Blutige Exzesse und gemütliche Spießerfreuden

Dass man sich auch heute noch von Hitler als Leinwandfigur faszinieren lässt, haben neulich zwei restlos ausverkaufte Vorstellungen von Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ im Berliner Zeughaus-Kino gezeigt. Einer der Gründe mag dabei derselbe sein, der zahlreiche Besucher in die Ausstellung „Hitler und die Deutschen“ im Deutschen Historischen Museum lockte, die den eigentlichen Anlass für diese Filmvorführung lieferte: Man wollte über Hitler erfahren, „wie er wirklich war“. Paradoxerweise – und das führt die Monografie von Alexandra Hissen, die sich dem Bild des Diktators im deutschsprachigen Film widmet, deutlich vor Augen, – geraten wir umso stärker in den Sog der Mythen, je mehr wir uns durch das Studium der Quellen dem historischen Hitler zu nähern glauben. Der Mensch Adolf Hitler verschwindet völlig hinter seinen eigenen medialen Selbstinszenierungen. „Blutige Exzesse und gemütliche Spießerfreuden“ weiterlesen

Pornfilmfestival Berlin 2010 – Internationaler Kurzfilmwettbewerb

Die Aufgabe, Pornofilme zu besprechen, ist für den Rezensenten alles andere als leicht, denn man muss vor allem gegen das Vorurteil ankämpfen, dass ein Pornofilm sich angeblich gerade dadurch definiert, dass die ästhetische Gestaltung darin gar keine Rolle spielt und die kritische Diskussion sich hiermit erübrigt. Andererseits lieferte gerade der Kurzfilmwettbewerb des Pornfilmfestivals ein anschauliches Beispiel dafür, dass die Gestaltungsmöglichkeiten in Pornoproduktionen keinesfalls begrenzter sind, als bei anderen so genannten „Körpergenres“ wie Horror oder Komödie. Und genauso, wie eine gute Komödie nicht ausschließlich daran gemessen werden sollte, wie oft man als Zuschauer gelacht hat, kann man bei experimentell ausgerichteten Pornofilmen ruhig auch mal andere Bewertungskriterien heranziehen außer dem stimulierenden Effekt, den man in den meisten Fällen sowieso nicht überindividuell fassen kann.

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Pornfilmfestival 2010 – L.A. Zombie Hardcore

Kann man Porno mit sozialer Kritik verbinden? Der kanadische Filmemacher Bruce LaBruce ist jedenfalls seit den Neunzigern durch Produktionen bekannt, die dem schwulen Begehren und dessen lustvollem Ausleben eine politische Dimension geben. In seinem neuesten Film, „L.A. Zombie Hardcore“, der zur Zeit durch diverse Festivals  tourt(allerdings in einer Softcore-Fassung), verwendet er das Untoten-Motiv als Metapher für das Verdrängte einer Überflussgesellschaft, wobei die Bezüge zu George A. Romeros mehrteiligem Zombie-Epos unübersehbar sind. „Pornfilmfestival 2010 – L.A. Zombie Hardcore“ weiterlesen

Pornfilmfestival Berlin 2010 – Frauenzimmer

Erfreulicherweise ist beim Berliner Pornfilmfestival der Name nicht immer Programm, es werden also auch nichtpornografische Produktionen gezeigt, die interessante Aspekte der Sexualität beleuchten. Die Dokumentation „Frauenzimmer“ von Saara Aila Waasner porträtiert drei Frauen im fortgeschrittenen Alter, die als Prostituierte in Berlin tätig sind. „Pornfilmfestival Berlin 2010 – Frauenzimmer“ weiterlesen

Wie die Welt aufwächst

Die Eindrücke des ersten Lebensjahres sollen für den Menschen besonders prägend sein, behaupten Verhaltenspsychologen. Wie man die Entwicklung in dieser Phase jedoch am besten beeinflusst – hier gehen die Meinungen stark auseinander. Thomas Balmès hält für seinen Dokumentarfilm Aufnahmen von vier Babies fest, die in vier verschiedenen Ländern zur Welt kommen und ihre ersten Lebenserfahrungen machen: Ponijao aus Namibia, Mari aus Japan, Bayar aus der Mongolei und Hattie aus den USA. Erstaunlich ist dabei, wie wenig die Erziehung mit der bewussten Entscheidung zu tun hat und wie sehr man durch den sozial und ökonomisch bedingten Lebensstil „erzieht“. „Wie die Welt aufwächst“ weiterlesen

Pinprick

Es darf ein relativ bekanntes und in unzähligen Kinderbüchern spannend umgesetztes Phänomen sein, dass Kinder sich nichts sehnlichster wünschen, als einen geheimen Freund, der immer für sie da und den „normalen“ Spielkameraden weit überlegen ist. Um diese Wunschvorstellung in der (fiktionalen) Realität zu verorten, werden Kuscheltiere mit Sprachfähigkeiten ausgestattet oder aber auch ganz neue Wesen erfunden, wie etwa der wohl bekannte Karlsson vom Dach.

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Die abgetriebenen Träume

Die minimalistische Ästhetik des diesjährigen Cannes-Gewinners von Christian Mungiu lässt eine Reihe – zum Teil widersprüchlicher – Interpretationen zu, die jede für sich durchaus schlüssig und nachvollziehbar erscheinen. Der Film kann als ein Anti-Abtreibungs-Drama gelesen werden und gleichzeitig als ein Plädoyer für die Freiheit der Frau, diese Entscheidung zu treffen. Man kann darin genauso gut eine Parabel auf die Unterdrückung durch den totalitären Staat sehen, wie eine Warnung vor den „Nebenwirkungen“, die auf dem Weg zur ersehnten Befreiung entstehen. Es ist gleichermaßen ein Loblied der (weiblichen) Freundschaft und eine Bestandsaufnahme deformierter Beziehungen und missglückter Kommunikation… Ich greife aus dem filmischen Text daher nur einen Aspekt heraus, in dem sich alle weiteren Motive bündeln: die Entfremdung des Individuums von seiner Umgebung und – in extremer Konsequenz – vom eigenen Körper.
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Ein Zimmer ohne Aussicht

Was „Motel“ als Thriller sofort sympathisch macht ist dass er ohne Umschweife zur Sache kommt. Die Bilder eines unbeschwerten Alltags, die dann in ein Horror-Szenario umschlagen, werden hier ausgespart. Alles beginnt bereits denkbar düster und ungemütlich: Ein Paar nachts im Auto auf einer entlegenen Landstrasse, völlig orientierungslos und mit einem Verdacht auf Motorschaden. Aber auch abgesehen von dieser recht unangenehmen Situation sind die beiden beziehungsmäßig auf einem Horrortrip: Nach dem tödlichen Unfall ihres kleinen Kindes herrscht zwischen den jungen Eheleuten Kälte und Entfremdung. Die Scheidungspapiere sind auch schon eingereicht. Doch die Frage ist nun, ob sie überhaupt jemals dazu kommen werden, sie zu unterzeichnen …

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Das Treibhaus der Lüste

Der Garten ist wahrscheinlich die älteste und bekannteste Metapher für das Paradies, aber genau da wachsen auch die verbotenen Früchte, deren Genuss zum Ausschluss aus der paradiesischen Geborgenheit führen kann. Deshalb ist der Garten in Dai Sijies Film von Anfang an ein bedrohlicher Ort, dessen Schönheit durch auferlegte Verbote einen makabren Beigeschmack bekommt. Auf die Einhaltung aller Restriktionen achtet nämlich aufs Peinlichste der Besitzer und eigentlicher Schöpfer (oder zumindest Mitschöpfer) der auf einer einsamen Insel gelegenen Gartenlandschaft, der Botanikprofessor Chen. Sein Zugang zu seltenen und faszinierenden Pflanzen, die er mit Vorliebe durch eine Lupe beobachtet und bei ihren lateinischen Namen nennt, ist rein intellektuell, das sinnliche Vergnügen von der Berührung mit der Natur scheint ihm fremd zu sein.
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Lebenssehnsucht im Todeszug

Die Diskussionen darüber, ob der Holocaust zum Gegenstand eines kommerziell ausgerichteten Massenkinos werden darf, wurden spätestens mit "Schindlers Liste" eröffnet. Seitdem reißt die Kette der groß angelegten Filmproduktionen, die der Betroffenheit, die dieses Thema beim Zuschauer auszulösen vermag, den unterhaltenden Aspekt abzugewinnen versuchen, nicht ab. "Der letzte Zug" erinnert zwar in seinem Plot und dem Setting an ein engagiertes Dokudrama, erweist sich aber recht bald als ein brutaler klaustrophobischer Thriller, der die Spannung mittels melodramatischer Elemente aufrechterhält und bisweilen fast ins Unerträgliche steigert.  „Lebenssehnsucht im Todeszug“ weiterlesen

Die Magie des Rituals

Das verschmitzte Lächeln der schönen Königin, die den hoch stilisierten Bilderreigen des Films eröffnet und zu einem seiner visuellen Leitmotive wird, ist das ironische Lächeln der Postmoderne, die ihre Geschichten immer mit relativierenden Einführungszeichen versieht – ganz besonders, wenn dabei ganz große Geschichte im Spiel ist. Im Mittelpunkt von "Marie Antoinette" steht zwar das dekadente Hofleben am Vorabend der Französischen Revolution, es geht aber nicht darum, den übergreifenden historischen Zusammenhängen auf die Spur zu kommen.

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Wünsch dir was!

Am Anfang war tatsächlich das Wort. Besser gesagt: das Stichwort, das die Regisseurin Valeska Grisebach für ihre vorbereitende Recherche zum Film verwendet hat. In einer Reihe von Interviews mussten Männer und Frauen die Frage nach ihren unerfüllten Träumen und Wünschen beantworten, wobei all das, was man unter dem Begriff "Sehnsucht" versteht, zum Vorschein kommen sollte.

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Eindeutig uneindeutig

Michael Haneke macht es seinen Interpreten leicht und schwer zugleich, indem er selbst gerne und ausführlich über seine Filme spricht. Die zahlreichen Interviews, die häufig neben den interpretierenden Texten der Analytiker in die Sammelbände aufgenommen werden (der vorliegende ist hier auch keine Ausnahme!), legen davon Zeugnis ab. In diesen Gesprächen bietet Haneke tatsächlich sehr genaue Einblicke in seine Schaffenskonzepte und liefert kostbare Hinweise, die von den Kritikern und Wissenschaftlern dann weiter verwertet werden können. Um aber die vom Regisseur genannten Aspekte erfolgreich in die eigene Theorie zu integrieren und ihnen darüber hinaus etwas neues abzugewinnen, muss man sehr weit in die Tiefe gehen, was zuletzt beispielsweise Jörg Metelmann in seiner Haneke-Monographie „Zur Kritik der Kino-Gewalt“ geleistet hat.
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Wenn der Instinkt trügt

Catherine Tramell (verkörpert von Sharon Stone) ist als eine der geheimnisvollsten Frauengestalten in die Geschichte des populären Kinos eingegangen. „Ich verrate doch nichts, nur weil ich einen Orgasmus habe“, – lautete ihre berühmte Sentenz aus „Basic Instinct“ (1992). Dadurch hat sie eine Reihe der geschlechtsgebundenen Stereotype in Frage und auf den Kopf gestellt, unter anderem den Mythos über den weiblichen Kontrollverlust beim (leidenschaftlichen) Sex. Sie hatte Spaß und sie hatte Kontrolle! Dieses subversive Szenario hat der Film freilich dadurch entschärft, dass er aus Catherine eine männermordende Bestie machte und ihr ganzes Verhalten somit als eindeutig pervers denunzierte. Seine einzigartige Spannung schöpfte „Basic Instinct“ jedoch aus der Tatsache, dass Catherines Figur die ganze Zeit ambivalent blieb und ihre Schuld bis zum überraschenden Schluss nicht geklärt war.
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Alles über meinen Vater

Bree (Felicity Huffman) lässt nichts unversucht, um im Alltag weiblicher zu wirken. Für sie ist es bei weitem keine Selbstverständlichkeit, denn sie wurde als Mann geboren und ist immer noch – biologisch gesehen – ein Mann. Doch nicht mehr lange, denn der Termin für die operative Geschlechtsumwandlung steht schon fest, wird aber auf das dringende Anraten von Brees Therapeutin verschoben: Bree muss zunächst ihre Beziehung mit dem plötzlich aufgetauchten Sohn aus einer längst vergessenen Affäre klären.
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Die Sehnsucht nach dem Vater

Die klassische psychoanalytische Theorie hat zur Bestätigung oder Illustration ihrer Thesen häufig auf die Erzeugnisse der Kunst (vor allem der Literatur) zurückgegriffen. Der moderne Künstler bedient sich dagegen selbst der Psychoanalyse, um seine Message zu vermitteln, und die psychoanalytische Deutung muss sich jetzt vor allem darauf konzentrieren, die entsprechenden Einspielungen zu entschlüsseln, anstatt das aus dem Werk sprechende Unbewusste ans Tageslicht führen zu wollen. So zeigt Manfred Riepe in seiner Pedro Almodόvar gewidmeten Monographie „Intensivstation Sehnsucht“, dass der Regisseur sich durchaus bewusst durch sein ganzes Schaffen hindurch mit einzelnen Leitsätzen der freudschen Lehre auseinandergesetzt hat.
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Porno-Politik

Linda Lovelace wusste nicht, was das Wort „Anarchie“ bedeutet. Zumindest behauptete sie das in einem Fernsehinterview, das in der aktuellen Dokumentation „Inside Deep Throat“ kurz eingeblendet wird. Dennoch erschien ihre Aktionen auf der Leinwand vielen „anarchisch“ genug, um die moralischen Grundsätze einer ganzen Nation ins Wanken zu bringen. Für andere war „Deep Throat“ dagegen ein Außnahmeporno, den man sich auch in Frauenbegleitung gerne anschaute und in einer guten Gesellschaft zum Gespräch brachte. Sogar Jacky Kennedy soll in einer Vorführung gewesen sein, was die Popularität der umstrittenen Pornoproduktion noch zusätzlich steigerte.
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Ein guter Zuhörer

Die schlimmsten Alpträume sind diejenigen, die man zuerst nicht merkt. Man wähnt sich in Sicherheit und begreift erst allmählich, dass etwas nicht stimmt und die scheinbar vertraute Realität tiefe Brüche aufweist. Die rettende Rückkehr zur „normalen“ Ordnung der Dinge wird in diesem Moment problematisch, da die Gefahr genau dort lauert, wo man früher Normalität vermutete. Der Film von Benjamin Heisenberg bewegt sich in der Ästhetik eines solchen schleichenden Alptraums, der das Banale und Alltägliche ganz subtil durchdringt, um schließlich eine unlösbare Schlinge um die Protagonisten zu bilden.
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Die Kette des Leidens

Die weibliche Biologie, die sehr stark auf die Fortpflanzung eingestellt ist, wurde noch von Simone de Beauvoir als ein Problem erkannt, das die Frau daran hindert, sich von der „kreatürlichen Abhängigkeit“ zu befreien und der eigenen Existenz eine transzendente Dimension zu geben. Ihr Vorschlag war, das körperbezogene Dasein mit geistiger Anstrengung zu überwinden und auf diese Weise eine innere Freiheit als Individuum zu erlangen, wie sie der Mann (historisch sowie biologisch bedingt) bereits genießt. Die späteren Generationen der feministischen Theoretikerinnen haben sie korrigiert und die negative Konnotation des Körperlichen grundsätzlich in Frage gestellt. Doch das änderte nichts daran, dass die biologischen Implikationen des weiblichen Körpers zu einem verbreiteten Topos der Horrorfilmgeschichte geworden sind. Eine furchteinflössende Vorstellung, nicht mehr Herr seiner Selbst zu sein und den eigenen Organismus zum Zwecke der Erhaltung einer (in diesem Falle fremdartigen) Spezies zu Verfügung stellen zu müssen, äußert sich zum Beispiel in der Vision einer männlichen „Schwangerschaft“, wie sie in „Alien“ in erschreckenden Bildern vorgeführt wird.
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