Wie interpretiert man einen Film?

So lautet der Titel der bei Reclam erschienenen Einführung in die Filminterpretation, und selbst der Laie mag sich wundern: Was hat ein Filmbuch in einer Reihe „Literaturwissen“ zu suchen? Ist hier vielleicht eine fast hundertjährige Diskussion verschlafen worden, die seinerzeit den Stellenwert des Massenkulturprodukts Film an der Würde der hehren Kunstgattung Literatur zu messen suchte? Wird hier auf eine Herkunft des Films aus der Literatur angespielt und das Problem rigoros als Prioritätenfrage beantwortet? Oder geht es um eine Verwechslung?

Nichts von alledem: Für pädagogische Insider löst sich das Rätsel durch den Untertitel „Für die Sekundarstufe II“ dahingehend, dass einschlägige Lehrpläne für den Schulunterricht die Behandlung von Filmen dem – deutschen – Literaturunterricht anvertrauen und dort zumeist nur „Literaturverfilmungen“ zugelassen werden. Hier wiederum werden die Filmexperten hellhörig, die den Terminus für irreführend halten, wenn er denn definiert werden müsste.

Der Autor des Buches, Peter Beicken, tut gut daran, weder diese widerspruchslastige Frage zu diskutieren noch spezielle Bedürfnisse des Unterrichts in deutscher Literatur theoretisch zu reflektieren. Statt dessen geht er in medias res und gibt eine kurze Einführung in die Geschichte des deutschen Films, der er einige wichtige Grundbegriffe zur Analyse des Films im allgemeinen folgen lässt. Anschließend behandelt er Methoden der Filmanalyse, die den gegenwärtigen theoretischen Standard berücksichtigen, wie etwa in den Kapiteln „feministische Analyse“ und „postkoloniale Filmanalyse“, und erklärt immanent an Beispielen, was damit gemeint ist. Das Kapitel „Filmgenres“ muss, wenn es seinerzeit innovativ gewordene Werke zum Ausgang nimmt, auf Hollywood-Klassiker zurück greifen wie High Noon für den Western oder Easy Rider für den Road Movie.

Das Kapitel „Filminterpretation: Einzelbeispiele“ hält sich wieder konsequent fast ausschließlich an den deutschen Kanon, was der deutschen Filmgeschichte zur Ehre gereicht, denn von Der Student in Prag bis Lola rennt hat die in der Tat Bemerkenswertes aufzuweisen, was exemplarische Interpretationen rechtfertigt. Im vorletzten Kapitel kommt Beicken schließlich auf das Lieblingskind der Deutschlehrer, die Literaturverfilmung, und widmet zwei Exempeln, nämlich Orson Welles’ Kafka-Verfilmung Der Prozeß und Volker Schlöndorffs Homo Faber nach Max Frisch vergleichsweise ausführliche Darstellungen. Sie zeigen, was den Büchern gemäß und den Filmen eigen ist, und mehr kann man nicht sagen.

Ergänzt durch eine Liste von Termini zur Filmanalyse, hat Beicken ein praktikables Buch für seine Zielgruppe, die Schüler/innen der Sekundarstufe sowie ihrer Lehrer/innen geschrieben, das man empfehlen kann.

Peter Beicken
Wie interpretiert man einen Film?
Literaturwissen für Schüler. Für die Sekundarstufe II.
Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2004
Taschenbuch
5,60 €.

Bei Amazon kaufen.

Dr. Sigrid Lange

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.