Fantasy Filmfest 2011: Welcome to the United States

Ein Licht scheint in dunkler Nacht, das Licht kommt langsam näher, es sind die Scheinwerfer eines Autos. Fünf junge Erwachsene kehren aus Kanada in die USA zurück, nehmen eine abgelegene Straße, um den Zoll- und Drogenkontrollen zu entgehen und geraten dadurch in eine noch viel schlimmere Angelegenheit. Zwei Männer in Polizeiuniform halten den Wagen an, wollen die Pässe sehen und durchsuchen das Gepäck nach illegalen Waren. Was folgt, ist eine wahrlich beklemmende Sequenz, in der die Situation immer mehr eskaliert, nachdem Jalil (Michael Mando) wegen seiner arabischen Wurzeln unter Generalverdacht gerät. Die beiden Uniformierten nutzen ihre Autorität aus, um die fünf Autoinsassen perfide zu demütigen: Abhängig vom Willen der vermeintlichen Polizisten und bedroht von deren Waffen, müssen diese erniedrigende Untersuchungen gefügig erdulden, werden in orangefarbene Overalls gesteckt und gewaltsam um eine Person dezimiert. Spätestens mit den Ganzkörperanzügen begibt sich Olivier Abbous Horrorthriller „Territories“ auf politisches Terrain. Wo Menschen Säcke über den Kopf gezogen bekommen und ohne Anklage oder Rechtshilfe eingesperrt, versteckt und gefoltert werden, da ist Guantanamo.

„Territories“ versteckt seine Kritik nicht in Anspielungen und Metaphern, sondern politisiert mit dem Hammer. Die Gekidnappten werden mit Brandmalen („Delta 18“) markiert, zu Namenlosen degradiert, in Käfige gesperrt und – natürlich – gefoltert. Nachts wecken ihre Peiniger die verbliebenen vier Opfer, lassen sie auf der Stelle laufen und schlagen sie. In einem zur Zelle umfunktionierten Container erfolgt die effektivste Form der Widerstandsbrechung: Weiße Folter, Psychoterror – grell flackernde Scheinwerfer sowie dumpfe Metal- und Technomusik bedrängen die Eingesperrten. „Willkommen in den Vereinigten Staaten“, ätzen dazu die beiden Rednecks, eine autonome, reaktionäre Bürgerwehr, wie es sie gerade in den Südstaaten der USA tatsächlich gibt. Es folgen Verhöre, bei denen die innerlich zerstörten Insassen Taten erfinden, lügen, bereit sind, frei erfundene Handlungen zu gestehen, um nur irgendwie den menschenverachtenden Methoden ihrer Folterer zu entgehen. Die dazugehörigen Videoaufnahmen wirken mit all den blutig-dreckigen, verbeulten Gesichtern wie authentische Bilder aus Guantanamo. Regisseur Abbou nennt diesen Unort, diesen rechtsfreien Raum im Herzen des Rechtsstaats mehrfach explizit: TV-Nachrichten zeigen das Lager, der Haupttäter (Roc LaFortune) prahlt mit einem Foto, auf dem er als Soldat auf der kubanischen Insel zu sehen ist.

Die erste Stunde des Films ist eine eindringliche, atmosphärisch extrem dichte Anklage gegen die Menschenrechtsverletzungen eines Menschenrechte und Demokratie aggressiv verbreitenden Landes. In der Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse (und den Schattierungen dazwischen) zeigt das Horrorgenre hier sein schon oft bewiesenes politisches Potenzial – anders als die Werke der jüngeren Folterfilm-Welle verzichtet „Territories“ dabei auf allzu drastische Bilder körperlicher Verstümmelung. Statt auf die billigen Schauwerte von Blut und Eingeweiden konzentriert sich der Film auf seinen gesellschaftskritischen Anspruch, ohne jedoch darüber den Unterhaltungsaspekt oder die künstlerische Gestaltung zu vernachlässigen. Die ständig wackelnde Kamera von Karim Hussain (selbst als Regisseur von experimentellen Horrorfilmen wie „Subconscious Cruelty“ oder „Ascension“ bekannt) vermittelt das psychophysische Leiden der Opfer eindrücklich, indem er ihre Bewegungen nachempfindet, ihre Panik kinetisch übersetzt oder ihre Perspektive übernimmt und dabei durch die über den Kopf gestülpten Leinensäcke filmt. Auch die Tonspur trägt dazu bei, die alles überwältigende Angsterfahrung sensorisch zu repräsentieren, wenn wir die entsetzlichen Schreie der Gefangenen und die Asthmaanfälle einer Figur hören oder als Kontrast dazu der Ton vom Bild getrennt wird, während die Eingesperrten Regenwasser mit der Zunge aufzufangen versuchen und ihre Gesichter sich zu Grimassen der Verzweiflung verzerren.

Leider verspielt der Film das Erreichte im Schlussdrittel ein wenig, wenn plötzlich eine neue Figur und mit ihr ein neuer Erzählstrang eingeführt wird, dessen primärer Existenzgrund die Streckung des Plots auf Spielfilmlänge zu sein scheint. Hier wandelt sich „Territories“ nicht nur vom Horrorfilm zum Thriller (und in einer völlig deplatzierten Szene zum Spukgrusel), sondern verlässt auch das politische Terrain, um sich einer rein individuell fokussierten Auflösung des Falls zuzuwenden. Statt die beeindruckend etablierte Situation der Gefangenen weiterzuentwickeln, entfernt sich die Handlung fast vollständig von ihnen und beschränkt sich auf die detektivischen Nachforschungen eines privaten Ermittlers. Mit dieser Zäsur sinkt nicht nur die bis dahin enorme Intensität des Films, sondern auch dessen Glaubwürdigkeit, da die letzten Minuten von logisch äußerst fragwürdigen Ereignissen geprägt sind. Auch das Ende gerät etwas abrupt und einfallslos – allerdings muss dieser Kritikpunkt bis zur DVD-Veröffentlichung unter Vorbehalt bleiben, da das Fantasy Filmfest statt der 110 Minuten langen Originalfassung eine um rund 15 Minuten gekürzte Version zeigte. Ob das fehlende Material es jedoch vermocht hätte, den Film auf das hohe Niveau der ersten Stunde zurück zu führen, ist zweifelhaft. Bei einem anfangs so viel versprechenden – und auch trotz der genannten Schwächen immer noch starken Werk – ist das durchaus schade.

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Territories
(Kanada 2010)
Regie:
Olivier Abbou; Drehbuch: Olivier Abbou, Thibault Lang Willar; Kamera: Karim Hussain; Schnitt: Douglas Buck; Musik: Clément Tery;
Darsteller:
Michael Mando, Roc LaFortune, Sean Devine, Nicole Leroux, Cristina Rosato, Alex Weiner, Stephen Shellen
Länge:
95/110 Minuten
Verleih:
Universum

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