Mann beißt Mann

Die Renaissance des Vampir-Motivs in der derzeitigen Kulturproduktion ist schon erstaunlich – nicht zuletzt, weil man noch vor zehn Jahren annehmen durfte, dass das Subgenre eigentlich nichts Neues zu erzählen hat. Ein trefflicher Indikator für diese Diagnose schien einerseits in der quantitativ beachtliche Abwanderung in die Pornografie, andererseits die „dispositive Verdopplung“ des Vampirstoffes in Filmen wie „Shadow of the Vampire“ (2000) zu sein. Die neuerliche Wiederauferstehung der Vampire in Romanen und Filmen besitzt da hingegen schon fast den Charakter eines Backlashs, sind es doch wieder Liebesgeschichten und Melodramen, die in den Zentren der „Twilight“-Reihe und sogar von Filmen wie „So finster die Nacht“ (2008) stehen. Gerade letzterer hatte jedoch auch ein zweites Motiv des Vampirfilms erneut thematisiert: die soziale Frage des Miteinanders von Vampiren und Menschen. Während zuletzt „Daybreakers“ (2009) eine recht eindeutige Antwort auf diese gefunden hatte, schickt sich der Dokumentarfilm „Vampires“ nun an, das Thema von einer anderen Seite aus zu beleuchten.
Ein Dokumentarfilm über Vampire? Ja, und zwar ein gefakter. Ein Fernsehteam berichtet über das Leben einer belgischen Vampir-Familie. Es ist bereits der dritte Anlauf zu dem Projekt; die beiden vorherigen Crews haben ihre Versuche, mit den Blutsaugern in Kontakt zu treten, nicht überlebt. Nun jedoch begleitet das Filmteam ein Vampir-Paar mit zwei „jugendlichen“ Kindern und vampirischen Untermietern im Keller bei ihren allnächtlichen Tätigkeiten. Wir erfahren von den Lebens- und Sterbensgeschichten der einzelnen Vampire, den Konflikten, die sie miteinander haben, von ihrer Sexualität, ihren Nahrungsgewohnheiten und der sozialen Organisation der Vampire in Belgien. Die Bedrohung, der das Filmteam dabei ausgesetzt ist, bleibt konsequent spürbar, lassen sich einige der Interviewten zeitweise doch nur schwer davon abhalten, in den anwesenden Menschen ein willkommenes Nachtmahl zu sehen. Im Zentrum des Films steht ein „Verbrechen“, das der Sohn der Familie begangen hat, als er sich mit der Frau des Clan-Chefs einließ. Zuerst soll er deswegen sterben, er erreicht es jedoch, mit seiner Familie nach Kanada verbannt zu werden, wo gänzlich andere Lebensumstände für Vampire bestehen als in Belgien: Hier muss gearbeitet werden, zu fressen gibt es fast ausschließlich Alte und Kranke und sexuelle Beziehungen untereinander und zu den Menschen sind weniger streng reglementiert.

Der Modus, in der der Film seine Dokumente präsentiert, ist der der Doku-Soap. Neben heimlich beobachteten Szenen gibt es immer wieder Interview-Sequenzen, in denen die Vampire ihr Fühlen und Handeln erklären. Mit wenig Musik unterlegt und zumeist mit Handkamera gefilmt, erreicht der Film so ein schon fast absurdes Maß an Authentizität. Der Vergleich zur beinahe 20 Jahre alten, ebenfalls in Belgien produzierten Serienmörder-Doku-Soap „Mann beißt Hund“ liegt hier überaus nahe. Und beide Filme teilen sich im Prinzip auch das selbe ästhetische Programm: Es geht um die „Was wäre wenn“-Frage, einmal nicht aus der Perspektive der Dystopie heraus gestellt (wie noch in „Daybreakers“), sondern als eine Frage der medialen Verarbeitung von Grausamkeiten. Hatte das Filmteam in „Mann beißt Hund“ die Schwelle zur Mittäterschaft irgendwann auch real überschritten, so macht sich die Crew in „Vampires“ doch zumindest der Duldung und des Wegschauens schuldig.

Das Programm beider Filme schneidet sich jedoch auch in einem anderen Punkt und der Frage: Welchen sozialen Status besitzen Außenseiter-Figuren wie Serienmörder oder Vampire, die als popkulturelle Ikonen breite Publikumsschichten ansprechen. Man könnte beinahe sagen, dass durch Filmprojekte wie „Mann beißt Hund“ oder „Vampires“ das Sosein dieser Figuren phänomenologisch untermauert wird: Vampire sind eine kulturelle Tatsache, und was wir über sie wissen und nicht wissen kann daher auch Gegenstand einer Dokumentation sein. Damit filmt das Team in „Vampires“ also nur zu einem Teil fiktionale Vampire – vielmehr stehen die kulturellen und fiktionalen Vorstellungen über den Vampirismus im Fokus der Erzählung. In dem Maße, wie Horrorwesen wie Serienmörder, Vampire, Zombies und andere zum Gegenstand von Dokumentarfilmen und Fernsehserien werden, wird also deutlich, dass sie wirklich in der Mitte der Kultur angekommen sind und unter uns leben.

Vampires
(Belgien 2009)
Regie: Vincent Lannoo; Buch: Frédérique Broos, Vincent Lannoo; Kamera: Vincent van Gelder; Schnitt: Frédérique Broos
Darsteller: Paul Ahmarani, Julien Doré, Carlo Ferrante, Alexandra Kamp-Groeneveld u.a.
Länge: 88 Minuten
Verleih: n. n.

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