„The Woman“ gelingt in den ersten Minuten eine großartige, weil doppelbödige Einstellung, bei der ein Mann im Wald durch das Guckrohr seines Gewehrs heimlich eine verwilderte Frau (Pollyanna McIntosh) beobachtet. Das Anstarren der nichts ahnenden Halbnackten aus der Ferne hat zunächst natürlich etwas Voyeuristisches, doch dadurch, dass hier ein Gewehr als Fernrohr fungiert, bekommt der bloße Sehakt von vornherein etwas Bedrohliches – es ist eine Ankündigung des nicht nur sinnlichen, sondern bald auch physischen Übergriffs. Dass Schusswaffen im Kino spätestens seit „Panzerkreuzer Potemkin“ als phallische Symbole, als Instrumente der Penetration angesehen werden, bestätigt diese Gefahr. Tatsächlich fängt Chris (Sean Bridgers) die Frau, schleppt sie in einen unterirdischen Schuppen auf seinem Grundstück und kettet sie in Kreuzigungsposition an die Wand, um sie sich gefügig zu machen, sie „zu zivilisieren, wie er sagt. Seinen Plan, sie „von sich selbst zu befreien“, das Andersartige zu unterwerfen und assimilieren, könnte man auch als Kommentar zur US-Außenpolitik verstehen, doch McKee – der bereits in „May“ eine gesellschaftlich inkompatible, gefährliche Frau in den Vordergrund rückte – bleibt auf der individuellen Ebene.
Wir lernen den Familienvater von Beginn als einen autoritären, im Kommandoton herrschenden, Angst verbreitenden Patriarchen kennen. Dass er nicht nur zu häuslicher Gewalt, sondern auch zu inzestuösem Missbrauch tendiert, stellt sich erst später heraus. Die Figur Chris wird als bösartig, arrogant und chauvinistisch gezeichnet, sorgt aber gleichzeitig mit den grotesken Anweisungen und Erklärungen für (sehr schwarzen) comic relief. So präsentiert Chris den Fang seiner Familie und bezeichnet die Frau als „Projekt“ – sein Sohn Brian (Zach Rand), der den machohaften Vater immer mehr imitiert, sieht in ihr vor allem eine Art Haustier. Ein Spielzeug, an dem er seine aufblühende Sexualität und seinen hier als dezidiert männlich dargestellten Sadismus ausleben kann. „Boys will be boys“, verharmlost der Vater die Exzesse seines Sohnes. Schließlich verspürt auch Chris die sexuelle Ausstrahlung dieser sprichwörtlichen femme fatale, die so wild, unkontrollierbar und triebhaft ist, dass jegliche Lust auf sie ein Element der Gefahr beinhaltet, was allerdings den Reiz bekanntlich nur noch steigert.
Regisseur McKee ist mit „The Woman“ ein bedrückendes Lehrstück über die menschliche, genauer: männliche, Boshaftigkeit gelungen, dessen Schlussakt „die Moral von der Geschicht“ konsequent durchdekliniert. Auf die Demütigungen – das erzwungene Waschen, Ankleiden, Sprechen sowie eine Vergewaltigung – folgt die Katharsis, die brutal und blutig ins Bild gesetzte Befreiung durch eine Rebellion der weiblichen Solidarität. Die utopische Dimension dieser feministischen Wendung wird erst nach dem Abspann klar, während einer Stop-Motion-Coda, in der sich das weibliche Geschlecht in einem radikalen Bruch mit der männlich dominierten Welt auf eine einsame Insel – den prototypischen Ort des Utopischen – zurückzieht. Doch auch in der Realität sind ähnliche, wenn auch weitaus weniger drastische Domestizierungsversuche wiederholt gescheitert, wie vereinzelte Fälle verwilderter Menschen zeigen.
Der Spannungsbogen von „The Woman“ ist äußerst effektiv konstruiert: Lange Zeit ist der Film von einem ruhigen Tempo und relativ harmlosen Gewaltszenen geprägt, um dann im Finale umso härter zuzuschlagen. Die Magengrube des Zuschauers wird hier allerdings weitaus weniger malträtiert als die Psyche, die das eigene Menschen- und Männerbild mit den monströsen Handlungen der maskulinen Figuren vereinbaren muss. Pollyanna McIntoshs rückhaltlose, ganzkörperliche Performance trägt den Film auch über vereinzelte Schwächen – logische Fragwürdigkeiten und etwas überdrehte Szenen – hinweg. Sie faucht, schreit und knurrt, reißt den Mund voller schwarzer Zähne so weit auf, dass er wie ein tödlicher Abgrund wirkt, und rollt ihre Augen immer wieder derart hoch, dass nur noch das Weiße zu sehen ist. Bereits in „Offspring“ hatte McIntosh eine ganz ähnliche Rolle gespielt.
Ihre Anwesenheit ist es auch, die McKee zu vielerlei stilistischen Innovationen veranlasst. Wenn die Frau mit einem Hochdruckreiniger gewaschen wird und dabei dämonische Grimassen schneidet oder wenn sich Brian an ihr vergreift, setzt der Film extrem schnell aufeinander folgende Schnitte ein, sodass ein Bildgewitter entsteht, dessen einzelne Einstellungen aufgrund ihrer Kürze mitunter nur noch subliminal wahrgenommen werden können. Mehrfach verzerrt McKee das Bild auch, wenn die Kamera die Perspektive der Frau (oder der ihr gleichgestellten Hunde) übernimmt. Auch als sie ein Ohr verliert, überträgt der Film diese Erfahrung auf den Zuschauer, indem er das Publikum mit unerträglichem Fiepen beschallt. Die Tonspur arbeitet angesichts der Protagonistin mit körperlich spürbarem Brummen und Dröhnen, das den Zuschauer erbeben lässt. Der eigentliche Schrecken steckt aber weder im Soundtrack noch in den Bildern, sondern in der Vorstellung, dass es – wie auch im thematisch ähnlichen Horrorfilm „Deadgirl“ – die Grundlagen der menschlichen Natur sind, die zu den Torturen der Frau und damit zur endgültigen Katastrophe führen.
Nicht die heftigen, aber bewusst künstlich gehaltenen Splatter-Effekte sind das Verstörendste an „The Woman“. Viel mehr ist es die Dehumanisierung menschlicher Wesen, ihr Kriechen auf allen Vieren, ihre Abrichtung und Konditionierung, wie sie auch Pasolini in „Die 120 Tage von Sodom“ zeigte. Dass sich die sadistische Gewaltausübung gezielt gegen Frauen richtet und von der Hauptfigur auch als Abrechnung mit und Rache an allem Weiblichen verstanden wird, macht Lucky McKees Horrorfilm keinesfalls zu einem misogynen Werk. Nicht der Film ist frauenfeindlich, sondern sein männlicher Protagonist. „The Woman“ ist sogar ausgesprochen feministisch, ein Aufruf zum weiblichen Selbstbefreiungskampf, eine radikal-utopische Vision von einer männerfreien Welt.
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The Woman
(USA 2011)
Regie: Lucky McKee; Drehbuch: Lucky McKee, Jack Ketchum; Kamera: Alex Vendler; Schnitt: Zach Passero; Musik: Sean Spillane;
Darsteller: Pollyanna McIntosh, Sean Bridgers, Lauren Ashley Carter, Angela Bettis, Zach Rand, Shyla Molhusen
Länge: 108 Minuten
Verleih: Capelight