Reisen in die Vergangenheit, aus dem Vergessen

Die Funktion von Medien ist nach einer gängigen Definition die Speicherung und Übertragung von Informationen. Dass bei Filmen jenseits des Kinos insbesondere jene Speicher-Funktion weiter in den Vordergrund rückt und damit das Archiv der Filmgeschichte nicht nur sichtbar, sondern auch im Privaten strukturierbar wird, lässt sich zeitweilig zum in ihnen verhandelten Thema in Beziehung setzen. In der über einhundertjährigen Mediengeschichte des Films haben die Datenträger, auf denen die Bilder gespeichert sind, häufig gewechselt – zumeist war mit dem Wechsel auch ein qualitativer Fortschriftt verbunden: Es konnten mehr Informationen gespeichert werden, die Bild- und Tonqualität wurde besser. Das jüngste Medium in dieser Geschichte ist die Blu-ray-Disc, die die für Heim-Formate bislang höchste Speicherdichte anbietet. Nach und nach wird für Blu-rays nun die Filmgeschichte aufbereitet – zuvorderst werden dabei Filme berücksichtigt, die als kulturell höherwertig – oder mit einem anderen Wort: „erinnerungswürdiger“ – als andere gelten. Im Fall der beiden im folgenden zu besprechenden Aufbereitungen kreuzt sich das Thema von Speichern/Erinnern auf der medienmateriellen Seite und in den Stories der Filme, geht es doch bei beiden ums Erinnern und Vergessen.

Alan Parkers „Angel Heart“ ist 1987 erschienen. In ihm wird der allmähliche Selbstfindungsprozess des Privatdetektivs Harry Angel beschrieben, der in den 1950er Jahren auf die Spur des verschollenen Musikers Johnny Favourite angesetzt wird. Bei seinen Recherchen entdeckt er mehr und mehr Hinweise darauf, dass ihm der Gesuchte bekannt ist. Er gerät im Süden der USA in die Kreise einer  Voodoo-Sekte, und immer mehr Tote säumen seinen Weg zur Wahrheit: dass er es nämlich selbst ist, den er sucht, und dass sein Auftraggeber ihn mit dieser Suche auf einen Weg der schmerzhaften Selbstfindung geschickt hat. Dieser Auftraggeber ist ein mysteriöser Mann namens Louis Cypher, der sich später als „Luzifer“, also der leibhaftige Teufel, offenbart.

Dass der Name „Teufel“ etymologisch auf den griechischen Begriff „dia-bállein“ zurückgeht, was so viel wie „Entzweier“ bedeutet, offenbart schon seine Funktion für den Filmplot und seine Bedeutung für den Privatdetektiv: Er war es, der ihn von sich selbst getrennt hat, der ihn am Ende der Suche mit einer Wahrheit konfrontiert, die in die Vernichtung des sich Erinnernden mündet. Im Namen dieses Teufels verbirgt sich jedoch auch noch eine mögliche Zweitbedeutung: „Cypher“, das englische Wort für „Ziffer“ hat seinen Ursprung im arabischen „sifra“ („Null“) oder sifara („leer sein“) und steht somit schon substanziell für die Auslöschung und das Nichtvorhandene, was sich im Filmplot schnell auf das Phänomen des Erinnerns bzw. Vergessens übertragen lässt: Die Erinnerungen von Harry Angel sind künstliche, die auf keine wirklichen Erlebnisse rekurrieren. Wollte man das menschliche Gedächtnis wie einen Informationsspeicher betrachten (wofür genauso vieles spricht, wie sich dagegen einwenden ließe), dann könnte man die Funktion Louis Cyphers als Personifikation des falschen Erinners, oder aber auch als Anker- und Zielpunkt für korrekte, die schmerzliche Erinnerung sehen, als das letztverbliebene Mem, durch das sich alle verloren geglaubten, verschütteten Speicherinhalte relokalisieren lassen.

In „Total Recall“ von Paul Verhoeven aus dem Jahre 1990 übernimmt – im Modus der Science Fiction – diese Funktion eine Maschine, genauer gesagt: ein Computer. Er simuliert ebenfalls Erinnerungen, die gar keine Referenz – also kein Erlebnis in der gelebten Vergangenheit – besitzen. Man schließt sich an diesen Computer an, um sich mit diesen künstlichen Erinnerungen auszustatten und so Geld zu sparen, das ein reales Erleben – etwa einer Reise – kosten würde. An diese Maschine koppelt sich auch Douglas Quaid, ein einfacher Bauarbeiter an, der schon immer einmal zum Mars reisen wollte. Doch etwas läuft schief: Gerade als das künstliche Erinnerungsimplantat eingesetzt werden soll, erleidet Quaid einen Nervenzusammenbruch, schlägt alles kurz und klein und flieht. Auf seiner Flucht entdeckt er nach und nach, dass er gar nicht Douglas Quaid ist, sondern Hauser, ein Geheimagent, dessen Erinnerung gelöscht wurde. Und Hauser war wirklich schon einmal auf dem Mars und hat dort das Geheimnis einer außerirdischen Zivilisation geschützt. Als „selbstvergessener“ Quaid, der sich die Erinnerung an einen Mars-Ausflug implantieren lassen wollte, hat er nun aus Versehen dieses Wissen reaktiviert und befindet sich seither auf der Flucht vor denjenigen, für die seine Erinnerung eine Gefahr darstellt, und gleichzeitig auf einer Reise, auf der er immer mehr von sich selbst (wieder) kennenlernt.

So unterschiedlich „Total Recall“ und „Angel Heart“ auf den ersten Blick sind, so deutlich wird also doch ihre Gemeinsamkeit, bezogen auf die Fragen von Erinnern, Vergessen und Identität – und hierbei spielen die Medien eine besondere Rolle. Nicht zufällig ist der Katalysator, der das Vergessen beendet und den Erinnerungsprozess in Gang setzt, in beiden Fällen ein Medium – in „Total Recall“ ein Computer, in „Angel Heart“ ein okkultes Medium, das als leibhaftiger Teufel die Verbindung zwischen Jenseits und Diesseits, zwischen Vergangenheit und Gegenwart herstellt. Deutlicher als in „Angel Heart“ trägt das Medium in „Total Recall“ jedoch auch die Verantwortung für das Vergessen, denn Hausers Erinnerung wurde vorsätzlich mit Hilfe einer Maschine gelöscht, während Johnny Favourite sie in „Angel Heart“ im Zuge der Verdrängung verloren hat. Schnittpunkt zwischen Erinnern und Vergessen ist jeweils eine schizoide Episode, in der die Spaltung in zwei Identitäten offenbar wird: Quaid gewinnt seine Erinnerung an Hauser beim Anschluss an die Maschine wieder, Heart, als er Cypher als die Konstante erkennt und ihm klar wird, wer er ist und was er als Favourite getan hat.

Kinowelt – um den Sprung vom Inhalt auf die Oberfläche des Mediums zu vollziehen – hat beide Filme vor kurzem auf Blu-ray-Disc veröffentlicht. Vergessen waren beide zwar nicht, zählen sie doch zu den Klassikern ihrer Genres, jedoch haben sie im Zuge der Filmgeschichte eine Patina angesetzt, die sie von den kanonisierten Beiträgen der Filmgeschichte, jenen, die zuallererst eine Wiedererinnerung auf Blu-ray-Disc feiern duften, unterscheidbar macht. Dass diese Erinnerung an „Angel Heart“ und „Total Recall“ auch „schmerzhafte“ Elemente enthält, die umso mehr zum Tragen kommen, als der Qualitätssprung von der VHS (dem Speichermedium, auf dem beide Filme zuallererst für das Heimkino zugänglich gemacht wurden) über die DVD zur Blu-ray-Disc auch Details zu Tage fördert, die die mediale Patina verdeckt hat, ist die Kehrseite der Medaille. Mehr noch als bei der VHS und der DVD offenbart die hohe Auflösung etwa bei „Total Recall“ die tricktechnischen Mängel des Films: etwa beim Fallenlassen der Tarnung Hausers, als er auf dem Mars ankommt, oder bei den Außenaufnahmen auf dem Mars, in denen die Miniaturen nur allzu deutlich den Effekt verraten. Bei „Angel Heart“ fallen diese Momente subtiler aus, hier ist es das seltsam fremd anmutende Bild der 1950er Jahre, das seinen Ursprung in den 1980er Jahren deutlich offenbart. „Schlechtes Altern“ nennt man beides und meint damit, dass das, was damals unauffällig war, aus der zeitlichen Distanz auffällt …

… oder liegt darin vielleicht sogar die schmerzliche Funktion des medialen Erinnerns? Dass wir mit alten Bildern konfrontiert werden, die im Zuge der Neu- bzw. High-Definition als vermeintlich neue Bilder wahrgenommen werden? Dass wir beim Schauen von Filmen wie „Angel Heart“ und „Total Recall“ auf eine Asynchronität stoßen, die aus der Differenz unserer Erinnerung an diese Filme und der aktuellen Wiederbegegnung mit ihnen resultiert? Unser Gehirn ist eben kein Speicher, wie es Datenträger für Computerdateien oder Filmebild-Träger sind. Unsere Erinnerung ist nicht nur selektiv, sondern auch konstruktiv. Wir „verklären“ und ergänzen erinnerte Inhalte mit zunehmender zeitlicher Distanz zum Geschehen. Und bei der Wiederbegegnung mit dem, was „wirklich“ ist (und nicht bloß „erinnert“) erleben wir dann dasselbe, was Hauser und Favourite erleben: ein schmerzliches Erinnern. Und wenn uns die Details so „schonungslos“ vor Augen geführt werden, wie bei einer medialen Neubearbeitung (wie sie beim Blu-ray-Disc-Mastering stattfindet) und die Erinnerung damit „totaler“ wird, als wir sie jemals hätten speichern können … dann zeigt sich, dass in der Aufarbeitung des Filmarchivs für neue, bessere Datenträger sich das Positive und das Negative vereinen. Dass in diesem Prozess mit Hilfe der „neuen“ Oberfläche das alte Heraklit-Wort, dass niemand zweimal in den selben Fluss steigen kann, auch für jeden Film gilt, den niemand ein zweites Mal sehen kann. Schön, wenn man dies bei Filmen erleben darf, die dieses Phänomen auch noch thematisieren.

Angel Heart
(USA/UK/Kanada 1987)
Regie & Buch: Alan Parker; Vorlage: William Hjortsberg; Musik: Trevor Jones; Kamera: Michael Seresin; Schnitt: Gerry Hambling
Darsteller: Mickey Rourke, Robert De Niro, Lisa Bonet, Charlotte Rampling, Stocker Fontelieu, Brownie McGhee, Michael Higgins u. a.
Läge: 113 Minuten
Verlieh: Kinowelt

Die totale Erinnerung
(Total Recall, USA 1990)
Regie & Buch: Paul Verhoeven; Vorlage: Philip K. Dick; Musik: Jerry Goldsmith; Kamera: Jost Vacano; Schnitt: Carlos Puente & Frank J. Urioste
Darsteller: Arnold Schwarzenegger, Rachel Ticotin, Sharon Stone, Ronny Cox, Michael Ironside, Marshall Bell u. a.
Länge: 111 Minuten
Verleih: Kinowelt

Die Blu-ray-Discs von Kinowelt

Angel Heart:

  • Bild: 1,85:1 1080/24p Full HD
  • Sprachen/Ton: Deutsch, Italienisch, Französisch, Spanisch, Englisch (2.0 DTS-HD MA)
  • Untertitel: Deutsch, Französisch, Holländisch, Italienisch, Spanisch, Türkisch
  • Extras: Audiokommentar von Alan Parker; Behind the Scenes; Choreografie eines Voodoo-Rituals; Der Film-Look; Der Tanz von Oya; Einführung von Alan Parker; Hollywood und Voodoo; Interview mit Alan Parker; New Orleans Voodoo Connection; Starinfos Alan Parker; Lisa Bonet und Mickey Rourke; Unveröffentlichte Szenen; Voodoo und Musik; Voodoo-Führung; Was Voodoo wirklich ist; Trailer; Wendecover
  • FSK: ab 16 Jahren
  • Preis: 17,99 Euro

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Die totale Erinnerung:

  • Bild: 2,35:1 (anamorph) / 1080/24p Full HD
  • Sprachen/Ton: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch (5.1 DTS-HD MA), Spanisch (LA), Russisch, Portugiesisch (2.0 DTS-HD MA)
  • Untertitel: Deutsch, Dänisch, Finnisch, Französisch, Holländisch, Italienisch, Norwegisch, Portugiesisch (Brasilianisch), Russisch, Schwedisch, Spanisch, Spanisch (Lateinamerikanisch)
  • Extras: Audiokommentar mit Arnold Schwarzenegger und Paul Verhoeven, Audiokommentar mit Kameramann Jost Vacano, Das Erschaffen von Total Recall, Konzeptzeichnungen, Making of, Rund um die Science-Fiction-Literatur, Spezialeffekte in Total Recall, Storyboards, Vision vom Mars, Werkfotos, Models & Skeletons: The Special Effects of Total Recall, Trailer
  • FSK: ab 16 Jahren (gekürzt*)
  • Preis: 22,99 Euro

* Der Film ist ebenfalls in einer ungekürzten, indizierten Fassung auf Blu-ray-Disc erschienen.

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