»Ein Sex-Schocker neuen Stils«

„Soll niemand sagen, es gäbe keinen Horror in Deutschland“, konstatieren Georg Seeßlen und Fernand Jung am Ende eines viel zu kurzen Kapitels zum bundesdeutschen Horrorfilm. Und für die Periode zwischen 1928 und 1969 verzeichnen die beiden gar keine deutschen Genrebeiträge, wobei unverzeihlicherweise die Gruselkrimis der Edgar-Wallace-Reihe (ab 1959) ebenso ausgespart bleiben, wie ihre Derivate (die Adaptionen der Bryan-Edgar-Wallace-Romane), die Dr. Mabuse- und Fu Manchu-Filme der 60er, aber auch so kleine verrückte Filme wie das Hans-Albers-Vehikel „Vom Teufel gejagt“ (1951), der Zirkusgrusler „Das Phantom des großen Zeltes“ (1954), das Serienmörder-Sequel „Dr. Crippen lebt!“ (1958) oder die psychotronischen Glanzstücke „Die Nackte und der Satan“ (1959) und „Ein Toter hing im Netz“ (1960). Mit der DVD-Veröffentlichung von „Alraune“ kehrt nun endlich ein Stück deutscher Horrorfilmgeschichte aus der Versenkung zurück – wenn man denn gewillt ist, den Film auch als Horrorfilm zu begreifen.


Regisseur Arthur Maria Rabenalt („Achtung! Feind hört mit!“ (1940), „…reitet für Deutschland“ (1940/41)) knüpfte mit diesem Film thematisch und auch (etwas verhaltener) inszenatorisch an den filmischen Expressionismus der Weimarer Phantastik an. Nachdem Hanns Heinz Ewers’ (damals als „der neue Edgar Allan Poe“ gefeiert) erfolgreicher Kolportage-Roman („Alraune – Die Geschichte eines lebendigen Wesens“, 1911) zwischen 1918 und 1930 schon insgesamt dreimal verfilmt wurde, nämlich 1918 vom Casablanca-Regisseur Michael Curtiz (alias Mihály Kertész), 1928 von Henrik Galeen und 1930 erstmalig als Tonfilm von Richard Oswald, in beiden letzteren Filmen verkörperte Metropolis-Star Brigitte Helm die femme fatale), wendete sich der österreichische Routinier Rabenalt dem Stoff zu. Hildegard Knef, die sich durch den Skandal um den Sittenfilm „Die Sünderin“ (1951) als Sex-Ikone etabliert hatte, war für die Besetzung als verführerische Alraune, die die Männer ins Unglück stürzt, prädestiniert.

Die Geschichte ist so melodramatisch wie reißerisch: Die schöne Alraune ist das Ergebnis eines blasphemischen Experiments ihres Ziehvaters Prof. ten Brinken (Erich von Stroheim): Als widernatürlicher Kreuzungsversuch aus dem gesellschaftlichen Bodensatz (Alraune entstand aus der künstlichen Befruchtung einer Hafendirne mit dem Samen eines gehenkten Mörders) soll die Vererbbarkeit des Bösen nachgewiesen werden. Und tatsächlich: Nachdem Alraune aus dem Nonnenkloster geflohen ist, stürzt sie loreleienhaft einen Menschen nach dem anderen ins Unglück. Als sie den jungen Mediziner Frank Braun (Karl-Heinz Böhm), Neffe ihres Schöpfers, nicht kriegen kann, stiftet sie allerlei Unheil in ihrem Umfeld: der Selbstmord einer Nebenbuhlerin kann zwar gerade noch vereitelt werden, der Pferdeknecht aber rast im Liebesrausch mit der Kutsche in den Tod, zwei eifersüchtelnde Bewerber duellieren sich, eine fragile Künstlernatur liegt vor lauter Sehnsucht auf dem Sterbebette nieder und wird durch Alraunes Todeskuss erlöst. Doch letztlich ist Alraune zur Reue fähig, nachdem Frank ihre Liebe erwidert: „Ein Leben ohne Liebe ist ein böses Leben“, erkennt sie. Doch dem gemeinsamen Glücke stellt sich der Ziehvater in den Weg: er sieht seine wissenschaftliche These bedroht und zögert daher nicht, sein Geschöpf zu erschießen. Postwendend wird uns in der letzten Einstellung unter Trommelwirbeln vorgeführt, wie der Mad Scientist zum Schafott geführt wird.
Alles Mögliche hatte Hanns Heinz Ewers einst in den Roman gepackt: die Hybris des Wissenschaftlers à la Frankenstein, das Motiv der Männerexistenzen zertrümmernden Lulu des fin de siècle (Wedekind), der neoromantische Triumph der menschlichen Liebe über die Natur, etc. pp. – und alles das bietet auch Rabenalt in einem Film, der vielleicht mehr als jeder andere Film dazu geeignet erscheint, eine mentalitätsgeschichtlichen Kontinuität vor, während und nach 1933-45 nachzuweisen.

Die KINOWELT-DVD enthält nicht nur den sauber restaurierten Film im Originalformat, sondern auch die 2005 für den WDR entstandene Dokumentation Knef – Die frühen Jahre, die Hildegard Knefs Karriere – insbesondere auch zur NS-Zeit – kritisch hinterleuchtet. Dazu hat der Regisseur Felix Moeller nicht nur eine Vielzahl von Dokumenten, Fotos, Ausschnitten aus Film und Fernsehen zusammengetragen, sondern auch erstmals alle drei Ehemänner als Interviewpartner vor die Kamera gelockt. Als weitere Extras finden sich der Originaltrailer zu Alraune (und weitere Trailer zu ARTHAUS-Filmen), ein Interview neueren Datums mit Karl-Heinz Böhm (ca. 3 min.) und Scans der alten Werbebroschüren des Verleihs, die durchaus einen Blick wert sind! So schlägt der Münchner Klinger-Verleih, der wohl die Zweitverwertungsrechte erhielt, ein reißerisches Marketing mit so wunderbaren Taglines vor, wie z.B. „Eine Frau im Bannkreis tödlicher Erotik“, „Ein erregend-intimes Filmwerk“, „Triebhafte Lust und wuchernde Lebensgier – Stationen einer Verdammten“, „Elementare Sinnlichkeit in einem erregenden Film von dämonischer Dramatik“, „Künstliche Zeugung vor Jahrzehnten noch ein Problem – heute brennende Wirklichkeit“ und „Ein Sex-Schocker neuen Stils“. Irgendwie werden diese Werbezeilen dem Film auch gerecht – denn ernst nehmen sollte man die schwülstige Metaphysik von Eros und Thanatos nicht, die Alraunes Schicksal da vorantreibt. Als frühes Exploitationkino mit Starbesetzung lässt sich der Filme allemal goutieren.

Alraune
(Deutschland 1952)
Regie: Artur Maria Rabenalt; Buch: Hans Heinz Ewers, Kurt Heuser; Musik: Werner R. Heymann; Kamera: Friedl Behn-Grund; Schnitt: Doris Zeltmann
Darsteller: Hildegard Knef, Erich von Stroheim, Karlheinz Böhm, Harry Meyen, Rolf Henniger u. a.
Länge: 87 Minuten

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Jörg Hackfurth

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