Die Geschichte wiederholt sich

Anfang des 18. Jahrhunderts formuliert der zu seiner Zeit weitestgehend wirkungslose, doch gegenwärtig viel gelesene italienische Philosoph Giambattista Vico die Prinzipien einer neuen Wissenschaft etwa folgendermaßen: „Das Wahre und das Gemachte sind austauschbar. In vollem Umfang können wir nur das Erkennen, was wir selber gemacht haben.“ Die großen philosophischen Fragen können wir laut Vico demzufolge nur an dem Ding nachvollziehen, das wir ohne jede Einschränkung selbst produziert haben: der Geschichte. Damit leistet Vico nicht nur dem geschichtsbesessenen 19. Jahrhundert und der romantischen Kunsttheorie Vorschub, er trifft darüber hinaus Disneys Computerphantasmagorie „Tron“ ins Mark.

Schon der 1982 unter der Regie von Steven Lisberger entstandene erste Film erweist sich als erkenntnistheoretische Reconquista des Digitalen mit den Mitteln eines handfesten Anthropomorphismus. Der von seinem Kollegen Ed Dillinger um Programmiererruhm und Tantiemen geprellte Kevin Flynn gerät bei dem Versuch, Beweise für das an ihm verübte Unrecht zusammenzutragen in den Mainframe der Computerfirma ENCOM, in dem sich ihm eine farblich zwar fremdartige, formal aber durchaus verständliche Welt präsentiert. Die digitale Außenwelt des Computers stimmt vollständig mit der metaphorischen Innenwelt des „Users“ Kevin Flynn überein, der als Columbus wider Willen anstelle von Leitungen Straßen und nicht Programme, sondern Menschen sieht. Selbst das befremdliche Farbschema entspricht dem technologischen Stand der Dinge, also dem monochromen Monitor. Die Frage nach Irreduzibilität dürfte in der Welt von „Tron“ nicht aufgeworfen werden, denn als vollständig menschengemachte ist sie funktional wie metaphorisch eindeutig.

Neben diesem Produktionsdesign der Eindeutigkeit legt sich als letzter und mächtigster Wahrnehmungsfilter die Erzählweise und Erzählung von Lisbergers Film über jede Eigenständigkeit, die man einer computergenerierten Welt einräumen müsste. Entgegen ihrem Namen sind die Programme in „TRON“ nämlich keineswegs am Ausführen vorgegebener Aufgaben orientiert, sondern von Interessen geleitet. Ihre Programmierung mag als Grundlage einer im Sinne der Verständlichkeit menschelnden Repräsentation digitaler Sachverhalte gelten, die Entäußerung menschlicher Logik ins Maschinelle trifft sie dagegen nicht. Anstatt also der von der visuellen Gestaltung vorgegebenen Spur zu folgen und möglicherweise ein nachhaltiges Gefühl für das Digitale zu evozieren, verfällt „TRON“ in die altbekannten Erzählmuster von geringen Chancen, kernigen Sprüchen und verzweifelten, doch erfolgversprechenden Manövern.

Diesem Erbe bleibt auch der neue Film „TRON: Legacy“ von Joseph Kosinski verpflichtet. Trotz verschlankter Kostüme, gewaltigem 3D-Aufwand und einem Soundtrack zwischen Bruckner, Barber und Daft Punk ist der Film nicht mehr als ein Stück exquisiterRetrofuturismus. Der Unterschied ist, dass ein Film über das Innenleben des Computers im Jahr 2010 auf eine gänzlich andere Zuschauerschaft trifft als knappe 30 Jahre früher. Längst ist der Computer ein Alltagsgegenstand, der jeden Exotismus abgestreift hat, Technik, die zu ihrer Bedienung der Technologie nicht mehr bedarf. Wo „TRON“ noch nachvollziehbare Ängste vor der Technisierung des Alltags hätte auffangen können, da beteiligt sich „TRON: Legacy“ aktiv an der Remythologisierung des Computers als einem Gegenstand der nicht mehr verstanden werden muss, um bedient zu werden. Es sind genau diese Entkoppelungen von Funktionsweise und Verständnis die das TRON-Franchise ausmachen. Wo Vico als Urvater der Kulturwissenschaft versucht das olympisch-römische Paradigma zu entlarven, Mythologie in Geschichte zu überführen und die Historizität eines jeden Gemachten bis zu seiner Verständlichkeit herauszustellen, da flüchtet sich „TRON“ in das letzte Refugium der Götter: die Ästhetik. Das Design des Films muss einstehen für eine Fremdartigkeit, die sich narrativ in Anthropomorphismus verläuft.

Das Spiel „TRON: Evolution“ dient als narratives Mittelstück zwischen den beiden Filmen, orientiert sich allerdings vollständig am Design des aktuellen Films. Erzählt werden die Ereignisse, die zu Kevin Flynns erneuter Gefangenschaft und der Machtübernahme durch CLU führen aus der Perspektive des von Flynn geschriebenen Wächterprogramms ANON. Als der ideale Protagonist eines Videospiels ist ANON (kurz für Anonymus) nahezu ohne Persönlichkeit. ANON, der dezidiert Andere, passt sich nahtlos in eine Welt ein in der es um wenig anderes zu gehen scheint als kämpfen und rennen. Bis auf einige kurze Motorrad- und Panzersektionen ist „TRON: Evolution“ durch simples Gameplay zwischen Third-Person-Adventure und parcoursartigen Plattformabschnitten gekennzeichnet. Die Unreal Engine 3 sorgt dafür, dass sowohl die visuelle Erhabenheit des Vorbildes als auch die seltsame Breitbeinigkeit der Protagonisten intakt bleibt. Leider hat es der halb elektronische, halb orchestrale Soundtrack von Daft Punk nur teilweise in das Spiel geschafft. Bis auf wenige Tracks ist das Spiel größtenteils von Stille oder Soundalikes begleitet. Das ist vor allem deshalb schade, weil dadurch die eine Idee, die das Spiel „TRON: Evolution“ zu etwas Besonderem hätte machen können, nicht in voller Blüte erstrahlen kann.

„TRON: Evoultion“ versucht sich an einer mutigen Fusion von Kampf und Bewegung, die mit der Unterstützung von Daft Punks Soundtrack, der in seiner Vielschichtigkeit zum Tanzen auf molekularer Ebene verleitet, möglicherweise die Erfüllung der ästhetischen Prämissen des TRON-Updates hätte bedeuten können. Die Kämpfe in „TRON: Evolution“ finden in großzügig angelegten Arealen statt, die mit Hindernissen versehen sind, die entweder mit Lebenskraft oder Energie geladen sind. Energie braucht man, um die volle Kraft seiner vier Battlediscs auszuschöpfen. Indem man sich nun von Parcours zu Parcours kämpfend durch diese Areale bewegt und ähnlich wie ein Traceur über die geladenen Hindernisse hinweg gleitet, versorgt man sich mit den nötigen Ressourcen, um die Kämpfe bestehen zu können. Idealerweise hätte ein solcher Aufbau dazu führen können, dass man, stets in Bewegung bleibend, das gleiche Gefühl von Beschleunigung und Entschleunigung beim Spielen empfunden hätte, wie es der Soundtrack evoziert und wie es im Film als Fortsetzung von Zack Snyders „300“ mit anderer Farbskala betrieben wird. Weil aber der Soundtrack fehlt und die Stärke und Menge der Gegner nicht besonders gut ausbalanciert ist, rennt man die meiste Zeit nur stumpf im Kreis herum. Ironischerweise ist es gerade diese Kreisbewegung, die das TRON-Universum (man sollte vielleicht passender sagen: die TRON-IP) auf den Nenner bringt, den bereits Goethe formuliert hat: „Wer die Geschichte nicht kennt, ist gezwungen sie zu wiederholen.“

TRON: Evolution
(USA, Disney Interactive Studios 2010)
Verfügbar für PS3, Xbox 360, PC, PSP, Nintendo Wii, Nintendo DS
Freigabe: FSK 12 (PS3, Xbox 360), FSK 6 (PSP, PC, Nintendo Wii) Jahren, FSK 0 (Nintendo DS)
Preis: 40 Euro (PS3), 34,78 Euro (Xbox 360), 28,99 euro (PC), 28,99 Euro (PSP), 34,98 Euro (Nintendo Wii), 28,99 Euro (Nintendo DS)

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Dan Gorenstein

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