Weniger ist mehr

Das „Metzler Film Lexikon“ ist ein Nachschlagewerk, das 500 bedeutende Werke der Filmgeschichte präsentiert. Sind 500 Filme viel oder wenig? Sicherlich wenig, wenn man das Ziel hat, zu jedem nur erdenklichen Movie zumindest irgendwelche Informationen finden zu können. Da ist man tatsächlich bei den einschlägigen Websites um einiges besser bedient. Sicherlich viel, wenn man sich durch die Lektüre des Bandes einen Überblick über die Filmgeschichte oder etwa die wichtigsten Regisseure verschaffen möchte.

 Dann könnte es nämlich durchaus passieren, dass die Motivation irgendwo mitten im 776 Seiten dicken Wälzer leicht nachlässt. Die nicht besonders ansprechende Gestaltung und das kopierermäßig weiße Papier trüben etwas den optischen Gesamteindruck, den auch die zahlreichen schönen Filmstills nicht wirklich auflockern können. Das ist besonders schade, denn sowohl die Filmauswahl, als auch die einzelnen, von rund 100 Autorinnen und Autoren geschriebenen Artikel stechen durch ihre feste Verankerung in der Filmforschung und gleichzeitig durch die klare, komprimierte und verständliche Sprache der Artikel deutlich hervor.

Jeder der über 500 Artikel gibt die wichtigsten Handlungsstränge des jeweiligen Films wieder, anschließend finden die bedeutendsten Interpretationsansätze der Forschung Erwähnung, sowie filmhistorische Parallelen und Verwandtschaften, wie andere Verfilmungen derselben Vorlage oder die Stellung des Films im Schaffen des Regisseurs. Technische Daten, Besetzung und eine Auswalbibliographie runden jeden Eintrag im Lexikon ab. Im Anhang des Bandes finden sich einige nützliche zusätzliche Informationsangebote für den Leser, wie ein Glossar der Filmbegriffe, eine filmwissenschaftliche Literaturliste und ein Index. Wer sich also kurz vor dem Kinobesuch (zu Hause, denn mitnehmen lässt sich der riesige Band kaum) noch einmal über einen wichtigen Filmklassiker informieren möchte, besitzt mit dem entsprechenden Eintrag im „Metzler Filmlexikon“ eine gut geordnete und recherchierte Einführung.

 Wie oben erwähnt, verfolgt das Filmlexikon keineswegs das Ziel, möglichst viele Filme zu erwähnen oder zu beschreiben. Noch weniger wird dieses Ziel von dem „kleinen Bruder“ des Lexikons, dem Band „Film-Klassiker“ anvisiert, der die Zahl der besprochenen Filme noch einmal von 500 auf 120 reduziert. Auch die Bibliographien zu einzelnen Filmen und der Anhang fallen weg, genauso wie die Filmstills. Erstaunlicherweise wird durch diese Verkleinerung des Informationsgehalts die Nützlichkeit des Buches nur gesteigert, zumindest was seine Alltagstauglichkeit angeht. Der im Gegensatz zu seinem größeren Bruder schön gestaltete und handliche Band lädt geradezu ein, die Beschreibungen der 120 Filme wie einen Roman von der ersten bis zur letzten Seite durchzulesen, ja man möchte am liebsten gleich alle 120 Filme hintereinander anschauen, um den Spaß an der Lektüre fortzusetzen.

Was tun aber, wenn man eine fundierte Einführung zu einem Film sucht, der nur im großen, und nicht im kleinen Metzler-Filmlexikon enthalten ist? Ich empfehle da den Gang zur filmwissenschaftlichen Bibliothek Ihres Vertrauens – und für das „kleine“ Lexikon den Ehrenplatz auf dem Regal mit Ihren Lieblingsromanen.

Michael Töteberg (Hg.)
Metzler Film Lexikon. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage.
Stuttgart, Weimar: Metzler 2006
776 Seiten (Paperback), 29,95 Euro
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Michael Töteberg (Hg.)
Film-Klassiker
Stuttgart, Weimar: Metzler 2006
186 Seiten (Paperback), 12,95 Euro
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Nikita Braguinski

Eine Antwort auf „Weniger ist mehr“

  1. Einige Ergänzungen: Leider sind nur Regisseurs- und Schauspielernamen mit Indexen nachgewiesen. Auswahlen fallen schwer, darum sind auch kritische Einwände leicht gefunden – von John Huston etwa sind „The African Queen“, „The Asphalt Jungle“, „The Maltese Falcon“, „The Misfits“ und „The Treasure of the Sierra Madre“ aufgenommen worden, aber nicht „Moby Dick“ oder „The Man Who Would Be King“. Ähnliches könnte man für die Genre-Repräsentanten formulieren – die beiden extremsten und ambitioniertesten Filme des Spionage-Films z.B. fehlen („The Spy Who Came in from the Cold“, „The Kremlin Letter“), und auch der Anti-Kriegsfilm ist sträflich unterrepräsentiert („All Quiet on the Western Front“, „Johnny Got His Gun“ und „Idi i smotri“ fehlen). Starker Akzent liegt auf der US-amerikanischen und der europäischen Produktion, das Interesse richtet sich auf ein ästhetisch und politisch ambitioniertes Autorenkino; Ken Loach ist allerdings mit keinem einzigen Film vertreten. Einige Titel überraschen (der meist übersehene „Malina“ etwa oder Kawalerowicz‘ „Mutter Johanna von den Engeln“). 40 Titel sind in der zweiten Auflage dazugekommen (warum allerdings Jan Schüttes „Drachenfutter“ aus dem Band herausgenommen wurde, bleibt ebenso dunkel wie die Frage, warum „Lola rennt“ kanonwürdig ist, Polanskis „The Pianist“ dagegen nicht).

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