Die Waffen der Frauen

Frauen lösen Beziehungen häufiger auf als Männer. So lautet eine weit verbreitete These, die sich zumindest durch die Scheidungsstatistik belegen lässt: Nach dieser wurden in Deutschland 2007 ca. 55 % der Scheidungsanträge von der Frau eingereicht und nur 36 % von Männern. Ein Grund für dieses Ungleichgewicht wird oft in der besser ausgeprägten Fähigkeit der Frau gesehen, emotionale Probleme nach pragmatischen Grundsätzen zu lösen, während der Mann – dem man ja eigentlich nachsagt, pragmatisch veranlagt zu sein – eher sentimental entscheidet. Erkennt die Frau, dass eine Beziehung mehr Nachteile als Vorteile bringt, zieht sie die Konsequenzen, während der Mann der Sache zunächst verbunden bleibt. In Beziehungsdingen hat also die Frau die Hosen an: Das muss auch der erfolgreiche Geschäftsmann Steve in Rolf De Heers Film „Alexandra’s Project“ erfahren, und zwar auf ausgesprochen schmerzhafte Art und Weise …
Steve (Gary Sweet) und Alexandra (Helen Buday) sind seit Jahren verheiratet und haben zwei glückliche Kinder. Er ist erfolgreich im Beruf, die Kinder lieben ihn, gemeinsam bewohnen sie ein schönes Haus in der Vorstadt, alles ist gut. So zumindest glaubt Steve. Bis er an seinem Geburtstag nach Hause kommt und statt der Überraschungsparty ein verlassenes, abgedunkeltes und ausgeräumtes Haus vorfindet. Und eine Videokassette, auf der seine Gattin ihm einen ganz besonderen Geburtstagsgruß hinterlassen hat …

Als Filmkritiker versucht man meist, einem Film Relevanz zu unterstellen, indem man aus den ganz speziellen Ereignissen, die er abbildet, eine universelle Aussage destilliert. Im Falle von Rolf De Heers „Alexandra’s Project“ fällt das ganz leicht: In einem Film über eine dysfunktionale Ehe, einen selbstzufriedenen Ehemann, eine unglückliche Frau und die für den Mann bitteren Konsequenzen, die sie aus ihrem Unglück zieht, drängen sich – wie oben angedeutet – genderpolitische Diskurse über Macht und Gewalt in Beziehungen geradezu auf. Doch genau in dem Moment, wo man die Ereignisse des Films verallgemeinert, wird er problematisch, weil man ihm je nach Perspektive entweder Frauenfeindlichkeit (die Frau mal wieder als das unbekannte, zerstörerische Wesen) oder aber Zynismus (Männer sind Schweine und müssen bestraft werden) unterstellen müsste. Es spricht demnach für Regisseur De Heer, dass er nach eigenem Bekunden keine „Botschaft“ vermitteln wollte, die Idee zu seinem Film vielmehr aus der ökonomischen Not heraus geboren wurde.

Wie ver(sch)wendet man möglichst wenig Filmmaterial, dreht also einen möglichst billigen Film? Das war seine Frage, auf die er eine verblüffende Antwort fand: indem man eine Figur des Films auf einen Fernsehschirm verbannt, mithin die Gewissheit einer hundertprozentigen Performance hat. So spricht Alexandra zwei Drittel der Laufzeit als Videoaufzeichnung zu ihrem Ehemann, konfrontiert ihn einseitig mit ihrem Unglück, das gleichbedeutend mit seinem Versagen ist, sie glücklich zu machen, mit ihrer aus finanzieller Not geborenen Geheimexistenz als Prostituierte, mit ihren Gefühlen angesichts seiner „Zärtlichkeiten“, die sie als Demütigungen empfindet, und schließlich mit vollendeten Tatsachen, die den stolzen Macho Steve in der von ihr gewählten Schärfe in einen winselnden Jungen verwandeln. Sie spricht zu ihm, ohne dass er ihr antworten kann, dreht den Spieß also konsequent um und macht in der Wahl der Waffen deutlich, wie groß der Schmerz sein muss, der sich in den vergangenen Ehejahren bei ihr angehäuft hat. „Alexandra’s Project“ ist ein Film, der Männern Angst machen muss: Mann sitzt mit Steve allein auf der Anklagebank, ohne Verteidiger und die Möglichkeit der Gegendarstellung und bei bereits feststehendem Urteil, vor einem Richter, der rein egoistisch, brutal und gnadenlos entscheidet. Es gibt keine Gerechtigkeit in „Alexandra’s Project“, weil die Situation dafür schon zu verfahren ist. Entweder Alexandra geht unter oder ihr Mann. Es ist klar, welche Option sie wählen muss.

Gelingt es einem als Betrachter, sich vom unwillkürlichen Drang zu lösen, in „Alexandra’s Project“ die gesellschaftliche Relevanz zu suchen, dann erkennt man in ihm ein erschütterndes, in seiner formalen Konsequenz und erzählerischen Stringenz beeindruckendes Psycho-Kammerspiel, das nicht zuletzt von der aufopferungsvollen Darstellung seiner beiden Protagonisten lebt. Dann wohnt man einem Film bei, der unmissverständlich klar macht, welche Wunden selbst eine Beziehung reißen kann, die nach allgemeinem Verständnis ganz normal verläuft, ohne offene Misshandlungen und Gewalttaten. Natürlich wirft „Alexandra’s Project“ Fragen zu den Unterschieden zwischen Mann und Frau auf und dazu, wie beide diese Unterschiede überwinden und überhaupt zu einer Verständigung über ihre verschiedenen Bedürfnisse gelangen können. Mann wird sich – sofern er in einer Beziehung lebt – bei der Betrachtung unweigerlich fragen, wo er wie Steve, wo seine Partnerin wie Alexandra sein könnte. Insofern funktioniert „Alexandra’s Project“ wie eine Warnfabel, deren Beherzigung vielleicht zu einer Korrektur des oben geschilderten statistischen Missverhältnisses führen könnte. Und selbst wenn nicht: Aufwühlenderes, konfrontierendes und fordernderes Kino findet man selten.

Alexandra’s Project
(Australien 2003)
Regie: Rolf De Heer; Drehbuch: Rolf De Heer; Musik: Graham Tardif; Kamera: Ian Jones; Schnitt: Tania Nehme
Darsteller: Gary Sweet, Helen Buday, Bogdan Koca, Samantha Knigge, Jack Christie
Länge: 99 Minuten
Verleih: I-On New Entertainment


Zur DVD von I-On New Media

I-On präsentiert „Alexandra’s Project“ – der 2003 zu den einsamen Höhepunkten bei einem schwach besetzten Fantasy Filmfest zählte – als Director’s Cut in der neuen, höchst viel versprechend gestarteten Reihe „Edition Störkanal“. Alle DVDs der Reihe erscheinen in einem schmalen Hochglanz-Pappschuber mit eingeklebtem Booklet und zeichnen sich bislang durch eine ausgezeichnete Bild- und Tonqualität aus. „Alexandra’s Project“ enthält neben einem kurzen Behind the Scenes ein hoch interessantes, leider aber nicht vollständig enthaltenes Interview mit einem sehr auskunftsfreudigen Rolf De Heer.

Zur technischen Ausstattung der DVD:

Bild: 1,78:1 (16:9/anamorph)
Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Extras: Behind the Scenes, Interview, Booklet
Freigabe: FSK 18
Preis: 15,99 Euro

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