Pornfilmfestival Berlin 2010 – Meat

Fleisch. Lust. Fleischeslust. Die Lust auf Fleisch. Die Doppeldeutigkeit des Wortes ‚Fleisch‘ steht im Zentrum des niederländischen Films Meat, der die Lust auf den Verzehr tierischen Fleisches mit dem Begehren nach lebendigem, sexuell konsumierbaren Fleisch verbindet. Diese Ambivalenz lässt sich aus dem nahezu deutsch klingenden Originaltitel Vlees wesentlich besser ablesen als aus dem internationalen Titel Meat. Schließlich nimmt das Englische ja gerade jene Trennung (meat – das essbare Fleisch des Tieres / flesh – das Fleisch am Körper des Menschen) vor, die im Deutschen so nicht existiert. In der deutschen Sprache wird – vielleicht zu Recht – nicht differenziert zwischen dem Fleisch des Tieres und dem Fleisch des Tieres namens Mensch. Ganz im Gegenteil: Sie setzt sogar das „Verschlingen“ des tierischen Fleisches mit der Raserei erotischer Lust gleich: „Ich könnte dich auffressen“, heißt es nicht umsonst auf dem Höhepunkt sexueller Erregung.

Meat ist in zwei Erzählstränge aufgeteilt, die sich erst spät vereinen. Da ist einmal der Fleischer, der berufsmäßig Tiere schlachtet und nebenbei in seinem Kühlhaus in weibliches Menschenfleisch eindringt. Und da ist der Polizei-Inspektor, den die Depression so schwer erwischt hat, dass er ungerührt weiter läuft, als aus fünf Metern Höhe der Körper seiner Lebensgefährtin neben ihm aufschlägt. Ein Mord, das Begehren nach derselben Frau sowie eine frappierend ähnliche Physiognomie werden den Fleischer und den Inspektor (beide von Titus Muizelaar dargestellt) miteinander verbinden. Der Plot entfaltet sich allerdings reichlich konfus und unentschlossen, findet zu keiner nachvollziehbaren Auflösung des Mordfalls und lässt durchaus interessante Andeutungen – die psychische Belastung des Massenmordes an Tieren im Schlachterberuf; Tier-Aktivisten als mögliche Mörder des Fleischers – halbgar liegen. Zudem steht Meat in seiner unkritischen Fortsetzung sexistischer Altherren-Fantasien – dicke alte Männer, die problemlos junge schlanke, vor allem aber enorm passive, ja geradezu gefügige Frauen bezirzen – eigentlich quer zum Anspruch des Pornfilmfestivals.  Hauptziel des Festivals scheint es ja gerade zu sein, Pornographie zu entstigmatisieren und aus der Schmuddelecke in die Kunst zu überführen, indem Werke gezeigt werden, welche die typische Misogynie der meisten heterosexuellen Porno-Produktionen überwinden und alternative, weibliche, feministische oder queere Ansätze zeigen, die sonst in der kommerziellen Pornographie keinen Raum finden.  Meat jedoch ist weder explizit pornographisch noch subversiv oder auch nur kritisch gegenüber konventionellen Darstellungsformen von Sexualität.

Das Interessante, um nicht zu sagen das Fleisch am Knochen von Meat ist daher weder die Narration noch die (sexual-)politische Positionierung, sondern die visuelle Qualität des Films sowie die Ebene der bewusst oder unbewusst einbezogenen philosophischen Subtexte. Visuell gelingen den beiden RegisseurInnen einige diegetisch gut eingebundene stilistische Verfremdungen durch den Einschub von Video- und Handycam-Material, surrealen Szenen oder einer psychedelischen Experimentalfilm-Sequenz. Vor allem aber zeichnet Meat ein provokant-pessimistisches Bild der menschlichen Natur, in dem die Ur-Triebe Eros und Thanatos – Sexualität und Aggression – die unzügelbar wilde, animalische Seite des Menschen offenbaren. Zudem verbindet der Film diese primitiven Grundlagen der Menschlichkeit gezielt mit der Unmenschlichkeit, welche unsere Kultur im Umgang mit Tieren erkennen lässt. Wenn Meat in seinen Anfangsminuten die Bestialität der alltäglichen Metzgerei-Metzelei visuell drastisch ‚ausschlachtet’, dann scheinen diese gezielt Ekel-erregenden Bilder (und  Töne) die ethischen Defizite des Menschen anzudeuten. Wer Tiere so gewissen- und grundlos abschlachtet, kann nicht behaupten, sich über den Status des Animalischen erhoben zu haben.

Der Mensch ist Fleisch – der Mensch isst Fleisch. Mit seinen Analogieschlüssen zwischen Sexualität, Aggression und Omnivorismus führt Meat das Kulturwesen Mensch auf seine Existenz als triebgesteuerte und damit unfreie Spezies zurück. Der Mensch als Fleisch, das den selben Gesetzmäßigkeiten gehorcht wie jene Tiere, die er nur deshalb als tötbares Fleisch begreifen kann, weil er sich ihnen überlegen wähnt.  Mit ein wenig Projektionskraft kann man in diesem Versuch des Films, die Unterschiede zwischen Mensch und Tier zu nivellieren, indem der Zuschauer mit den abstoßenden Schlacht-Vorgängen und damit seiner eigenen Schuld konfrontiert wird, eine Schock-Strategie erkennen, die sich als Plädoyer für die Enthaltung vom Fleisches-Genuss entpuppt. Mehr noch als für das Fleisch des Tieres interessiert sich Meat jedoch für das Fleisch des Menschen. Diese thematische Fixierung auf die Determinierung des Menschen durch seine Körperlichkeit wird freilich im gesamten Oeuvre der beiden RegisseurInnen Victor Nieuwenhuijs und Maartje Seyferth erkennbar. 1995 verfilmte das Duo in eleganten Schwarz-Weiß-Bildern die Novelle Venus im Pelz von Sacher-Masoch, in der sich – wie am Namen des Autors erkennbar – Sexualität und Aggression zum Sado-Masochismus vermischen. Zehn Jahre später widmeten sich Nieuwenhuijs und Seyferth mit ihrer Version von Wedekinds Femme-Fatale-Geschichte Lulu erneut der filmischen Adaptation eines erotischen Literatur-Skandals.

Das Problem der beiden FilmemacherInnen ist indes, dass andere die selben Themen – Fleisch und Fleischlichkeit, Schlachtung und Sexualität, Unmenschlichkeit des Menschen – schon wesentlich besser umgesetzt haben. Allen voran natürlich Gaspar Noé in seinen ebenso kontroversen wie großartigen Filmen Seul contre tous und Carne – oder auch der wie Meat aus den Niederlanden stammende Film De Noorderlingen von Alex van Warmerdam. Grotesken wie Der Knochenmann und Delicatessen haben ebenfalls Schlachter als moralisch fragwürdige Figuren portraitiert. Am schockierendsten und zugleich gelungensten deuten jedoch die Aktionen des österreichischen Performance-Künstlers Hermann Nitsch auf die Überschneidungen von omnivorer und sexueller Lust hin.

Martin Gobbin

Meat
(Vlees, Niederlande 2010)
Regie: Victor Nieuwenhuijs, Maartje Seyferth; Drehbuch: Maartje Seyferth; Kamera: Victor Nieuwenhuijs; Schnitt: Vima Kara, Tarek
Darsteller: Nellie Benner, Hugo Metsers, Titus Muizelaar
Länge: 85 Minuten

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