Die dritte Supermacht

Im Kalten Krieg waren die Fronten zwischen gut und böse, hüben und drüben, Freiheit und Unterdrückung usw. scheinbar klar. Ganz so klar allerdings doch nicht, wagte man einen dialektischen Blick auf das Beziehungsgeflecht zwischen den beiden Supermächten, bei dem sich dann die jeweilige Position einfach in ihr Gegenteil verkehrte. Die Friedensbewegung insistierte immer wieder besonders auf diese Übernahme der Gegenperspektive (als Sting etwa Ronald Reagan singend fragte, ob eine russische Mutter ihre Kinder etwa nicht liebe). Komplexität blieb aber weiterhin eher schädlich für ideologisch eindeutige Vermittlungen. Insofern ist die kulturelle Auseinandersetzung mit dem Computer aus dieser Zeit auch ebenso von derartig vereindeutigenden Zugängen geprägt – hatte aber zumindest noch den Vorzug, dass die leicht nachvollziehbare Technophobie vor diesen Apparaten systemüberschreitend war und daher ganz neue, ungeahnte Koalitionen ermöglichte.

„Colossus – The Forbin Project“ aus dem Jahre 1970, der auf den ersten Teil der gleichnamigen Roman-Serie, die Dennis Feltham Jones zwischen 1966 und 1977 veröffentlichte, zurückgeht, beschreibt genau dieses Dreiecks-Geflecht zwischen Systemen und Maschinen. Der Untertitel-gebende Dr. Charles Forbin hat einen Supercomputer erfunden, der die Verteidigungsgeschicke der USA leiten, diese unangreifbar machen und damit den lang ersehnten Frieden sichern soll. Kurz nachdem Colossus eingeschaltet wurde, meldet er, dass es ein „anderes System“ gäbe, das sich als die russische Antwort auf den Supercomputer herausstellt und den Namen „Guardian“ trägt. Mit diesem verbindet sich Colossus per Telefonleitung, synchronisiert seinen Datenbestand mit dem Guardians und kurz darauf reißen die beiden Computer die Waffengewalt beider Systeme an sich. Colossus nimmt Forbin als „Geisel“ und lässt ihn immer neue Zusatzhardware konstruieren, um seinen Machtbereich zu vergrößern. Zusammen mit Guardian unterjocht er die Menschheit und kontert auf jede menschliche Gegenwehr mit dem Abschuss von Atomraketen auf bewohnte Gebiete.

Die Angst davor, dass Computer zu einem nicht nur kriegsentscheidenden, sondern sogar kriegsverursachenden Faktor werde könnten, war von Beginn des Kalten Krieges an allgegenwärtig und nahm mit fortschreitender Computerisierung des Militärs immer weiter zu. Letztlich ist sie – so real Beinahe-Atomkriege aufgrund von Computerfehlern auch gewesen sind – immer aber auch ein sehr konkretes Bild für die diffuse Bedrohung der conditio humana in Zeiten der Totaltechnisierung der Alltagswelt geworden. Die unheilvolle Allianz zwischen der Massenvernichtungswaffe, die keinen Unterschied zwischen Soldat und Zivilist macht, und dem Computer, der keine Gefühle kennt, erscheint schon beinahe als Zwangsläufigkeit. Und vielleicht hat diese Allianz auch ein wenig zum Bröckeln des Systemdenkens beigetragen, wenn die neue Frontlinie nicht mehr zwischen Ost und West, sondern zwischen Biologie und Technologie verläuft; Koalitionen der Amerikaner und Russen während und nach dem Kalten Krieg zur Vermeidung von „Atomkriegen aus Versehen“ lassen dies zumindest denkbar erscheinen.

Der Film-Colossus stellt die Apotheose der wahnsinnig gewordenen Maschine dar, denn seine Fehlfunktion erweist sich als Emergenz-Effekt, als Feature, das nicht direkt programmiert wurde, aber in der Soft- und Hardware-Konfiguration des Systems bereits angelegt war. Insofern ist Colossus auch ein Stellvertreter für die technologische Hybris des Wissenschaftlers, der, weil er alles zu kontrollieren meint, den Blick für die Komplexität verliert. Dass Forbin als Person selbst zum Opfer seiner Erfindung wird, ist damit einerseits tröstlich; andererseits verdeutlicht es aber auch die Ohnmacht der Vernunft, ihre Kapitulation vor der Hyperrationalität. Denn was Colossus vorhat, entspricht durchaus seinem programmierten Zweck: Er will zusammen mit Guardian die Menschheit befrieden. Dass dies nur unter der Bedingung ihrer totalen Unterwerfung möglich erscheint, ist eine Kalkulation, die nach ihm nicht wenige Filmcomputer angestellt haben.

Joseph Sargents Adaption des Stoffes setzt dieses Thema gelungen ins Bild. „Colossus – The Forbin Project“ gilt nicht zu Unrecht als Geheimtipp des harten Science-Fiction-Films. Die Kälte, mit der zuerst die Computer-, später die Überwachungstechnologie hier den Menschen entgegen gestellt wird, verschluckt bildlich jede Wärme. So analysiert Colossus nicht nur das Verhalten seines Gefangenen, er stellt auch kontrollierte Bedingungen von Menschlichkeit her – jene Szenen, in denen Forbin mit der Maschine aushandelt, wann, wie oft und unter welchen Bedingungen er sein Sexualleben ausführen darf, gehören zu den gruseligsten des ganzen Films, stets inszeniert aus der „berechnenden Optik“ des Colossus-Kameraauges oder in der abgehackten Syntax der Computersätze. Das Breitbild der jetzt von Ostalgica veröffentlichten DVD-Edition des Films kommt dieser Atmosphäre sehr entgegen, weil es den Handlungsraum der Protagonisten zwar weiter öffnet, die Begrenztheit ihres Lebensraums als schmales „Biotop“ aber damit nur umso deutlicher vor Augen stellt.

Colossus – The Forbin Project
(USA 1977)
Regie: Joseph Sargent; Buch: James Bridges, D. F. Jones; Musik: Michel Colombier; Kamera: Gene Polito; Schnitt: Folmar Blangsted
Darsteller: Eric Braeden, Susan Clark, Gordon Pinsent, William Schallert, Leonid Rostoff u. a.
Länge: 96 Minuten
Verleih: Ostalgica

Die DVD von Ostalgica

Unbedingt erwähnenswert sind auch die Beigaben der DVD: Neben dem 8-seitigen Booklet mit Informationen zur Filmentstehung, zum Stoff und seiner Vorlage enthält die Disc ein Extraprogramm, in dem das namentliche Vorbild Colossus‘, jener 1943 in Betrieb genommene Britische Digitalcomputer, der die chiffrierten Nachrichten der Wehrmacht entschlüsselte, in Fotografie und Film vorgestellt wird. Daneben gibt es einen Trailer, der von John Landis kommentiert ist, die Hörbuchfassung einer Roboter-Kurzgeschichte von 1954 sowie einen DVD-ROM-Part, in dem Produktionsskizzen und -dokumente einsehbar sind. Wie bei den vorherigen Veröffentlichungen ist es Ostalgica mit der DVD zu „Colossus“ abermals gelungen, eine allzu seltene und marginalisierte Perle des Science-Fiction-Genres nicht nur ans Licht zu befördern, sondern auch noch zu polieren. Man darf sehr gespannt sein, wie es mit dem Label weitergeht.

  • Bild: 1:2,35
  • Ton: Deutsch (DD 2.0), Englisch (DD 2.0)
  • Untertitel: Deutsch
  • Extras: Booklet, Doku „Die wahre Geschichte“, Bilder von „Colossus“, Hörbuch „The Useful Robots“, Trailer mit Kommentar, Ostalgica-Trailershow, DVD-Rom-Part
  • FSK: ab 12 Jahre
  • Preis: 12,99 Euro

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