Zurück aus Peru

Wenn zwei Exzentriker wie David Lynch und Werner Herzog aufeinandertreffen und gemeinsam einen Film drehen, dann kann das Ergebnis eigentlich kaum den Massengeschmack ansprechen – zumal jeder der beiden Künstler für sich bereits eher ein avantgardistisches Spartenkino bedient. Es wäre also viel weniger die Frage an Herzogs „My Son, My Son, What Have Ye Done“ zu stellen, ob der Film „gut“ ist, sondern vielmehr, wie der Regisseur Herzog und sein Produzent Lynch eine fruchtbare Schnittmenge gebildet haben. Unweigerlich fragt man sich also beim Anschauen des Films, welche Idee da wohl von wem gekommen ist und auf wessen Einfall die jeweilige Umsetzung zurückzuführen sein könnte.

Dass sich der Plot des Films an Aischylos‘ Orestie orientiert und diese dann auch noch intradiegetisch als Theaterstück reflektiert, liefert schon das ideale Passepartout für eine solche Kooperation beider Künstler: Da wäre zum einen die konflikthafte Familienstruktur, die in einer Tragödie klassischen Ausmaßes endet (ein von Lynch mehrfach variiertes Motiv), zum anderen der einsame Held, der gegen alle Widerstände rebelliert und eigentlich nur scheitern kann (das für Herzog oft konstatierte Titanen-Thema). „My Son, My Son, What Have Ye Done“ erzählt also die Geschichte eines Sohnes (Michael Shannon), der seine Mutter ermordet hat. Das ist die Rahmengeschichte, die kurz nach Beginn des Films in die Stagnation überführt wird: Der Muttermörder hat sich in einer Villa verschanzt und hält dort zwei Geiseln. Das Haus wird umstellt von der Polizei und während der Geiselnehmer vom inneren des Hauses seine absurden Forderungen stellt und die ihn Umringenden mit seiner persönlichen Theologie konfrontiert, ist der Ermittlungsleiter (Willem Dafoe) draußen damit befasst, die Verlobte (Chloë Sevigny) und den Theaterregisseur (Udo Kier), für den der Verbrecher bis kurz zuvor den Orest geben sollte, zu vernehmen. Immer deutlicher wird dabei das Bild des Mannes, der sich – nach einer längeren Peru-Reise in die USA zurückgekehrt – zunehmend seltsamer verhält.

Allein dieser Plotabriss lässt Kenner des Oeuvres von Lynch und Herzog schon an typische Motive und Stukturen denken, die sich hier wirklich kongenial ergänzen und zudem in eine Bildspache gekleidet werden, die eher einem Kunst- als einem Hollywood-Kriminalfilm ähnelt. Die konstante Körnigkeit und Farbarmut der Bilder (wäre „My Son, My Son, What Have Ye Done“ kein Digitalfilm, könnte man Bleichbadüberbrückung annehmen) auf der Materialseite, die immer wieder wie stillgestellten Szenen mit sie langsam umkreisender Kamera auf der Inhaltsseite. Beinahe wie Dioramen oder dreidimensionale Stilleben zeichnet die Kamera die Figurenkonstellationen, ganz so, als sollten ihre räumlichen Stellungen zueinander noch etwas anderes ausdrücken, das nur ein filmischer Erzähler durch seine „unmögliche Perspektivik“ aufzeigen kann.

Das Aufbegehren des Antihelden nicht nur gegen seine überbehütende Mutter (Grace Zabriski bringt als solche all die manisch-neurotischen Mutter-Images von „Twin Peaks“ bis „Wild at Heart“ mit in Herzogs Film), sondern auch gegen die Zivilisation selbst erinnert insbesondere dadurch, dass er sich in seinem Haus verschanzt, an Herzogs frühen, prototypischen Helden Stroszek aus dem Film „Lebenszeichen“. Die Lebenszeichen, die der Sohn heute nach außen abgibt, kommen den Gotteslästerungen seines filmischen Vorgängers schon recht nahe, wenngleich – und das ist vielleicht der fruchtbarste Amalgamierungspunkt zwischen Lynch und Herzog – hier eine Form bitteren, absurden Humors vorliegt, wie sie eigentlich nur dem Spätwerk beider Genies entspringen kann: angefangen bei der Tatsache, dass Gott auf die bärtige Figur auf einer Haferflocken-Packung reduziert wird, bis hin zu der Tatsache, dass es sich bei den Geiseln um zwei Flamingos handelt, die die Namen zweier verstorbener US-amerikanischer Senatoren tragen.

My Son, My Son, What Have Ye Done
(D/USA 2009)
Regie: Werner Herzog; Buch: Herbert Golder, Werner Herzog; Musik: Ernst Reijseger; Kamera: Peter Zeitlinger; Schnitt: Joe Bini, Omar Daher
Darsteller: Willem Dafoe, Brad Dourif, Michael Shannon, Chloë Sevigny, Loretta Devine, Michael Peña, Udo Kier, Grace Zabriskie u. a.
Länge: 91 Minuten
Verleih: Kinowelt

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Bild: 1,85:1; 1080/24p Full HD
Sprachen/Ton: Deutsch, Englisch (5.1 DTS HD-MA)
Untertitel: Deutsch
Extras: Audiokommentar von Regisseur Werner Herzog, Produzent Eric Bassett und Co-Autor Herb Golder; Featurette; Fotogalerie; Presseheft als PDF; Trailer; Wendecover
FSK: ab 12 Jahren
Preis: 20,99 Euro

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