die Telebox, so wird das Tier in der Empfängerbox von innen nach außen gewendet – wir bekommen durch diese Invertierung einen Hinweis darauf, dass diese Erfindung der Telebox psychoanalytisch betrachtet einen narzisstischen Spiegel darstellt. Brundle wird sich in dieser Apparatur spiegeln. (In meiner Cronenberg-Monografie Bildgeschwüre versuche ich am Beispiel von Cronenbergs drei Filmen Dead Ringers, Scanners und The Fly Lacans Theorie des Spiegelstadiums zu entwickeln, auf die ich hier aus Zeitgründen verzichten muss. Nur so viel: Man kann das Spiegelstadium nicht von der Sprachtheorie getrennt rezipieren: »Das Spiegelstadium«, so Lacan, »gibt die Teilungsregel zwischen dem Imaginären und dem Symbolischen…« (Lacan, 1980: 12), zwischen dem narzisstischen Blick in den Spiegel und der Verhaftung in der Sprache. Lacan sagt ausdrücklich, dass die sprachliche Identifizierung mit dem »einzigen Zug« des symbolischen Vaters die logische Voraussetzung dafür bildet, dass das Spiegelbild überhaupt libidinös besetzt wird. Ohne Verstrickung in die Sprache gibt es also kein Spiegelstadium, bliebe der Blick in den Spiegel uninteressant wie beim Schimpansen.)

Die Wissenschaft spielt auch in The Fly – bei dieser narzisstischen Spiegelung qua Telebox – die entscheidende Rolle. Als Brundle noch keine lebenden Körper durch die Telebox beamen kann, zerteilt er einmal ein Steak, schickt die eine Hälfte durch den Transporter, um sie zusammen mit der nicht teleportierten Hälfte zu braten. Als neutrale Gutachterin wird Brundles Freundin Veronica zum Geschmackstest gebeten. Wie erwartet, schmeckt das zuvor gebeamte Steak irgendwie künstlich und ungenießbar. Daraus zieht Brundle den unwiderstehlichen Schluss: »Der Computer gibt uns seine Interpretation von einem Steak.« Brundle programmiert den Computer daraufhin so um, dass er im gewissen Sinne begehren – und auf diese Weise die Struktur des lebenden Fleisches decodieren kann. Und fortan scheint die Maschine zu funktionieren …

Der Computer ist aber nichts anderes als eine das Paradigma des Wissenschaftsdiskurses verkörpernde Maschine. Zwischen der Wissenschaft und dem Begehren gibt es de facto – wie wir in den anderen Filmen gesehen haben – ein Ausschlussverhältnis. Wie zeigt sich dieses Ausschlussverhältnis im Film? Im Film ist der Computer ein Symbol für Brundles Psyche. Indem Brundle also gemäß der Logik der Filmhandlung den Computer so umprogrammiert, dass die Maschine in gewissem Sinn begehren kann, tilgt er aus psychoanalytischer Sicht sein eigenes Begehren. Brundle hebt sein Begehren auf, um sich selbst dem Wissenschaftsdiskurs anzuverwandeln. Das Ergebnis ist ähnlich wie die Lustseuche in Parasitenmörder: Bevor durch die Teleportation ein rapider körperlicher Verfall bei Brundle ausgelöst wird, erlebt er eine kurze Phase euphorischer Omnipotenz, derweil er endlos mit seiner Freundin kopulieren kann. Er kann Turnen wie ein Weltmeister und bricht einem bärenstarken Wirtshausschläger beim Armdrücken den Unterarm. Außerdem kann er einen massiven hölzernen Türrahmen wie Styropor zerdrücken: Brundle ist zunächst ein Superman, dann ein Monster.

Eine weniger monströse Form der Havarie zwischen Wissenschaftsdiskurs und Libido zeigt Cronenberg in Dead Ringers. Die eineiigen Zwillinge Elliot und Beverly Mantle sind zwei erfolgreiche Star-Gynäkologen, die ihre große Ähnlichkeit dazu missbrauchen, um sich geschickt in einem Privatuniversum zu verschanzen. Beruflich und privat teilen sie alles. Insbesondere ihre Geliebten bekommen oftmals gar nicht mit, dass sie mal mit dem einen, mal mit dem anderen der Mantle-Zwillinge ins Bett gehen. Ja, die Frauen wissen gar nicht, dass es zwei Mantles gibt. Auf diese Weise halten sich die beiden die Frauen qua ‚emotionalem Schichtwechsel’ vom Leib.

Erst als einer der beiden, Beverly, sich zum aller ersten Mal in seinem Leben wirklich verliebt, tritt eine Frau im libidinösen Sinn zwischen die beiden. In der Folge seiner stürmischen Verliebtheit wird Beverly drogenabhängig und entwickelt psychotische Symptome. Dazu zählt die Wahnvorstellung, dass plötzlich nur noch mutierte Frauen in die gynäkologische Praxis kommen. Man muss es sich so vorstellen, dass Frauen vorher nur als wissenschaftlich klassifizierte Objekte im Sinne ihrer gynäkologischen Profession existierten. Wenn Beverly über die Schönheit des »Inneren« der Frau redet, dann meint er nicht ihre Seele, sondern im Sinne der wörtliche genommenen Metapher das Körperinnere der Frau. Witzigerweise fällt Beverly diese Frau, in die er sich verliebt, allein dadurch auf, dass sie einen dreifachen Uterusausgang hat, also eine medizinisch-fachliche Kuriosität ist.

Als der eine der Zwillinge sich heftig verliebt, wird die defiziente Vaterfunktion in ihm angesprochen (ein Thema, das ich hier leider nicht vertiefen kann. Nur so viel: In den frühen Filmen stehen die mad scientists für defiziente Vaterfiguren.) Als Ergebnis der Vakanz der Vaterposition kann Beverly in Dead Ringers sich nicht mit einer Vaterfigur identifizieren. Infolge dieses Mangels – den Lacan im Sinne der wörtlich genommenen Metapher deutet – wird die Verliebtheit für ihn zu einem psychisch nicht zu bewältigenden Problem. Denn Beverly wird durch die Frau mit dem von ihr repräsentierten Mangel in Form Kastration konfrontiert. Doch diese Kastration drückt sich für den Frauen nur wissenschaftlich klassifizierenden Beverly so aus, dass die Patientinnen in seiner Praxis plötzlich alle mutiert sind. Sie weichen alle von der Norm ab: Weil es für Beverly mangels der Vateridentifizierung eine solche Norm nie gab.

Bevor Beverly verliebt war, konnte er als Gynäkologe Frauen gewissermaßen seriell schwängern. Nun stellen sie für ihn plötzlich ein wissenschaftlich unlösbares Problem dar. Als Reaktion auf diese Mutationen lässt Beverly sich monströse Instrumente zur Behandlung mutierter Frauen herstellen – mangels der intakten Vaterfunktion stellen diese Instrumente bizarre Parodien auf den Phallus dar, mit dem er es diesen mutierten Frauen gleichsam wissenschaftlich »besorgen« will. Als Beverly eine Frau mit diesen – übrigens nur für Leichen geeigneten – Instrumenten tatsächlich operiert und die Frau sich dabei über heftige Schmerzen beklagt, erklärt Beverly kategorisch: Das Instrument ist völlig in Ordnung. Der Körper der Frau ist es. Der Körper der Frau ist irgendwie falsch. – Das ist eines der schönsten Beispiele für den psychotischen Versuch der psychotischen Metapher zwischen Wissenschaft und Libido.

Zum Schluss noch einige Bemerkungen über Cronenbergs interessantesten Film, Videodrome. Die besondere Erzählstruktur dieses Films, die den Zuschauer von Anfang bis Ende im Unklaren darüber lässt, was Realität und was Halluzination ist, kommt daher, dass die weiter oben beschriebene Struktur der Metapher des Subjekts hier durch die Filmhandlung selbst thematisiert wird. Die Struktur der Narration selbst funktioniert in Videodrome wie eine aufgehobene, wörtlich genommene Metapher. Es geht um den Betreiber eines kleinen Kabelsenders namens Max Renn, der stets auf der Suche nach möglichst billigen und pornographischen Programmen zur Vermarktung ist. Als er eines Tages einem Piratensender auf die Spur kommt, der nur Folter und Mord sendet – also ein Sender, der im Fernsehen nicht mehr Fernsehen ist – begibt Max sich wie »angefixt« auf die Suche nach dem Ausstrahlungsort dieses Kanals und wird dabei offenbar in eine Verschwörung verwickelt. Die Spur führt unter anderem zu dem obskuren Medienphilosophen Brian O’Blivion, der, wie sich herausstellt, längst tot ist. Doch das soll nichts heißen. Denn seine Tochter hält ihn mit Hilfe eines Videoarchivs gewissermaßen virtuell am Leben. Aber das ist noch nicht alles.

Als Max Renn eines der Bänder mit O’Blivions Videopredigten – eine Videokonserve – abspielt, wird er auf paradoxe Weise von einer halluzinativen Live-Situation erfasst. So wie Schizophrene sich nicht selten mit dem Nachrichtensprecher im Fernsehen unterhalten, so dialogisiert Max plötzlich mit O’Blivion und erhält folgende Botschaft: »Der Bildschirm ist sozusagen die zweite Netzhaut des geistigen Auges geworden. Er ist ein Teil der physischen Struktur des Gehirns … Deswegen ist Fernsehen Realität, und Realität ist nichts ohne Fernsehen.« Wir haben es hier mit einer wörtlich genommenen Metapher par exellence tun, weil diese Aussage keine theoretische Reflexion à la Mashall McLuhan darstellt (der übrigens Cronenbergs Landsmann ist). O’Blivions Aussage steht gewissermaßen für die unmittelbar eingetretene Performanz dessen, was in diesem Moment mit Max geschieht. Die metaphorische Gleichung »Fernsehen ist Realität« ist eine wörtlich genommene Metapher, weil das, was eigentlich im übertragenen Sinn gemeint ist, in diesem Moment für Max unmittelbar Wirklichkeit geworden ist.

Videodrome ist einer der wenigen Filme, die diese permanente Irritation darüber, was Realität ist und was das Subjekt halluziniert, bis zum Ende konsequent durchhalten. Es gibt im Film keine Metaebene, von der aus der Zuschauer über den Unterschied zwischen Fiktion und Realität aufgeklärt würde. Das Erzählprinzip ist denkbar einfach. In einem Interview spricht Cronenberg davon, dass Videodrome ein »first-person-film« sei. Es gibt keinen adäquaten deutschen Begriff, weswegen ich den englische Begriff beibehalte. Es geht bei dieser Erzählweise darum, dass alles radikal aus der subjektiven Sicht des Hauptdarstellers Max Renn gezeigt wird, der in jeder Szene präsent ist. Wenn Max halluziniert, dann halluziniert der Film als solcher mit ihm. Der Film erzählt also nichts über diese Figur, sondern das Erleben dieser Figur entspricht der filmischen Realität. Zur Verdeutlichung muss dieses Prinzip des »first-person-film« klar unterschieden werden von der subjektiven Kamera, wie sie etwa in The Lady in the Lake (USA 1947) oder im The Blair Witch Project (USA 1999) eingesetzt wird. Die subjektive Kamera verengt das Sichtfeld und signalisiert dem Zuschauer so unmissverständlich, dass er durch die Augen der Filmfigur schaut. Die abgebildete Wirklichkeit wird davon nicht beeinflusst. Anders bei einem »first-person-film«, dessen narrative Besonderheit eben jene Subjektstruktur im Lacan’schen Sinn ex negativo verdeutlicht. Die wörtliche Metaphorisierung (Fernsehen = Realität) erzeugt in Videodrome keinen logischen Ort des Mangels, an den sich das Subjekt Max Renn setzen könnte. Indem es zwischen Fernsehen und Realität keine metaphorische Kluft gibt, gibt es auch nicht den logischen Ort des Subjekts. Statt dessen ist Max verzweifelt auf der Suche nach diesem Ort. Im Sinne der wörtlich genommenen Metapher versucht er ein Loch in dem Film zu machen, und erzeugt dabei nur ein Loch in seinem Bauch. Am Ende bleibt Max nichts anderes übrig, als die metaphorische Kluft zu erzeugen, indem er sich selbst qua Suizid auslöscht. Allein mit der Auslöschung seines Seins versucht er den der Metapher entsprechenden Ort des Mangels zu erzeugen, an dem er selbst sein könnte.

Manfred Riepe

Literatur:

  • Wayne Drew: “A Gothic Revival: Obsession and Fascination in the Films of David Cronenberg”, in: Wayne Drew, “BFI Dossier 21”, BFI Publishing 1984, S. 16
  • David Cronenberg, z.n. Oetjen/Wacker, a.a.O., S. 15
  • Lacan, Jacques: Das Seminar Buch III. Die Psychosen, Weinheim 1997
  • Lacan, Jacques, Schriften III, Olten 1980
  • Beneviste, Émile: Probleme der allgemeinen Sprachwissenschaft, Frankfurt/M. 1977.
  • Lox Loidolt: „Isolation und Kontrast. Eine Ikonographie der modernen Architektur bei David Cronenberg“, in Robnik, D. und Palm, M.: „Und das Wort ist Fleisch geworden. Texte über Filme von David Cronenberg“, Wien 1992, S. 32 ff.
  • A. Oetjen; H. Wacker: Organischer Horror, Meitungen 1993
  • Riepe, Manfred: Bildgeschwüre. Bielefeld: transcript, 2002

Über den Autor:

Manfred Riepe, geb. 1960, lebt als freier Autor und Journalist in Frankfurt/Main. Arbeitsgebiete sind Film- und Medienkritik und strukturale Psychoanalyse. Veröffentlichungen: Bildgeschwüre. Körper und Fremdkörper im Kino David Cronenbergs (2002), Als Herausgeber zus. mit Georg Christoph Tholen und Gerhard Schmitz: Übertragung – Übersetzung – Überlieferung. Episteme und Sprache in der Psychoanalyse Lacans (2001).

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