The ultimate debugging is death.

Technik macht Hoffnung und Technik macht Angst. Beides kommt am deutlichsten in Utopien zum Ausdruck, in denen die Zukunft der Menschheit vor dem Hintergrund technologischer Entwicklung verhandelt wird. Dass diese Utopien trotz all ihrer Fiktivität jedoch keineswegs immer fiktionalen Charakter haben müssen, zeigen Auseinandersetzungen von Platon bis in die Gegenwart. Gesellschaft und Technik entwickeln sich aneinander, befördern und behindern einander. Doch insbesondere seit der industriellen Revolution kippt das Bild immer markanter hin in Richtung der Dystopie: Die Technik beraubt den Menschen seiner Möglichkeiten anstatt ihn zu unterstützen, sie verursacht Isolation und Deprivation. Der Computer und seine technischen Apparaturen und Funktionen dienen seit einigen Jahrzehnten als Verkörperungsphantasma dieser Ängste. Der Deutsche Regisseur Jens Schanze widmet sich in seinem Dokumentarfilm „Plug & Pray“ genau diesem Phänomen.

Joseph Weizenbaum

Dabei offenbart bereits der Titel, jene Verballhornung des „Plug & Play“-Prinzips moderner Unterhaltungselektronik, dass Schanze die Technik mehr und mehr als Surrogat für Glaubensangelegenheiten sieht. Niemand geringeres als der Berliner Computer-Wissenschaftler Joseph Weizenbaum pflichtet Schanze darin bei und wird im Verlauf des Films immer wieder auf die Gefahren und Trugbilder der technischen Entwicklung hinweisen. Ihm gegenüber stellt Schanze neben einer Reihe von Forschern auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz und Robotik den Technik-Utopisten und Unternehmer Raymond Kurzweil, der – so könnte man sagen – die direkte Antipode zu Weizenbaum darstellt. Wo der greise Berliner Wissenschaftler, der in den 1960er-Jahren maßgeblich an der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz mitgearbeitet und renommierte Lehrstühle in US-amerikanischen Universitäten innehatte, zuletzt dem verbohrten Spott gegenüber der Technik und ihren Apologeten verfallen ist, steht Kurzweil für den Visionär, Macher und positiven Utopisten: Neben Maschinen, die Blinden Texte vorlesen, längst berüchtigt gewordenen Musik-Synthesizern und zahllosen Gadgets hat Kurzweil die Technikdebatte bis heute immer wieder mit Visionen bereichert, in denen er die maschinelle der menschlichen Intelligenz gleichgestellt sieht – zum Wohle der Menschheit.

Raymond Kurzweil

„Plug & Pray“ bietet Weizenbaum und Kurzweil die meiste Screentime, was bei Dokumentarfilmen schon häufig ein Hinweis darauf ist, welche Positionen der Filmautor entweder selbst vertritt oder in den Konflikt zueinander bringen möchte. Dass sich Jens Schanze auf die Seite Weizenbaums stellt, indem er die Geschichte und Ideen des Mannes wesentlich affektiver inszeniert – etwa in zahlreichen Großaufnahmen Weizenbaums altersfleckigen Gesichts, das zugleich so viel Wissen und Würde, aber eben auch Angst und Hoffnungslosigkeit ausstrahlt – als die des US-Amerikaners, der sich optisch stets hinter Büchern, technischen Artefakten oder auf Bildschirmen „versteckt“. Das ist natürlich ein kluger Schachzug des Films, denn die technophobe Position ist immer schon die populärere gewesen. Dass das so ist, liegt vor allem daran, dass sich technikskeptische Haltungen viel leichter begründen und vermitteln lassen als ihr Gegenteil, denn sie sind weniger auf ein Durchdringen und Verstehen der Technik selbst angewiesen, sondern können sich auf die Vermittlung des diffusen „unguten Gefühls“ berufen, das intersubjektiv sofort nachvollziehbar scheint.

Roboter iCup

Dass der Film hier scheinbar tendenziös vorgeht, führt dazu, dass er etliche Möglichkeiten verschenkt, die nicht nur einen differenzierteren Blick auf den Phänomenkomplex „Computer, Roboter und Künstliche Intelligenz“ ermöglichen könnten; es macht auch blind für all die Aporien, die eigentlich immer schon die typischsten Angstsymptome der Technikskepsis und -phobie darstellten: Wenn Joseph Weizenbaum, dessen letzte Lebensbilder uns der Film vor Augen führt, mit einem Motorboot über die Spree schippert und im Modus theologischer Reflexion darüber sinniert, dass er angesichts lebensverlängernder Technologie-Implantate einen „Verlust der Menschlichkeit“ befürchtet, weil er sich nicht mehr in der Lage glaubt zu erkennen, wo der Mensch aufhört und die Technik beginnt, dann erscheint der Hinweis keineswegs naseweis, dass Weizenbaum währenddessen eine Armbanduhr und eine Brille trägt, auf einem Motorboot sitzt und industriell erzeugte Kleidung trägt. Sein Körper ist wie der Körper aller Menschen längst technologisch erweitert; der Unterschied zu den „Wireless“-Apparaten, die sich in Weizenbaums Wohnung stapeln und auf deren wüste Verkabelung er mit spöttelndem Tonfall hinweist, ist einzig derjenige, dass er sich an die einen als Selbstverständlichkeit gewöhnt hat, während ihm – selbst ihm als Computerwissenschaftler – die anderen ein Rätsel geblieben zu sein scheinen.

Plug & Pray
Regie & Buch: Jens Schanze; Kamera: Börres Weiffenbach; Schnitt: Jens Schanze; Jörg Hommer; Musik: Rainer Bartesch
Mit: Joseph Weizenbaum, Raymond Kurzweil, Hiroshi Ishiguro, Minoru Asada, Girgio Metta, Neil Gershfeld, Hans-Joachim Wünsche, Joel Moses u. a.
Länge: 91 Minuten
Verleih: Farbfilm
Start: 11.11.2010

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