Nehmen wir an, die Kuh ist eine Kugel

… unter diesem zugegebenen zunächst absurd klingenden Titel erschien 1996 ein deutsches Taschenbuch, in dem Leser, die allenfalls über physikalische Schulkenntnisse verfügen, über die Welt der Physik aufgeklärt werden sollten. Im Titel – mag der Versuch nun geglückt sein oder nicht – offenbart sich jedoch bereits zweierlei: Die Physik, mit der wir es zu tun haben, muss auf ein denkbares Maß reduziert werden, damit wir sie handhaben können. Dazu bedarf es verschiedener „Vernachlässigungen“ (etwa oftmals der Reibung bei der Erforschung einfacher Bewegungsgesetze). Zum Anderen steht die Kuh-Kugel-Identifikation aber auch für einen Bildlichkeitszwang, dem die modernen Naturwissenschaften unterliegen und der sie zwar vermittelbar(er) macht, sie jedoch auch oft arg beschränkt. Nimmt man etwa die so genannten „neue Physik“ des ganz Großen oder des ganz Kleinen hinzu, sieht man schnell, wohin solche Ku(h)geln rollen.

Die Vermittlung etwa der Astrophysik für die breite Masse ist kein leichtes Geschäft, weil in ihr gleichzeitig das ganz Große, die enormen Räume und Zeiten des Kosmos‘, wie auch das ganz Kleine, die Welt der subatomaren Teilchen, verhandelt werden müssen. In diesen Welten kommen physikalische Regeln und Gesetze ins Spiel, die für die Alltagsvernunft des Menschen weder wahrnehmbar noch überhaupt „logisch“ erscheinen: Die Relativitäts- und die Quantenphysik. Die Komplexität dieser Theorien macht es umso erstaunlicher, dass gerade sie die am häufigsten verhandelten Phänomene der Physik in den Massenmedien darstellen. Der Grund dafür mag in ihrer Nähe zum metaphysischen Denken, das angesichts der Gegenstandsbereiche (Raum, Zeit) sozusagen „nahe liegt“. zu suchen sein. Dokumentarfilme und -serien bemühen sich seit jeher, diese Themen aufzugreifen und dem Zuschauer schmackhaft zu machen – mit ganz unterschiedlichem Erfolg. Nun scheint es aber, dass gerade ein neues Medium wie die Blu-ray-Disc diese Bemühungen zusehends beschleunigt und den Output an ganz unterschiedlich seriösen Physik- und Astronomie-Dokumentationen überproportional wachsen lässt.Vor allem der Polyband-Verleih ist in dieser Hinsicht in der jüngeren Vergngenheit durch zahlreiche Blu-ray-Veröffentlichungen von Timelife- und BBC-Dokumentationen „aufgefallen“: Möglichst spektakulär aufbereitet, mit steilen Thesen gewürzt und voller computeranimierter Urknalle, Dinosaurersterben und Weltuntergänge soll der Zuschauer im 30-Minuten-Takt informiert, vor allem aber unterhalten werden. Das eingangs geschilderte „Bildgebungsverfahren“, bei dem Analogien die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse ins rechte, hochauflösende Bild setzen sollen, ist dabei das Standardmittel der Wahl. Ganz ähnlich verfährt diesbezüglich auch die jetzt von Sunfilm publizierte Serie „Unser Universum“, deren erste Staffel gerade auf drei Blu-ray-Discs erschienen ist.

„Unser Universum“ erzählt in 45-minütigen Dokumentarfilmen jeweils von einem Aspekt der Astronomie. In der ersten Staffel sind es die Himmelskörper unseres Sonnensystems, die – gruppiert oder in Einzeldarstellungen – filmisch vorgestellt werden. 13 Teile, in denen vor allem aber nicht nur die Planeten, ihre Monde und natürlich die Sonne vorgestellt werden, sowie „Fremde Galaxien“, „Gefahren im Weltall“, „Gefährliche Welten“ und als Bonus „Der Urknall“, scheinen sich zunächst in die Reihe des halbseriösen Physitainment einzureihen und bedienen sich auch zeitweilig einer etwas allzu simplifizierenden Bildlichkeit; „Unser Universum“ ragt jedoch etwas aus dem Gros solcher Dokumentationen heraus.

Das verdankt die Reihe vor allem der Konzentration auf einen einzelnen Aspekt, der phänomenologisch und wissenschaftshistorisch vorgestellt wird. Wenn etwa „Die äußeren Planeten“ verhandelt werden, stellt der Film nicht nur spektakuläre Fotoaufnahmen bzw. Computeranimationen derselben dar, sondern stellt etwa auch die Debatte um den Status von Pluto als dem neunten Planeten unseres Sonnensystems vor. Dass die Dokumentationen trotz dieses Mehr an Komplexität nicht auf Mundgerechtigkeit verzichten wollen (und etwa bei „Die Sonne“ dann schon einmal Photonen als fliegende Billardkugeln auf die Erde geschleudert werden, nur weil die Solarastronomin, die im Film auftritt, gleichzeitig begeisterte Billardspielerin ist), fällt da nur wenig ins Gegengewicht.

Und natürlich will „Unser Universum“ dem Zuschauer auch einen hoch aufgelösten Schrecken einjagen, wenn in Folgen wie „Gefahren im Weltall“ oder „Gefährliche Welten“ kosmische Gegebenheiten zu menschlichen Ansprüchen ins Verhältnis gesetzt werden: Sicherlich, Asteroiden stellen eine Gefahr für das Leben auf der Erde dar. Und na klar: Auf der Venus ist aufgrund des permanenten, etwa 4300 ° C heißen Schwefelsäureregens schlecht Urlaub zu machen. Aber die Vorstellungen dieser Dinge wollen ja schließlich auch befeuert werden, und die eigentlich recht trockene Physik kann sich mithilfe solcher Fragen natürlich problem- und nahtlos an das Science-Fiction- und Dystopie-Genre anschließen. Und letztlich ist es dann vielleicht für den physikinteressierten Normalbürger ja auch viel plastischer und leichter merkbar, wenn er sich die Kuh einmal wirklich als Kugel vorstellt, die Photonen als Billardkugeln und die Sonne als Ansammlung tausender Fusionsbomben.

Unser Universum – 1. Staffel
(The Universe, USA 2007)
Regie: Div.; Kamera: Tom Collins; Musik: Eric Amdahl; Schnitt: Tom Ronca
Mit: Eric Thompson (Narrator), Neil Tyson, Amy Mainzer u.a.
Länge 638 Minuten (13 Folgen à ca. 45 Minuten)
Verleih: Sunfilm

Die Blu-ray-Disc von Sunfilm

  • Bild: 1:1,85 (16:9), 1080i/25p
  • Ton: Englisch Dolby Digital 7.1 Deutsch Dolby Digital 7.1 Deutsch DTS
  • Untertitel: keine
  • FSK: Info-Programm ohne Altersbeschränkung
  • Preis: 61,99 Euro

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