Fantasy Filmfest 2011: Befreiung und Selbstbefreiung

„The Woman“ gelingt in den ersten Minuten eine großartige, weil doppelbödige Einstellung, bei der ein Mann im Wald durch das Guckrohr seines Gewehrs heimlich eine verwilderte Frau (Pollyanna McIntosh) beobachtet. Das Anstarren der nichts ahnenden Halbnackten aus der Ferne hat zunächst natürlich etwas Voyeuristisches, doch dadurch, dass hier ein Gewehr als Fernrohr fungiert, bekommt der bloße Sehakt von vornherein etwas Bedrohliches – es ist eine Ankündigung des nicht nur sinnlichen, sondern bald auch physischen Übergriffs. Dass Schusswaffen im Kino spätestens seit „Panzerkreuzer Potemkin“ als phallische Symbole, als Instrumente der Penetration angesehen werden, bestätigt diese Gefahr. Tatsächlich fängt Chris (Sean Bridgers) die Frau, schleppt sie in einen unterirdischen Schuppen auf seinem Grundstück und kettet sie in Kreuzigungsposition an die Wand, um sie sich gefügig zu machen, sie „zu zivilisieren, wie er sagt. Seinen Plan, sie „von sich selbst zu befreien“, das Andersartige zu unterwerfen und assimilieren, könnte man auch als Kommentar zur US-Außenpolitik verstehen, doch McKee – der bereits in „May“ eine gesellschaftlich inkompatible, gefährliche Frau in den Vordergrund rückte – bleibt auf der individuellen Ebene. „Fantasy Filmfest 2011: Befreiung und Selbstbefreiung“ weiterlesen

Fantasy Filmfest 2011: Preaching to the Choir

Gegenüber Menschen, die noch nie in den USA waren und deshalb dem Irrglauben anhängen, das mächtigste Land müsse zugleich eines der fortschrittlichsten sein, ist es immer wieder schwer vermittelbar, warum hierzulande mittlerweile relativ unumstrittene Themen wie Homosexualität und Abtreibung dort zu hysterischen Reaktionen führen. Etwas vereinfacht lässt sich dieses Rätsel mit einem Stichwort erklären: Religion. Es gibt sie tatsächlich – jene christilichen Sekten, die Erdbeben, Taifune und andere Katastrophen mit Tausenden Todesopfern für Strafen Gottes halten. Strafen, die sich laut der christlichen Rechten unzweifelhaft auf die gesellschaftliche Permissivität gegenüber Homosexualität, vorehelichem Sex und Abtreibungen beziehen. Einige dieser Sekten, die häufig im Umfeld der erzkonservativen Tea Party agieren, bezeichneten Barack Obama denn auch als Satan (oder wahlweise Hitler), als dieser die wahrlich diabolische Untat beging, das staatliche Krankenversicherungssystem auf die gesamte Bevölkerung auszuweiten. Auch gegen Kevin Smiths neuen Film „Red State“ gab es wütende Proteste seitens christlicher Fundamentalisten, die die Evolutionstheorie in der Schule durch den Kreationismus ersetzen wollen und die Bibel auch sonst wörtlich nehmen. „Fantasy Filmfest 2011: Preaching to the Choir“ weiterlesen

Fantasy Filmfest 2011: Welcome to the United States

Ein Licht scheint in dunkler Nacht, das Licht kommt langsam näher, es sind die Scheinwerfer eines Autos. Fünf junge Erwachsene kehren aus Kanada in die USA zurück, nehmen eine abgelegene Straße, um den Zoll- und Drogenkontrollen zu entgehen und geraten dadurch in eine noch viel schlimmere Angelegenheit. Zwei Männer in Polizeiuniform halten den Wagen an, wollen die Pässe sehen und durchsuchen das Gepäck nach illegalen Waren. Was folgt, ist eine wahrlich beklemmende Sequenz, in der die Situation immer mehr eskaliert, nachdem Jalil (Michael Mando) wegen seiner arabischen Wurzeln unter Generalverdacht gerät. Die beiden Uniformierten nutzen ihre Autorität aus, um die fünf Autoinsassen perfide zu demütigen: Abhängig vom Willen der vermeintlichen Polizisten und bedroht von deren Waffen, müssen diese erniedrigende Untersuchungen gefügig erdulden, werden in orangefarbene Overalls gesteckt und gewaltsam um eine Person dezimiert. Spätestens mit den Ganzkörperanzügen begibt sich Olivier Abbous Horrorthriller „Territories“ auf politisches Terrain. Wo Menschen Säcke über den Kopf gezogen bekommen und ohne Anklage oder Rechtshilfe eingesperrt, versteckt und gefoltert werden, da ist Guantanamo. „Fantasy Filmfest 2011: Welcome to the United States“ weiterlesen

Fantasy Filmfest Nights 2011 – Not so Funny Games

Nicht selten wird Michael Haneke vorgeworfen, seine Filme seien zu oberlehrerhaft. Doch offenbar sind all seine didaktischen Bemühungen noch lange nicht ausreichend. Miguel Ángel Vivas bringt es nämlich in seinem sadistischen Exploitationfilm „Secuestrados“ („Kidnapped“) fertig, Hanekes Meisterwerk „Funny Games“ zu zitieren – augenscheinlich ohne verstanden zu haben, dass es Haneke um das genaue Gegenteil dessen geht, was „Secuestrados“ praktiziert. Während „Funny Games“ wohl der Anti-Exploitationfilm schlechthin ist, bemüht sich Vivas 90 Minuten lang ausschließlich darum, Gewalt konsumierbar zu machen und jene Zuschauer zu befriedigen, die Folter erregend finden und Freude daran haben, der sinnlosen Auslöschung einer Familie zuzusehen. „Fantasy Filmfest Nights 2011 – Not so Funny Games“ weiterlesen

In frostigen Höhen

Ein definitorisches Element des Films ist die Bewegung: sowohl die auf dem Bild, als auch die Bewegung der Maschine. Ohne dass die Bilder an der Linse vorbeirollen würden, wäre Film eine Ansammlung von Dias. Überträgt man die Bewegung und insbesondere das Vorbeirollen vom Projektor auf das Sujet, findet sich in allen rotierenden Filmmotiven ein subtiler Hinweis auf die Bewegungskunst Film. Und dann wird das Stehenbleiben des Rades nicht nur zur Bedrohung der Fortbewegung im Film, sondern auch zur angedeuteten Katastrophe des Films. In „Frozen“, um die gedankliche Einleitung zum Ziel zu führen, verschmelzen genau diese beiden Elemente miteinander. Denn dort ist es eine Skilift-Bahn, die plötzlich stillsteht, obwohl sich noch drei Studenten (eine Frau, zwei Männer) in einem der Liftsessel befinden.

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Die Waffen der Frauen

Frauen lösen Beziehungen häufiger auf als Männer. So lautet eine weit verbreitete These, die sich zumindest durch die Scheidungsstatistik belegen lässt: Nach dieser wurden in Deutschland 2007 ca. 55 % der Scheidungsanträge von der Frau eingereicht und nur 36 % von Männern. Ein Grund für dieses Ungleichgewicht wird oft in der besser ausgeprägten Fähigkeit der Frau gesehen, emotionale Probleme nach pragmatischen Grundsätzen zu lösen, während der Mann – dem man ja eigentlich nachsagt, pragmatisch veranlagt zu sein – eher sentimental entscheidet. Erkennt die Frau, dass eine Beziehung mehr Nachteile als Vorteile bringt, zieht sie die Konsequenzen, während der Mann der Sache zunächst verbunden bleibt. In Beziehungsdingen hat also die Frau die Hosen an: Das muss auch der erfolgreiche Geschäftsmann Steve in Rolf De Heers Film „Alexandra’s Project“ erfahren, und zwar auf ausgesprochen schmerzhafte Art und Weise … „Die Waffen der Frauen“ weiterlesen

Dem finalen Level folgt das Rauschen

Vor nur wenigen Wochen erlebte „Ghost Machine“ auf dem Fantasy-Filmfest seine deutsche Kinopremiere – nun ist er bereits auf DVD und Blu-ray-Disc von Sunfilm erschienen. Der Medienwechsel vollzog sich nicht nur sehr schnell, sondern eröffnet auch einen weiteren, tiefer gehenden Blick auf das im Film dargestellte Phänomen der Digitalisierung von Lebens- und Spielwelt, das in „Ghost Machine“ sozusagen auf der Bildoberfläche kondensiert und eine Strategie des Unheimlichen offenbart, die bei Videospiel-Adaptionen zur schönen Regel geworden ist.

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Hijacking the Viewer

Inhaltsangaben von Filmen sind manchmal Mittel, um Zuschauer unter falschen Vorwänden ins Kino zu locken. Dass die Handlung oftmals nicht sonderlich ausschlaggebend für die Qualität eines Filmes ist, stellt die französisch-belgische Giallo-Hommage Amer eindrucksvoll unter Beweis. Der Plot – eine Frau kehrt an den verwunschenen Ort ihrer Kindheit zurück – ist nicht nur denkbar dünn, sondern auch eine geradezu stereotype Kopie von Standardsituationen des Genres. Dass dem Regie-Duo Hélène Cattet und Bruno Forzani dennoch ein faszinierendes Werk gelingt, hat also mit diegetischen Elementen wenig zu tun.
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But what are we?

Mexiko weist eine der höchsten Kriminalitätsraten weltweit auf. Entführungen zur Gelderpressung und Morde durch sich bekriegende Drogenbanden gehören zu den täglichen Nachrichten aus dem Land. Dass die dort vor allem in den Städten um sich greifende allgemeine Angst einen kulturellen Ausdruck im Horrorfilm finden würde, war nur eine Frage der Zeit; dass sich daraus allerdings ein Film wie „We are what we are“ entlädt, erscheint schon als Überraschung, denn die Gewalt und das Elend werden hier in einer ganz anderen Soziosphäre identifiziert, als man es erwarten würde: in der Familie.

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Wutgeschoss

Tetsuo: The Bullet Man
(Jp 2009)
Regie & Buch: Shinya Tsukamoto; Musik: Chu Ishikawa; Kamera: Satoshi Hayashi, Takayuki Shida, Shinya Tsukamoto; Schnitt: Yuji Ambe, Shinya Tsukamoto
Darsteller: Eric Bossick, Akiko Monô, Yûko Nakamura, Stephen Sarrazin, Tiger Charlie Gerhardt, Prakhar Jain, Shinya Tsukamoto u.a.
Länge: 71 Minuten
Verleih: N. N.

Filmische Vernichtung

Wie schwierig und gleichzeitig interessant es sein kann, filmisch das Nichts zu thematisieren, hatte Vincente Natali bereits 2003 in „Nothing“ gezeigt: Zwei Freunde stellen eines Morgens fest, dass die Welt um ihr Haus herum verschwunden ist und einer weißen Unendlichkeit Platz gemacht hat. Schon nach kurzer Zeit war für den Zuschauer klar: Dieses Nichts mag zwar ein dys- bzw. atopisches Setting sein, mehr jedoch ist es eine soziale Parabel, denn woran die beiden Freunde schließlich am meisten zu kauen haben, ist die mit dem Nichts einhergehende Isolation, die Ein- bzw. Ausgeschlossenheit aus der Mitwelt. Was dieses Thema angeht, macht Mark Fitzpatricks Film „The Nothing Men“ zwar nichts Neues, er holt das Thema jedoch zurück ins Reale.

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Mann beißt Mann

Die Renaissance des Vampir-Motivs in der derzeitigen Kulturproduktion ist schon erstaunlich – nicht zuletzt, weil man noch vor zehn Jahren annehmen durfte, dass das Subgenre eigentlich nichts Neues zu erzählen hat. Ein trefflicher Indikator für diese Diagnose schien einerseits in der quantitativ beachtliche Abwanderung in die Pornografie, andererseits die „dispositive Verdopplung“ des Vampirstoffes in Filmen wie „Shadow of the Vampire“ (2000) zu sein. Die neuerliche Wiederauferstehung der Vampire in Romanen und Filmen besitzt da hingegen schon fast den Charakter eines Backlashs, sind es doch wieder Liebesgeschichten und Melodramen, die in den Zentren der „Twilight“-Reihe und sogar von Filmen wie „So finster die Nacht“ (2008) stehen. Gerade letzterer hatte jedoch auch ein zweites Motiv des Vampirfilms erneut thematisiert: die soziale Frage des Miteinanders von Vampiren und Menschen. Während zuletzt „Daybreakers“ (2009) eine recht eindeutige Antwort auf diese gefunden hatte, schickt sich der Dokumentarfilm „Vampires“ nun an, das Thema von einer anderen Seite aus zu beleuchten.
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Harry Braun

Der Selbstjustiz-Film ist seit Ende der 1980er etwas aus der Mode gekommen; Vigilanten, die die Vergewaltigung ihrer Verwandten, die Verwahrlosung von Stadtvierteln oder einfach ihre eigene Erfolglosigkeit mittels Rache an den sowieso immer schuldigen Mitbürgern kompensieren, haben irgendwie den Nimbus rechtsradikaler Kultur- und Sozialpessimisten bekommen. Spätestens mit Joel Schumachers „Falling Down“ ist aus dem rotsehenden Mann der amoklaufende Irre geworden (den nur noch Uwe Boll heldenhaft findet), der zwar in den Augen vieler das richtige tut – dies aber aus den falschen Gründen. Mit Clint Eastwoods „Gran Torino“ hat das Subgenre das Sujet noch einmal zu reanimieren versucht als den clash of the generations, ausagiert mit Waffen. Denn dass „die gute alte Zeit“ vorbei ist, in der Jugendliche Älteren den Sitzplatz im Bus frei gemacht haben, und nun anstelle dessen lieber den Sitz rausreißen und damit auf die Alten eindreschen, ist die bittere Erkenntnis der Helden von Gestern. Die Conclusio daraus heißt: sich dem Schicksal fügen oder die Sache (z. B. den Bussitz) selbst in die Hand nehmen.

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Lola spinnt

The Loved Ones
(Aus 2009)
Regie & Buch: Sean Byrne; Kamera: Simon Chapman; Schnitt: Andy Canny
Darsteller: Xavier Samuel, Jessica McNamee, Robin McLeavy, Richard Wilson, Victoria Thaine, John Brumpton, Fred Whitlock, Eden Porter
Länge: 84 Minuten
Verleih: Koch Media

Kamera: Maik Rauhmann

Blut & Boden

Die Meute
(La meute, F 2010)
Regie & Buch: Franck Richard, Kamera: Laurent Barès; Schnitt: Olivier Gajan
Darsteller: Émilie Dequenne, Yolande Moreau, Eric Godon, Philippe Nahon, Benjamin Biolay, Brice Fournier
Länge: 90 Minuten
Verleih: Tiberius

F.LM auf dem Fantasy-Filmfest

Wie in den vergangenen Jahren wird F.LM auch im Sommer 2010 wieder als Dauerkarteninhaber am Fantasy-Filmfest teilnehmen und mit Kritiken, Podcasts und in diesem Jahr erstmals auch Film-Berichten live zwischen dem 17.08. und 20.08. vom Berliner Festival berichten. Die Redakteure Stefan Höltgen und Jochen Werner werden dort mit Beteiligung verschiedener F.LM-Mitarbeiter und Gäste täglich vertreten sein.

Direkten Zugriff auf alle F.LM-Beiträge zum Fantasy-Filmfest bekommt man über die Kategorien-Liste rechts im Menü unter Punkt „Specials – FFF 2010“ oder durch Klick auf das Page-Peel an der oberen rechten Ecke unserer Webseite.

Auf dem Fantasy-Filmfest werden alljährlich neue Film-Produktionen der Genres Horror, Fantasy, Science Fiction und Action vorgestellt. Zusätzlich programmiert das Festival schwerpunktmäßig Produktionen aus dem asiatischen Kino und stellt teilweise erst in der Postproduktion befindliche Filme vor. Die Termine des diesjährigen 24. Fantasy-Filmfest liegen in acht Städten zwischen dem 17.08. und 09.09.2010.

Weitere Informationen: Fantasy-Filmfest