Kollateralbilder

Der amerikanische Film Black Hawk Down (USA 2001, R: Ridley Scott) hat sehr unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Die einen – wie auch ich – sehen in dieser Visualisierung eines Militäreinsatzes keinen tauglichen Beitrag zur Diskussion um Kriegseinsätze, andere loben den von Kriegsfilmspezialist Jerry Bruckheimer produzierten Streifen wegen seiner »ungeschminkten«, »realistischen« Darstellung des Kriegsgeschehens. Es ist von »Reinheit« abseits aller politischen oder sonstigen Implikationen usw. die Rede. Das Motto lautet (altbekannt): Je »realistischer« und auch umfassender, technisch versierter das Kriegsgeschehen visualisiert werde, desto näher sei man am Thema und desto »realistischer« könne Krieg dargestellt und empfunden werden.

Die Macht der Bilder und das Bild vom Bild

Die Macht der Bilder scheint uns – in unterschiedlichem Maße und bei unterschiedlichen Gelegenheiten, nicht nur, was Kriegsfilme angeht – zu überwältigen – in einem doppelten Sinn. Es ist natürlich »grandios«, wenn vor uns die Leinwand-Granaten umeinander fliegen, der Leinwand-Tod seine Spuren hinterlässt, das Leinwand–Blut seinen Leinwand-Schrecken verbreitet. Doch halt! Wir sitzen im Kino und nicht in Afghanistan oder Somalia. Zweitens: Der Schein des Realismus, der in »realistischen«, sich fast schon dokumentarisch gebenden Kriegsgeschehens-Filmen, über uns kommt – die wir im Kinosessel hocken! – verblendet uns so weit, dass die Möglichkeit zur Reflexion außer Kraft gesetzt zu sein scheint. Wir nehmen »es« für bare Münze. Immer noch werden Dokumentarfilme – über welchen Gegenstand auch immer – für »die« Wirklichkeit genommen, obwohl sie doch »nur« einen vom Dokumentarfilmer gewählten interesse- und erkenntnisgeleiteten Ausschnitt der Realität visualisieren.

Die Macht der Bilder – worin besteht sie eigentlich? In einem doppelten Betrug, den wir gern in Kauf nehmen. Der erste Betrug ist der des Filmemachers: Er will »realistisch« oder auch emotional schildern, wie er »es« sieht. Er möchte uns betören von etwas, was er für wichtig hält usw. Der zweite Betrug liegt bei uns selbst. Die Bilder, die wir von etwas haben, sind unsere subjektiven Bilder, unsere Vorstellungen von einem Gegenstand, aber nicht der Gegenstand selbst, als solcher. Die Bilderwelten stoßen im Kino aufeinander, gleichen sich ab. (Beim Lesen geschieht dies übrigens auch: Wir machen uns Bilder von den Personen, Umständen, Vorgängen usw.)

Dieser Doppelbetrug ist nur dann keiner mehr, wenn wir die Bilder selbst dekonstruieren – die gezeigten wie die eigenen. Für das Erkennen der Wirklichkeit ist vor allem einer unserer fünf Sinne enorm bedeutungsvoll geworden: Das Sehen, nicht das biologische, sondern das kulturell geprägte und individuell ausgestaltete, auf Erfahrung und Erinnertem und dessen Bedeutung für uns gestützte Sehen. (Niemand kann »nur biologisch« sehen.)

Das Bild vom Krieg und das Kino als Krieg

Der 1997 verstorbene amerikanische Regisseur Samuel Fuller, der selbst den Kriegsfilm Der Stahlhelm (USA 1951) produzierte und Kriegsteilnehmer war, äußerte sich zum Thema einmal wie folgt: »Um dem Publikum eine Ahnung zu vermitteln, was im Krieg wirklich geschieht, müsste man sich vor die Leinwand stellen, einen Revolver ziehen und ein paar Zuschauer erschießen.« (Gansera, 1988: 18 ff.) Das deutet nicht nur darauf hin, dass jede Erfahrung nur subjektiv erlebt, aber kaum, nur bis zu einem gewissen Grad des gedanklichen Nachvollziehens und des Mitleids intersubjektiv vermittelt werden kann, sondern auch auf die oft verharmlosende Funktion des Kinos selbst. »Der Film ist wie ein Schlachtfeld«, meinte Fuller, »auf dem sich Liebe, Hass, Action, Gewalt und Tod abspielen … mit einem Wort: Emotionen.« (Ebd.) Das bewegt uns Voyeure im Kinositz.

Andere, wie Paul Virilio, gingen noch weiter und erklärten den Film selbst zur Waffe, wiesen auf die innere Verwandtschaft von Kino und Krieg hin.

»Der Kriegsfilm muss nicht ein bestimmtes kriegerisches Geschehen wiedergeben, da der Film selbst in die Kategorie der Waffen gehört. […] Das Schlachtfeld war von Anfang an ein Wahrnehmungsfeld, und das Kriegsgerät für Heerführer und Waffenträger ein Darstellungsmittel, vergleichbar dem Pinsel und der Palette des Malers […]. Für den Krieger geht die Funktion des Auges auf in der Funktion der Waffe. Deshalb haben die Kinematik der Kriegsfliegerei und der von ihr bewirkte Zusammenbruch des räumlichen Kontinuums seit 1914 die alte homogene Sicht der Dinge zum Platzen gebracht und zur Heterogenität der Wahrnehmungsfelder geführt. […] Der Film kann Unsichtbares sichtbar machen, das Sehen erleichtern. Er verbindet sich mit den Intentionen der Militärs, die feindliche Landschaft zu deuten und mittels beobachteter Prozesse unbekannte Prozesse zu realisieren. […] Innerhalb von 150 Jahren hat sich das Schussfeld in einen Drehort verwandelt, das Schlachtfeld ist zu einem für Zivilisten zunächst gesperrten Filmset geworden.« (Virilio, 1989: 14, 35, 46, 20).

Die Industrialisierung, nicht nur die Technisierung, des Krieges wie des Bildes schafft einen neuen Wahrnehmungsraum: den Raum, in dem das Auge über die Waffe respektive den Film seine aufklärende, vermessende, bestimmende Funktion erweitern kann und auch tatsächlich erweitert, ja verändern muss. Die Kriege der absoluten Monarchen folgten noch festgelegten Ritualen. Der Raum war im wesentlichen vermessen, bevor der Krieg – meist eine Aufeinanderfolge von einzelnen Schlachten – seinen Gang nahm. Der moderne Krieg erfordert die Ausmessung des Raum in jedem Moment, die Planung, die Übersicht, die detaillierte Vermessung usw. Insofern gleicht er der Planung und Inszenierung des produzierten Bildes im Film. Beiden gleich ist auch die geforderte Flexibilität: im Kriegsgeschehen wie am Set kann sich einiges ändern.

Noch ein anderer Gesichtspunkt nähert Krieg und Kino einander an. Die Nutzung moderner visueller Instrumente durch den Militärapparat korrespondiert mit der Kamera im Entstehen des Films: Das durch diese Techniken verlängerte Auge macht Dinge sichtbar oder gar erst möglich, kann verändern, zerstören und konstruieren. Trotz alledem aber ist Kino auch Nicht-Krieg. Denn noch niemand ist durch einen Film getötet worden. Sobald daher der Krieg Gegenstand des Films wird, kann (wie bei kaum einem anderen Thema) die Illusion entstehen, das Auge nehme den Krieg so war, wie er »ist«. Die Verwandtschaft zwischen der Deutung des modernen Kriegsgeschehens und der Deutung mittels visueller Inszenierung erreicht eine weitgehende, wenn auch nicht in allen Einzelheiten identische Kongruenz in Kriegen wie den Golfkriegen, deren Geschehensabläufe uns in die Wohnzimmer gelegt wurden.

Film ist eine Art von Propaganda, Werbung, Animation, ob der einzelne Regisseur oder Drehbuchautor das beabsichtigt oder nicht, spielt keine Rolle. Man kann dann nur noch unterscheiden, ob diese Propaganda bewusst mit einer bestimmten und bestimmbaren Absicht verknüpft ist oder »nur« unbewusst den kulturellen Pfaden folgt, denen wir mehr oder weniger alle folgen. Für das Publikum, das den Kriegsfilm »besucht« (kennt man Leute, die einen Krieg besucht haben?) gilt, was für Kinobesucher insgesamt gilt: Wir geben uns dem »Delirium der Gewalttätigkeit«, der »Lust am Faszinosum« Krieg (Gansera, 1988: 19) hin, einer Ebene, die die meisten nicht aus eigener Erfahrung kennen – aus welchen Gründen auch immer: Langeweile, »harmlosem« Sadismus, Hang zu einer Mischung aus Sentimentalität und Brutalität.

Krieg hat etwas zu tun mit Autorität und Unterwürfigkeit. Die militärischen Strukturen sind solche des unbedingten Befehls und Gehorsams. Wenn Ridley Scott zu seinem Kriegsfilm Black Hawk Down, der einen letztlich gescheiterten Militäreinsatz von US-Einheiten in Mogadischu (Somalia) gegen dort sich bekämpfende Warlords zum Thema hat, bemerkt, dass im Krieg kein Soldat mehr nach den Ursachen oder politischen Hintergründen fragt, die dazu geführt haben, sondern für ihn nur noch zähle, dass einem die Kugeln um die Ohren fliegen und man schauen müsse, wie er und die anderen dem entkommen können, dann reduziert er die Atmosphäre im Kino genau auf diesen Punkt: auf die »magische Identifikation« (Gansera) mit dem und den Helden, mit ihrem Denken, Fühlen und Handeln.

Der Betrug dabei ist, dass eine solche Identifikation zwei Seiten hat. Das Magische besteht nämlich darin, dass dem Kinobesucher in der Regel die Kriegserfahrung und alles, was damit zusammenhängt fehlt. Er identifiziert sich also mit einem Helden, dessen Denken und Fühlen filmisch vorgegaukelt ist: sprich, mit den Vorstellungen, die die Filmemacher mit der Visualisierung bewusst oder unbewusst vermitteln, verknüpft ist. Das gilt für andere Filme im übrigen auch. Nur, die andere Seite des Magischen besteht eben darin, dass über diese Identifikation dem Krieg das Grauen genommen wird, das, was wirkliche Soldaten in wirklichen Kriegen erlebt haben: Die Kugeln von Fuller.

Totale Enthistorisierung und moralisierende Aufladung

Ein durchgehendes Merkmal des Kriegsfilms – mit wenigen Ausnahmen wie etwa Kubricks Paths of Glory (USA 1957) – besteht in der fast völligen Enthistorisierung des behandelten Krieges bei gleichzeitiger ethischer Aufladung der Kriegsgeschehnisse bzw. der Soldaten zu »Helden«. Unter Enthistorisierung verstehe ich hier nicht, dass Filme Bezug auf einen Krieg oder Teile des Kriegsgeschehens nehmen. Das trifft auf fast alle Filme des Genres zu. Enthistorisierung meint die Isolierung eines Ereignisses oder Geschehensablaufs aus einem konkreten sozialen, weltpolitischen oder auch nur teilweise in Bezug genommenen Kriegskontext, das sodann ideologisch aufgeladen der Legitimation vor allem aktueller (welt-)politischer Abläufe dient. Das bedeutet, dass nicht mehr die Aufklärung eines Krieges und seiner Umstände oder auch nur zentrale Fragen der Entstehung bzw. Ursachen von Krieg oder die (auch psychologische) Bedeutung des Kriegsgeschehens für Soldaten und / oder Zivilbevölkerung im Fokus der filmischen Inszenierung stehen, sondern Herrschaft legitimierende und ideologische Fragen vor allem der Gegenwart.

Pearl Harbor (USA 2001), in dem Michael Bay den Überraschungsangriff japanischer Bomber auf den US-Militärstützpunkt im Pazifik während des zweiten Weltkrieges behandelt, hat hier neue Maßstäbe gesetzt. Der technologischen Perfektion der Bombardierung im Film – in diesem Fall möglichst blutfrei, da gleichzeitig eine Liebesgeschichte erzählt wird – steht die völlige Ausblendung der historischen Bedeutung des Geschehens während des zweiten Weltkrieges gegenüber. So verkommt der »Tag der Schande« (Roosevelt) und damit der zweite Weltkrieg insgesamt vor allem zu einer moralischen Niederlage der Vereinigten Staaten, zu einem Zeitpunkt, als die deutsche Wehrmacht kurz vor Moskau stand und Millionen Menschen im Krieg und in den Lagern der Nationalsozialisten bereits ihr Leben lassen mussten.

Ähnliches gilt für Behind Enemy Lines (USA 2001, R: John Moore). Der Kampf »Mann gegen Mann« reduziert die komplizierte und komplexe Geschichte des Ex-Jugoslawien-Konflikts auf eine schlichte Auseinandersetzung zwischen »Nur-Gut« und »Nur-Böse«, zwischen den menschenrechtlich gesinnten US-Soldaten und den brutalen Serben, die hier geradezu als »Untermenschen« dargestellt werden. Noch deutlicher ist hier We Were Soldiers (USA 2002, R: Randall Wallace), der die vermeintliche Vietnam-Kriegs-Erfahrung in der Formel des Regisseurs zusammenfasst: »[…] mein Film feiert das Heldentum der Soldaten und ihrer Familien. […] Die Soldaten waren nicht vom Wunsch zu töten motiviert. Sie wollten überleben« (Interview der »Welt« mit Randall Wallace). Diese totale und absichtliche Ausblendung der Ursachen von und Motivation für Krieg will das Kriegsgeschehen auf eine (oft noch dazu rührselige) Angelegenheit einzelner Soldaten verkürzen. Auf ähnliche Weise hat John Woo – entlang einer simplifizierenden Auseinandersetzung mit der Frage von Schuld im Krieg – die historische Dimension des zweiten Weltkrieges auf eine individuelle Frage verkürzt. Wenn sich Nicolas Cage in Windtalkers (USA 2002, R: John Woo) immer wieder fragt – und dabei zunehmend zu einem armseligen »Trauerkloß« verkommt –, welche Schuld er auf sich geladen hat, fragt niemand mehr nach der Verantwortung von kriegsmobil gemachten Gesellschaften.

Aber auch für die Filme, die den Kampf gegen terroristische Machenschaften zum Thema haben wie Bad Company (USA 2002, R: Joel Schumacher) und The Sum of All Fears (USA 2002, R: Phil Alden Robinson) ist Geschichte Mangelware: da Terroristen, dort ihre heroischen Gegner. Die Enthistorisierung komplexer Zusammenhänge schafft frischen Atem für einfache Lösungen, »klare« Verhältnisse und Schwarz-Weiß-Malerei. Dass es die Vereinigten Staaten und teilweise auch die europäischen Länder waren und sind, die durch eine ungerechte und eigennützige Weltpolitik Grundlagen zumindest für die Macht terroristischer Politik geschaffen haben, blenden solche Filme bewusst aus. Das Beispiel Afghanistan ist bekannt: Bin Laden und die Taliban waren einmal geschätzte Leute bei einem Teil der politisch Verantwortlichen des Westens.

Nun könnte man dem entgegenhalten, die Kinogänger könnten sich doch über die Zusammenhänge selbst anderweitig informieren. Dieses Argument auf romantische Liebesdramen angewendet, wirkt lächerlich, bei Kriegsfilmen scheinbar nicht. Insbesondere verkennt dieser Einwand jedoch die Macht der visuellen Manipulation. Bei einer »ungerechten« Darstellung wirklicher Kriege in den Medien herrscht Empörung; bei Visualisierungen solcher Kriegsereignisse im Film sprechen dieselben Kritiker hingegen von »Realismus«. Der Grund für solche Reaktionen ist banal: Während bei romantischen Komödien oder auch Dramen – und das ist ein entscheidender Punkt – die eigene Erfahrung des Kinopublikums zumeist vorhanden ist und daher ein Abgleich der Erfahrungshorizonte mit dem visuellen Geschehen erfolgen kann, ist dies bei Kriegsfilmen nicht der Fall. Krieg ist heutzutage – zumindest für die meisten Europäer, aber auch für die Mehrheit der Amerikaner – eben »nur noch« ein Fernseh- oder Kinoereignis. Der Krieg hat seine Alltäglichkeit und Allgegenwärtigkeit verloren – bis auf diejenigen, die wie Samuel Fuller oder wie ein Teil der jungen Berufssoldaten in der US-Army oder der britischen Armee in den letzten Jahren an Kriegen teilgenommen haben. Umso wichtiger müsste die Einbettung solcher Ereignisse in ihren historischen Kontext auch im Film sein.

Heldenmythos – Kadavergehorsam – Landserromantik

Enthistorisierung schafft Raum für anderes. In den Landserromanen der Nachkriegszeit wurde der Zusammenhalt der »einfachen« Soldaten, das »natürliche Heldentum« gefeiert. In den modernen Kriegsfilmen setzt sich dies fort. Sie kommen dabei teilweise ohne patriotisches Pathos aus, teilweise – wie in We Were Soldiers – pflegen sie es wie die gezüchteten Rosen im Vorgarten der an der Heimatfront gebliebenen Ehefrauen bis zum Exzess. Sie bemühen dabei scheinbar sogar eine anti-staatliche Tendenz. Die Soldaten in We Were Soldiers oder auch K-19: The Widowmaker (USA 2002, R: Kathryn Bigelow) und in Black Hawk Down werden von Idealismus (Josh Hartnett) getrieben, sind »eben abkommandiert worden«, jedenfalls aber in den Krieg »hineingerutscht«, ohne dass sie die treibende Kraft dabei waren. Oder sie wurden – wie Harrison Ford in K-19: The Widowmaker – von den Verantwortlichen im Kreml in Bezug auf ihre patriotische Gesinnung bitter enttäuscht.

In all diesen Fällen bleibt nur eines: die Pflege »soldatischer Tugenden« unter einem »modernen« Firmenschild. Das hat so gar eine gewisse Logik. Denn tatsächlich verhält es sich so, dass Soldaten, die in Kampfhandlungen getrieben werden, oft nichts anderes übrig bleibt als der Versuch, ihre Haut und die ihrer Mit-Soldaten zu retten, wenn es »zur Sache geht«. Die Täuschung besteht darin, dass Regisseure diesen Zwang, diese Not (!), in die jeder kämpfende Soldat gerät oder geraten kann, zu einer Tugend (!) umwandeln. Genau das haben Ridley Scott in Black Hawk Down und Randall Wallace in We Were Soldiers unternommen. Die verengten Verhältnisse, die geringen Überlebenschancen, das erhöhte Risiko einer kämpfenden Truppe im Krieg, die Reduzierung der Menschen zu Soldaten unter einem strikten Reglement von Befehl und Gehorsam wird als Heldentum gefeiert. Genau hier liegt ein bedeutsamer Unterschied z.B. zu Kubricks Paths of Glory oder auch Full Metall Jacket (USA 1987), selbst zu Platoon (USA 1986, R: Oliver Stone). Diese Filme – auch Kriegsfilme – haben in unterschiedlichem Maße versucht, über die Zeichnung der handelnden Personen die geschichtliche Situation, die Mentalität in das Geschehen einfließen zu lassen. Heute gilt scheinbar nur noch: Lasst die Sektkorken knallen für unsere mutigen Soldaten!

Und genau das ist der Skandal bei diesen Filmen: Das Desaster der kämpfenden Soldaten wird zu einem Mythos von Heldentum, Landserromantik modernen Stils und nicht zuletzt Kadavergehorsam ausgebildet. Danach, wer eigentlich wem weswegen gehorcht und sich in den Kampf stürzen lässt, fragt in diesen Filmen – zum Teil erklärtermaßen! – niemand. Und es gibt (leider) Filmkritiker und andere, die das für positiv erachten. Diese gedanklich-filmische Metamorphose von der Not zur Tugend ist nicht neu. Auch deutsche Nachkriegsfilme über den zweiten Weltkrieg, Kriegs(erlebnis)romane der 50er Jahre und die besagten Landserheftchen haben sich genau dieser eigentümlichen Metamorphose verschrieben und dabei auch noch »kameradschaftliches Soldatentum« gegen den Nationalsozialismus abgegrenzt.

Instrumentalisierung von ungerechten Strukturen

Vehement gepolstert wird dieses blendende Bild vom Krieg durch die Instrumentalisierung von ungerechten Strukturen (z. B. das von Warlords verwüstete Somalia in Black Hawk Down), Völkermord (etwa die Politik der ethnischen Säuberungen Milosevics in Ex-Jugoslawien), Rassismus (in Men of Honor (USA 2000, R: George Tillman Jr.) die rassistischen Reaktionen darauf, dass ein schwarzer Amerikaner gegen den Widerstand weißer Rassisten eine militärische Karriere machen will) oder Terrorismus (wie in The Sum of All Fears oder Bad Company) zur vermeintlich nichts zu widerlegenden Einsicht, dass alles, aber auch wirklich alles im Kampf gegen Ungerechtigkeit und Menschenrechtsverletzungen erlaubt ist. Wer die Menschenrechte, die Humanität, die positiven Werte der Zivilisation auf seine Fahnen zu schreiben weiß, kann an nichts mehr gehindert werden. In Bad Company bewegt sich die CIA über alle Grenzen hinweg all over the world: Freie Bahn für freie Männer. Kriegsfilme entwickeln eben ihre eigene lehrhafte Dynamik.

In We Were Soldiers antwortet Mel Gibson seiner kleinen Tochter auf die Frage »Papi, was ist ein Krieg?« »Es ist etwas, was nicht geschehen sollte; wenn Menschen versuchen, anderen Menschen das Leben zu nehmen, dann gehen Soldaten wie dein Daddy dorthin, um das zu verhindern.« Dieser Satz drückt aus – man kann es kaum kürzer und prägnanter formulieren –, was moderne Feinderklärung ausmacht – hier sogar bar jeder Stilisierung des Feindes als »Untermensch«, der Feind wird zur Anonymität verdammt, ein Feind, der mordet und von Daddy in We Were Soldiers mit Napalm (!) daran gehindert werden soll. Dass die Soldaten in einem Krieg, der so lange dauerte wie der Vietnam-Krieg, auf beiden Seiten verrohen, erhält hier die dramaturgische Weihe einer unvermeidlichen Notwendigkeit.

Die Reduktion auf den Kampf als Reduktion der Reflexion

Enthistorisierung, Heldenmythos, Landserromantik und das alle Argumentation (scheinbar) hinwegfegende Argument des »gerechten« Krieges in Verteidigung der Menschenrechte können wahlweise kombiniert werden, wie man deutlich sehen kann. Hinzu kommt jedoch in fast allen neueren Kriegsfilmen die Reduktion des Krieges auf das Kampfgeschehen (wie oben bereits ausgeführt) und der (teilweise, muss man annehmen, aus Interesse verbreitete) Glaube, je perfekter man dieses Kampfgeschehen zeige, je länger auf Zelluloid »gekämpft« werde, desto eindrücklicher könne dem Publikum Krieg nahe gebracht werden. Dieses Argument kann von Anti-Kriegsfilmern wie Kriegsfilmern – wenn man diese Unterscheidung von der Motivation her zulässt – verwendet werden – und ist wie dargelegt irrig. Das Argument ist nicht neu. Neu ist allerdings, dass die modernen (filmtechnischen) Produktionsmittel es immer optimierbarer zulassen, den Bomben- und Granatenhagel »realistisch« erscheinen zu lassen.

Über dieses Argument wird blindlings vergessen, wo wir uns befinden: im Kino. Der Soldat im Angesicht des Krieges und des Todes ist etwas völlig anderes als der Zuschauer im Angesicht des Films und des gemütlichen Beisammenseins hinterher bei einem Glas Wein. Würde jemand auf die Idee kommen, in einen Krieg zu gehen, nicht um am Kampfgeschehen teilzunehmen, sondern um es zu beobachten? Die meisten wohl nicht, weil sie wissen, wie gefährlich das wäre. Aber es gibt vergleichbare Situationen. Man denke nur an die vielen Schaulustigen bei Unfällen auf der Autobahn. Und warum gehen wir ins Kino? Letztlich aus keinem anderen Grund. Wozu soll man sich überhaupt einen Kriegsfilm ansehen. »Stell Dir vor, es gibt Kriegsfilme und keiner geht hin« (Gansera). Von wegen! Wir alle gehen dort hin, nicht um unseren Ekel vor dem Krieg zu bestätigen, um einige Argumente für oder gegen den Krieg zu erhalten. Wir gehen hin als Schaulustige, übrigens nicht nur in Kriegsfilme. Wenn James Stewart in Hitchcocks Rear Window (USA 1954) mit Hilfe eines Teleobjektivs seine Nachbarn beobachtet, ist das im Prinzip nichts anderes, als wenn wir den Film-Soldaten Scotts in Somalia zusehen. Kino ist Krieg.

Kino ist Krieg, weil wir Voyeure sind. Wir erfreuen uns an Freud und Leid des Inszenierten, an Leben und Tod, an Liebe und Hass, an Wut und Verständnis. Wir saugen diese Gefühle in uns auf. Wir ekeln uns, wir sind erleichtert – was auch immer. Aber wir sollten auch so ehrlich sein und uns eingestehen, dass wir nicht allein wegen »Spaß«, geistiger Erbauung oder intellektuellem Interesse ins Kino gehen. Wir wollen lachen: über die Komödianten, wenn sie stürzen, und weinen über die tragischen Helden. Das Gegenteil zu behaupten wäre Selbstbetrug.

Wunden und Pseudo-Wunden

Neue Tendenzen im amerikanischen Kriegsfilm? Ja und nein. Ja, weil die technische Perfektion, die ein »naturalistisches« Bild des Kriegs zu vermitteln verspricht, uns alle blendet oder zumindest blenden kann. Nein, weil die leitenden Motive – seien es der »realistische Ansatz«, seien es Heldenmythos oder Propaganda – die Geschichte des Kriegsfilms durchziehen.

Vergleicht man nun die genannten neueren Kriegsfilme mit anderen, tun sich noch andere Unterschiede auf. Wenn Black Hawk Down oder We Were Soldiers verwundete, zerschossene, zerfetzte Leiber präsentieren, dann rekurrieren solche Filme auf die physischen Wunden, bis hin zum Tod, als eigentliche Wunden des Krieges. Die ab und zu visualisierten psychischen Wunden verkommen in derlei Inszenierungen zu aufgesetzten, fast könnte man sagen: an-gedichteten Verwundungen der patriotischen Seelen. Das war in anderen Filmen teilweise ganz anders. Kubrick hat beispielsweise in Paths of Glory (USA 1957) und in Full Metal Jacket (USA 1987) nicht das Kampfgeschehen in den Vordergrund beider Filme gestellt, sondern eine ganz andere Absicht verfolgt: die Demontage des militaristischen Systems. Patriotismus sei die letzte Zuflucht eines Schurken, lässt er in Paths of Glory Colonel Dax zu General Mireau sagen. Das militaristische System, das Kubrick demontiert, hat nur einen Zweck: seine eigene Aufrechterhaltung. Wenn dafür ein Sieg notwendig ist, muss gesiegt werden. Wenn dafür die Opferung eines Generals erforderlich ist, muss der General geopfert werden. Und so weiter. Diejenigen, die sich in diesem System befinden, sind ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Keiner der Soldaten, weder die des Erschießungskommandos, noch Dax, letztendlich nicht einmal Roget, der Feigling, dessen Feigheit das System selbst initiierte, wollen, dass drei Soldaten exekutiert werden. Aber sie tun, was ihnen befohlen wurde. Das enthüllt nicht nur die Brüchigkeit und Absurdität dessen, was »Kameradschaft« genannt wird, sondern die ganze Verlogenheit dieser »Kameradschaft«, die nichts anderem dient als der Aufrechterhaltung des Systems von Befehl und Gehorsam. Die Selbstschutzmechanismen, die die »Kameradschaft« beinhaltet, haben ihre Grenzen genau in diesem Punkt.

Ein ähnliches Leitmotiv bestimmt Full Metal Jacket. Private Joker heißt nicht nur so, er ist ein Joker im Spiel der Militärs. In der Rekrutenausbildung sollen alle, ausnahmslos, zu ent-subjektivierten Kampfmaschinen geformt werden. Nur Private (»Pyle«) Leonard hält dieser totalen Unterwerfung nicht stand, die alles vergessen machen und ausradieren möchte, was die Soldaten vorher waren. Er wird verrückt, muss verrückt werden, und tötet den Schinder und dann sich selbst. Joker lebt in der Illusion, seine moralischen Wertvorstellungen trotz Rekrutenausbildung und Vietnamkrieg aufrechterhalten zu können. Am Schluss tötet er eine Frau, die als Heckenschützin die Amerikaner beschossen hat, als wenn es ein alltäglicher Akt wäre, zugleich aus einem Gefühl des Mitleids, weil die schwer verwundete Vietnamesin keine Chance zum Überleben hat und sie ihn bittet, sie zu erschießen. Der Tod – das ist die Perversion des Geschehens – scheint hier die letzte Möglichkeit des Mitgefühls. Auch in diesem Film werden die wirklichen Wunden ganz woanders verortet als in We Were Soldiers usw.

Oliver Stone hatte ebenfalls ein anderes Leitmotiv als Ridley Scott. In Platoon (USA 1986) verarbeitet er seine eigenen Erfahrungen als Soldat im Vietnamkrieg und zeigt die Hölle jenseits aller Ideologie und jenseits allen Patriotismus – aber nicht vor allem anderen als äußerliches Kampfgeschehen, sondern als innere Hölle der Verrohung.

Ähnliches gilt für die apokalyptische Höllenfahrt des Captain Willard in Francis Ford Coppolas Apocalypse Now (USA 1979 / 2001). Die Flussfahrt Willards und der anderen zu Colonel Kurtz repräsentiert die seelische Hölle, in der sich die Beteiligten befinden, und die damit verbundenen Wunden. Die gespenstische Stille im Dschungel, der nicht mehr für sich selbst, sondern für den Dschungel des Lebens steht, in dem Kurtz seine letzten Tage verbringt, drückt die Perversion dessen aus, was Zivilisation ausmacht. Nicht die Menschenrechte, irgendein humaner Forschritt oder dergleichen herrschen hier, sondern der Krieg gegen den Krieg, den Kurtz mit aller Brutalität führt. Die Zivilisation wendet sich gegen sich selbst und erfüllt doch zugleich ihr ureigenes Anliegen: die Herrschaft des Menschen über den Menschen, über die Natur, über das Dasein. Willard ist Augenzeuge, Täter und Opfer zugleich. Er tötet Kurtz wie die Vietnamesen den Ochsen in einer Opferzeremonie, mit einer Machete. Der Mythos des (religiösen) Opfers aber verkommt zum Eingeständnis der völligen Unterordnung unter die Regeln der kriegerischen Gesellschaft, als die sich die Zivilisation letztlich erweist. Aus dem Kult der Vorfahren wird der Kult des Todes. Wie sagte Kurtz: »Das Grauen. Das Grauen hat ein Gesicht. Und man muss sich das Grauen zum Freund machen. Das Grauen und der moralische Terror sind deine Freunde. Falls es nicht so ist, sind sie deine gefürchteten Feinde.«

Schließlich hat auch Steven Spielberg in Saving Private Ryan (USA 1998) ein zentrales Leitmotiv, eine wichtige Frage in den Vordergrund der Inszenierung gestellt: In welcher Situation ist ein Leben mehr wert als ein anderes? Der Befehl aus dem Hauptquartier an Captain Miller lautet: Rettet Mutter Ryan den letzten von vier Söhnen. Für Miller und die anderen ein völlig unverständlicher Befehl. Jeden Tag nach dem D-Day sterben Soldaten, und sie sollen jetzt einem von ihnen das Leben retten? Wozu? Saving Private Ryan lebt von der Spannung zwischen diesen beiden Erfahrungshorizonten, dem der Heimat des Generals, der den Befehl zur Rettung Ryans anordnete, und dem der in Frankreich kämpfenden Soldaten.

In all diesen Filmen sind es derartige leitende Motivationen, Fragestellungen, Thesen, die im Vordergrund der Handlung stehen, nicht das Kampfgeschehen, nicht die Absicht, Krieg »so realistisch wie möglich« erscheinen zu lassen, nicht die patriotische Verklärung, nicht die ideologische Instrumentalisierung. Selbst wenn Spielberg in der Eingangssequenz zu Saving Private Ryan die Landung der Amerikaner in Frankreich zeigt, will er – mit einer wackelnden Handkamera, als ob ein Filmjournalist dabei gewesen wäre – nur eine Annäherung an das vermitteln, was Soldaten in einer solchen Situation empfunden haben könnten. Eine chaotische Szenerie, eine unkontrollierbare Situation für jeden einzelnen, ein Lotteriespiel mit dem Titel: Wer wird überleben und weiter kämpfen? Doch im Unterschied zu Black Hawk Down erzählt Spielberg dann eine Geschichte.

Schluss

Der Kalte Krieg ist zu Ende. Die neuen Feindbilder sind vorhanden. Gerade die oben genannten neueren amerikanischen Kriegsfilme beweisen einmal mehr, wie funktional, instrumentell sich dieses Genre darstellt. Terrorismus und säbelrasselnde Staaten des Nahen Ostens sind die neuen Feindbilder. Nicht, dass es sie nicht gäbe. Nur, wer die Diskussionen um die teilweise jahrzehntelangen Konfliktherde dieser Welt verfolgt hat, wird kaum zu der Ansicht gelangen können, davon würde in den o. g. Kriegsfilmen auch nur annähernd etwas realistisch geschildert, Black Hawk Down macht da, wie gezeigt, keine Ausnahme. Solche Filme tragen nicht zur Lösung von Konflikten oder auch nur zu einem besseren Verständnis bei. Sie locken uns – wenn wir nicht widerstehen – in den Krieg der Gefühle, der sich auf der Leinwand abspielt, Gefühle, die täuschen und betrügen können, wenn man sie mit dem, was in der Welt wirklich passiert, vergleicht.

Wer beispielsweise ernsthaft die Lösung des Israel-Palästina-Konflikts erwägt, würde der sich auf die Seite der verhetzten und offenbar zu allem bereiten Kriegstreiber auf welcher Seite auch immer stellen? Ich spreche nicht gegen den Einsatz von Militär. Es gibt – auch das lehrt die Geschichte – Situationen, in denen dies ernsthaft in Erwägung gezogen werden muss. Die Kriegsfilme der letzten Zeit aber sind dazu keine tauglichen Berater.

Ulrich Behrens

Literatur

  • Behet, Ralf, und Behet, Christian: Der unterhaltsame Krieg. Über den Widerspruch zwischen den Gesetzen des Kinos und dem Wesen des Krieges, erhältlich unter: http://home.ins.de/~fmj/Docs/kino_krieg.html
  • Gansera, Rainer: »Krieg und Geilheit, die bleiben immer in Mode« (Shakespeare). Anmerkungen zum Kriegsfilm, in: epd Film 11/1988, S. 18ff.
  • Preußer, Hans-Peter: Tödliche Blicke. Filmische Typologien des Fotografen, des Reporters und des Regisseurs im Krieg. Vortrag zur Tagung »Krieg in den Medien und die ›Neue Weltordnung‹«, veranstaltet vom Internationalen Arbeitskreis Literatur und Politik in Deutschland in der Karl-Arnold-Akademie Bonn-Bad Godesberg vom 30. November – 2. Dezember 2001: http://www.deutschlandstudien.uni-bremen.de/deutschlandstudien/publika/Bilder.pdf
  • in überarbeiteter Fassung auch in: Heinz-Peter Preußer, Anthonya Visser (Hg.): Krieg in den Medien und die ‚Neue Weltordnung‘. Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik. Amsterdam, Atlanta 2002
  • Rogg, Matthias: Krieg und Militär im Film. Workshop im Militärgeschichtlichen Forschungsamt vom 23./24.11.2001, erhältlich über die »Arbeitsgemeinschaft außeruniversitärer Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland e.V.«: http://www.ahf-muenchen.de
  • Stettner, Peter: Anmerkungen zu dem Problem eines Antikriegsfilms, erhältlich unter: http://nibis.ni.schule.de/haus/dez4/remarque/Antikriegsfilm/body_antikriegsfilm.html
  • Virilio, Paul: Krieg und Kino. Logistik der Wahrnehmung, Frankfurt am Main 1989

Über den Autor:

Ulrich Behrens, Jahrgang 1955, lebt in Freiburg, studiert Europäische Ethnologie und Geschichtswissenschaft und ist als Filmkritiker tätig.

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