„Power to the People!“ – Dieser Schlachtruf der Schwarzenbewegung schallt auch im Verlauf der titelgebenden Block Party von der Bühne, hinein in die Menge, die sich auf einer Straßenkreuzung irgendwo in Bedford-Stuyvesant, einem Viertel des New Yorker Stadtteils Brooklyn, versammelt hat. Ein Satz, der eigentlich längst zum Klischee geronnen ist, hier, in diesem Kontext aber tatsächlich seine einstige Bedeutung wiedererlangt. Musik ist nicht dazu da, die Konten ihrer Protagonisten ins Unermessliche anwachsen zu lassen, sondern um das auszusprechen, was den Menschen beschäftigt, und, ja, wäre man spirituell veranlagt, würde man wohl sagen: um ihn zu erheben.
Rewind, nochmal von vorn: Am 18. September 2004 lädt der populäre Stand-Up-Comedian Dave Chappelle zur Block Party, einem Konzert mitten auf der Straße. Nicht im Sinne von „Dave Chappelle presents“ in irgendwelchen Werbespots, auf dem Soundtrack zum Event: Es gibt keine Werbung, keine Eintrittspreise, keine Gesichtskontrolle am Eingang, keine größenwahnsinnigen Stars, die mit der gepanzerten Limousine vorfahren. Stattdessen bringt Chappelle seine Zuschauer beinahe persönlich vor die Bühne, nachdem er sie unter anderem in einem kleinen Ort in Ohio buchstäblich angeworben hat. Die Botschaft ist klar: Bringt die Musik zurück auf die Straße, zu den Menschen, dorthin, wo sie hingehört, wo sie herkommt! Die Musik ist in diesem speziellen Fall der Hip-Hop, zelebriert von seiner intellektuellen Elite: Common, Mos Def, Talib Kweli, The Roots, Kanye West, Dead Prez, The Fugees und Erykah Badu, um nur einige zu nennen. Sie vereint nicht nur eine politische und antikapitalistische Einstellung, sondern vor allem eine freundschaftliche, ja beinahe familiäre Bindung. Mit platten Phrasen, Gangster-Lifestyle, verchromten 16-Inch-Felgen und den silikonbehandelten „bitches“, mit denen ihre Musik heute zumeist identifiziert wird, haben sie nichts am Hut. Die Reise nach Brooklyn ist für sie auch kein marketingwirksames „Back to the Roots“, sondern schlicht ein Auftritt zu Hause. Und das ist nur einer der Gründe, warum sofort eine spürbare Einheit zwischen den Protagonisten auf der Bühne und den begeisterten Fans, besser: Gästen, davor entsteht.
Michel Gondry, der Regisseur von DAVE CHAPPELLE’S BLOCK PARTY, verschwindet fast völlig hinter seinem Film, lässt sich mit seinem Moderator und Hauptdarsteller vom Flow der Ereignisse treiben. Wie von allein entwickelt sich ein narrativer Strang, ohne dass dieser jemals beabsichtigt oder geplant schiene. Gondry folgt Chappelle nach Ohio, wo dieser versucht, Besucher für sein Konzert zu gewinnen; er besucht mit ihm den Proberaum, in dem die Musiker gemeinsam ihre Auftritte proben; er wandert mit ihm durch die Straßen Brooklyns, lauscht den Geschichten oder auch nur den kleinen Witzchen der Leute, die ihm dort über den Weg laufen. Und er ist auch ehrlich genug, das schräge Hippie-Ehepaar zu Wort kommen zu lassen, das freimütig gesteht, dass es mit Hip-Hop eigentlich nix anfangen kann, weil es dessen Sprache ordinär findet. Das wird weder höhnisch kommentiert, noch als spießig diffamiert. Man kann über alles reden. Und so reflektiert Gondrys Film letztlich nichts weniger als die Bedingungen der Entstehung dieser Musik, die auf der Straße aus der Kommunikation der Menschen geboren wurde, ohne jemals die staubige Thesenhaftigkeit eines Lehr- oder Historienfilms anzunehmen. Viele kritisierten, dass es für diesen Film keines Regisseurs vom Schlage eines Gondrys bedurft hätte: Ich behaupte, bei jedem anderen wäre DAVE CHAPPELLE’S BLOCK PARTY zum selbstverliebten Aufklärungsfilm verkommen. So machen Dave Chappelle und sein Regisseur zwar Werbung für eine Musikrichtung und eine Geisteshaltung, aber sie verkaufen nichts.
Es gibt ja diese abgedroschene Phrase, dass Musik keine Grenzen kenne, eine universelle Sprache sei. Und dann denkt man an die Grabenkämpfe zwischen den Anhängern verschiedener Szenen, an das geschmäcklerische Herabwürdigen anderer Stile und Richtungen. Hier in diesem Film wird ziemlich deutlich, was der Satz bedeuten könnte, er erscheint plötzlich in einem völlig neuen Licht, genauso wie das „Power to the People“. Es geht nicht um Szenen, um Images, sondern um den Dialog. Und darum die Bühne und den Moment zu nutzen, um die Wahrheit zu sagen, anstatt nur eine Pose zu verkörpern. Dead Prez bringen die Bedeutung ihrer Rolle auf der Bühne auf den Punkt: „It’s bigger than Hip-Hop!“ – es geht um mehr als nur Musik. Da ist es bezeichnend, dass Common vor dem Konzert mit allen beteiligten Musikern ein Gebet spricht, das er an Jesus, Allah und alle anderen Götter richtet. Die Block Party ist nicht weniger als ein humanistisches Projekt. Und der Zuschauer von Gondrys Film erhält die Gelegenheit, sich für 90 Minuten an diese Straßenecke in Brooklyn zu beamen, an der für einen Tag das musikalische Herz der Welt schlug, und einfach zuzuhören.
Dave Chappelle’s Block Party
(Dave Chappelle’s Block Party, USA 2005)
Regie: Michel Gondry, Drehbuch: Dave Chappelle, Kamera: Ellen Kuras, Musik: Cory Smith, Schnitt: Jeff Buchanan, Sarah Flack, Jamie Kirkpatrick
Darsteller: Dave Chappelle, Erykah Badu, Mos Def, Talib Kweli, Common, Wyclef Jean u. a.
Länge: ca. 100 Minuten
Verleih: Arthaus
Zur DVD von Arthaus
Bild und Ton der DVD sind leider nur zufrieden stellend: Für Technikfetischisten ist die Disc leider eine Enttäuschung, allerdings passt der etwas rohe Look sehr gut zum Film und verleiht ihm die nötige Authentizität. Dankenswerterweise hat man sich eine überflüssige deutsche Synchronisation gespart und die deutschen ausschaltbaren Untertitel sind ebenfalls zu loben. Einzig bei der Übersetzung von „frat boys“ stößt die deutsche Sprache mit dem eher missverständlichen „Burschenschaftler“ an ihre Grenzen. Die Extras sind eher sparsam ausgefallen, geben aber auch keinen Anlass zur Beschwerde: Es gibt ein Making of, ein Featurette, einige längere Live-Szenen, Interviews, eine Deleted Scene, eine Bildergalerie sowie den obligatorischen Trailer. Um das Glück perfekt zu machen, müsste eigentlich noch eine Soundtrack-CD her, aber man kannja nicht alles haben.
Zur Ausstattung der DVD:
Bild: 1,85:1 (anamorph)
Ton: Englisch OmU (Dolby Digital 5.1)
Länge: 100 Minuten
Extras: Making Of, „Ohio Players“-Featurette, längere Musikszenen, Interviews mit Michel Gondry und den Stars, Deleted Scene, Bildergalerie, Trailer
FSK: ohne Altersbeschränkung
Preis: 18,95 Euro