Wenn zwei Exzentriker wie David Lynch und Werner Herzog aufeinandertreffen und gemeinsam einen Film drehen, dann kann das Ergebnis eigentlich kaum den Massengeschmack ansprechen – zumal jeder der beiden Künstler für sich bereits eher ein avantgardistisches Spartenkino bedient. Es wäre also viel weniger die Frage an Herzogs „My Son, My Son, What Have Ye Done“ zu stellen, ob der Film „gut“ ist, sondern vielmehr, wie der Regisseur Herzog und sein Produzent Lynch eine fruchtbare Schnittmenge gebildet haben. Unweigerlich fragt man sich also beim Anschauen des Films, welche Idee da wohl von wem gekommen ist und auf wessen Einfall die jeweilige Umsetzung zurückzuführen sein könnte.
Lieber tot als Sklave
Zu Beginn von Perry Henzells Klassiker „The Harder They Come“ aus dem Jahr 1972 begleitet der Zuschauer den Protagonisten Ivan (Jimmy Cliff) auf seiner Reise vom Land nach Kingston, der Hauptstadt Jamaikas. Die Fahrt mit dem klapprigen Bus über Schotterpisten und durch winzige Dörfchen, denen man die Armut der Einwohner ansieht, wird untermalt von Desmond Dekkers inspirierendem „You can get it if you really want“, das Ivans Zuversicht und Tatendrang Ausdruck verleiht. Doch die bittere Ironie dieses Songs wird sich dem Zuschauer erst im weiteren Verlauf des Films erschließen …
Der (Selbst-)Bestrafer
Unter den tough guys des Neo-Noir ist Malone (Thomas Jane) der toughste, daran lässt schon die Einleitung von Russell Mulcahys „Give ’em Hell, Malone!“ keinen Zweifel. Da spritzen Blutfontänen meterhoch, werden böse Jungs dutzendweise und ohne Rücksicht auf die eigene Konstitution zerschlagen, zerstochen, zerschossen. Stechen, bevor der Gegner schlägt, und schießen, bevor er zusticht – so lautet die Maxime des Helden, der so gern ein Antiheld wäre, denn: „Once you’re dead, you stay that way.“ Die Form, an die Mulcahy hier Anschluss sucht, ist die des Film noir, doch der Auftakt erinnert eher an nerdige Splatter-Extravaganzen im Stile von Joe Carnahans „Smokin’ Aces“ oder Michael Davis‘ „Shoot’em Up“. Eine filmische Form also, die nicht unbedingt auf Augenhöhe mit den kreativen Tendenzen im gegenwärtigen Bewegungskino ist. Und auch wenn „Give ‘em Hell, Malone!“ es, nachdem er in den ersten zehn Minuten schon einmal das Splatternerdpublikum auf seine Seite gezogen hat, dann auch dabei belässt und in den restlichen gut 80 Minuten andere, ruhigere Pfade beschreitet, spiegelt sich darin doch der Grundzwiespalt eines nicht durchweg gelungenen Films.
Schnittstellen – Serienmord im Film
Berlin, 15.04.2010 – Soeben ist die Monografie „Schnittstellen – Serienmord im Film“ von F.LM-Herausgeber und -Chefredakteur Stefan Höltgen im Marburger Schüren-Verlag erschienen. Darin werden circa 40 Serienmörderfilme, die zwischen 1924 und 2003 erschienen sind, auf die Frage hin untersucht, auf welche Weise in ihnen Authentizität konstruiert wird. Der methodische Fokus der Arbeit liegt auf der detaillierten Analyse der Filme und ihrer Paratexte, um die kulturelle Resonanz der Werke zu rekonstruieren und die zeitgenössischen Diskurse zu ihnen nachzuzeichnen. Dazu werden Fragen zur Kriminalgeschichte (bei historischen Vorlagen), zur Gewaltdarstellung, Filmzensur, Affektproduktion, politischer Lesarten und auf welche Weise der Film an einer Verstehbarmachung des Phänomens Serienmord für die breite Öffentlichkeit arbeitet, auf circa 400 Seiten des Bandes gestellt.
Die Monografie basiert auf der Dissertationsschrift, welche der Autor im Herbst 2008 an der Universität Bonn eingereicht hat, stellt allerdings eine umfangreiche Überarbeitung derselben dar: Neben zahlreichen Detailänderungen verfügt der Text nun auch über farbige Abbildungen sowie ausführliche Namens- und Titelregister, die die Lektüre des ebenso als eine Art „Lexikon des Serienmörderfilms“ verwendbaren Buches unterstützten sollen. Das Paperback ist ab sofort über den Verlag oder den Buchhandel beziehbar. Einen Einblick gewährt der Schüren-Verlag bei Libreka. Erste Rezensionen finden sich bei Der Schnitt, Caligari und Das Manifest sowie in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Deadline“.
Stefan Höltgen
Schnittstellen – Serienmord im Film
Marburg: Schüren-Verlag 2010
409 Seiten (Taschenbuch) mit schwarz-weißen und farbigen Abbildungen
29,90 Euro
Informationen vom Verlag
L.A., offene Stadt
„Just wrap your legs round these velvet rims / And strap your hands across my engines.” (Bruce Springsteen)
Das Automobil zählt zweifelsohne zu den bedeutendsten Fetischobjekten des Kinos. Seine Faszinationskraft lässt sich nicht bloß thematisch begründen: viel eher ist von einer strukturellen Anziehung zwischen ihm und dem kinematographischen Apparat auszugehen. Die Bewegung: der Filmstreifen, die Fahrbahnmarkierung. Der glattglänzende Lack der Oberfläche, das Grob-Motorische, Zerklüftete unter dem Lack, und schließlich: der destruktive Akt, die Verformung der Oberfläche, die Offenlegung letztlich des versteckten Maschinellen – alles erotische Momente, nachzuschlagen etwa bei Ballard/Cronenberg. Die Bewegung: das Grundfaszinosum des Kinos. Allein im Dunkel sitzen und gebannt werden – nicht von Erzählung, sondern von Bewegung. Der Traum vom Kino: von einem Leben ohne Stillstand, immer on the road und on the run. Die Objekte des Bildes, von der Photographie noch in Ewigkeit eingefroren, werden vom Filmprojektor stetig vorangepeitscht. Wo sie selbst stillstehen mögen, wird die Welt um sie herum in Bewegung gesetzt. „Aber nicht mehr die Figuren reagieren auf die optisch-akustischen Situationen, sondern die Bewegung der Welt tritt an die Stelle der zurücktretenden Bewegung der Figur.“ (Gilles Deleuze) Weil es auf eine grundlegende Sehnsucht des modernen Menschen zu antworten weiß – die Sehnsucht, es möge immer irgendeine Richtung geben, in die es weiterzugehen gilt –, muss die Beziehung des Menschen zum Kino als eine amour fou betrachtet werden.
Leerstellen des Humanismus
9/11 als traumatischer Bezugspunkt bestimmt schon seit längerer Zeit den Bilderkosmos Hollywoods: manifest etwa in Oliver Stones „World Trade Center“, latent in den jüngsten Apokalypsevisionen „I am Legend“ und „Cloverfield“. Schon die exzessive Gewalt in „Hostel“, so wollte es der Gesellschaftskritiker in manchem Filmkritiker, seien im Kern als Reflex der Folterbilder aus Abu Ghraib zu deuten, die selbst wiederum dem Diskurs der Mythologien eine weitere Note hinzuzufügen wussten: Nicht bloß die Wahrheit stürbe als erste im Krieg, sondern mit ihr nun auch die Humanität. An letzteren Strang knüpft Paul Higgis mit seiner zweiten Regiearbeit nach dem Debüt „Crash“ an und führt das Abstraktum Trauma 9/11 anhand des Irak-Kriegs ins handfeste Narrativ seiner geopolitischen Folgen. Brian de Palma, dies nur Rande, wird es ihm demnächst mit „Redacted“ gleich tun, obgleich mit gänzlich entgegen gesetzten Mitteln. „Leerstellen des Humanismus“ weiterlesen
Son of M
Während des Zweiten Weltkriegs erfährt der Serologe Dr. Rothe (Peter Lorre) von der Gestapo, dass eine seiner Mitarbeiterinnen wichtige Forschungsergebnisse verraten hat. Rothe gerät in arge Bedrängnis und weiß sich aus Angst nicht anders zu helfen, als die Verräterin, seine Geliebte, umzubringen. Der Mord wird vertuscht, Rothe kann verschwinden und unter dem Namen Neumeister nach Kriegsende ein neues Leben als Arzt in einem Flüchtlingslager beginnen. Das schlechte Gewissen und die Furcht vor Enttarnung nagen jedoch an ihm. Die Situation spitzt sich zu, als ein Neuer im Lager ankommt, der sich als ehemaliger Kollege und vor allem als Mitwisser entpuppt … „Son of M“ weiterlesen
Über die (Un)möglichkeit der Kritik
Das Verhältnis des Kritikers zu seinem Objekt ist ein problematisches. So sehr der Kritiker sich auch von seinem Gegenstand zu emanzipieren sucht, so sehr wird er auf dieses zurück geworfen, geht er eine Symbiose mit ihm ein. Adorno hat über diese komplexe Beziehung geschrieben und verdeutlicht, wie schwierig die Gratwanderung – das konstruktive Einfühlen in den Gegenstand auf der einen, das richterliche Aburteilen von oben herab auf der anderen Seite – für jeden ist, der sich anschickt, Kritik zu üben. Die kritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft hat auch im Kino eine lange Tradition, ihre Möglichkeiten und Grenzen werden und wurden jedoch nur selten explizit thematisiert, wohl nicht zuletzt, weil die Reflexion darüber zu theoretisch und damit unfilmisch erscheint. Einer der großen Gesellschaftskritiker des europäischen Films, Damiano Damiani, bildet mit seinem Film „Warum musste Staatsanwalt Traini sterben?“ eine Ausnahme.
Kurzrezensionen Januar 2007
Er selbst
„Die Einstellung ist die Einstellung“, konstatierte einst die Filmwissenschaftlerin Gertrut Koch. Diesem Doppelsinn von Einstellung ist auch der Titel des Sammelband aus dem Suhrkamp-Verlag „Jenseits der Einstellung“ verpflichtet, der die Vorträge und Aufsätze des frühen sowjetischen Filmtheoretikers Sergej M. Eistenstein abermals in den filmwissenschaftlichen Diskurs bringt. Herausgeber Diederichs fordert eine Neubewertung dieser frühen Filmtheorien nach dem Ende des Staatssozialismus und liefert mit dem Taschenbuch die Basis dafür. Zwanzig zwischen 1923 und 1948 verfasste Texte zur Filmtheorie, von der Montage über die Musik bis hin zur Frage der Autorschaft, enthält das Buch und wird mit dem Ergebnisteil der Eisenstein-Dissertation des Filmwissenschaftlers Felix Lenz abgerundet. Mit diesem Eisenstein-Sammelband macht der Suhrkamp-Verlag nach der ebenfalls von Diederichs herausgegebenen „Geschichte der Filmtheorie“ weitere Basis- und Frühtexte der Filmwissenschaften wieder verfügbar.
Sergej M. Eisenstein: Jenseits der Einstellung. Schriften zur Filmtheorie. Herausgegeben von Felix Lenz und Helmut H. Diederichs. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006. 455 Seiten (Paperback), 16,00 Euro. Bei Amazon kaufen.
Ein Kind war Zeuge
Ein Kind war Zeuge erzählt eine Geschichte, wie sie der heutige Kinogänger oder Filmfreund so ähnlich auch schon aus Clint Eastwoods Perfect World (USA 1993) kennt und die für diesen vielleicht sogar als Blaupause diente: In den Jahren kurz nach dem 2. Weltkrieg wird in England ein junger Mörder aus Leidenschaft, Chris Loyd, unmittelbar nach seiner Tat von einem kleinen Jungen, Robbie, überrascht. Kurzentschlossen nimmt Chris den Kleinen unter seine Obhut; zunächst noch, weil er ein Zeuge sein könnte, später dann, weil er ihm von Nutzen ist, und schließlich, weil sich zwischen beiden eine zärtliche Freundschaft entwickelt, die mit Vater-Sohn-Beziehung nur unscharf umschrieben wäre. Begünstigt wird diese Entwicklung dadurch, dass auch der Junge – wie wir selbst nur Stück für Stück erfahren – kein Interesse an einer Rückkehr nach Hause hat, weil er zuvor beinahe das Haus der Stiefeltern abgefackelt hat und nun mehr als nur die Schläge, die ihm ohnehin Alltag sind, fürchtet. Die Flucht der beiden – aus der Stadt hinaus, dann querfeldein – abenteuerlich, entwickelt aber – da die Ordnungskräfte eine tragische Geiselnahme wähnen und die Presse ins gleiche Horn bläst – zunehmend dramatischen Charakter. „Ein Kind war Zeuge“ weiterlesen
Film und Metapher
David Cronenberg erinnert sich: »Einmal rief mich ein amerikanischer Kritiker an, der mir sagte: ‚Für einen Amerikaner sind Ihre Filme wie ein seltsamer Traum. Die Straßen wirken amerikanisch, sind es aber nicht. Die Personen sehen aus wie Amerikaner, sind aber keine. Sie sprechen wie Amerikaner und sprechen doch anders.’« Wollte man Cronenbergs Kino grob situieren, so könnte man seine Filme als eine Art Synthese zwischen dem recht puren Amerikaner David Lynch und dem recht puren Europäer Peter Greenaway bezeichnen. Mit seinem Kleinstadthorror in Blue Velvet (USA 1986) und Twin Peaks (USA 1990) und seinen Verirrungen auf dem Lost Highway (USA 1996) und dem Mulholland Drive (USA 2001) bebildert Lynch die Kehrseite des amerikanischen Traums. Die barock überladenen Bild-Ornamente eines Greenaway stehen somit in einem größtmöglichen Gegensatz zu Lynchs Gewalt-Agonie. Eine Art Synthese zwischen Lynchs amerikanischer Erzählweise und Greenaways Poetik erreicht Cronenberg dadurch, dass sein filmisches Schaffen selbst dann ausdrücklich von der Literatur geprägt ist, wenn er, wie bei seinen frühen Filmen, die Drehbücher selbst verfasst hat. Nabokow, Beckett und Kafka zählen zu Cronenbergs Lieblingsautoren, aber auch William S. Burroughs. In Naked Lunch (Can 1991), Cronenbergs Burroughs-Verfilmung, sagt die Frau des Kammerjägers Bill Lee, nachdem sie sich mit einer Heroin-Nadel das Wanzenpulver ihres Mannes in die Venen (bzw. in die Brust) geschossen hat: »Es ist ein Kafka-Rausch. Du fühlst Dich wie ein Käfer«. Das ist zugleich eine treffende Bezeichnung für Cronenbergs Vorlieben für Verwandlungen, Metamorphosen und Deformationen im körperlichen und seelischen Bereich.