Lieber tot als Sklave

Zu Beginn von Perry Henzells Klassiker „The Harder They Come“ aus dem Jahr 1972 begleitet der Zuschauer den Protagonisten Ivan (Jimmy Cliff) auf seiner Reise vom Land nach Kingston, der Hauptstadt Jamaikas. Die Fahrt mit dem klapprigen Bus über Schotterpisten und durch winzige Dörfchen, denen man die Armut der Einwohner ansieht, wird untermalt von Desmond Dekkers inspirierendem „You can get it if you really want“, das Ivans Zuversicht und Tatendrang Ausdruck verleiht. Doch die bittere Ironie dieses Songs wird sich dem Zuschauer erst im weiteren Verlauf des Films erschließen …


Ivanhoe Martin kommt nach Kingston, um der dort lebenden Mutter vom Tod der Großmutter zu berichten und sich eine neue Existenz aufzubauen. Die Warnungen seiner Mutter, die befürchtet, der Sohn werde kriminell werden, schlägt er in den Wind und träumt von einer Karriere als Sänger. Zwar gelingt es ihm tatsächlich, eine Platte beim hiesigen Plattenmogul Hilton aufzunehmen, doch die lausigen 20 Dollar, die er dafür erhält, bringen ihn nicht weit. Als ihm auch andere legale Mittel des Broterwerbs verwehrt bleiben, steigt Ivan in den Drogenhandel ein, wird zum Polizistenmörder und erlangt den Status eines Volkshelden, als er mit seiner längst vergessenen Platte in Verbindung gebracht wird. Doch da haben Polizei und Wirtschaft sich schon die Hände gereicht, um seinem Treiben ein Ende zu setzen …

Als Henzells Film „The Harder They Come“ 1972 erschien, platzierte er nicht nur das kleine Jamaika auf der Landkarte kulturell Interessierter, er machte auch Reggae schlagartig populär. Die Musik spielt eine wichtige Rolle in Henzells Film, fungiert längst nicht nur als Untermalung seiner Geschichte vom Aufstieg und Fall eines „Landeis“, vielmehr kontrastiert und kommentiert sie die Handlung und wird zu so etwas wie dem auktorialen Erzähler des Films. Dekkers erwähnter Hit spiegelt den Optimismus der Hauptfigur, der jedoch schon wenig später als naiv enttarnt wird: Ivans Hilfsbereitschaft wird direkt nach seiner Ankunft in Kingston von einem Leidgenossen rücksichtslos ausgenutzt wird und er verliert sämtliche Besitztümer, noch bevor er bei seiner Mutter angekommen ist.

Später ist es Jimmy Cliffs Titelsong, Ivans Hit, dessen Durchhalteparolen vom treibenden, gleichbleibenden Rhythmus förmlich zum Mantra der Besitzlosen gesteigert werden, die doch nur der Armut entfliehen wollen: Die Kamera ist nah dran an Ivan, der schwitzend und mit geschlossenen Augen seinen Song weniger singt als vielmehr körperlich durchlebt. Doch so eng Henzell an seinem Protagonisten auch dranbleibt, so wenig glorifiziert oder beschönigt er dessen Verbrechen. Er zeichnet lediglich das Unausweichliche nach, sachlich zwar, aber niemals herzlos.

Henzell macht unmissverständlich klar, wie das funktioniert mit Kolonialismus und Ausbeutung: Die schwarzen Einwohner Kingstons haben die Wahl, sich mit miserablen Frondiensten durchzuschlagen, Drogen zu verkaufen und dabei ebenfalls mit einem winzigen Bruchteil des tatsächlichen Gewinns abgespeist zu werden oder aber sich als Musiker zu versuchen und sich auf Gedeih und Verderb dem einzigen Musikproduzenten der Stadt auszuliefern. Von Reklametafeln locken derweil Luxusgüter und Weltreisen, suggeriert die Werbung eine Verfügbarkeit, die für die meisten Menschen gar nicht existiert, und lacht den Armen so förmlich ins Gesicht. „You can get it if you really want“: Diese Überzeugung, die das Leistungs- und Besitzstreben, von dem der Kapitalismus lebt, unhinterfragt affirmiert, entpuppt sich für Ivan als Irrglaube.

Wer was bekommt, wem was zusteht, das entscheiden andere, etwa der Polizeichef und der Plattenproduzent, die Ivans Platte einfach so verschwinden lassen, als er ihnen zu gefährlich wird. Wer „You can get it if you really want“  aufgrund eines Aral-Werbespots aus den Neunzigerjahren automatisch mit Mobilität verbindet, der muss die Antithese dazu in „The Harder They Come“ nicht lang suchen: Für Ivan gibt es kein Entkommen aus seinem Heimatland, lediglich die Hoffnung, dass seine „Brüder“ – die Unterdrückten dieser Welt – ihren universellen Kampf aufnehmen und gewinnen werden: „I am everywhere!“ lautet ein Graffiti, das der Polizeichef höchst beunruhigt zur Kenntnis nimmt, weil er versteht, dass hinter dem „Ich“ Millionen stehen, die irgendwann aufbegehren werden.

„The Harder They Come“, ein Klassiker des Weltkinos und ein ungemein frischer, direkter und fesselnder Film, besitzt auch heute noch enormes agitatorisches Potenzial, weil sich die Zustände, die er schon vor 40 Jahren zeigte, weiter zementiert haben.

The Harder They Come
(Jamaika 1972)
Regie: Perry Henzell; Drehbuch: Perry Henzell, Trevor D. Rhone; Musik: Jimmy Cliff, Desmond Dekker u. a.; Kamera: Peter Jessop; David McDonald, Franklyn St. Juste; Schnitt: Seicland Anderson, John Victor-Smith, Richard White
Darsteller: Jimmy Cliff, Janet Bartley, Carl Bradshaw, Ras Daniel Hartman, Basil Keane
Länge: 105 Minuten
Verleih: Arsenal Filmverleih

Zur DVD von Arsenal Filmverleih

Arsenal präsentiert „The Harder They Come“ als Doppel-DVD mit zahlreichen Extras. An Bild- und Tonqualität sollte man aufgrund des Alters und der „Rohheit“ des Bildes zwar nicht mit High-Definition-Ansprüchen herantreten, das bedeutet jedoch nicht, dass man hier mit minderer Qualität abgespeist würde. Im Gegenteil lässt die technische Präsentation des Films dessen Botschaft gleich noch dringlicher erscheinen, wirkt die Geschichte um den Aufstieg und Fall Ivans noch unmittelbarer als ohnehin schon. Kurz: Freunde des World Cinemas, aber auch des intelligenten, rebellischen Exploitationkinos kommen an dieser DVD nicht vorbei.

Zur technischen Ausstattung der DVD:

Bild: 1:1,85 (16:9/anamorph)
Ton: Englisch/Jamaikanisch (Dolby Digital 5.1, Dolby Digital 2.0)
Untertitel: Deutsch
Extras:
Making of, Dokumentation: The Phenomenon of THTC, Interviews, Fotogallerie, THTC live at Montreux, Trailer
Freigabe: FSK 12
Preis: 22,99 EUR

Diese DVD bei Amazon kaufen.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.