Ein Zimmer ohne Aussicht

Was „Motel“ als Thriller sofort sympathisch macht ist dass er ohne Umschweife zur Sache kommt. Die Bilder eines unbeschwerten Alltags, die dann in ein Horror-Szenario umschlagen, werden hier ausgespart. Alles beginnt bereits denkbar düster und ungemütlich: Ein Paar nachts im Auto auf einer entlegenen Landstrasse, völlig orientierungslos und mit einem Verdacht auf Motorschaden. Aber auch abgesehen von dieser recht unangenehmen Situation sind die beiden beziehungsmäßig auf einem Horrortrip: Nach dem tödlichen Unfall ihres kleinen Kindes herrscht zwischen den jungen Eheleuten Kälte und Entfremdung. Die Scheidungspapiere sind auch schon eingereicht. Doch die Frage ist nun, ob sie überhaupt jemals dazu kommen werden, sie zu unterzeichnen …

vacancy.jpgNachdem wir mit dem Ehepaar schon Mitten im Alptraum gelandet sind, lässt der Film die Unruhe stufenweise steigern. Wenn David und Amy schon dabei sind, über die Unmöglichkeit, ihren aktuellen Aufenthaltsort topographisch zu bestimmen, zu verzweifeln, erblicken sie die rettenden Lichter einer Tankstelle. Der etwas seltsam anmutende Mitarbeiter überprüft den rauschenden Motor und macht sogar eine kleine Reparatur. Doch ein paar Kilometer weiter bleibt das Auto liegen. Und wieder scheinbare Erlösung: Die notgedrungene Spaziertour durch die Nacht heil überstanden, darf das Paar an derselben Tankstelle in einem Motel einchecken. Die panischen Frauenschreie aus dem Zimmer des Portiers entpuppen sich als Tonspur eines (Horror)Films, der ungeheure Lärm an der Tür der schäbigen „Flitterwochensuite“ bekommt eine halbwegs plausible Erklärung als Krawalle eines vermutlich reingeschlichenen Betrunkenen. Die schlimmsten Befürchtungen werden jedoch bestätigt und sogar übertroffen, als David in dem zugewiesenen Zimmer mehrere Videotapes entdeckt, die scheinbar billige Folterpornos enthalten. Das Unfassbare an der Entdeckung – die Opfer in den Filmen leiden nicht nur verblüffend echt, sondern auch in demselben Ambiente, in dem David und Amy ihr Nachtasyl gefunden haben.

Ähnlich wie in „The Ring“ (2003), wo die über die Leinwand schimmernden Bilderfolgen eines an die experimentelle Independent-Produktion erinnernden „Horror-Videos“ den (beunruhigenden) Kontrapunkt zur Hollywood-Hochglanz-Ästhetik bildeten, markieren die betont „unästhetischen“ Video-Aufnahmen in „Motel“ den Einbruch einer anderen, in ihrer Fremdheit verstörenden Realität. Unsere voyeuristische Angstlust resultiert aus der Unfassbarkeit der Vorstellung, die nach allen Konventionen eines gepflegten Genrefilms agierenden Protagonisten nun in die dokumentarische Unmittelbarkeit eines Snuff-Movies herabgleiten zu sehen. Das Prickelnde liegt auch in der angedeuteten Leichtigkeit, mit der der Rollentausch zwischen Zuschauer und Darsteller bzw. zwischen dem sich schuldig machenden Voyeur und dem zur Schau gestellten Opfer erfolgen kann. Das Pärchen muss quasi stellvertrend für uns die Strafe abbüßen, die wir als freiwillige Konsumenten der Filmgewalt unbewusst selbst befürchten. Diese Strafe ist aber gleichzeitig auch die Belohnung, denn nur durch das extreme Erlebnis eines Überlebenskampfs können die Protagonisten einen entscheidenden Wendepunkt in ihrem ins Stocken geratenen (Liebes)Leben erreichen. Dadurch wird auch der Konsum der Gewaltfilme (natürlich in der Hollywood-Light-Variante) legitimiert und auf eine beruhigende Weise in die allgemeinmenschliche Dimension überführt. Denn wer leidet, kann auch mitleiden, und der gestiegene Adrenalinspiegel (auf beiden Seiten der Leinwand) wirkt sich schließlich positiv auf den Lebenswillen aus.

Als Sündenbock bleibt allein der „unangepasste“ (filminterne) Filmemacher, bei dem die Handlung und Misshandlung zusammenfallen. Außer Befriedigung der sadistischer Lust haben seine Tapes keine weitere Intention und erscheinen deshalb einer durch die vorgemachte ethische Botschaft gestärkten Unterhaltungsproduktion in künstlerischer Hinsicht weit unterlegen. Um die Filmgewalt erträglich, d. h. „ästhetisch“, zu machen, muss also der sadistische Kameramann zusammen mit seinem „schockierenden“ Produkt von einem „moralischen“ Kameramann abgefilmt werden, der als eine Art Filter für die verwerflichen Bilder fungiert, die sich zum Teil direkt in die Phantasie der Zuschauer projiziert werden.

Motel
(Vacancy, USA 2007)
Regie: Nimród Antal; Buch: Mark L. Smith; Musik: Paul Haslinger; Kamera: Andrzej Sekula; Schnitt: Armen Minasian
Darsteller: Kate Beckinsale, Luke Wilson, Frank Whaley, Ethan Embry, Scott G. Anderson, Mark Casella u. a.
Länge: 80 Minuten
Verleih: Sony
Start: 19.07.2007

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