„Hostel“ und „Hostel II“[1] setzen aktuelle ökonomische Diskurse als Horror-Ästhetik um. Das Hauptthema beider Filme ist eine neue Form des modernen Kapitalismus, die sowohl Expansion des Kapitals nach Außen wie Globalisierung[2] als auch nach Innen wie Kommerzialisierung intimer Lebensbereiche bis hin zu individuellen Identitätskonzepten[3] auffasst. Freud umformulierend wird Ökonomie zum Schicksal des männlichen Subjektes, die aber die Form des Destruktions- bzw. Todestriebes einnimmt. Beide „Hostels“ präsentieren das heutzutage bevorzugte Wirtschaftssubjekt als Lustmörder.
Vom Nutzen der Bücherverbrennung & Co.
Es ist nicht gerade so, dass es dringend an der Zeit wäre, dem slowenischen Philosophen Slavoj Žižek endlich eine Präsenz in bewegten Bildern zu geben. Über den Lacanianer gibt es ganz im Gegenteil bereits eine Vielzahl an filmischen Abarbeitungen. Man erinnere sich etwa an Astra Taylors Königsportrait „Zizek!“ von 2005, bei dem sich erlernen ließ, dass der wuschelige Wirrkopf seine Unterhosen im Geschirrschrank aufhängt. Taylor war es auch, die ihn drei Jahre später in ihrer episodischen Philosophenansammlung „Examined Life“ auf die Müllkippe schickte, um den Marxisten darüber schwadronieren zu lassen, warum der Mensch angesichts des eigenen Abfalls in Transzendenzzustände fallen sollte, anstatt dem romantischen Gedanken der Liebe zur Natur nachzuhängen. Schließlich ist da noch „The Pervert’s Guide to Cinema„, in welchem Žižek selbst zum Erzähler wird und das tut, was er am Liebsten macht: Schwatzen, palavern, plappern über Film, auf Film, im Film.
Kurzrezensionen Januar 2007
Er selbst
„Die Einstellung ist die Einstellung“, konstatierte einst die Filmwissenschaftlerin Gertrut Koch. Diesem Doppelsinn von Einstellung ist auch der Titel des Sammelband aus dem Suhrkamp-Verlag „Jenseits der Einstellung“ verpflichtet, der die Vorträge und Aufsätze des frühen sowjetischen Filmtheoretikers Sergej M. Eistenstein abermals in den filmwissenschaftlichen Diskurs bringt. Herausgeber Diederichs fordert eine Neubewertung dieser frühen Filmtheorien nach dem Ende des Staatssozialismus und liefert mit dem Taschenbuch die Basis dafür. Zwanzig zwischen 1923 und 1948 verfasste Texte zur Filmtheorie, von der Montage über die Musik bis hin zur Frage der Autorschaft, enthält das Buch und wird mit dem Ergebnisteil der Eisenstein-Dissertation des Filmwissenschaftlers Felix Lenz abgerundet. Mit diesem Eisenstein-Sammelband macht der Suhrkamp-Verlag nach der ebenfalls von Diederichs herausgegebenen „Geschichte der Filmtheorie“ weitere Basis- und Frühtexte der Filmwissenschaften wieder verfügbar.
Sergej M. Eisenstein: Jenseits der Einstellung. Schriften zur Filmtheorie. Herausgegeben von Felix Lenz und Helmut H. Diederichs. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006. 455 Seiten (Paperback), 16,00 Euro. Bei Amazon kaufen.
Die Sehnsucht nach dem Vater
Die klassische psychoanalytische Theorie hat zur Bestätigung oder Illustration ihrer Thesen häufig auf die Erzeugnisse der Kunst (vor allem der Literatur) zurückgegriffen. Der moderne Künstler bedient sich dagegen selbst der Psychoanalyse, um seine Message zu vermitteln, und die psychoanalytische Deutung muss sich jetzt vor allem darauf konzentrieren, die entsprechenden Einspielungen zu entschlüsseln, anstatt das aus dem Werk sprechende Unbewusste ans Tageslicht führen zu wollen. So zeigt Manfred Riepe in seiner Pedro Almodόvar gewidmeten Monographie „Intensivstation Sehnsucht“, dass der Regisseur sich durchaus bewusst durch sein ganzes Schaffen hindurch mit einzelnen Leitsätzen der freudschen Lehre auseinandergesetzt hat.
„Die Sehnsucht nach dem Vater“ weiterlesen
»The Retina of the mind’s Eye«
In seiner einhundertjährigen Geschichte haben der Film (1) und seine Autoren stets versucht, den Nimbus der bloßen Unterhaltungsware abzulegen. Eines der nachhaltigsten Ergebnisse dieser Bemühung war, dass nach dem zweiten Weltkrieg zwischen Unterhaltungs- und Kunstfilm unterschieden wurde. Die Theorien der „Neuen Wellen“ haben aber nicht „ausgegrenzt“, sondern den vormals als Unterhaltung per se diskreditierte Genrefilm ebenfalls vom Verdacht befreit, anspruchslos zu sein: Die Western John Fords oder die Thriller Alfred Hitchcocks sind zwei Beispiele von hochgradig reflektierendem Autoren-Genre-Kino. Hinter der Differenzierung von ernstem und Unterhaltungsfilm scheint ein besonderes Ansinnen zu stecken: Der Autorenfilm soll nicht allein gefallen, sondern Intention oder doch wenigstens Bedeutung transportieren, die dem Zuschauer dann auch jenseits der Kinomauern „nützt“.
Drei Punkte nach der Sexualtheorie
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Geschichte der Psychoanalyse wird durch zweierlei erschwert: Zum ersten durch die Tatsache, dass die wesentlichen Paradigmen der Theorie nicht falsifizierbar sind – was die Psychoanalyse zu einer Art Metaphysik der Seele macht; zum Anderen dadurch, dass deren Begründer Sigmund Freud die Psychoanalyse wie eine Religion gegründet und verbreitet hat: Eine eigene Schule mit Eingeweihten und Exkommunizierten, für Wissenschaften der unübliche Verbreitungsweg. Diese beiden Tatsachen sind der Grund dafür, dass die Psychoanalyse innerhalb der Psychologie sehr kontrovers diskutiert wird. Kritische Diskussionen und Einführungen scheinen also notwendig, um zu klären, wo die speziellen Leistungen und Schwächen der Theorie sind.
Psychoanalyse, transdisziplinär
Die Psychoanalyse ist als Wissenschaft selbst transdisziplinär angelegt gewesen und hat diesen Charakter außerhalb der psychologischen Forschung auch stets behalten. Ihr Begründer Sigmund Freud hat nicht wenige seiner Studien über die Betrachtung des Individuums auf die Gesellschaft erweitert (Das Unbehagen in der Kultur, 1929/30) und auf die Ästehtik übertragen (Das Unheimliche, 1919). Dass er als Intellektueller seiner Zeit an wichtigen Debatten teilgenommen hat, zeigt nicht zuletzt sein Briefwechsel mit Albert Einstein „Warum Krieg?“ (1933). Die Psychoanalyse als „Psychologie“ hingegen hat sich aus der Transdiszipliarität immer mehr zurückgezogen und das, obwohl die einzelnen Disziplinen aus Natur- und Kulturwissenschaften stets an der Erweiterung der Theorie mitgearbeitet haben.
Film und Metapher
David Cronenberg erinnert sich: »Einmal rief mich ein amerikanischer Kritiker an, der mir sagte: ‚Für einen Amerikaner sind Ihre Filme wie ein seltsamer Traum. Die Straßen wirken amerikanisch, sind es aber nicht. Die Personen sehen aus wie Amerikaner, sind aber keine. Sie sprechen wie Amerikaner und sprechen doch anders.’« Wollte man Cronenbergs Kino grob situieren, so könnte man seine Filme als eine Art Synthese zwischen dem recht puren Amerikaner David Lynch und dem recht puren Europäer Peter Greenaway bezeichnen. Mit seinem Kleinstadthorror in Blue Velvet (USA 1986) und Twin Peaks (USA 1990) und seinen Verirrungen auf dem Lost Highway (USA 1996) und dem Mulholland Drive (USA 2001) bebildert Lynch die Kehrseite des amerikanischen Traums. Die barock überladenen Bild-Ornamente eines Greenaway stehen somit in einem größtmöglichen Gegensatz zu Lynchs Gewalt-Agonie. Eine Art Synthese zwischen Lynchs amerikanischer Erzählweise und Greenaways Poetik erreicht Cronenberg dadurch, dass sein filmisches Schaffen selbst dann ausdrücklich von der Literatur geprägt ist, wenn er, wie bei seinen frühen Filmen, die Drehbücher selbst verfasst hat. Nabokow, Beckett und Kafka zählen zu Cronenbergs Lieblingsautoren, aber auch William S. Burroughs. In Naked Lunch (Can 1991), Cronenbergs Burroughs-Verfilmung, sagt die Frau des Kammerjägers Bill Lee, nachdem sie sich mit einer Heroin-Nadel das Wanzenpulver ihres Mannes in die Venen (bzw. in die Brust) geschossen hat: »Es ist ein Kafka-Rausch. Du fühlst Dich wie ein Käfer«. Das ist zugleich eine treffende Bezeichnung für Cronenbergs Vorlieben für Verwandlungen, Metamorphosen und Deformationen im körperlichen und seelischen Bereich.