Der Beginn von Benjamin Heisenbergs viertem Film „Schläfer“ weckt schon gleich passende Assoziationen: Wir sehen einen Park, durch den Menschen spazieren und belauschen eine Unterhaltung. Welche Position wir dabei einnehmen, bleibt zunächst in der Schwebe: Elemente des Subjektiven deuten sich in den suchenden leichten Schwenks an, objektiven Überblick über die Geschichte suggeriert die Situation des heimlichen Beobachter selbst. Der Verkehrslärm, die Unterhaltung und die Geräusche der Umgebung wecken Erinnerungen an Coppolas „The Conversation“ (1974) – und wie dort wird zwischen den beiden sich unterhaltenden schnell klar, dass es um einen Observationsauftrag geht.
„Schläfer“ erzählt die Geschichte der beiden Freunde und Arbeitskollegen Johannes und Farid. Sie arbeiten in einem biotechnischen Forschungsinstitut am selben Projekt – zunächst, ohne in Konkurrenz zueinander zu stehen. Dann lernen beide die Kellnerin Beate kennen, in die sich Johannes verliebt, die jedoch eine Beziehung mit Farid eingeht. Johannes, jener Spaziergänger, der sich zu Beginn der Verfassungsschutzbeamtin gegenüber weigerte, seinen Kollegen auszuspionieren, entdeckt zusehends mehr „Indizien“, die den zum Islam bekehrten Algerier verdächtig zu machen scheine und berichtet seine „Entdeckungen“ schließlich doch dem Verfassungsschutzes. Als dieser jedoch beginnt, auch in Johannes’ und Beates Leben herumzuschnüffeln, weigert sich der Informant weitere Spionagetätigkeiten auszuüben. Doch es ist schon zu spät zu sein: Ein Bombenanschlag in der Stadt lässt Farid in den Kreis der Verdächtigen rücken und die zusehends kompliziertere Dreiecksbeziehung zwischen Farid, Johannes und Beate lässt persönliche Motive für Verdächtigungen und Denunziationen aufkommen.
Heisenbergs Film schafft es, durch geschickten Einsatz der Kamera den zweifelnden Verdacht seines Protagonisten Johannes vollständig auf den Betrachter zu übertragen. Zusammen mit Johannes suchen und finden auch wir allerlei suspektes Material in der Wohnung des Moslems, interpretieren dessen Unterhaltungen auf Arabisch, ohne sie zu verstehen und werden in unserem misstrauen schließlich noch forciert, als Johannes um „seine“ Liebe betrogen wird. Doch so deutlich, wie der Film die Positionen in seiner ersten Hälfte feststeckt, destruiert er diese wieder im weiteren Verlauf. Zusammen mit Johannes spüren wir Farids Angst als dieser entdeckt, dass er in der Rasterfahndung ist. Wir leiden mit ihm um die Konflikte zwischen ihm und Beate und fürchten um seine berufliche Existenz als er in seiner Forschungsarbeit Rückschläge erleidet. Heisenberg dreht die Ambiguität der Freundschaft indes wie ein Schräubchen immer noch eine Umdrehung weiter. Wieder verdichten und verlieren sich Verdachtsmomente … bis schließlich nur noch die totale Indifferenz der einzelnen Positionen übrig bleibt, die zeigt, dass menschliche Motive nicht immer so klar zu durchschauen will, wie Johannes in einem bierseligen Moment Farid gegenüber anmerkt.
„Schläfer“ operiert mit dem seit dem 11. September unausgesprochenen aber allgegenwärtigen „Verdacht“ gegenüber Moslems und operationalisiert diesen geschickt im Drama seiner Dreiecksgeschichte. Das augenscheinliche Feindbild löst sich im Verlauf der Handlung, in der aus „dem Moslem“ Farid schließlich „der Mensch“ Farid wird, zusehends auf und macht einer eindringlichen Botschaft platz, die davon erzählt, dass alle Entscheidungen, die wir im Leben treffen, auch stets moralischer Natur sind. „Schläfer“ ist eine intensive Studie über diese Mechanismen und damit ein dankenswert unaufgeregter deutscher Beitrag zu einem mittlerweile globalen Thema. Vor allem der schauspielerischen Glanzleistung der drei Hauptdarsteller (Bastain Trost, Mehdi Nebbou und Loretta Pflaum) ist es dabei zu verdanken, dass das der Problematik zugrunde liegende Stereotyp nicht bloß in der Darstellung der Figuren verdoppelt, sondern als solches schließlich entlarvt wird.
Schläfer
(Deutschland 2005)
Regie & Buch: Benjamin Heisenberg; Musik: Lorenz Dangel; Kamera: Reinhold Vorschneider; Schnitt: Karina Ressler, Stefan Stabenow
Darsteller: Bastian Trost, Mehdi Nebbou, Loretta Pflaum, Gundi Ellert, Wolfgang Pregler u.a.
Länge: 100 Minuten
Verleih: Filmgalerie 451
Die DVD von 451:
Sprache: Deutsch (DD 2.0 und DD 5.1)
Untertitel: Englisch, Französisch
Bild: 16:9
Extras: Kurzfilm „Die Gelegenheit“, Audiokommentar von Benjamin Heisenberg und Bastian Trost, Interview, Trailer
FSK: ab 12 Jahren
Preis: 23,99 Euro