„Hostel“ und „Hostel II“[1] setzen aktuelle ökonomische Diskurse als Horror-Ästhetik um. Das Hauptthema beider Filme ist eine neue Form des modernen Kapitalismus, die sowohl Expansion des Kapitals nach Außen wie Globalisierung[2] als auch nach Innen wie Kommerzialisierung intimer Lebensbereiche bis hin zu individuellen Identitätskonzepten[3] auffasst. Freud umformulierend wird Ökonomie zum Schicksal des männlichen Subjektes, die aber die Form des Destruktions- bzw. Todestriebes einnimmt. Beide „Hostels“ präsentieren das heutzutage bevorzugte Wirtschaftssubjekt als Lustmörder.
Wie interpretiert man einen Film?
So lautet der Titel der bei Reclam erschienenen Einführung in die Filminterpretation, und selbst der Laie mag sich wundern: Was hat ein Filmbuch in einer Reihe „Literaturwissen“ zu suchen? Ist hier vielleicht eine fast hundertjährige Diskussion verschlafen worden, die seinerzeit den Stellenwert des Massenkulturprodukts Film an der Würde der hehren Kunstgattung Literatur zu messen suchte? Wird hier auf eine Herkunft des Films aus der Literatur angespielt und das Problem rigoros als Prioritätenfrage beantwortet? Oder geht es um eine Verwechslung?
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Die Nacht des Lebendigen weicht vor der Helligkeit des Todes
Der Körper des Verurteilten und der pathologische Körper
Leben wir in einer Gesellschaft, die den körperlichen Horror und das Spektakel ausschließt und gegen Disziplin und Überwachung eingetauscht hat? Der französische Philosoph Michel Foucault geht von einer solchen Verschiebung im Diskurs z. B. bei der Strafgewalt aus. Wie Steffen Hantke bemerkt, findet man eine der härtesten Horrorszenen nicht in einem Film des gegenwärtig boomenden Slashergenres (z. B. Scream, USA 1996), sondern auf den ersten Seiten von Foucaults Überwachen und Strafen: »Am 2. März 1757 war Damiens dazu verurteilt worden, vor dem Haupttor der Kirche von Paris öffentliche Abbitte zu tun«, wohin er »in einem Stützkarren gefahren werden sollte, nackt bis auf ein Hemd und eine brennende zwei Pfund schwere Wachsfackel in der Hand; auf dem Grève-Platz sollte er dann in Stürzkarren auf einem dort errichteten Gerüst an Brustwarzen, Armen, Oberschenkeln und Waden mit glühenden Zangen gezwickt werden; […]« (Foucault 1994, 9)
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Die Geburt des urbanen Grauens aus dem Musikfernsehen.
»Der Himmel über dem Hafen
hatte die Farbe eines Fernsehers,
der auf einen toten Kanal eingestellt ist.«
(William Gibson: Neuromancer)
»Ich will ihn schon die ganze Zeit davon überzeugen,
dass wir zusammen einen Zombiefilm machen.
Wenn Chris den drehen würde, wäre das der beste verdammte Zombiefilm ever.
Aber er macht sich zuviel Gedanken um sein Bild in der Öffentlichkeit
und will nicht so recht.«
(Aphex Twin)
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»The Retina of the mind’s Eye«
In seiner einhundertjährigen Geschichte haben der Film (1) und seine Autoren stets versucht, den Nimbus der bloßen Unterhaltungsware abzulegen. Eines der nachhaltigsten Ergebnisse dieser Bemühung war, dass nach dem zweiten Weltkrieg zwischen Unterhaltungs- und Kunstfilm unterschieden wurde. Die Theorien der „Neuen Wellen“ haben aber nicht „ausgegrenzt“, sondern den vormals als Unterhaltung per se diskreditierte Genrefilm ebenfalls vom Verdacht befreit, anspruchslos zu sein: Die Western John Fords oder die Thriller Alfred Hitchcocks sind zwei Beispiele von hochgradig reflektierendem Autoren-Genre-Kino. Hinter der Differenzierung von ernstem und Unterhaltungsfilm scheint ein besonderes Ansinnen zu stecken: Der Autorenfilm soll nicht allein gefallen, sondern Intention oder doch wenigstens Bedeutung transportieren, die dem Zuschauer dann auch jenseits der Kinomauern „nützt“.
And the Roads Lead to Nowhere.
Wes Cravens Last House on the Left (1972) ist ein Vorläufer des Rape-Revenge-Genres, in dem auf eine Vergewaltigung gewaltsame Rache folgt. Er gehört zu denjenigen Filmen, die sich durch die Visualisierung exzessiver am Körper, am Fleisch verübter Gewalt auszeichnen und daher als Splatter bezeichnet werden. Die Entstehung des Splatterfilms wird mit der kulturellen Situation in den USA der Vietnam-Ära in Zusammenhang gebracht. Als filmische Vorläufer gelten Hitchcocks Psycho (1960) sowie frühe amerikanische Exploitation-Filme der 1960er Jahre, wie Herschell Gordon Lewis’ Blood Feast (1963) oder George A. Romeros Night of the Living Dead (1968). Neben den Verbindungen von Splatterfilmen der 1970er Jahre zum amerikanischen (Low-Budget-)Kino der vorausgehenden Dekade lassen sich aber auch Einflüsse des europäischen Autorenkinos auf das Genre ausmachen. Regisseure wie Carpenter, DePalma, Hooper und Romero werden in Anlehnung an den Auteur-Begriff dem sich in den späten 1960ern entwickelnden »American Auteurism« zugerechnet (Carroll). Am Beispiel von Last House wird diese Verbindung offenkundig, denn bei Cravens Film handelt es sich um ein Remake von Jungfrukällan des schwedischen Regisseurs Ingmar Bergman von 1960. Der Film lief in den USA und Deutschland im selben Jahr unter dem Titel Virgin Spring respektive Die Jungfrauenquelle an. Das Drehbuch zu Bergmans Film wurde von der schwedischen Romanautorin Ulla Isaksson verfasst. Isaksson greift dabei auf eine Vorlage zurück: sie adaptiert den Stoff einer mittelalterlichen skandinavischen Ballade. Dieser kann den Aneignungen also noch hinzugefügt werden. Last House on the Left bildet damit den vorläufigen Abschluss der Reihe intermedialer und intertextueller Transformationen, die im Folgenden untersucht werden. Die Analyse konzentriert sich auf die Frage nach Strategien der Visualisierung und der narrativen Einbettung von Gewalthandlungen.
Detonation im Labyrinth der Gewalt
Die Bilder des chinesischen Staatsfernsehens gingen um die Welt: Kleine Kinder, junge Frauen waren in Großaufnahme zu sehen, wie sie sich auf dem Platz des Himmlischen Friedens selbst verbrannten. Aus entstellten, angekohlten Leibern in Gebetsstellung kamen zaghafte Hilferufe, unterlegt mit einem Kommentar, der die Gemeingefährlichkeit der Falun-Gong-Sekte unterstrich. Man sah fürchterliche Bilder einer authentischen Gewalt, die eingesetzt wurden, um das gewaltsame Eingreifen der Staatsmacht gegenüber einer Religionsgemeinschaft zu legitimieren und Empörung über gesetzliche Übergriffe einzudämmen. Die vielen stummen, schweigenden Gesichter inmitten der gespenstischen Vorfälle auf dem Pekinger Platz zeigen: Die Bevölkerung ist lethargisch genug, um sich von einzelnen Protestlern nicht aus ihrem Trott bringen zu lassen.
Afternoons in Utopia
Utopische Stoffe der Kunst beinhalten immer schon eine zweifache soziale Dimension: Erstens spiegeln sie gesellschaftliche Zustände der Gegenwart und überspitzen deren Missstände parabolisch zu Fiktion (Kracauers »Spiegelhypothese«). Zweitens projizieren utopische Stoffe Bilder möglicher zukünftiger Gesellschaften (bzw. ein mögliches zukünftiges Bild der gegenwärtigen Gesellschaft) und zeichnen auf diese Weise futuristische Zustände der Erlösung, häufiger jedoch des Niedergangs. Beide Aspekte offenbaren sich überdeutlich am Stadtbild utopischer Filme in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts.
Metamorphosen des Flaneurs im Großstadtfilm
„1839 war es elegant, beim Promenieren eine Schildkröte mit sich zu führen. Das gibt einen Begriff vom Tempo des Flanierens in den Passagen.“
(Benjamin 1998: 532)