Die Macht und die Oberfläche

Das Verhältnis von Material und Merchandise, Film und Actionfigur, ist durch kein Franchise so sehr geprägt, oder vielmehr archetypisch gestaltet, wie durch das Star-Wars-Universum. Spielzeug, das an sich schon als Übungsgerät zur Internalisierung kollektiver Zeichenregime verstanden werden muss, bekommt in der Wendung zum Film-Merchandise eine neue Qualität. An die Stelle der mitunter sehr weit gefassten „Realität“, die den Referenzrahmen für das Spielen vorgibt, tritt der Film als eindeutiges Skript, welches zwar nicht eingehalten werden muss, aber trotzdem einen unhintergehbaren Bezugspunkt vorgibt. Diese Tatsache wird um ein Vielfaches gesteigert durch die Verschiebung des Merchandising vom Spielzeug zum Videospiel. Kein Film der die Zuschauergruppe der Spielenden ansprechen soll, wird ohne das zugehörige Videospielzeug veröffentlicht.

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Die Geschichte wiederholt sich

Anfang des 18. Jahrhunderts formuliert der zu seiner Zeit weitestgehend wirkungslose, doch gegenwärtig viel gelesene italienische Philosoph Giambattista Vico die Prinzipien einer neuen Wissenschaft etwa folgendermaßen: „Das Wahre und das Gemachte sind austauschbar. In vollem Umfang können wir nur das Erkennen, was wir selber gemacht haben.“ Die großen philosophischen Fragen können wir laut Vico demzufolge nur an dem Ding nachvollziehen, das wir ohne jede Einschränkung selbst produziert haben: der Geschichte. Damit leistet Vico nicht nur dem geschichtsbesessenen 19. Jahrhundert und der romantischen Kunsttheorie Vorschub, er trifft darüber hinaus Disneys Computerphantasmagorie „Tron“ ins Mark.

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»Schneller, stärker und besser als jeder andere Mensch«

Das Cyborg-Konzept wies in den frühen 1970er-Jahren bereits eine vielfältige Tradition nicht nur in der Science Fiction, sondern auch der Technik-Debatte auf. Schon bevor der Begriff 1960 durch einen US-amerikanischen Arzt und einen Computerwissenschaftler definiert wurde, fand sich das Konzept  in Literatur und Film: ein Mensch, dessen Körper durch technische Ergänzungen bzw. den Austausch von biologischen durch technische Organe Fähigkeiten erhält, die über die biologischen hinausgehen. Die Tatsache, dass der Cyborg mit „Der 6-Millionen-Dollar-Mann“ 1974 ins Fernsehen kam und dort sogar noch ein Spin-Off nach sich zog, zeigte, wie populär und gleichzeitig angstbesetzt die Vorstellung ist. Universum-Film hat nun die ersten beiden Staffeln der Serie als DVD-Boxen veröffentlicht.

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Das Disneyland als Schädelstätte

Vieles an „Micky Epic“ ist Bauruine. Zusammengesetzt aus fünf Grafikstilen, drei Erzählweisen und vielleicht sieben Spielgenres, ist das Spiel eigentlich dazu prädestiniert unter der Last seiner Einflüsse zusammenzubrechen, nicht als Produkt sondern als Idee seine Schönheit zu entfalten. Spielerisch zwischen der späten Blütezeit und der frühen Dekadenz des Plattformer-Genres in der vorletzten Konsolengeneration angesiedelt, verweist „Micky Epic“ nicht nur auf die unübersehbaren Mängel dieser Zeit, den überbordenden Bombast und die oft unproduktive Komplexität, sondern auch die Aspirationen nach Höherem scheinen durch, der Traum von einer dreidimensionalen Spielwelt in der jede Erfahrung möglich ist. Die Eroberung der dritten Dimension schien abgeschlossen, die Konsolidierung hatte noch nicht begonnen. Es gab noch keine abgesteckten Claims, nur vage Vorstellungen davon wo ein Spiel enden und das nächste anfangen sollte. Micky Maus hat es in diese Welt nicht geschafft, seine Karriere in der Welt der Videospiele war mit dem Ende der 2D-Ära beendet.

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Die dritte Supermacht

Im Kalten Krieg waren die Fronten zwischen gut und böse, hüben und drüben, Freiheit und Unterdrückung usw. scheinbar klar. Ganz so klar allerdings doch nicht, wagte man einen dialektischen Blick auf das Beziehungsgeflecht zwischen den beiden Supermächten, bei dem sich dann die jeweilige Position einfach in ihr Gegenteil verkehrte. Die Friedensbewegung insistierte immer wieder besonders auf diese Übernahme der Gegenperspektive (als Sting etwa Ronald Reagan singend fragte, ob eine russische Mutter ihre Kinder etwa nicht liebe). Komplexität blieb aber weiterhin eher schädlich für ideologisch eindeutige Vermittlungen. Insofern ist die kulturelle Auseinandersetzung mit dem Computer aus dieser Zeit auch ebenso von derartig vereindeutigenden Zugängen geprägt – hatte aber zumindest noch den Vorzug, dass die leicht nachvollziehbare Technophobie vor diesen Apparaten systemüberschreitend war und daher ganz neue, ungeahnte Koalitionen ermöglichte.

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Enter the Umbrella!

In gewisser Weise haben die Bilder der Filme Paul W.S . Andersons schon immer versucht, den Zuschauer anzuspringen. Anderson ist, was ihm häufig zum Vorwurf gemacht wird, kein Geschichtenerzähler im herkömmlichen Sinne – er lässt seine Bilder für sich sprechen und findet er das passende Bild für einen Effekt, dann kann das ruhig auch einmal zu Lasten der Plotlogik oder sogar der mathematischen und physikalischen Gesetze gehen. In „Resident Evil – Afterlife“ wird dieses Erzählen zur grundsätzlichen Methode, bei der Anderson die 3D-Inszenierung entgegenkommt. Die Story wird zusehends nebensächlich und rekrutiert sich aus Versatzstücken bekannter Genrefilme.

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Die Geburt des Roboters aus dem Geist der Science Fiction

Als der erste Industrie-Roboter mit Namen UNIMATE im Jahre 1961 seine Arbeit aufnahm, war das intellektuelle Konzept, das ihm zugrunde lag, schon längst durchdacht: Bis in die griechische Antike, zu den Golem-Sagen des Judentums oder der mittelalterlichen Philosophie lässt sich die Idee des künstlichen, mechanischen Menschen zurückverfolgen. Dass UNIMATE und seine Nachkommen diese Fantasien hernach in Qualität und Quantität stärker beeinflussten als ihre mythologischen Quellen, ist allerdings auch unzweifelhaft. Wie bei vielen Technologien ist die Beziehung zwischen Innovation und kultureller Verarbeitung wechselseitig. Eigentlich handelt das Jugendbuch „Roboter. Was unsere Helfer von Morgen heute schon können“ nicht davon. Doch bereits im Titel deutet sich dieser Subtext an, ja drängt sich förmlich auf, sodass eine Betrachtung des Buches unter diesem Paradigma allemal lohnenswert erscheint.

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Reisen in die Vergangenheit, aus dem Vergessen

Die Funktion von Medien ist nach einer gängigen Definition die Speicherung und Übertragung von Informationen. Dass bei Filmen jenseits des Kinos insbesondere jene Speicher-Funktion weiter in den Vordergrund rückt und damit das Archiv der Filmgeschichte nicht nur sichtbar, sondern auch im Privaten strukturierbar wird, lässt sich zeitweilig zum in ihnen verhandelten Thema in Beziehung setzen. In der über einhundertjährigen Mediengeschichte des Films haben die Datenträger, auf denen die Bilder gespeichert sind, häufig gewechselt – zumeist war mit dem Wechsel auch ein qualitativer Fortschriftt verbunden: Es konnten mehr Informationen gespeichert werden, die Bild- und Tonqualität wurde besser. Das jüngste Medium in dieser Geschichte ist die Blu-ray-Disc, die die für Heim-Formate bislang höchste Speicherdichte anbietet. Nach und nach wird für Blu-rays nun die Filmgeschichte aufbereitet – zuvorderst werden dabei Filme berücksichtigt, die als kulturell höherwertig – oder mit einem anderen Wort: „erinnerungswürdiger“ – als andere gelten. Im Fall der beiden im folgenden zu besprechenden Aufbereitungen kreuzt sich das Thema von Speichern/Erinnern auf der medienmateriellen Seite und in den Stories der Filme, geht es doch bei beiden ums Erinnern und Vergessen.

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You’ve got moves, I’ve got shoes, let’s go dancing!

Die Jonas Brothers, für diejenigen unter den Lesern, die diesen Namen, so wie der Rezensent, unlängst zum ersten Mal gehört haben, sind eine jedenfalls in den USA ungemein populäre Teenie-Boyband, die es im Fahrwasser der Popularität des Jungmädchenidols „Hannah Montana“ auf eine eigene Semireality-Dokusoap im Disney Channel gebracht haben. Nach einem jüngst mit der Goldenen Himbeere prämierten 3D-Konzertfilm und einigen Gastauftritten in mittelgroßen Hollywoodproduktionen arbeiten sie gerade an ihrem ersten eigenen Kinospielfilm mit dem vielversprechenden Titel „Walter the Farting Dog“. Ihre lyrisch wie melodisch schlichten Stücke oszillieren im Boygroupkosmos irgendwo zwischen den New Kids on the Block und Boyzone – nothing changes, ever – und sind im Grunde mit musikkritischen Maßstäben gar nicht mehr zu erfassen. Sie sind da, um ihren Zweck zu erfüllen, und das ist es dann auch schon gewesen. „You’ve got moves, I’ve got shoes, let’s go dancing“, so heißt es in einem ihrer Lieder, und natürlich wohnt der herzergreifenden Simplizität dieses Verses schon wieder eine gewisse Poesie inne.

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Das Problem als Adaptionsvorlage

Man erzählt sich, Queen Victoria habe, zu ihrer großen Verwunderung, 1867 von einem Diakon und Mathematiktutor namens Charles Lutwidge Dodgson ein Buch zugeschickt bekommen mit dem Titel An Elementary Treatise on Determinants. Verwundert sei Victoria vor allem deshalb gewesen, weil sie von dem Autor eine Publikation völlig anderen Typs erwartet hatte, ein Kinderbuch. Dodgson hatte nämlich gut ein Jahr zuvor unter dem Pseudonym Lewis Carroll sein erstes und sogleich legendäres Kinderbuch Alice’s Adventures in Wonderland veröffentlicht. Von der Lektüre entzückt habe die Queen den Autor aufgefordert, ihr so bald als möglich seine nächste Veröffentlichung zukommen zu lassen. Dodgson habe sie beim Wort genommen und ihr die Treatise on Determinants geschickt.

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Genie und Wahnsinn bei Süskind und Schneider

„Zwischen Genialität und Wahnsinn gibt es nur einen Faden“, so ein altes chinesisches Sprichwort, welches bedeutet, dass Genialität und Wahnsinn manchmal schwer zu unterscheiden sind – was ebenso für ihre Definition gilt. Bettina Pflügl versucht in ihrer Arbeit über Patrick Süskinds „Parfüm“ und Robert Schneiders „Schlafes Bruder“ nicht nur die „sprichwörtlichen“ Zusammenhänge zwischen den beiden Aspekten aufzuzeigen, sondern auch die – nahe liegenden – Aspekte „Genialität“ und „Wahnsinn“ im Hinblick auf ihre gesellschaftliche und literarische Komponente näher zu beleuchten. Sie geht dabei von der Genie-Konzeption des Sturm und Drang, dem Geniebegriff Otto Weinigers und der Verbindungstheorie von Genialität und Wahnsinn bei Gottfried Benn aus, um daraus eine eigene Definition beider Begriffe zu entwickeln und auf beide Romane zu applizieren.

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Furchtlose Kinder und ungebändigte Monster

Die Presseinformationen zum Film werden durch ein Zitat von Regisseur Spike Jonze eingeleitet, in dem er sagt, dass er „keinen Kinderfilm […], sondern einen Film über die Kindheit“ machen wollte. Als er die erste Version seiner Verfilmung des Erfolgsbuches von Maurice Sendak vorlegte, verwarf die Produktionsfirma diese mit der Aussage, der Film sei ganz und gar nicht kindgerecht und bei weitem zu pessimistisch. Jonze musste versuchen, einen Kompromiss für beide Seiten zu schaffen. Nun liegt das fertige Produkt vor, das Eltern und Kinder verzaubern und beeindrucken soll.

wo_die_wilden_kerle_wohnenDie Atmosphäre des Films und die großartige, ungezwungene und für Kinderschauspieler erfrischend- untypische Art des jungen Max Records, der den gleichnamigen Titelheld verkörpert, katapultieren unmittelbar in die Kindheit zurück. Allerdings lädt dies nicht direkt zum Träumen ein, sondern erinnert daran, dass das Leben auch damals nicht einfach oder frei von Enttäuschungen war. Der Film hält dem Zuschauer vor Augen, dass das Gras stets grüner ist auf der anderen Seite, und dass weder Eltern noch Kinder perfekt sind. Max, der anscheinend keine Freunde hat, tobt sich regelmäßig in einem Wolfskostüm aus Plüschstoff aus, und versetzt so mit Gebrüll seine Mutter in Schrecken. Als er ihr in der Anwesenheit ihres neuen Freundes den letzten Nerv raubt, kommt es zum Eklat: Max beißt seine Mutter in die Schulter und rennt davon. „You’re out of control!“ hatte die alleinstehende, berufstätige Mutter in ihrer Hilflosigkeit gerufen, als der Junge ihr buchstäblich durch die Finger glitt. Max findet ein kleines Segelboot, mit dem er nach einer zermürbenden Reise durch Wind, Wetter und das brausende Meer auf einer Insel strandet. Hier trifft er auf die Verkörperung seiner gesamten ungezügelten Emotionen: die wilden Kerle. Eine  Handvoll übergroßer, fellbesetzter Monster befindet sich im Streit, während einer von ihnen voll Wut ihre Behausungen zerstört. Max fühlt sich sofort hingezogen und wird plötzlich zu ihrem König erklärt. Er soll nun dafür sorgen, dass alles gut wird, dass keiner traurig ist und sich niemand mehr streitet.

Max kommt als König im Endeffekt die Rolle der Mutter zu, die schlichten, trösten und Sorgen vertreiben soll. Er versucht nun, die zerstrittenen Monster zu versöhnen, doch so einfach, wie es zuerst erscheint, ist es nicht. Selbst seine ausgeklügelten Spiele enden im Zwist, jemand wird verletzt, und man geht wieder auseinander. Der ungestüme Carol, mit dem Max sich aufgrund ihrer Wesensgleichheit am besten versteht, wird von Max sogar als „out of control“ bezeichnet, als er seiner Zerstörungswut freien Lauf lässt. Hier schlüpft der kleine Junge vollends in die Rolle seiner Mutter, und da er sie jetzt ansatzweise versteht, kann oder muss er zurückkehren. Für sein Königreich bedeutet dies ebenfalls eine Rückkehr, allerdings in ihren vorherigen, desolaten Zustand. Wer dachte, Max müsse die zerstrittenen Parteien vereinen und deren Probleme lösen, um „erlöst“ zu werden, liegt völlig falsch, denn in dieser Welt gibt es derartige Lösungen nicht. Der Zwist zwischen Carol und KW unter anderem über KWs neue Freunde Bob und Terry, zwei Eulen, deren Quieken nicht jeder versteht, wurde nicht beigelegt. Max hat nur bewerkstelligt, der erste König zu sein, der nicht am Ende gefressen wurde; alles andere bleibt beim Alten. Er verlässt die traurigen Kreaturen für sein eigenes Zuhause, kehrt zu seiner übermüdeten Mutter zurück, die ihn mit einem Stück Kuchen und einem Glas Milch beruhigt empfängt, doch dann direkt am Esstisch einschläft.

wildWunderschöne Inszenierung und clevere Gestaltung werden abgerundet durch die meisterhafte  Implementierung der Umgebung. So erlebt Max immer dann sakrale Momente von Harmonie und Geborgenheit, wenn er sich in Höhlen- oder Tunnelsystemen befindet. Diese Rückzugsmöglichkeiten, die sicherlich auch als Äquivalent des schützenden Mutterleibs (gleich der Höhle, in der Novalis‘ Blaue Blume wächst) gesehen werden können, sind gekennzeichnet durch warmes Licht, eine sanfte, reduzierte Tonkulisse und das beruhigende Gefühl vom Stillstand der Zeit.  Es beginnt mit dem selbstgebauten Iglu zu Hause, dessen Zerstörung durch die Freunde seiner Schwester einen desaströsen Wutanfall versursacht, und geht über zu einem Haufen plüschiger, schlafender Monster, in deren Mitte Max die Ruhe und Wärme findet, die er zu Hause vermisst. In einem Höhlengebilde offenbart der ungestüme Carol ihm mittels einer per Hand angefertigten, filigranen Skulptur der wilden Kerle seine sensible Seite, und Max kann unter dem Gebilde in eine weitere Höhle kriechen, seinen Kopf durch ein Loch mitten in die Skulptur stecken,  um Teil dieser Miniaturwelt zu werden. Schließlich bauen seine ‚Untertanen‘ in seinem Auftrag ein Fort (dessen Äußeres sicherlich nicht unabsichtlich an den Todesstern erinnert), in dem sie alle zusammen auf einem großen Haufen schlafen und glücklich sein wollen. Doch alle Höhlen der Geborgenheit offenbaren sich als vergänglich; entweder, sie werden physisch zerstört wie das Iglu, oder aber ihre harmonische Atmosphäre verkümmert. Als der Streit zwischen Carol und KW eskaliert, beginnt Max, sich vor Carol zu fürchten und sucht nach einer Rückzugsmöglichkeit aus der Gruppe.

Wild_04_2Jenseits des kindlichen Spieltriebes, der in Form diverser absichtlich übertriebener und sehr amüsanter Handlungen verbildlicht wird, kommen bedeutend tiefgründigere Topoi auf. Ein Vanitas-Symbol nach dem anderen durchzieht den Film, nichts ist von Bestand, nicht einmal die Liebe. Nachdem Max im Zimmer seiner Schwester gewütet hat, um sich für seinen Iglu zu rächen, versteckt er sich in seinem Bett und betrachtet einen Globus, den sein offenbar nicht mehr anwesender Vater ihm geschenkt hat. „To Max, Owner of this world, Love Dad“ steht darauf. Doch der Besitz einer figurativen, stillstehenden Welt (und später einer phantastischen stillstehenden) hilft Max nicht weiter. Max hat einen Lehrer, der den Schülern bereits zu Beginn ausgiebig erklärt, dass die Sonne „sterben“ wird, so wie alles andere auch vergeht. Von dieser neuen Perspektive verunsichert, sucht Max Schutz bei den wilden Kerlen: er fragt Carol, ob er vom bevorstehenden Tod der Sonne weiß, und infiziert auch diesen schlagartig mit einer beispiellosen Existenzangst. Alle Freude, die er seinen ‚Untertanen‘ beschert, ist von kurzer Dauer und wird schnell wieder von eine depressiven Stimmung überschattet. Die Landschaft, in der das Fort stehen soll, ist karg und von Verfall gezeichnet, gleich einer Moorlandschaft.

Schade ist, dass der Film eventuell im Schatten von James Camerons „Avatar“ stehen muss, der am selben Tag in die Kinos kommt. Spike Jonze hat hier wahrlich die deprimierende Stimmung eines einsamen Kindes eingefangen und gleichzeitig die Vergänglichkeit von Freude und Freundschaft herausgearbeitet. Ob der Film damit alle Altersgruppen ansprechen kann, ist fragwürdig. Maurice Sendak sagte selbst einmal, dass der Großteil der Kinderbücher nicht die notwendige Ernsthaftigkeit aufweise. „Es ist erniedrigend für ein Kind, wenn man so schreibt wie für einen Idioten. Ich glaube, man kann alles für Kinder schreiben, viel freier als für Erwachsene, denen man zu viele Lügen erzählen muss.“ In dieser Hinsicht ist Spike Jonzes Variante dieses Kinderbuches sicherlich ganz im Sinne des Erfinders, denn belogen wird hier keiner. Man verlässt den Film in einer seltsam gemischten Stimmung aus Verzauberung und Niedergeschlagenheit, die man auf dem Nachhauseweg erst einmal sortieren muss. Jonze hat seine eigene Vision umgesetzt, und konzentriert sich auf Max‘ emotionales Wirrwarr sowie die komplizierten und einsamen Momente des Lebens. Das Motiv der erlöschenden Sonne, die ihren Dienst als Lebenserhalter aufgibt, fungiert als Stimmungsbarometer des gesamten Films: Nichts ist für die Ewigkeit. Und trotz der immanenten Flüchtigkeit der Dinge hat das Leben unbeschreiblich schöne Momente, die auch in „Wo die wilden Kerle wohnen“ regelmäßig aufblitzen dürfen, um den Zuschauer daran zu erinnern.

Wo die wilden Kerle wohnen
(Where the Wild Things Are, USA 2009)
Regie: Spike Jonze; Buch: Spike Jonze, Dave Eggers; Musik: Carter Burwell, Karen O.; Kamera: Lance Acord; Schnitt: James Haygood, Eric Zumbrunnen
Darsteller
: Max Records, Catherine Keener, Mark Ruffalo, James Gandolfini, Forest Whitaker, Chris Cooper u.a.
Länge
: 101 Min.
Verleih
: Warner Bros.

Der Letzte macht das Licht aus

In seinem Sportwagen rast Robert Neville (Will Smith) durch die menschenleeren Straßen des zerstörten Manhattans, seinen treuen Freund, den Schäferhund Sam, auf dem Beifahrersitz. Die Straßen gehören Robert ganz allein, keine lästigen Ampeln, die ihn aufhalten, keine anderen Fahrzeuge, die ihm Platz wegnehmen. Doch plötzlich erregt etwas die Aufmerksamkeit des Hundes: ein Rudel Rehe prescht durch die Häuserschluchten, schlägt Haken zwischen stehengebliebenen Autos, verschwindet hinter der nächsten Ecke. Neville tritt die Bremsen, reißt das Steuer herum: Die Erkundungsfahrt wird zur Jagd, der sprichwörtliche Großstadtdschungel ist ein echter geworden. „Der Letzte macht das Licht aus“ weiterlesen

ADAPTATION

Charlie Kaufman (Nicolas Cage) geht nicht gerade zurückhaltend mit sich ins Gericht: zu dick, ausfallende Haare, zudem noch Scheiße geschnitten, keine Chancen beim weiblichen Geschlecht, was sich nicht nur an seinem äußeren Erscheinungsbild begründet, sondern vor allem – dessen ist er sich bewusst, was es nur noch schmerzlicher macht – auch an seiner allgegenwärtigen Angst vor dem Frauen, die er begehrenswert findet. Ein Komplexbündel erster Kajüte also und so etwas wird oft und gerne: Künstler. Kaufman ist so einer, ein ambitionierter Drehbuchautor nämlich, der sich hohen Idealen verpflichtet fühlt. Der neues schaffen, nie dagewesenes schreiben will. Obwohl sein Drehbuch zu BEING JOHN MALKOVICH derzeit mit prominenter Besetzung verfilmt wird, nagen an ihm die Zweifel. Ein neues Drehbuch will er schreiben, für einen Film über Blumen, in dem sich die Charaktere am Ende nicht, wie im Mainstreamfilm üblich, signifikant und zum Besseren wandeln, in dem keine Probleme gelöst, kein Drama aufgelöst wird – wie gesagt, ein Film über Blumen, eine Adaption des Dokumentarbuches „Der Orchideen-Dieb“ der Journalistin Susan Orlean (Meryl Streep) obendrein.
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Der unsichtbare Text

Im Gegensatz zum Roman oder zur Kurzgeschichte führt das Drehbuch ein Dasein im Schatten. Fast eingeschüchtert, ins Niemandsland verbannt wie die Lyrik, die vom durchschnittlichen Leser nicht wahrgenommen, höchstens (vermeintliche) Triumphe in den Klassenzimmern unserer Schulen feiern kann. Das Drehbuch spielt in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle. Dabei ist es die Grundlage für Multimillionen-Dollar-Seller, die ja doch vom Großteil der Bevölkerung mit Begeisterung (manchmal zumindest) im Kino konsumiert werden. Doch das wird nur am Rande wahrgenommen. Die Berufsbezeichnung »Drehbuchautor« wird von Außenstehenden jedoch eher positiv bewertet. Wahrscheinlich hat man direkt die Vision von Regisseuren und Stars, die dem Autor glücklich auf die Schulter klopfen, weil der ihnen eine tolle Idee oder eine wunderbare Rolle auf den Leib geschrieben hat. Ein toller Job also. Aber gelesen? Gelesen wird das Drehbuch nicht. Zumindest nicht im privaten Bereich. Die Ignoranz des Drehbuchs hängt stark mit seiner Entstehungsgeschichte, aber auch mit seinem Textstatus zusammen.

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Film und Metapher

David Cronenberg erinnert sich: »Einmal rief mich ein amerikanischer Kritiker an, der mir sagte: ‚Für einen Amerikaner sind Ihre Filme wie ein seltsamer Traum. Die Straßen wirken amerikanisch, sind es aber nicht. Die Personen sehen aus wie Amerikaner, sind aber keine. Sie sprechen wie Amerikaner und sprechen doch anders.’« Wollte man Cronenbergs Kino grob situieren, so könnte man seine Filme als eine Art Synthese zwischen dem recht puren Amerikaner David Lynch und dem recht puren Europäer Peter Greenaway bezeichnen. Mit seinem Kleinstadthorror in Blue Velvet (USA 1986) und Twin Peaks (USA 1990) und seinen Verirrungen auf dem Lost Highway (USA 1996) und dem Mulholland Drive (USA 2001) bebildert Lynch die Kehrseite des amerikanischen Traums. Die barock überladenen Bild-Ornamente eines Greenaway stehen somit in einem größtmöglichen Gegensatz zu Lynchs Gewalt-Agonie. Eine Art Synthese zwischen Lynchs amerikanischer Erzählweise und Greenaways Poetik erreicht Cronenberg dadurch, dass sein filmisches Schaffen selbst dann ausdrücklich von der Literatur geprägt ist, wenn er, wie bei seinen frühen Filmen, die Drehbücher selbst verfasst hat. Nabokow, Beckett und Kafka zählen zu Cronenbergs Lieblingsautoren, aber auch William S. Burroughs. In Naked Lunch (Can 1991), Cronenbergs Burroughs-Verfilmung, sagt die Frau des Kammerjägers Bill Lee, nachdem sie sich mit einer Heroin-Nadel das Wanzenpulver ihres Mannes in die Venen (bzw. in die Brust) geschossen hat: »Es ist ein Kafka-Rausch. Du fühlst Dich wie ein Käfer«. Das ist zugleich eine treffende Bezeichnung für Cronenbergs Vorlieben für Verwandlungen, Metamorphosen und Deformationen im körperlichen und seelischen Bereich.

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