Fantasy Filmfest 2011: Preaching to the Choir

Gegenüber Menschen, die noch nie in den USA waren und deshalb dem Irrglauben anhängen, das mächtigste Land müsse zugleich eines der fortschrittlichsten sein, ist es immer wieder schwer vermittelbar, warum hierzulande mittlerweile relativ unumstrittene Themen wie Homosexualität und Abtreibung dort zu hysterischen Reaktionen führen. Etwas vereinfacht lässt sich dieses Rätsel mit einem Stichwort erklären: Religion. Es gibt sie tatsächlich – jene christilichen Sekten, die Erdbeben, Taifune und andere Katastrophen mit Tausenden Todesopfern für Strafen Gottes halten. Strafen, die sich laut der christlichen Rechten unzweifelhaft auf die gesellschaftliche Permissivität gegenüber Homosexualität, vorehelichem Sex und Abtreibungen beziehen. Einige dieser Sekten, die häufig im Umfeld der erzkonservativen Tea Party agieren, bezeichneten Barack Obama denn auch als Satan (oder wahlweise Hitler), als dieser die wahrlich diabolische Untat beging, das staatliche Krankenversicherungssystem auf die gesamte Bevölkerung auszuweiten. Auch gegen Kevin Smiths neuen Film „Red State“ gab es wütende Proteste seitens christlicher Fundamentalisten, die die Evolutionstheorie in der Schule durch den Kreationismus ersetzen wollen und die Bibel auch sonst wörtlich nehmen.

Smith eröffnet „Red State“ mit einer Demonstration der Five Points Trinity Church – das Begräbnis eines wegen seiner Homosexualität zum Mordopfer gewordenen Mannes begleiten sie mit Schildern, die den Trauernden versichern, der Verstorbene werde in der Hölle schmoren. Das Problem mit dieser reaktionären Gruppierung ist – wie FBI-Agent Keenan (John Goodman) erklärt –, dass die Fanatiker nicht nur Gebrauch vom ersten Verfassungszusatz (der freien Rede), sondern auch vom zweiten (dem Recht auf Waffenbesitz) machen. Mit einem perfiden Trick locken die Sektierer ein Trio von – als MacGuffin dienenden – Jugendlichen in einen Hinterhalt, sperren sie in Käfige, um sie anschließend zu foltern und zu ermorden. Als das FBI anrückt, verbarrikadieren sich die Gläubigen in einem abgelegenen Wohnhaus, das ein ansehnliches Waffenarsenal beherbergt, und warten die Reaktion der Sicherheitskräfte ab. Es entspinnt sich daraus eine lange Belagerungssequenz mit viel Geballer, die durch das Setting und die Anwesenheit zahlreicher Kinder stark an das Waco-Massaker von 1993 erinnert. Entgegen der Einsprüche von Agent Keenan und seinen lokalen Kollegen ordert die FBI-Führung an, das Gelände zu stürmen und die bewaffneten Sektenmitglieder zu erschießen, weil es sich um eine „terroristische“ Gruppe handele. Doch dann erklingen plötzlich die Trompeten des Jüngsten Gerichts …

Ein grundlegendes, von der Berichterstattung über „Red State“ erzeugtes Missverständnis besteht darin, Smiths neuestes Werk für einen Horrorfilm zu halten. Bis auf einige Szenen während der ersten Minuten handelt es sich viel mehr um einen Actionthriller mit Comedy-Elementen. Wie schon in Smiths ebenfalls religionskritischem Erfolg „Dogma“ ist auch hier die Handlung von Dialogwitz und Situationskomik, mitunter auch satirischen Übertreibungen und schwarzem Humor geprägt. Entsprechend karikaturhaft wirken einige Figuren, allen voran der mit southern drawl sprechende Führer der Sekte (Michael Parks) und seine vor Fanatismus blinden Anhänger. Diese krude Charakterisierung der Gläubigen ist denn auch die zentrale Schwäche des Films, der mit seiner paternalistischen Herabwürdigung tief religiöser Menschen den linksliberalen Populismus bedient und damit „zum Chor predigt“, wie man im Englischen sagt. Die Christen in „Red State“ sind dumm, reaktionär und gewalttätig. Das Problem ist, dass Smiths filmische Polemik genauso rechtschaffen und plump daher kommt wie die gläubigen Protagonisten.

Ähnlich schlicht und undifferenziert geraten ein paar Seitenhiebe, die der Film gegen die verheerende Anti-Terror-Politik der USA in Folge des 11. Septembers austeilt. Wenn Smith knapp die in den Patriot Acts und Guantanamo Bay zu Tage tretende politische Willkür anreißt und seinem Heimatland Selbstverrat im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus vorwirft, rennt er erneut die offenen Türen der amerikanischen Küsteneliten und europäischen Amerika-Kritiker ein. Gerade in der Darstellung der Sicherheitskräfte, die durch Entscheidungsketten und Systemzwänge die Situation in „Red State“ erst eskalieren lassen, nähert sich Smith dem Subtext von Rob Zombies „The Devil’s Rejects“ an, der die staatliche Anti-Terror-Politik auf eine Stufe mit dem Terrorismus selbst stellt.

Die Informationsvermittlung des Films geschieht oft etwas ungelenk über lange Monologe – und wenn Smith einmal eine grandiose, den Zuschauer verwirrende Szene gelingt wie beim Ertönen der Trompeten des Jüngsten Gerichts, dann bricht er sie allzu früh ab. So wird „Red State“ wohl letztlich weniger als Film in Erinnerung bleiben, sondern als Vermarktungsexperiment, bei dem Smith auf jegliche Distribution durch einen Filmverleih verzichtete und sein Werk stattdessen persönlich mit einer US-Tour und eigenen Live-Moderationen vermarktete.

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Red State 
(USA 2011)
Regie:
Kevin Smith; Drehbuch: Kevin Smith; Kamera: David Klein; Schnitt: Kevin Smith;
Darsteller:
John Goodman, Michael Parks, Kerry Bishé, Stephen Root, Melissa Leo
Länge:
97 Minuten
Verleih:
Planet Media

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