Die Aufgabe, Pornofilme zu besprechen, ist für den Rezensenten alles andere als leicht, denn man muss vor allem gegen das Vorurteil ankämpfen, dass ein Pornofilm sich angeblich gerade dadurch definiert, dass die ästhetische Gestaltung darin gar keine Rolle spielt und die kritische Diskussion sich hiermit erübrigt. Andererseits lieferte gerade der Kurzfilmwettbewerb des Pornfilmfestivals ein anschauliches Beispiel dafür, dass die Gestaltungsmöglichkeiten in Pornoproduktionen keinesfalls begrenzter sind, als bei anderen so genannten „Körpergenres“ wie Horror oder Komödie. Und genauso, wie eine gute Komödie nicht ausschließlich daran gemessen werden sollte, wie oft man als Zuschauer gelacht hat, kann man bei experimentell ausgerichteten Pornofilmen ruhig auch mal andere Bewertungskriterien heranziehen außer dem stimulierenden Effekt, den man in den meisten Fällen sowieso nicht überindividuell fassen kann.
Die Anwärter auf den Kurzfilmpreis lassen sich zunächst ganz grob in zwei Gruppen unterteilen, die stellvertretend für zwei unterschiedliche Einstellungen zur verfilmten Erotik stehen. Zum einen sind das Produktionen, die den sexuellen Akt überinszenieren, um ihn mit Bedeutungen aufzufüllen, die in physiologischer oder psychologischer Hinsicht aus ihm heraus nicht unbedingt folgen. Ein Paradebeispiel dafür ist der Kurzfilm „The Lady is Dead“ von Roy Raz, in dem zu melancholischer Musik eine Reihe rätselhafter Bilder vorgeführt wird, die, trotz des offenkundigen erotischen Inhalts, stets den Eindruck erwecken, als würden sie noch einen weiteren, kryptischen Sinn verbergen. Ähnlich funktionieren auch „Little White Cloud that Cried“ von Guy Maddin und „Possession“ von Inside Flesh Collective, die sämtliche Register eines Kunstvideos ziehen, um eine Aussage jenseits der „nackten Tatsachen“ zu schaffen.
Die zweite Gruppe vertraut dagegen fast ausschließlich auf die Immanenz der sexuellen Aktion und bemüht sich um die größtmögliche Authentizität des Dargestellten. So der 3minütige Film (und letztendliche Preisträger) „Endlich Urlaub“ von Jan Soldat, der einen Mann in seiner Wohnung bei der kreativen und doch so alltäglich anmutenden Selbstbefriedigung zeigt. In „Unplay“ von Joanna Rytel wird die Filmemacherin sogar selbst zur handelnden Person, indem sie den Zuschauer zum Zeugen ihres Gesprächs macht, in dem sie ihrem Partner offenbart, mit seinem besten Freund geschlafen zu haben. Die Intimität dieser Szene macht eigentlich die Visualisierung der expliziteren Inhalte überflüssig. In „I Want Your Love“ von Travis Mathews beobachten wir die ungezwungene Unterhaltung zweier Freunde, um dann ihrer ersten, zuerst zögerlichen, dann leidenschaftlichen sexuellen Annäherung beizuwohnen. Und wieder trägt die authentisch inszenierte Situation der Grenzüberschreitung viel mehr zur erotischen Wirkung bei als die sexuelle Handlung selbst.
Einen Mittelweg zwischen diesen beiden Verfahren finden diejenigen Filme, die das Pornographische zwar in den Vordergrund stellen, ihm aber einen spielerischen Rahmen geben wollen. In der Produktion „Revanche 1“ von Franzy Millarse sehen wir beispielsweise drei junge Frauen, die maskiert in eine Gefängniszelle eindringen und dort einen männlichen Insassen auf eine raffinierte Weise vergewaltigen, wobei beide Seite unübersehbar ihren Spaß daran haben. In „Septimana“ von Sylvain Cappeletto, dem einzigen Zeichentrickfilm in diesem Programm, werden die Wochentage jeweils einer abgründigen sexuellen Praktik zugeordnet, die darüber hinaus noch in den Mauern eines Klosters situiert ist. „Rated Cross“ von Luc Notsnad zeigt eine Gruppe nackter Menschen, dessen Picknick auf einem Berliner Dach mit einer Orgie endet, bei der die Lebensmittel in der blasphemischen Anspielung auf die Eucharistie fröhlich penetriert werden. Und schließlich „Love“ von Erika Lust präsentiert die Liebesgeschichte zwischen einem jungen Mann und einer reiferen Frau, die, von den expliziten Szenen mal abgesehen, nach allen Regeln eines Melodrams aufgebaut ist: Von der zufälligen Begegnung auf der Strasse über die heimlichen Treffs in einem Hotelzimmer bis zur schmerzlichen Trennung.
Die Qualität des Programms liegt vor allem in der Vielfältigkeit der ausgewählten Beiträge, die sehr prägnant aktuelle Strömungen innerhalb der experimentellen Pornoszene vorstellen und mit so manchem Vorurteil ganz selbstverständlich aufräumen.