Über die (Un)möglichkeit der Kritik

Das Verhältnis des Kritikers zu seinem Objekt ist ein problematisches. So sehr der Kritiker sich auch von seinem Gegenstand zu emanzipieren sucht, so sehr wird er auf dieses zurück geworfen, geht er eine Symbiose mit ihm ein. Adorno hat über diese komplexe Beziehung geschrieben und verdeutlicht, wie schwierig die Gratwanderung – das konstruktive Einfühlen in den Gegenstand auf der einen, das richterliche Aburteilen von oben herab auf der anderen Seite – für jeden ist, der sich anschickt, Kritik zu üben. Die kritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft hat auch im Kino eine lange Tradition, ihre Möglichkeiten und Grenzen werden und wurden jedoch nur selten explizit thematisiert, wohl nicht zuletzt, weil die Reflexion darüber zu theoretisch und damit unfilmisch erscheint. Einer der großen Gesellschaftskritiker des europäischen Films, Damiano Damiani, bildet mit seinem Film „Warum musste Staatsanwalt Traini sterben?“ eine Ausnahme.

traini.jpgDamianis Film beginnt mit einer Filmvorführung. Der Staatsanwalt Traini betrachtet auf einen Hinweis hin das neue Werk des Regisseurs Giacomo Solaris (Franco Nero), in dem es um die Ermordung eines korrupten Staatsanwaltes geht – ein für jedermann erkennbares, kaum kaschiertes Ebenbild Trainis. Solaris, ein passionierter linker Intellektueller, geht mit seinem Film bewusst auf Konfrontationskurs: Er beschuldigt den Staatsanwalt der Kollaboration mit Politik und Mafia, lässt ihn das Gesetz nach eigenem Gutdünken beugen und beendet den Film schließlich mit dessen spektakulärer Ermordung auf den Stufen vor dem Gericht Palermos. Zu Solaris Erstaunen ist die Reaktion Trainis auf die Anschuldigungen sehr zurückhaltend: Der ausdrücklichen Einladung Solaris’, mit ihm vor Gericht zu ziehen, kommt Traini nicht nach, obwohl er behauptet, alle erhobenen Vorwürfe entkräften zu können, und seine Chancen auch alles andere als schlecht stehen, schließlich sitzt er am längeren Hebel. Als der Staatsanwalt wenig später tatsächlich tot aufgefunden wird, ist sich Solaris sicher, dass der Politiker jenem politischen Komplott zum Opfer gefallen ist, das er mit seinem Film aufdecken wollte. Und weil der Regisseur die Ermordung ja beinah heraufbeschworen hatte, sieht auch er sich einigen Vorwürfen ausgesetzt. Als im Zuge der Ermittlungen ein kleiner Parkplatzwächter als Bauernopfer festgenommen wird, setzt Solaris alles daran, den wahren Mörder zu finden …

Damiano Damiani zählt zu den wichtigsten Regisseuren des cinema di dinuncia, dem kämpferisch-linken italienischen Kino der Sechziger- und Siebziger-Jahre. In seinen Filmen thematisierte er oft die Verfilzung von Justiz und Politik, die Durchdringung aller Lebensbereiche durch mafiöse Korruption. Seine Helden sind Kritiker, die sich an ihrem Objekt die Zähne ausbeißen und am Ende einsehen müssen, dass es für den Einzelnen unmöglich ist, die Zustände entscheidend zu verändern. Damiani beschäftigt sich aber immer auch mit der Frage nach der Legitimation und den Methoden seiner Helden, zeichnet sie als Besessene, die in ihrem Feuereifer oft zu denselben Mitteln greifen wie jene, die sie bekämpfen wollen. Die Diagnose, die den Ausgangspunkt für „Warum musste Staatsanwalt Traini sterben?“ darstellt, teilt er mit seinen anderen Filmen, zum Beispiel „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“, um den wohl bekanntesten zu nennen. Doch hier hinterfragt Damiani zum ersten Mal seine eigene Position. Sein Giacomo Solaris ist das alter ego des Regisseurs. Er will aufrütteln, aktiv ins Geschehen eingreifen, mit seinem Film die Dinge beeinflussen, verändern. Am Ende muss er erkennen, dass er mit seinem Film genau das Gegenteil erreicht hat: Er hat dazu beigetragen, den status quo zu festigen.

Im Unterschied zum wütenden Ton seines „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“ oder „Töte, Amigo“, seinem nicht minder politisch motivierten Ausflug ins Italowestern-Genre, ist „Warum musste Saatsanwalt Traini sterben?“ sehr viel versöhnlicher geraten. Zwar muss mit Giacomo Solaris die gesamte Linke eine herbe Niederlage einstecken, doch was hier zählt, ist nicht die Gesinnungspolitik, sondern das universelle Ideal des Humanismus. So sehr er das, wofür Traini auch steht, verachtet, gibt sich Solaris niemals den utilitaristischen Rechenspielchen hin, nach denen der Zweck jedes Mittel heiligt. Die Gerechtigkeit muss siegen, auch wenn dieser Sieg einen Rückschlag für die sich im Recht wähnende Linke bedeutet. Damiani erteilt damit jeglicher Revoluzzer- und Umstürzlerfantasie eine herbe Absage, die den Film von vielen thematisch ähnlichen Zeitgenossen abhebt. Der Wermutstropfen der bleibt, ist die Erkenntnis, dass die Gegenseite weniger Skrupel hat. Mit „Warum musste Staatsanwalt Traini sterben?“ hat Damiano Damiani einen spannenden, komplexen und wichtigen, vielleicht sogar den Schlüsselfilm des cinema di dinuncia inszeniert. Und einen Film, den sich jeder kritisch eingestellter Mensch ansehen sollte.

Warum musste Staatsanwalt Traini sterben?
(Perché si uccide un magistrato?, Italien 1974)
Regie: Damiano Damiani, Drehbuch: Damiano Damiani, Enrico Ribulsi, Kamera: Mario Vulpiani, Musik: Riz Ortolani, Schnitt: Antonio Siciliano
Darsteller: Franco Nero, Marco Guglielmi, Francoise Fabian, Mico Cundari, Renzo Palmer
Länge: 105 Minuten
Verleih: Colosseo Film

Zur DVD von Colosseo Film

Die DVD von „Warum musste Staatsanwalt Traini sterben?“ würde der Anglophone wahrscheinlich als „bare bones“ bezeichnen: Außer einem italienischen Trailer finden sich keinerlei Extras auf der Scheibe. Das macht aber nichts, denn die Präsentation des Films lässt keine Wünsche offen. Das Bild ist – von den Anfangscredits abgesehen, die wohl von einer anderen Quelle als der Rest stammen – einwandfrei, sehr scharf und äußerst farbenfroh. Die Menügestaltung ist ebenfalls sehr ansprechend, wirft aber die Frage auf, warum man sich beim DVD-Cover nicht etwas mehr Mühe gegeben hat. Die einfallslose Fotomontage dürfte selbst potenzielle Käufer nicht gerade motivieren, die DVD zur Kasse zu tragen. Schade, denn verdient hätte sie es auf jeden Fall.

Zur Ausstattung der DVD:

Bild: 1,85:1
Ton: Deutsch (Mono 2.0), Italienisch (Mono 2.0)
Länge: 105 Minuten
Extra: Trailer
FSK: ab 16
Preis: 8,95 Euro

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