Mein Engel

Still geworden ist es um Vanessa Paradis, die einstmalige Femme fragile und Lolita der französischen Popmusik. Außer ein paar kleinen Auftritten in Kino- häufiger aber TV-Produktionen zaghaften Versuchen an die Gesangskarriere der 80er Jahre anzuknüpfen (die dann aber auch vor ein paar Jahren aufgegeben wurden), ist die Ehefrau von Johnny Depp kulturell nicht in Aktion getreten. Dass man sie jetzt für Serge Friedmans „Mon Ange“ wieder ausgegragen hat, ist ein Glücksfall.

mon_ange.jpgDort gibt sie die Prostituierte Colette, die einem Lebenstraum nachjagt: Ein Kind will sie haben, einen Mann fürs Leben sucht sie – und beides bekommt sie, jedoch in einer Person. Denn eines Nachts klingelt ihr Telefon und eine ihr völlig unbekannte Frau fordert sie auf, ihren Sohn am kommenden Tag aus dem Kinderheim abzuholen und zum Bahnhof zu bringen. Das ist nötig, weil die Frau frisch aus dem Gefängnis entlassen wird und das Sorgerecht für den Jungen nicht wiederbekommen wird. Falls etwas dazwischen komme, trage der Sohn einen Schlüssel um den Hals, der ihm Zugriff auf ein Schließfach mit einer großen Summe auf dem Rücken verdienten Geldes zu einem guten Leben verschaffen soll.

Colette will sich nicht auf die Bitte einlassen, tut es aber dennoch. Sie hofft, ein kleines Kind in ihre Obhut, ihre Verantwortung gestellt zu bekommen, um sich einen ihrer Träume wenigstens teilweise zu erfüllen. Anstelle dessen ist Billy ein Jugendlicher, der schon bald zu verstehen gibt, dass er mehr von Colette will, als ihren Schutz. Zwischen beiden entwickelt sich eine sehr sanfte, von ambivalenten Gefühlen geprägte Beziehung, die nach außen wie eine gemeinsame Suche ausschaut, in ihrem Innern jedoch zeigt, dass sich zwei gefunden haben.

„Mon Ange“ wechselt Momente des Durcheinanders mit Szenen lyrischer Stille ab. Die Flucht Colettes von ihrem alten Leben als Prostituierte, vor der Verantwortung gegenüber Billy oder vor dem gemeinsamen Verfolger, dem ehemaligen Zuhälter von Billys Mutter, welcher auch von dem ersparten Geld weiß – diese Fluchtbewegung bestimmt den Rhythmus des Films und die Bewegung der Erzählung. So sehen wir hektische, mit Handkamera gefilmte Szenen in einem Bordell, in dem Colette die Mutter des Jungen vermutet sich abwechseln mit fast bewegungslosen Draufsichten auf zwei Betten in einem Hotelzimmer, in dem das ungleiche Paar den Schlaf sucht. Langsame Fahrten in Halbtotale zeigen die beiden in Bewegungen von einem Rand des Bildes zum anderen, Bewegungen, die auch im Innern ziellos bleiben und an der Realität abprallen.

Frydmans Debütfilm besticht durch eine Art des Erzählens in Bildern und Tönen, deren Stille und Schweigen typisch für das französische Arthouse-Kino ist. Dass er für seine Geschichte zwei Darsteller finden konnte, die sich auf gewisse Weise aneinander spiegeln: die oft müde und verbraucht aussehende Vanessa Paradis im Kontrast zum frühreif wirkenden und die Ängste und Sehnsüchte eines Teenager-Jungen bravourös ausdrückenden Vincent Rottiers. Die Erotik, die zwischen beiden knistert, schöpft ihre Energie gleichermaßen aus der Zeichnung der Charaktere wie aus dem Vorwissen um die künstlerische Biografie Paradis’. Doch „Mon Ange“ zeigt diese Erotik nicht, deutet sie nur hier und da an, lässt sie das Gedankenspiel des verliebten Jungen und der verzweifelten Frau bleiben. „Mon Ange“ ist so ein Beitrag zum „Kino der Gefühle“, der all die Zerbrechlichkeit zu verdeutlichen imstande ist, die aus den vielen von ihm vorgeführten Arten verzweifelter Suche herrührt.

Mon Ange
(Frankreich 2004)
Regie & Buch: Serge Frydman; Musik: Colin Towns; Kamera: Vilko Filac; Schnitt: Philippe Bourgueil, Valérie Deseine
Darsteller: Vanessa Paradis, Vincent Rottiers, Eduardo Noriega, Eric Ruf, Claude Perron u. a.
Länge: 94 Minuten
Verleih: n.n.

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