Wes Cravens Last House on the Left (1972) ist ein Vorläufer des Rape-Revenge-Genres, in dem auf eine Vergewaltigung gewaltsame Rache folgt. Er gehört zu denjenigen Filmen, die sich durch die Visualisierung exzessiver am Körper, am Fleisch verübter Gewalt auszeichnen und daher als Splatter bezeichnet werden. Die Entstehung des Splatterfilms wird mit der kulturellen Situation in den USA der Vietnam-Ära in Zusammenhang gebracht. Als filmische Vorläufer gelten Hitchcocks Psycho (1960) sowie frühe amerikanische Exploitation-Filme der 1960er Jahre, wie Herschell Gordon Lewis’ Blood Feast (1963) oder George A. Romeros Night of the Living Dead (1968). Neben den Verbindungen von Splatterfilmen der 1970er Jahre zum amerikanischen (Low-Budget-)Kino der vorausgehenden Dekade lassen sich aber auch Einflüsse des europäischen Autorenkinos auf das Genre ausmachen. Regisseure wie Carpenter, DePalma, Hooper und Romero werden in Anlehnung an den Auteur-Begriff dem sich in den späten 1960ern entwickelnden »American Auteurism« zugerechnet (Carroll). Am Beispiel von Last House wird diese Verbindung offenkundig, denn bei Cravens Film handelt es sich um ein Remake von Jungfrukällan des schwedischen Regisseurs Ingmar Bergman von 1960. Der Film lief in den USA und Deutschland im selben Jahr unter dem Titel Virgin Spring respektive Die Jungfrauenquelle an. Das Drehbuch zu Bergmans Film wurde von der schwedischen Romanautorin Ulla Isaksson verfasst. Isaksson greift dabei auf eine Vorlage zurück: sie adaptiert den Stoff einer mittelalterlichen skandinavischen Ballade. Dieser kann den Aneignungen also noch hinzugefügt werden. Last House on the Left bildet damit den vorläufigen Abschluss der Reihe intermedialer und intertextueller Transformationen, die im Folgenden untersucht werden. Die Analyse konzentriert sich auf die Frage nach Strategien der Visualisierung und der narrativen Einbettung von Gewalthandlungen.
Jungfrukällan – Innerfamiliäres Begehren, Vergewaltigung und die Anwesenheit Gottes
Mit reduktionistischer Ästhetik evoziert Jungfrukällan das Bild eines kargen und rauhen skandinavischen Mittelalters: der Film ist in Schwarz-Weiß gedreht, die Ausstattung archaisierend und die Erzählung linear. Sie handelt von der Familie Töres, die aus dessen Ehefrau Märeta, der Tochter Karin und den Bediensteten des Hofes besteht. Hinzu tritt Ingeri, die als Gegenfigur zu Karin gestaltet ist und deren Position im familiären Zusammenhang unklar bleibt. Karin wird als Jungfrau zum Dienst in die Messe geschickt. Ingeri begleitet sie zunächst, bleibt aber am Waldrand zurück, der auf dem Weg in die Kirche durchquert werden muss. Im Wald ist Karin den sexuellen Annäherungen von drei Hirten ausgesetzt. Sie wird von den älteren beiden vergewaltigt und mit einem Knüppel erschlagen. Durch Zeitsprung und Ortswechsel zur folgenden Sequenz wird der Beginn des zweiten Teils des Films angezeigt: die drei Hirten kommen an den Hof Töres und bitten um ein Nachtlager. Als sie Märeta das Kleid, das sie der toten Karin abgenommen haben, verkaufen wollen, werden sie von ihr als Mörder der Tochter identifiziert. Sie berichtet Töre von ihrer Entdeckung und dieser bereitet sich mit einer rituellen Reinigung auf die Rache vor. Den ersten Hirten ersticht Töre mit einem Schlachtmesser, den zweiten presst er in die Feuerstelle – als irdische Version des Höllenfeuers – und den jüngsten, der bei den Gewalttaten der anderen nur Zuschauer war, wirft er gegen eine Wand. Anschließend zieht die Familie zum Leichnam der Tochter. Dort ruft Töre Gott an und stellt die anklagende Frage, warum dieser das Geschehene – sowohl den Tod der Tochter als auch seine eigenen Rachemorde – habe zulassen können. Als Töre gemeinsam mit seiner Frau den Leichnam Karins vom Boden hebt, entspringt an der Stelle, an der der Kopf der Tochter gelegen hat, eine Quelle.
Bei den offenkundigen Referenzen dieser Story auf mittelalterlich wirkende Motive und Themen wie Rache und Religion nimmt es nicht wunder, dass Isaksson und Bergman hier eine bekannte schwedische Ballade bearbeitet haben, die unter dem Titel Töres döttrar i Vänge (Töres Töchter in Vänge) überliefert ist. Die Balladen des skandinavischen Raums sind als mündlich vorgetragene und rezipierte Lieddichtungen vermutlich im 13. Jahrhundert entstanden, also in einer Zeit, in der die heidnische Kultur des Nordens bereits stark von der des mitteleuropäischen christlichen Mittelalters überformt worden ist. Verschriftlicht wurden sie erst seit dem 16. Jahrhundert. Der Vergleich des Films mit dem Text der Ballade offenbart jedoch nicht dessen Nähe zum mittelalterlichen Stoff, sondern lässt vor allem moderne Modifikationen hervortreten.
Christentum, Heidentum und das Begehren des Vaters
Die Veränderungen der Vorlage beginnen bereits mit der Figurenkonstellation. Während im Text der Ballade von drei Schwestern die Rede ist, löst Jungfrukällan die typisierende Dreiheit auf. Dies geschieht jedoch nur, um eine andere Form der Typisierung zu etablieren: die Kontrastierung der Frauenfiguren. Der blonden, jungfräulichen, aber eitlen und von ihren Eltern verwöhnten Karin wird die dunkelhaarige, tierhafte und unverheiratet schwangere Ingeri gegenübergestellt. Ingeri wird bereits in einer der ersten Szenen bei der Anrufung Odins gezeigt, der altgermanischen Gottheit der Schlachten und des Todesschicksals. Mit ihrer Einführung gehen Isaksson und Bergman über den christlichen Zusammenhang, in dem die Ballade verbleibt, hinaus und beziehen die heidnische Volksreligion ein, von der angenommen wird, dass sie auch nach Missionierung und Konversion für die skandinavische Kultur des Mittelalters eine bedeutende Rolle spielte. Jungfrukällan läßt sich als Inszenierung des Widerstreits zwischen christlicher Religion, die das Leben an Töres Hof bestimmt, und heidnischer lesen, die die Figuren des Waldes praktizieren. So glaubt Ingeri, dass der alte Mann, dem sie am Waldrand begegnet und in dessen Knochensammlung sie einen Finger findet, den Göttern ein Menschenopfer dargebracht habe. Die Sequenz lässt vermuten, dass Gewalt zuallererst den heidnischen Gottheiten zuzuordnen ist. Im Verlauf des Films wird jedoch deutlich, dass der christliche Gott Töre nicht davor bewahrt, in die ihm von den heidnischen Hirten aufgezwungene Logik von Gewalt und Gegengewalt einzusteigen. Jungfrukällan zeigt das Umschlagen von Friedfertigkeit in Gewalt, indem Töres Gesicht bei der Exekution der Mörder seiner Tochter im Schein eines Feuers als Teufelsfratze erscheint (Abb. 1). Die simple Struktur der Kontrastierung von heidnischer und christlicher Religion wird zudem durch die Figur Ingeris unterwandert, denn sie trägt den heidnischen Glauben an Töres Hof. Auf dem Weg zur Kirche bleibt sie zunächst zurück, folgt dann aber Karin nach und beobachtet die Vergewaltigung ohne einzugreifen. Als sie kurz nach den Hirten wieder am Hof eintrifft, kann sie Töre bestätigen, was Märeta und er schon vermuteten. Sie bezichtigt sich selbst, des Mordes an Karin schuldig zu sein, da sie das Verbrechen durch die Anbetung Odins initiiert habe. An dieser Stelle jedoch wird die Folie des Widerstreits der Religionen nicht nur erneut aufgegriffen, sondern sie kommt auch an ihr Ende, denn die Beschwörung Odins ist, wie Ingeri selbst sagt, ausgelöst durch den Hass auf Karin. Das mittelalterlich anmutende Motiv des Kampfes zwischen heidnischem und christlichem Gott wird durch komplexe familiäre Begehrensverhältnisse bestimmt. Obwohl Ingeri dieser Familie vordergründig nicht angehört, ist sie doch in ihre libidinösen Beziehungen eingebunden: sie verrichtet dienende Aufgaben, bezeichnet sich selbst als Bastard und genügt als unverheiratet schwangere Frau den gesellschaftlichen Normen des Hofes nicht; Märeta jedoch spricht von ihr als Stiefschwester Karins, und Ingeris Handeln selbst ergibt sich aus der Eifersucht auf die von ihren Eltern umsorgte Halb- oder Adoptivschwester. Aber nicht nur Ingeri konkurriert mit der viel geliebten Karin, auch die beiden Eltern befinden sich in einem Wettstreit um die Gunst ihrer Tochter. Während die Familie mit der Dienerschaft am Ende des Films zur Leiche Karins zieht, spricht Märeta ihre Eifersucht auf den Ehemann aus, dem sich die Tochter zunehmend zugewandt habe. Auch hier wird die Liebe zur Tochter mit der Selbstbezichtigung verbunden, an ihrem Tod schuld zu sein. Dass dem Vater eine zentrale Stellung in der familiären Begehrenskonstellation zukommt, wird bereits zu Beginn des Films dargestellt. Als die Mutter Karin zum Kirchgang weckt, ihr beim Anziehen hilft und dabei ihren Eitelkeiten zu begegnen versucht, geschieht dies mit mehrmaligem Hinweis darauf, dass Karins Verhalten dem Vater missfallen und ihn erzürnen werde. Als er schließlich selbst die Kammer betritt, stellt sich das Vater-Tochter-Verhältnis jedoch ganz anders dar. Er ist sichtlich entzückt vom Anblick Karins, liebkost sie und scherzt mit ihr. Zum Abschied küssen sich Vater und Tochter, während Karin der Mutter den Kuss verweigert. Nach der Ermordung Karins ist Töre der einzige, der sich nicht der Schuld an ihrem Tod bezichtigt. Seine Schuld erwächst aus den Rachemorden. Visuell legt der Film nahe, dass auch diese Schuld von der Libido tingiert ist. Töres Begehren nach der Tochter wird ins Bild gesetzt, wenn er an Karins Leiche kniend den toten Körper an drei Stellen berührt. Seine Hand wandert von ihrem Gesicht über die Schulter zu ihrer Hüfte. Dabei werden Mutter und Vater gemeinsam über den Leichnam gebeugt gezeigt (Abb. 2). Die Einstellung wiederholt die Anordnung der Körper von Tätern und Opfer bei der Vergewaltigung (Abb. 3) und bringt so das elterliche Begehren mit dieser in Verbindung.
Die Vergewaltigung als Machtkonstellation und als physische Gewalt
Eine weitere Modifikation der Ballade liegt in der Inszenierung der Vergewaltigung. Die drei Schwestern werden in der Ballade von drei Räubern vor die Alternative gestellt, in die Ehe mit ihnen einzuwilligen oder Gewalt zu erleiden (»Wollt Ihr Euch uns zu Bräuten geben, / oder verlieren das junge Leben?« Str. 6). Als sie ersteres ablehnen, werden sie von den Räubern ermordet. Eine Vergewaltigung verstanden als physische wie psychische Verletzung eines weiblichen Subjekts im modernen Sinne wird hier weder direkt benannt, noch umschrieben. Vielmehr handelt es sich um eine literarische Bearbeitung des Mords an Familienmitgliedern und des Brautraubs, der Entführung einer Frau aus dem Machtbereich ihres Vormundes (Vater, Bruder etc.), welche beide zwangsläufig die Rache des geschädigten Familienverbandes nach sich ziehen. Jungfrukällan dagegen inszeniert den Vollzug der Vergewaltigung ausführlich. Der Übergriff der Hirten ist einer komplexen Machtkonstellation geschuldet. Neben dem sexuellen Begehren der Hirten führen drei weitere Aspekte, für die die Figur Karins steht, zur Aggression: Karin repräsentiert in den Augen der Hirten eine höhere soziale Stellung, das Wissen um den Diebstahl einer Ziege (Karin erkennt das Brandzeichen des Tieres), und die Nähe zu dämonischen Mächten (aus einem der von Karin mitgebrachten Brote kriecht ein Frosch hervor – Ingeri hat ihn dort versteckt – und verstört die Hirten für einen Moment). Durch die Komplexität der die Gewalt auslösenden Faktoren wird die Vergewaltigung in Jungfrukällan zu mehr als der notwendigen Konsequenz eines aggressiv verstandenen männlichen sexuellen Begehrens.
Die Überwindung Karins selbst ist als gewaltsames Ringen inszeniert, bei dem sich die drei Körper der Aggressoren und des Opfers verknäulen. Zunächst liegt der kahle Hirte in Karins Schoß, während der stumme hinter ihm steht und die Beine des Opfers festhält. Kurz darauf wechseln beide Männer wie selbstverständlich die Plätze. Nur an einer Stelle verlässt die Kamera die Aktion, um die Reaktion der zusehenden Ingeri zu zeigen. Die Sequenz kulminiert in einer Einstellung, in der das Gesicht des stummen Hirten über dem Karins liegt. Nacktes Fleisch ist lediglich zu sehen, wenn wiederum der stumme Hirte nach der Vergewaltigung mit dem Rücken zur Kamera seine Hose hochzieht und den Gürtel schließt. In Deutschland löste die Vergewaltigungssequenz Zensurbestrebungen aus. Sie wurden damit begründet, dass die Darstellung der Vergewaltigung den Voyeurismus des Publikums befriedige. In dieser Argumentation wird das Zeigen einer Vergewaltigung wie das Vorführen von sexuellen Handlungen aufgefasst und die ebenso denkbare Gegenposition, dass die filmische Darstellung einen analytischen Blick auf das Gezeigte ermöglichen kann, übergangen – etwa auf die Mechanismen, die zum Ausbruch der Gewalt führen, oder auf die Interaktion der Männer im Vollzug der Gewalthandlung. Bergman inszeniert den Akt der Vergewaltigung für diese Zeit ungewohnt offensiv und macht ihn als komplex motivierte physische Gewalt lesbar. In Jungfrukällan ist die Vergewaltigung aber noch nicht als Handlung des nackten Fleisches gezeigt, die Körper bleiben bekleidet und die Vergewaltigung gerinnt schließlich zu einem symbolischen Close-Up der Gesichter von Täter und Opfer (Abb. 4).
Visualisierung des göttlichen Wunders
Auch die Darstellung des Wunders ist in Jungfrukällan gegenüber der Ballade in signifikanter Weise verändert. Während in der Ballade unmittelbar nach der Tötung der drei Schwestern aus ihrem Blut drei Quellen entspringen (»Am Birkenstamm sie ihre Köpfe zerschellen, / doch aus ihrem Blut entsprangen drei Quellen.« Str. 8), wird dieser Moment in Jungfrukällan ganz ans Ende der Handlung verlegt. Die Erzählung des Films gipfelt damit nicht in der Enthüllung der Schuld des Vaters, die in der Ballade darin besteht, dass er mit den Mördern seiner Tochter die eigenen Söhne umgebracht hat, sondern in einem Zeichen, dass die Existenz Gottes beglaubigt – oder zu beglaubigen scheint. Jungfrukällan geht so über die Thematisierung der Destruktivität der Rache und der aus ihr erwachsenden Schuld hinaus. Die Schändung und Tötung seiner Tochter sowie das Bewusstsein, mit der Rache an den Mördern seiner Tochter Schuld auf sich geladen zu haben, führt Töre zum hiobschen Hader mit Gott und zu der Frage, warum dieser das Geschehene hat beobachten können, ohne einzugreifen. Töre erhält auf seine Frage zunächst keine Antwort und sieht den einzigen Ausweg in der Sühneleistung, mit den eigenen Händen eine Kirche zu bauen. Als er sich danach dem Leichnam zuwendet und ihn aufhebt, entspringt die Quelle (Abb. 5). Damit wird die Existenz sowie die Leben spendende Macht des christlichen Gottes exponiert visualisiert und das von Gewalt und Tod bestimmte Geschehen des Films im Nachhinein mit Sinn gefüllt. Der medialen Codierung kommt hier eine zentrale Bedeutung zu. Der gesamte Verlauf des Films zeigt eine Welt, in der die Menschen zwar mit religiösen Autoritäten in Kontakt zu treten versuchen, die göttliche Macht selbst aber abwesend bleibt. Das gilt für die heidnischen Gottheiten ebenso wie für den christlichen Gott. Bis zur Schlusssequenz gibt der Film keine Bilder des Phantastischen zu sehen. Wenn abschließend das göttliche Wunder plötzlich visualisiert wird, kommt es zu einem Bruch innerhalb der bis zu dieser Einstellung von Phänomenen des Überirdischen freien Filmbilder. Stellt sich damit erst hier der Effekt des Phantastischen ein, den Todorov als Unsicherheit über die Relation zwischen empirisch erfahrbarer und überirdischer Welt beschrieben hat, oder wird mit dieser Einstellung die Beglaubigung des Wunders, die das filmische Bild zu leisten vorgibt, durch ein Übermaß an visueller Explikation sogleich wieder konterkariert?
Last House On the Left – Sexuelles Begehren, visuelle Explikation der Gewalt und Ende der Ordnungen
Die Möglichkeit der Aufladung der Gewalt mit Sinn, wie sie in Jungfrukällan über die künstliche Re-Installation des göttlichen Prinzips erzählt, zugleich aber in Frage gestellt wird, wird in Last House durch das »Wuchern« von Gewalt verabschiedet. Da sich dieser Splatterfilm durch die vollständige Absenz von Supernaturalem und Mysteriösem auszeichnet, fragt er nicht, ob die Gewalt überhöht und ihr Grund damit überdeckt werden kann. Stattdessen ergeht er sich in sich übersteigernden (Gewalt-)Bildproduktionen. Die mediale Ebene spielt insofern eine Rolle, als das Zeigen der Gewalt wie auch die stellenweise Verwendung einer bewegten Kamera und die rasanten Schnitte von der Nähe der Darstellung zu einer alltäglichen Realität zeugen sollen: also von der Authentizität des Gezeigten.
Mit dieser filmischen Ästhetik korrespondiert, dass die Logik des Exzesses nicht in einen mittelalterlich anmutenden Kontext, sondern in die zeitgenössische amerikanische Kultur eingebettet ist. Die Paradigmen, auf die der Film von 1972 Bezug nimmt, heißen nicht mehr Religiosität und Spiritualität in Form von Christentum und Heidentum. In der Populärkultur der 70er Jahre situiert lauten die neuen Paradigmen: feministische Emanzipation und sexuelle Revolution, Flower-Power und Naturverbundenheit (junge Frauen im Wald), sex, drugs and rock ’n roll (Filmmusik) und Kriminalität. Die populärkulturellen Muster werden in der Story von Schändung und Tötung der Tochter sowie der Rache der Eltern ins Extrem getrieben. Dabei kommt das inhärent Gewaltvolle der bürgerlichen Familie aber auch der Hippiekultur zum Vorschein.
Sexuelles Begehren und blutige Antworten
Der erste Teil von Last House startet ähnlich wie Jungfrukällan mit der Darstellung einer triangulären Familienkonstellation. Dabei stehen nicht die libidinösen Beziehungen innerhalb der Familie im Mittelpunkt. Letztere bildet nur eine schematische Folie, um den Generationskonflikt zu zeigen: die sexuell interessierten jungen Frauen, Tochter Mari und ihre Freundin Phyllis, distanzieren sich ausdrücklich von den Ansichten der Elterngeneration. Mari wird über eine Duschszene eingeführt, also über ihre Körperlichkeit und jugendliche Sexualität. Im Gegensatz zu Phyllis, die aufgrund ihrer sexuellen Erfahrungen als Modell des »American Slut« vorgestellt wird, verkörpert Mari die Charakteristika der jungfräulichen aber neugierigen Adoleszentin. Dies wird in der Abschiedsszene von ihren Eltern Estelle und Dr. William Collingwood extemporiert, indem in familiärer Runde über die Notwendigkeit des Tragens eines BHs diskutiert wird: William moniert, dass man(n) Maris Brüste sehen könne (William: »Guck Dir das an, Estelle, so kann jeder Kerl ihre Brustwarzen sehen.«). Es geht also auch um die Schwellenposition zwischen sexueller Unschuld und etwas anderem, allerdings realisiert sich dieses andere anders als erwartet. Mari und Phyllis haben keine religiösen Aufgaben zu erfüllen, sondern gehen ihrem sexuellen Begehren nach. Sie wollen nicht in die Kirche, sondern in die Stadt New York, welche als Ort der Gefahren mit dem schützenden Wald kontrastiert wird, der das Collingwoodsche Domizil umgibt und in dessen Naturromantik sich die Blumenkinder vor der Fahrt amüsieren (Abb 6). Sie möchten das Konzert der Musikgruppe »Bloodlust« besuchen, in deren Sänger Mari verliebt ist. Während das Radio den Titelsong »Wait for the Rain« mit der Zeile »And the Road Leads to Nowhere« dudelt, freuen sich die beiden auf ihre Angebeteten. Maris Erwartungen an die Bühnenshow, in deren Verlauf ein lebendes Huhn zerlegt wird, mischen sich mit den Fantasien der beiden Frauen über einen sexuellen Kontakt (»Ich frage mich, wie es wohl wäre, mit den Bloodlust-Jungs zu schlafen.«). Die dunkle Ironie der Narration des Films besteht darin, dass sie schließlich beides bekommen – und zwar in engster Verbindung. In der Stadt angekommen lassen sie sich unter dem Vorwand, ihnen Hasch zu verkaufen, in die Wohnung vierer ausgebrochener Gefängnisinsassen locken. Im Angesicht Maris wird Phyllis hier vergewaltigt, worauf die beiden von ihren Peinigern im Kofferraum eingesperrt und zufälligerweise in die Umgebung von Maris Elternhaus zurücktransportiert werden.
Im Wald kommt es zur Vergewaltigung Maris durch Krug Stillo, den Anführer der Bande, gespielt von dem Kult-Musiker Davis A. Hess, und zur Tötung der beiden Frauen. Die Vergewaltigungsszene Maris endet mit einer Close-Up-Einstellung des lustverzerrten Gesichts des Vergewaltigers, das auf Maris Gesicht liegt (Abb. 7). Ähnlich wie in Jungfrukällan enthält dieses Einzelbild verschiedene Deutungsangebote. Als Filmstill betrachtet ergäbe es ein höchst ambivalentes Bild von zwei Personen nach dem Geschlechtsverkehr, das auch das Bild zweier Liebender sein könnte. Für den Kontext von Last House bedeutet diese Polyvalenz, dass Mari ihre erste Liebesbegegnung paradoxerweise tatsächlich mit einem von Blutlust erfüllten Mann erhält. Das Bild enthält eine zusätzliche Dimension zu dem vergleichbaren in Jungfrukällan (Abb. 4), da es eingebettet ist in die enge Verbindung von Lust und Blut oder Zärtlichkeit und Tötung. Insgesamt ist die Vergewaltigungssequenz visuell kaum anders gestaltet als in Jungfrukällan: während die Tötungsszenen ans Fleisch gehen, ist der nackte Körper hier nicht im Bild.
Visuelle Explikationen – Todesarten und Bilder von Träumen
Auf der Fahrt in den Wald formuliert die Stillo-Bande ihr Programm. Es geht um ein in der öffentlichen Wahrnehmung tabuiertes und sinnloses Verbrechen: den Sexualmord. Weasel, der als besonders kalter Verbrechertypus vorgestellt wird, sagt: »Diese Kinder zu nehmen… Das ist genau die Art von Verbrechen, die einem die Leute nie verzeihen. […] Ich möchte mal wissen, welches das gemeinste, widerlichste und brutalste Sexverbrechen des Jahrhunderts war.« Das besondere ihrer Handlung wird hierdurch vorweggenommen: neben dem Amüsement soll sie keinen Sinn oder ein weiteres Motiv haben. Im Wald werden die beiden Mädchen in langen expliziten Szenen der Demütigung und Folter zum Ende des von ihnen eingeschlagenen Weges (the road leads …) gebracht: Phyllis’ Demütigung durch die Aufforderung Krugs: »Piss Dir in Deine Blue-Jeans« und ihre Ausweidung (Abb. 8), das Ritzen von Krugs Namen in Maris Haut, ihre Vergewaltigung und ihre Hinrichtung durch einen Kopfschuss. Filmästhetisch werden die Mordszenen explizit ausgestaltet, wie etwa in nur Bruchteile von Sekunden dauernden Ausschnitten, die die Schnitte in Phyllis Körper zeigen. Die Geschwindigkeit, in der die Kamera über ihren Körper fährt und die unterstützt wird von bizarren Tönen, erinnert an Hitchcocks Duschmord. Strukturell betrachtet bildet die Explizitheit das Movens für weitere gesteigerte Tötungsszenen, die im Revenge-Teil nachfolgen.
Bevor die gewaltvollen Reaktionen der Collingwoods zu sehen sind, werden die Zuschauenden mit den Träumen und Traumatisierungen der Täter konfrontiert. Es handelt sich um traumatische Flashbacks der vollzogenen Gewalttaten, aber auch um Angstträume. Die Traumatisierung des Jüngsten, Frog, wird nicht nur wie in Jungfrukällan durch unruhige Laute im Schlaf angedeutet: das vor dem inneren Auge Sichtbare wird in Bildern expliziert. In den Alpträumen des als schwachsinnig und neurasthenisch gekennzeichneten Bandenmitglieds werden die Folterszenen der Frauen in rascher Abfolge montiert. Die Szenenkompilation fungiert als Wiederholung und damit Betonung der kollagierten Grausamkeiten, bildet aber auch eine Selbstzitation des Films innerhalb des Films. (In der um sieben Minuten gekürzten zensierten Version des Films taucht diese Szenenfolge ebenfalls auf, wodurch hier auch diejenigen Szenen zu sehen sind, die aus der vorausgehenden Sequenz im Wald herausgeschnitten wurden. Hat die Zensur die Alptraumszene schlicht übersehen oder hängt ihre Duldung mit ihrem exponierten und dekontextualisierten Status zusammen?) In der Nacht nach der Tat träumt auch Weasel. Hier handelt es sich nicht um ein Zitat, sondern um die Visualisierung fiktiver Angstbilder: Maris Eltern schlagen ihm mit einem Meißel die Vorderzähne aus. Sicherheit über den Traumstatus der Szene erhält die ZuschauerIn aber erst über das schweiß-gebadete Erwachen Weasels. Der ansonsten stark dämonisierte Sexmörder Weasel erhält hierdurch ähnlich wie in seiner Todesszene eine fragile Dimension. Die narrative Funktion dieser bildlichen Psychologisierung der Täter könnte darin liegen, dass das alte Böse als brüchig dargestellt wird und durch das neue Böse in Form der Eltern als Aggressoren ersetzt wird. Durch diese Trauma-Bilder, durch die Reflexion über das Verbrechen im Auto sowie durch eine kollektive Waschung der blutverschmierten Stillo-Bande im Waldsee scheint ihr Umkippen ins Monströse verhindert zu werden.
Die Rache der Eltern dagegen braucht nicht psychologisch begründet zu werden, sie geschieht quasi automatisch und ohne Hinweis auf schuldhaftes Handeln. Die Collingwoods setzen – im Unterschied zu Jungfrukällan sind sowohl Vater als auch Mutter beteiligt – ihre ganze kreative Energie daran, Waffen und damit Todesarten für die Mörder ihrer Tochter zu erfinden. Die Übertreibungen und Explizierungen nehmen teilweise groteske Züge an, die an ein anderes Filmgenre erinnern, die sogenannten Various-Deaths- oder Creative-Killing-Movies. In diesem Genre geht es um das möglichst aufwendige Vollziehen und Zeigen von Toden, bzw. Morden verschiedenster Art. Die Todesarten der Kriminellen erzählen symbolisch betrachtet etwas über die Beziehungen der Figuren untereinander. Nachdem er seinen Bruder in den Selbstmord durch einen Schuss in den Mund getrieben hat, wird Krug von Vater William mit einer Kettensäge ermordet. Auf diese Weise wird nicht nur die Tötung, sondern auch die Vergewaltigung Maris vergolten: Er will mit der rotierenden Kette in Krugs Fleisch eindringen (Abb. 9). Offenkundig wird die sexuelle Konnotation der Kettensäge im zweiten Teil des Texanischen Kettensägenmassakers. Die Kettensäge als Tötungsinstrument hat bereits Tradition: The Mad Magician (R: John Brahm, 1954) und Wizard of Gore (R: Herschell Gordon Lewis, 1970), bevor sie 1974 durch den Einsatz durch das Monster Leatherface in The Texas Chainsaw Massacre von Tobe Hooper eine durchschlagende Ikonenstellung für den gesamten Splatterfilm erhält. Aber auch Estelles Beteiligung an der Rache verbindet Gewalt eng mit Sexualität: Weasel verblutet, nachdem die Mutter ihm während sexueller Handlungen den Penis abgebissen hat. Die Konfrontation der beiden weiblichen Figuren des zweiten Teils, Sadies und der Mutter, endet in einem Zweikampf. Sadie stirbt mit durchtrennter Kehle im Swimmingpool des Hauses.
Als Ergebnis der Gewalteskalationen in Last House steht das Überleben der blutüberdeckten Eltern in Präsenz des toten Körpers ihrer Tochter auf dem Sofa, der filmisch nicht mehr ausführlich gezeigt wird. Durch die exzessiven Gewaltleistungen der Eltern ist dieser Grund ihrer Gewalt als Legitimationsfigur immer mehr in den Hintergrund getreten: zugunsten der Verselbständigung der Gewalt. Werden Gewalt und ihre Strukturen damit insgesamt für eine Kritik geöffnet? Nicht nur die Gewalt wird visuell expliziert, sondern auch dass Gewalt immer in kulturelle Strukturen eingebunden ist, die ihr Hervorbrechen zu bestimmten Zeiten ermöglichen. In Last House wird vorgeführt, dass die eingeschlagenen Wege keinen Ausweg haben. Auch die vermeintlichen Auswege produzieren immer neue körperliche Gewalt oder ideologisch-institutionelle »dead ends« – wie noch zu zeigen ist.
Juxtapositionen
Um die spezielle Art zu beschreiben, in der der Film die Möglichkeit des Umschlagens von struktureller in physische Gewalt und vice versa markiert, soll eine weitere Dynamik seiner Dramatik untersucht werden. Eine Besonderheit des Films, die zugleich seine viel behauptete »Unerträglichkeit« und »Verstörungskraft« ausmacht, besteht im verstärkten Arbeiten mit Juxtapositionen. Was zunächst als bloßes Nebeneinander von musikalischen Elementen, Musiktexten und Sprechtexten der Kriminellen, der Polizisten und der Eltern erscheint, stellt sich bei genauerer Analyse als komplexes Gebilde heraus. Die Nähe und das direkte Aneinandersetzen von komischen Elementen und dramatischen Szenen ermöglicht es, dass deren Bedeutungszuweisungen immer wieder verschoben werden. Die scheinbare Entkräftung der Folterszenen durch das andauernde Überschwenken auf Nebenschauplätze entpuppt sich als geschickt entwickelter Dramatisierungseffekt. So treffen Maris Eltern etwa eifrig dekorative Vorbereitungen für ihre Birthday-Party und freuen sich auf den abendlichen ehelichen Geschlechtsverkehr, während in ein paar Metern Entfernung am Ende von Maris Leben laboriert wird. Die Struktur des Kommentars lässt sich zudem anhand des strapazierenden Gebrauchs von Tiermetaphern exemplifizieren, die im Verlauf des Films vielfach in die Lied- und Sprechtexte eingelassen sind. Ein Song von David A. Hess, der die beiden jungen Frauen bei den Hippieszenen untermalt, heißt »Little Cows Lookin‘ for Some Grass« (vgl. mit dem Soundtrack in Zusammenarbeit mit Steve Chapin). Durch die animalisierenden und diminutiven Wortformen verstärkt der Song die Unbedarftheit der Frauen mit der in der Stadt auf sie wartenden Gefahr. Im Verlauf des Films werden Mari und Phyllis durch verschiedene Personen, konnotierende Liedtexte und Filmbilder mit Vokabeln wie Kühe, Hühner, Hühnchen, Hühnerbrüstchen, Enten etc. assoziiert. Die Frage entsteht, ob diese metonymischen Reihungen und Variationen der Worte die Figuren Mari und Phyllis denunzieren oder nicht vielmehr die Möglichkeit des Nebeneinanders von »harmlosen« Sequenzen und Gewalthandlungen herausstellen. Während Mari vergewaltigt wird, unterhalten sich die beiden Polizisten, die die jungen Frauen erfolglos suchen, in direkter Folge in einem Slapstick-Gespräch über Tiere, die gedeckt werden und ihren Hunger auf Hot Dogs. In einer anderen Szene verhandeln die Polizisten mit der Truckfahrerin Ada. Sie diskutieren, wie viele Käfige mit Hühnchen sie vom Wagen herunter laden müssten, damit der ihr Körpergewicht tragen kann und die beiden Polizisten mitfahren könnten. In der einen Szene wird durch die Tiermetaphoriken demonstriert, wie wenig Menschenleben gelten, in der anderen bleiben die Hühnchen schlussendlich Beifahrerinnen des Trucks während die Polizisten fluchend zu Fuß weitergehen müssen. Das mit allen zur Verfügung stehenden Füßen getretene Gebot, man solle über das Leid anderer nicht Lachen, wird hier als Ordnung suggerierende kosmetische Schutzbehauptung entlarvt.
Als Funktion des blutigen Gewaltbildes wird im Allgemeinen das Produzieren von Authentizität genannt, also das Einreißen der Grenze zwischen Fiktion und Realität. Die Gleichzeitigkeit von Gewalt und Realitätsproduktion ist in den Bedeutungszuweisungen des griechischen Wortes authentes noch anwesend. Sie umfassen zugleich Urheber, Täter, insbesondere Mörder, Selbstmörder, Henker, Selbstherr, Gewalthaber, aber auch eigenhändig vollführt (Hinweis: Stefan Höltgen / Georg Schmitt). Den Funktionszusammenhang, dass die Authentisierungsgeste letztendlich immer an die Darstellung physischer Gewalt gekoppelt ist, stellt der Splatterfilm aus. Er erreicht dies durch eine Logik der Übersteigerung, des Exzesses: die Gewalt geht ans Fleisch und wird zusätzlich serialisiert. Durch Häufung und Reihung tritt die Gewalt aus dem narrativen Zusammenhang heraus. Sie kann nicht mehr durch die Kohärenz einer Erzählung zusammengehalten oder funktionalisiert werden. Sie dreht durch. In Last House zeigt sich diese Logik, indem die Polizisten nicht in der Lage sind, die Gewalt aufzuhalten und auch die Collingwoods sich von ihr anstecken lassen: Die Gewaltbilder authentisieren das Geschehen für den Augenblick der Ausübung von Gewalt; in der nächsten Sequenz wird dieser Effekt unterwandert, da die Funktion der Gewalt nur noch im Übergang zur nächsten Gewalthandlung liegt. Die Besonderheit von Last House besteht darin, dass der Film nicht nur das Durchdrehen der Gewaltschleife behauptet, sondern zudem jeglichen Normhorizont tilgt, der ihre Einordnung ermöglichen könnte. Die juxtapositive Verknüpfung der oben genannten Elemente verhindert, dass die Gewalttaten durch Figuren oder Instanzen innerhalb der Diegese bewertet oder mit Sinn gefüllt werden können.
Dead Ends
Die Analyse der Transformationen und Verschiebungen vom mittelalterlichen Balladenstoff zu Jungfrukällan sowie von Bergmans Film zu Last House on the Left ergibt, dass beide Filme vom Ende Ordnung und Sinn stiftender Instanzen erzählen. Für Jungfrukällan sind dies vor allem die christliche Religion, aber auch familiäre Bindungen, welche als durch Begehrensstrukturen bestimmt gezeichnet sind, die in den Mechanismus von Gewalt und Gegengewalt hineinragen. In Last House ist Gott als Bezugspunkt getilgt und auch die staatliche Autorität als seine säkulare Ersetzung – verkörpert durch die Vertreter der Exekutivorgane – erweist sich als nicht in der Lage, eine geregelte Interaktion der Figuren in der fiktionalen Welt aufrecht zu erhalten. Eine psychologisierende Ausleuchtung der familiären Begehrensstrukturen fehlt. Die Collingwoods illustrieren vielmehr sehr schematisch die Konfrontation zweier Generationen, wobei die vermeintlich triebreduzierte Elterngeneration der Gewalt keineswegs widersteht, sondern von ihr affiziert wird, sobald es zum Kontakt kommt, und sie ebenso automatisch wie eskalierend weiter trägt.
Das beschriebene Versagen überindividueller ordnender Bezugsgrößen wird anhand individueller Gewalthandlungen erzählt. Obwohl Last House sich eng an die Narration von Jungfrukällan anlehnt, ist die Gewalt in beiden Filmen auf unterschiedliche Weise visuell gestaltet. Last House nutzt die Möglichkeit der Visualisierung im Film, um die Gewalt als Verletzung des Körpers in einem bis dahin kaum gekannten Maße sichtbar zu machen. Das ästhetische Verfahren von Last House, das vor allem am Zeigen der Gewalt interessiert ist, haben wir mit dem Begriff der visuellen Explikation zu fassen versucht. Die in Last House gezeigten Schnitte ins Fleisch sowie das Ausweiden des Körpers finden sich in Jungfrukällan nicht. Es fällt jedoch auf, dass Craven bei der Inszenierung der Vergewaltigung dem Vorläufer weitgehend folgt und dass umgekehrt bei Bergman die Vergewaltigung im Vergleich zu den Mordhandlungen viel ausführlicher gezeigt wird. Hier zu weiterer visueller Explikation zu gelangen blieb amerikanischen Filmen vorbehalten, die wenige Jahre nach Last House produziert wurden, den so genannten Rape-Revenge-Movies (Clover), wie Jackson County Jail (R: Michael Miller, 1976), Lipstick (R: Lamont Johnson, 1976), I Spit on Your Grave (R: Meir Zarchi, 1978) oder The Ladies’ Club (R: A.K. Allen, 1986). Vermutlich bedurfte es weniger der Erfahrung von Vietnam als vielmehr der Aktivität der feministischen Bewegung, um dieses Tabu diskursivierbar zu machen, es aber auch populärkulturell ausbeuten zu können. In Last House ist die Vergewaltigung nur eine Station auf dem Weg in die Sackgasse der Gewalt.
Julia Köhne und Tilo Renz
Literatur:
- Brashinsky, Michael: The Spring, Defiled. Ingmar Bergman’s Virgin Spring und Wes Craven’s Last House on the Left. In: Horton, Andrew und McDougal, Stuart Y. (Hg.): Play It Again, Sam. Retakes on Remakes. Berkeley [u.a.] 1998, S. 162-171.
- Carroll, Noël: The Future of Allusion: Hollywood in the Seventies (and Beyond). In: Ders.: Interpreting the Moving Image, Cambridge [u.a.] 1998. S. 240-264.
- Clover, Carol J.: Men, Women, and Chain Saws. Gender in the Modern Horror Film. Princeton, New Jersey 1992.
- Mishler, William: The Virgin Spring and The Seventh Seal. A Girardian Reading. In: Comparative Drama, Vol. 30, Heft 1, 1996, S. 106-134.
- Szulkin, David A.: Wes Cravens Last House on the Left. The Making of a Cult Classic. Guildford, Surrey 2000.
- Todorov, Tzvetan: The Fantastic. A Structural Approach to a Literary Genre. Ithaca [u.a.] 1995.
- »Töres döttrar i Vänge.« In: Stähle, Carl Ivar (Hg.): Sveriges litteratur. Bd. 1, Stockholm 1968, S. 203-205. (Dt. Übersetzung in leicht veränderter Fassung: »Per Tyrssons Töchter.« In: Skandinavische Balladen des Mittelalters. Hg. v. Ernesto Grassi / Walter Hess. Skandinavische Literatur, Bd. 2, München 1963, S. 61-63.)
- Filmografie:
- Last House on the Left, Regie: Wes Craven, USA 1972 (84 min)
- Jungfrukällan (Virgin Spring), Regie: Ingmar Bergman, Buch: Ulla Isaksson und Ingmar Bergman, Schweden 1960 (89 min).
Kurzbiographien
Julia Köhne schreibt im Rahmen des Graduiertenkollegs der DFG »Codierung von Gewalt im medialen Wandel« eine Promotion zum Thema »Kriegshysterie en masse. Strategische Bilder und Techniken des Wissens in der Kriegshysterieforschung des ersten Weltkriegs.« Sie arbeitet als Assistentin für den Berliner Aufbau-Verlag. Gemeinsam mit Arno Meteling und Ralph Kuschke hat sie die Tagung »Bodies that splatter. Schnittstellen von Gewalt in Horrorfilmen (1963-1991)« konzipiert und organisiert, die vom 24. bis 26. April 2003 in der Berliner Akademie der Künste stattfindet.
Tilo Renz ist Mitglied des Berliner Graduiertenkollegs »Codierung von Gewalt im medialen Wandel« und arbeitet an einer Promotion zu Gewalt, Körper und Geschlecht im Nibelungenlied und in amerikanischen Horrorfilmen der 1970er und 80er Jahre. Publiziert hat er Lektüren von Boys Don’t Cry sowie von Thelma and Louise und Baise-moi, die sich an den von Judith Butler entwickelten Konzepten der Performativität von Geschlecht und des resignifizierenden Sprechens orientieren.