Verzweifelte Lieben

Auch wenn in den letzten Jahren Rätselhaftes und Prätentiöses, Undurchsichtiges und Widersprüchliches, Phantastisches und Unwirkliches im Kino Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat – das Kino Robert Altmans steht für anderes: für ein Kino der Ratio, für eine Poetik des Ironischen, des Satirischen und des Parodistischen, für eine Dramaturgie, die das Politische mit dem Narrativen zusammendenkt, für eine Poetologie, die das Narrative um eine Ebene des Assoziativen und Thematischen erweitert, für ein „nach-klassisches Kino“, das sich nicht in Ironie und Zitatkunst erschöpft, für eine radikale Auseinandersetzung mit Genrestrukturen und für die Eroberung der Tonmontage als eines eigenständigen Ausdrucksmittels des Films (und nicht nur einer Quelle nicht enden wollender Effekte).

Es gilt, einen Mann zu würdigen und auch zu ehren, der erst jetzt, vierzig Jahre, nachdem er als 43jähriger begonnen hat, nach einer langen Phase in der Fernseh-Serien-Industrie Kino-Filme zu machen, von der Academy in Hollywood am 5. März 2006 mit einem Ehren-Oscar für das Lebenswerk ausgezeichnet werden wird.

Einen, der mit der Gründung der „Lion‘s Gate“-Filmproduktion 1963 die Devise des europäischen Autorenkinos, die Produktionsmittel in die Hand zu bekommen und sich dadurch von der Macht der Studios zu befreien, in den USA umgesetzt hat.

Einen, der in fast allen seinen Filmen auch eine Reflexion über die politischen Dimensionen des Lebens angestellt hat und der aus der Ambivalenz seiner Beziehungen zu den USA nie einen Hehl gemacht hat (der gar nach der Wahl Bushs demonstrativ nach England emigrierte).

Robert Altman. 20.2.1925 in Kansas City geboren. Erster Erfolg 1970. Mit einer groben Satire („M.A.S.H.“). Einen der Filme der Filmgeschichte als Hommage an die 200-Jahr-Feier der USA, der wie kein zweiter Film vorher Musik als Element der Montage einsetzte, Musikstile als Bedeutungselemente verwendte, Musiken als Repräsentanten von Lebensstilen, politischen und epistemischen Haltungen verwendte und dabei das Narrative zu einem bis dahin ungekannten Prinzip weiterentwickelte („Nashville“). Ja, mehr noch: der die Tonspur als eine eigene poetische Möglichkeit des Films zu füllen verstand. Der überlappende Dialog, die Verwendung von oft fast unverständlichen Dialogpassagen, das Spiel mit akustischen Perspektiven: all das sind Strategien, die Altman perfektionierte.

Altman ist der Meister der sonst immer nur klaustrophobischen engen Räume („Secret Honor“, „Come Back to the Five and Dime, Jimmy Dean, Jimmy Dean“). Filme, die in einem Zimmer spielen, die das Drama räumlich auf eine winzige Bühne kondensieren, leben von seinen Erfahrungen als Theaterregisseur (man denke auch an den scharfen Kontrast der Bühnenarrangements und der Außenaufnahmen in „Beyond Therapy“).

Sein Name steht für die Poetiken der Multiprotagonistenfilme, Filme mit 10, 20, 30 oder noch mehr Hauptfiguren, die gleichberechtigt behandelt werden und die jeweils einen vielfach durch das Personale oder Figurale gefilterten Blick auf die erzählten Welten ermöglichen. Manche Kritiker sprachen vom „polyphonen Kino“, von einem Kino der Vielstimmigkeit. Er selbst nannte es das „Nashville-Experiment“ (neben anderen „Nashville“, „A Wedding“, „Short Cuts“, „Prêt-à-Porter“, „Gosford Park“).

Einer der Großen des nachklassischen Kinos. Ein amerikanischer Autorenfilmer. Ein Oppositioneller, dem die Sympathie mit seinen Figuren anzumerken ist, sein Mitleid, aber auch sein Respekt.

Altman ist in fast allen seinen Filmen Satiriker, also Realist. Also kritischer Rationalist.

Alle Filme sind realistisch orientiert. In dieser Welt ist nichts Phantastisches, nichts Magisches, nichts Außersinnliches. Wir sind in dieser Welt, und sie ist kompliziert genug. Um zu verstehen, bedarf es der Analyse, eines analytischen Blicks, einer epistemischen Einstellung, die durchdringen will. Diese Welt ist durchdrungen von Bildern und Inszenierungen ihrer selbst. Täuschungen und Erfindungen, Verdrehungen und Spiegelungen. Zu den spätindustriellen Gesellschaften gehören die Medien und die Bilder, die sie verbreiten, die Funktionen der Bespiegelung und Idolisierung, die sie erfüllen. Mehre Filme Altmans sind explizit der Medien- und Unterhaltungsindustrie gewidmet („Nashville“, „Buffalo Bill and the Indians“, „The Player“, „Kansas City“, „A Prairie Home Companion“), einer der Medizinindustrie („Health“) – gerade die Institutionalisierungen des amerikanischen Alltagslebens, seine im System vorbedachten Reflexionen und Spiegelungen sind ein Ort, an dem Brüche und Widersprüche, Paradoxien und manchmal unaussprechlich scheinende Differenzen zu dem, was ist, greifbar und darstellbar werden.

Und dennoch: Trotz des primär analytischen Interesses beläßt Altman in vielen Formen den Figuren ein Geheimnis. Eine tiefe melancholische Sympathie, die sie nicht beschädigt, die ihnen einen trotzigen oder traurigen Willen zum Leben beläßt. Altman-Filme haben fast immer einen geheimen Fluchtpunkt, auf den manche der Figuren sich zurückorientieren können – einen Fluchtpunkt der Sehnsucht, der Wut, der Verzweiflung. Das Altman-Universum zeigt immer seine romantischen Wurzeln, auch wenn er auf die „romantische Ironie“ verzichtet, analytisch-distanziert bleibt

Es sind vor allem die Frauen-Figuren, die gegen alle Unsinnigkeiten und Widersprüche der erzählten Welten Widerstand leisten, etwas Unbestimmtes und Undurchsichtiges dagegenhalten. Die Frauen in „Three Women“, die erst nach einem komplizierten Wechsel der Identitäten zu einem neuen Lebensgefühl jenseits der Verletzungen und Eitelkeiten des amerikanischen Alltagslebens finden. Mrs. Miller, die Titelfigur aus „MacCabe and Mrs. Miller“, die das Ende der Geschichte im Opiumrausch erfährt, hilflos, wehrlos, unfähig, einzugreifen. Die schizophrene Hauptfigur aus dem immer noch zu unbekannten „Images“ , die eine aus den Fugen geratene Welt erdulden muß, einen Zusammenbruch der Zeit und der Ordnung, die in drei Symbolen zu neuer Einheit findet – im planlosen Tonspiel einer Glasharfe und in einer Geschichte vom Einhorn, die der Geschichte unterlegt ist, vor allem aber in einer Wiederholung der eigenen Figur im Körper eines kleinen Mädchens (dass der Vorname der einen Schauspielerin der Vormane der anderen Rollenfigur ist, deutet nur darauf hin, dass hier auch noch ein Spiel mit den Ebenen der filmischen Darstellung gespielt wird).

Tragen Frauen das Geheimnis, sind die männlichen Charaktere der oft harschen Kritik, dem Gelächter der Ironie oder barer Lächerlichkeit ausgesetzt. Marcello Mastroianni schläft in „Prêt-à-Porter“ im Bett Sophia Lorens ein. In „Kansas City“ kommt Johnny aus rassistischer Inkomptenz um. Die Hauptfigur in „The Player“ gelangt zu Ruhm und Macht durch Mord und Betrug. Der Vater in „Gingerbread Man“ ist ebenso autoritär wie auch noch die Impersonifizierung des Gesetzes. Und in „Popeye“ wird Popeyes Vater – fast als eine Zusammenfassung der männlichen Rollen – charakterisiert als: „He‘s a crook, a thief, a kidnapper, and a bad father and more!“

Filme für Intellektuelle. Dem amerikanischen Kino ist oft vorgeworfen worden, dass es die Illusionierung über alles stelle, dass es den Zuschauer mit sich reiße, ja, dass es ihn narkotisiere. Altmans Filme dagegen rechnen mit einem wachen, selbstbewußten, kritischen Zuschauer. Der sich in den Symbolwelten und Bedeutungen der Realität und des Films besten auskennt. Der sein Vergnügen nicht aus dem Studel der Ereignisse gewinnt, sondern aus der Kollision von Bedeutungen und dem Auffinden von Widersprüchen. Der z.B. versteht, dass der Krieg in Vietnam („M.A.S.H.“ erzählt von Korea, es ist aber klar, dass von Vietnam die Rede ist) auf einem Erfahrungshintergrund basiert, der die Intervention im fremden Land als eine pubertäre Freizeiterfahrung uminterpretiert, als einen ‚jocus‘ jenseits aller politischen Legitimierung des Krieges. Der versteht, dass politische Entscheidung und ihre Exekution wenig miteinander zu tun haben. Und der versteht, dass Schlimmes geschieht, wenn eine kriegerische Intervention in das Szenario eines Jugendlagers transformiert wird – Tür und Tor werden dann geöffnet zu Haltungen und Aktionen, die im amerikanischen Alltagsleben unterdrückt und kontrolliert werden, die nicht nur pubertär, sondern auch rassistisch, sexistisch und zumindest tendenziell sogar totalitaristisch sind.

In allen Filmen geht es auch um Verletzungen, Wunden und Narben, die das Vergangene hinterlassen hat. „It hurts so bad“, singt die unschuldigste der Protagonistinnen in „Nashville“, und sie gibt damit den Ton an für die Kaskade von Schlüssen, die folgen. Die von den Wünschen und Hoffnungen von Figuren handeln und davon, wie sie verraten werden, in Enttäuschungen enden. Die von Eitelkeiten handeln, die verletzen. Von sexuellen Wünschen und Sehnsüchten, die im Alltag nicht erfüllt werden können und die auch im momentanen Ausbruch Wunden schlagen, die das eigentliche Sehnsuchtsideal um so schmerzlicher spürbar machen. Und die immer wieder von Beziehungen erzählen, die eben nicht Erfüllungen, sondern tiefe Entfremdung von der Welt und von sich selbst produzieren – durch den Tod des einen, durch übergroße Ansprüche des einen auf den anderen, durch Zynismus und die Arroganz der Macht des einen über den anderen.

Darum auch finden sich in allen Filmen Figuren, die ihre eigenen Wege gehen. Sonderlinge, Verrückte, Isolierte. Nebenfiguren, die mit dem Kern der Sache zu tun haben. Auch sie sind Indikatoren dafür, dass die Suche nach Identität eines der verdeckten Themen in Altmans Filmen ist, die in stetem Konflikt mit dem Leben in kapitalistischen Bedingungen steht. Die USA-Kritik, die Altman vor allem in seinem Heimatland vorgeworfen worden ist, trägt so Züge einer verzweifelten Sympathie.

Liebesgeschichten. Wie die („Dr T and the Women“) vom Hestia-Komplex, in dem man krank wird und zur perspektivlosen Unschuld eines Kindes regrediert, wenn man zu viel geliebt wird. Oder wie die vom Geschwisterpaar, die voneinander nicht lassen können, weil der eine sich im anderen sieht und umgekehrt („Fool for Love“). Oder die zwischen den Titelfiguren in „MacCabe and Mrs. Miller“, die zueinander hingezogen sind und doch zueinander nicht finden können. Oder die Geschichte der Frau, die zwischen ihren Liebhabern nicht trennen kann – jeder symbolisiert nur eine Seite desjenigen, auf das ihre Sehnsucht gerichtet ist (in „Images“, in dem die drei Liebhaber in einer fulminanten Montagesequenz miteinander verschmolzen werden resp. wie Irrlichternde Schatten des nur imaginären Liebhabers durcheinander irisieren).

Sexualität als wiederkehrendes Thema. Als innerster Raum der Individualität, so dass Verletzungen und Enttäuschungen hier die bleibendsten Narben hinterlassen können. Bei allem Spiel mit Erscheinungsweisen und sozialen Rollen – viele der Figuren agieren auf einer unsichtbaren Bühne, performieren eine Identität, die sie sich selbst zugemessen haben, sie unterwerfen sich der Norm, weil sie sich gegen das Ausleben eigentlicher Affektenergien stemmen – bleibt das Sexuelle als ein Ort einer ursprünglichen Sehnsucht erkennbar. Alle Deformationen dieser ursprünglichen Energie produzieren Unglück. Wie in der unsäglichen Modernisierung des Salome-Stoffs in „Cookie‘s Fortune“, in dem die machtvolle Frau, die durch strikte Anti-Sexualität markiert ist, sich ebenso wenig gegen die dumme Machtlose, die ihr als Buddy-Figur zur Seite gestellt ist und die die Salome in einem Theaterstück im Film spielt, durchsetzen kann wie gegen ihre verleugnete (sexuell aktive und fordernde) Tochter; auch gegen die Männer des Dorfes, die für sich das Angeln als Sexualitätsäquivalent entschieden haben, sind gegen ihre Intrige immun. Oder wie in „Fool for Love“, in dem Halbgeschwister in eine furchtbare ‚amour fou‘ gebunden sind, einer schicksalhaften Energie folgend, die sie zueinander treibt und die sie aneinander kettet; und auch der Vater, der zwei Lieben gleichzeitig hatte und in jeder ein Kind zeugte, steht dem fatalen Zusammenkommen seiner beiden Bindungen kommentar- und hilflos entgegen, ein Säufer, den wie seine Kinder eine Schuld belastet, für die er nichts kann.

Ein filmisches Oeuvre, das zum dichtesten und konsequentesten zählt, das die Filmgeschichte hervorgebracht hat. Ein Ensemble von Filmen, das aus allen Trends der Hollywood-Produktion herausfällt und dennoch zum Amerikanischsten gehört, das das Kino der letzten 40 Jahre hervorgebracht hat. Das auf der Suche nach ‚americanité‘ gegangen ist und auf eine zerrissene, mit Schuld und Schmerzen belastete kollektive Identität gestoßen ist, die wie unter einem Bann immer neu umzirkelt wird – getragen von distanzierter Sympathie. Die Satire überdeckt eine Zuneigung zu den Figuren, die die amerikanische Seele vertreten, die deren Schmerzen sieht, obwohl jene sie sich selbst nicht eingestehen mögen.

Hans J. Wulff

Über den Autor: Hans Jürgen Wulff ist Professor für Medienwissenschaften am Institut für Neuere Deutsche Literatur und Medien der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. (Homepage)

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