Cruel Immortality

Der kreative Akt des Filmemachens ist so oft Thema des Filmemachens selbst gewesen, dass das selbstreflexive Kino, der „Film im Film“, als eigenes Genre gewertet werden kann. Die in den Filmen über das Filmemachen entstehenden diegetischen Werke bleiben jedoch meist nur Beiwerk, virtuelle Filme, die dem Zuschauer nur bruchstückhaft oder gar nicht zugänglich werden bzw. jeweils nur soweit, wie es der Erzählung um die Entstehung des virtuellen Films dient. Die Filme im Film sind mithin Thema, aber nicht Film an sich.

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Film und Reflexion

Ein Essay von Thomas Damberger

Der Einsatz von Filmen ist äußerst vielseitig. Der Film kann als Propagandamittel eingesetzt, als Unterhaltungsmittel verwandt, als Lehrmittel genutzt werden. Die verschiedenen Weisen, in denen uns der Film begegnet, sind eng verwoben mit seiner technischen Gestaltung, mit der Idee, welche im Film währt, mit der Bedeutung, die in den Film hineingelegt wird und durch seine Ausgestaltung zum Ausdruck kommen soll. Zugleich spielt das Verhältnis des Zuschauers zum Film für dessen Ankommen, dessen Wirken, eine wesentliche Rolle, was unweigerlich zu der Frage führt, wie wir einen Film wahrnehmen, was im Zuge der Wahrnehmung eines Films in uns und in unserem Verhältnis zum Film wirkt.

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Non-Understanding Media

von Matthias Wannhoff

„I knew that writing was dangerous“, verkündet der halluzinierende Schriftsteller in David Cronenbergs Meta-Literaturverfilmung „Naked Lunch“ (1991), und fügt hinzu: „I just never knew the danger came from the machine itself.“ Nicht oft wird der filmische Diskurs von Worten wie diesen heimgesucht, die so oder so ähnlich auch einem Traktat zeitgenössischer Medientheorie entsprungen sein könnten. Verweisen sie doch recht eindeutig auf jene mysteriöse Macht, die Friedrich Nietzsche einst zu dem unheilschwangeren Ausruf bewog: „Sie haben Recht – unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken.“ [1] Der Grund dafür, dass solche Einsichten äußerst selten im Vorführraum zu vernehmen sind, ist einfach: Die Technik von Medien nämlich hat im alltäglichen Umgang mit diesen in der Regel unsichtbar zu bleiben. Denn „wir lesen nicht Buchstaben, sondern eine Geschichte; und der Kinofilm läßt gewöhnlich die Projektionsfläche vergessen.“ [2] Wehe der Filmfiktion, heißt das, die jene „vierte Wand“ aufzubrechen wagt, welche – der Begriff der „Leinwand“ verrät es – im Falle von Film und Fernsehen ganz wörtlich eine solche ist. So verhandelt auch Cronenbergs Film zwar Schreibmaschinen, aber keine Zelluloidrollen.

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»What happened to your eye?«

In diesem Beitrag möchte ich Richard Kellys Film „Donnie Darko“ vor dem Hintergrund der Beschäftigung mit Texten Edward Branigans und Jacques Aumonts in seinen wichtigsten Zügen betrachten. Vordringlich wird der Blick auf die Realisierung des Point of View fallen. Dazu seien zunächst bei Branigan die strukturellen Elemente zu entlehnen und auf die Narration auszuweiten. Ihr Hauptmerkmal, der Dualismus vor dem Hintergrund eines Subjekt-Objekt-Verständnisses, wird sich in der Arbeit Aumonts wieder finden. Zuletzt soll dann am Beispiel „Donnie Darko“ Darstellung und Narration verständlich gemacht und nach einer Möglichkeit für den Umgang mit dem Dualismus Ausschau gehalten werden

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Vom Gucken, vom Lächeln

Yorkshire, England 1750. Der Waisenjunge Tolly ist beauftragt, den Leichnam eines französischen Diebes, der gehenkt wurde, zu beerdigen. Doch der „Black Jack“ genannte Franzose lebt, und als er wieder zu Bewusstsein kommt, nimmt er Tolly mit sich, der als Übersetzer für seine verrückten Reden dient. Sie fliehen aufs Land, überfallen einen Frachtwagen, in dem Belle transportiert wird, eine junge Aristokratin, die aus einem Irrenhaus geflohen ist, in das sie ihre Familie eingewiesen hatte, um sich ihrer zu entledigen. Das junge Mädchen schließt sich den beiden Räubern an. Sie werden von einem Zirkus aufgenommen, der wie eine Freakshow wirkt. Drei Zwerge gehören ihm an, ein schüchterner Arzt, der ein Jugendserum verkauft, und ein kleiner Junge, der zu einem großen Dieb werden will. Tolly und Bell verlieben sich ineinander …

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Magische Bilder

1.

David Lynch begann seine künstlerische Karriere als Maler. Bevor er sich dem Film zuwandte, studierte er von 1965 bis 1967 Kunst und Malerei an der Pennsylvania Academy of Fine Arts in Philadelphia und zeigte sich in dieser Zeit stark von Künstlern wie Jackson Pollock, Francis Bacon und Edward Hopper beeinflusst, deren unterschiedliche Stile sein Gespür für visuelle Gestaltung und Ausdruckskraft schärften. Auch nach Beginn seiner Filmarbeiten 1967 zog es ihn immer wieder zur Malerei und zur Photographie als eigenständigen visuellen Darstellungsformen zurück, wovon beispielsweise der 1994 publizierte Bildband „Images / Bilder“ (als deutsche Veröffentlichung bei Schirmer/Mosel, München) zeugt.

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»I love Mallory«

Das Urteil über Oliver Stones „Natural Born Killers“1 war schon gefällt, bevor der Film überhaupt in Deutschland zu sehen war. Sowohl von der Politik als auch von den Medien wurde der Vorwurf der Gewaltverherrlichung erhoben und ein Verbot des Films gefordert. Diese Diskussion spiegelte die Reaktionen auf NBK in den USA wider: Oliver Stone musste insgesamt ca. 150 Schnitte an seinem Film vornehmen, um ein NC17-Rating2 zu vermeiden.3 Gern vermutet man bei solchen Kontroversen eine inszenierte Werbekampagne, doch im Falle von NBK blieb den Vertretern der Medien eigentlich keine Wahl als zum großen Proteststurm zu blasen, denn Stones Kritik am Medium „Fernsehen“ ist fundamental. Das Motiv „Jugendschutz“ erfüllte eine Alibifunktion, um diesen – für die Medien gefährlichen – Film anzugreifen. Absurd, wenn man bedenkt, welche Rolle Stone gerade dem Fernsehen bei der Brutalisierung der Gesellschaft zuweist. „»I love Mallory«“ weiterlesen

Verzweifelte Lieben

Auch wenn in den letzten Jahren Rätselhaftes und Prätentiöses, Undurchsichtiges und Widersprüchliches, Phantastisches und Unwirkliches im Kino Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat – das Kino Robert Altmans steht für anderes: für ein Kino der Ratio, für eine Poetik des Ironischen, des Satirischen und des Parodistischen, für eine Dramaturgie, die das Politische mit dem Narrativen zusammendenkt, für eine Poetologie, die das Narrative um eine Ebene des Assoziativen und Thematischen erweitert, für ein „nach-klassisches Kino“, das sich nicht in Ironie und Zitatkunst erschöpft, für eine radikale Auseinandersetzung mit Genrestrukturen und für die Eroberung der Tonmontage als eines eigenständigen Ausdrucksmittels des Films (und nicht nur einer Quelle nicht enden wollender Effekte).
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Am Ende des Kannibalismus

Derzeit herrscht große Aufregung in der Tagespresse – mehr wohl aber noch beim Filmverleih Senator und bei dem als „Kannibale von Rotenburg“ apostrophierten Armin Meiwes. Dieser hatte vor kurzem erfolglos zu verhindern versucht, dass ein Spielfilm über seinen Fall in die Kinos gelangt. Per „einstweiliger Verfügung“ sollten die Interessen Meiwes’ gewahrt bleiben – dass es dabei nicht nur um das verfassungsmäßig garantierte Persönlichkeitsrecht, sondern wohl auch um monetäre Interessen geht, schwingt als Dauervorwurf in den berichterstattenden Medien ständig mit. Immerhin hatte Meiwes seinen Fall „exklusiv“ an die Hamburger Produktionsfirma „Stampfwerk“ verkauft, die daraus mindestens einen Dokumentarfilm erstellen wollte.
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Die Geburt des urbanen Grauens aus dem Musikfernsehen.

»Der Himmel über dem Hafen
hatte die Farbe eines Fernsehers,
der auf einen toten Kanal eingestellt ist.«
(William Gibson: Neuromancer)

»Ich will ihn schon die ganze Zeit davon überzeugen,
dass wir zusammen einen Zombiefilm machen.
Wenn Chris den drehen würde, wäre das der beste verdammte Zombiefilm ever.
Aber er macht sich zuviel Gedanken um sein Bild in der Öffentlichkeit
und will nicht so recht.«
(Aphex Twin)

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Opiumhöhle und ästhetisches Asyl

»I’m in the front row with popcorn.
I get to see you – close up.«
(Alanis Morrissette)

Der französische Philosoph Michel Foucault zählt das Kino, jenen „merkwürdigen, viereckigen Saal, in dessen Hintergrund man auf einem zweidimensionalen Schirm einen dreidimensionalen Raum sich projizieren sieht“ (2002:42, Übersetzung leicht abgeändert), zu den Heterotopien. Mit diesem Begriff bezeichnet er eine eigentümliche Klasse von Orten, die im sozialen Ordnungsgefüge, das auch und vor allem ein Gefüge von Räumen ist – Foucault spricht von „Plazierungen“ (ebd. 38) –, eine präzise Funktion wahrnehmen, diese Funktion aber zugleich transzendieren und damit unerwartete Effekte produzieren. Heterotopien haben mithin „die sonderbare Eigenschaft […], sich auf alle anderen Plazierungen zu beziehen, aber so, daß sie die von diesen bezeichneten oder reflektierten Verhältnisse suspendieren, neutralisieren oder umkehren“ (ebd.) Inwiefern der Kinosaal ein solcher Ort ist, wird bei Foucault nur angedacht. Die Heterotopologie, die Analyse der Heterotopien, wird von ihm nur mit groben Pinselstrichen skizziert. Ausgeführt hat er dieses Programm selbst nicht.

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Derrida/derrida

»Was über diesen Abschluss hinausreicht ist nichts:
weder Präsenz des Seins, noch der Sinn, noch die Geschichte,
noch die Präsenz; sondern Anderes, das keinen Namen hat,
das sich im Denken dieses Abschlusses ankündigt und hier unsere Schrift leitet.«
(Derrida, Grammatologie, S. 491)

»Schrecklich doch, o Phaidros,
hat doch die Schrift Ähnlichkeit mit der Malerei.«
(Platon, Phaidros, 275 d)

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Kollateralbilder

Der amerikanische Film Black Hawk Down (USA 2001, R: Ridley Scott) hat sehr unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Die einen – wie auch ich – sehen in dieser Visualisierung eines Militäreinsatzes keinen tauglichen Beitrag zur Diskussion um Kriegseinsätze, andere loben den von Kriegsfilmspezialist Jerry Bruckheimer produzierten Streifen wegen seiner »ungeschminkten«, »realistischen« Darstellung des Kriegsgeschehens. Es ist von »Reinheit« abseits aller politischen oder sonstigen Implikationen usw. die Rede. Das Motto lautet (altbekannt): Je »realistischer« und auch umfassender, technisch versierter das Kriegsgeschehen visualisiert werde, desto näher sei man am Thema und desto »realistischer« könne Krieg dargestellt und empfunden werden.

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Wunden

Wunden sind sichtbare Zeichen für Verletzung und Schmerz. Sollen diese eigentlich nicht-kommunizierbaren Phänomene vermittelt werden, so ermöglicht die Darstellung der Wunde dies noch am besten. Über sie wird beim Betrachter Empathie evoziert – aber auch Abscheu. Die blutende Wunde stößt ab – der Verwundete fordert jedoch Anteilnahme ein. Über den filmischen Kodierungsprozess und dessen Interpretation durch den Betrachter lassen sich eine Reihe sichtbarer und unsichtbaerer Wunden darstellen: von der Verletzung des Körpers über das psychische Trauma bis hin zur historischen (Erb-)Schuld. Filme bilden jede Form von Verwundung ab und bieten sich selbst als Bestandteil des Heilungsprozesses an.

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Der unsichtbare Text

Im Gegensatz zum Roman oder zur Kurzgeschichte führt das Drehbuch ein Dasein im Schatten. Fast eingeschüchtert, ins Niemandsland verbannt wie die Lyrik, die vom durchschnittlichen Leser nicht wahrgenommen, höchstens (vermeintliche) Triumphe in den Klassenzimmern unserer Schulen feiern kann. Das Drehbuch spielt in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle. Dabei ist es die Grundlage für Multimillionen-Dollar-Seller, die ja doch vom Großteil der Bevölkerung mit Begeisterung (manchmal zumindest) im Kino konsumiert werden. Doch das wird nur am Rande wahrgenommen. Die Berufsbezeichnung »Drehbuchautor« wird von Außenstehenden jedoch eher positiv bewertet. Wahrscheinlich hat man direkt die Vision von Regisseuren und Stars, die dem Autor glücklich auf die Schulter klopfen, weil der ihnen eine tolle Idee oder eine wunderbare Rolle auf den Leib geschrieben hat. Ein toller Job also. Aber gelesen? Gelesen wird das Drehbuch nicht. Zumindest nicht im privaten Bereich. Die Ignoranz des Drehbuchs hängt stark mit seiner Entstehungsgeschichte, aber auch mit seinem Textstatus zusammen.

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Schicht um Schicht

»Kunst« ist immer auch die mutwillige Veränderung des Zustandes einer Ressource in einen anderen, eine vorher so nicht da gewesene Form oder Zusammensetzung. Gefühlskalt ließe sich auch Zerstörung auf diese Art fast wortgenau definieren. Der Zusammenhang zwischen Kunst und Zerstörung ist somit ein ganz immanenter der Wesensverwandtschaft.

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Film und Metapher

David Cronenberg erinnert sich: »Einmal rief mich ein amerikanischer Kritiker an, der mir sagte: ‚Für einen Amerikaner sind Ihre Filme wie ein seltsamer Traum. Die Straßen wirken amerikanisch, sind es aber nicht. Die Personen sehen aus wie Amerikaner, sind aber keine. Sie sprechen wie Amerikaner und sprechen doch anders.’« Wollte man Cronenbergs Kino grob situieren, so könnte man seine Filme als eine Art Synthese zwischen dem recht puren Amerikaner David Lynch und dem recht puren Europäer Peter Greenaway bezeichnen. Mit seinem Kleinstadthorror in Blue Velvet (USA 1986) und Twin Peaks (USA 1990) und seinen Verirrungen auf dem Lost Highway (USA 1996) und dem Mulholland Drive (USA 2001) bebildert Lynch die Kehrseite des amerikanischen Traums. Die barock überladenen Bild-Ornamente eines Greenaway stehen somit in einem größtmöglichen Gegensatz zu Lynchs Gewalt-Agonie. Eine Art Synthese zwischen Lynchs amerikanischer Erzählweise und Greenaways Poetik erreicht Cronenberg dadurch, dass sein filmisches Schaffen selbst dann ausdrücklich von der Literatur geprägt ist, wenn er, wie bei seinen frühen Filmen, die Drehbücher selbst verfasst hat. Nabokow, Beckett und Kafka zählen zu Cronenbergs Lieblingsautoren, aber auch William S. Burroughs. In Naked Lunch (Can 1991), Cronenbergs Burroughs-Verfilmung, sagt die Frau des Kammerjägers Bill Lee, nachdem sie sich mit einer Heroin-Nadel das Wanzenpulver ihres Mannes in die Venen (bzw. in die Brust) geschossen hat: »Es ist ein Kafka-Rausch. Du fühlst Dich wie ein Käfer«. Das ist zugleich eine treffende Bezeichnung für Cronenbergs Vorlieben für Verwandlungen, Metamorphosen und Deformationen im körperlichen und seelischen Bereich.

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»Ich schneide nur die Haare« – Willkommen in Coen County!

Ed Crane (Billy Bob Thornton) arbeitet als Barbier in einer amerikanischen Kleinstadt, in the middle of nowhere, dort, wo die Zeit stehen geblieben ist. Man schreibt das Jahr 1949, zeitgenössisch brisante Themen werden im Friseursalon debattiert, um das Gespräch am Laufen zu halten. »Die Russen haben eine Atombombe gebaut«, sagt ein Kunde eher beiläufig.

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