Verfemte Transgressionsutopie

Bevor sich Bryan Singer in das Superhelden-Genre begab („X-Men 1 + 2“, „Superman Returns“, „Valkyrie“), lieferte er eine Reihe exzellenter Filme ab, neben dem vielbeachteten „The Usual Suspects“ (1995) auch den kaum beachteten „Apt Pupil“ (dt. Der Musterschüler, 1998) nach einer Geschichte aus Stephen Kings einflussreicher Novellensammlung „Different Seasons“ (dt. „Frühling, Sommer, Herbst und Tod“, 1982), die schon Vorlagen für weitere bemerkenswerte Filme geliefert hatte („Stand by me“, „Shawshank Redemption“). Eine weitere, inoffizielle, freie Adaption von „Apt Pupil“ lieferte aber bereits 1986 der spanische Regisseur Agustí Villaronga mit seinem kontrovers diskutierten Spielfilmdebüt „Tras el Cristal“ ab, der weniger Interesse an der psychologischen Zeichnung seiner Figuren im Spannungsfeld von Homophobie und –erotik hat, sondern sich stärker der unbequemen Transgressions-Uto/-dystopie, die in der Vorlage stellenweise anklingt, widmet.

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Vorsicht! Spielende Kinder

Im spanischen Original fragt der Titel: ¿Quién puede matar a un niño? – also: „Wer kann (schon) ein Kind töten?“. Diese Frage beantwortet der Film in den ersten sieben Minuten des Filmes sehr deutlich, wenn uns im Schnelldurchlauf anhand von Ausschnitten aus amerikanischen Wochenschauen das Jahrhundert, das noch so hoffnungsvoll mit Ellen Keys „Das Jahrhundert des Kindes“ (1902) eingeläutet wurde, als ein Jahrhundert des Kindes als Opfer von Krieg und Hunger – Nöten also, die von uns Erwachsenen verursacht sind – präsentiert. Vor diesem Hintergrund erhalten die Ereignisse des Films auch eine vage Erklärung – eine Erklärung die im deutschen Erst-Release des Filmes weggekürzt wurde. Der deutsche Titel damals, „Tödliche Befehle aus dem All“, reicht die Ursache des Konfliktes zwischen Erwachsenen und Kindern an ein Drittes, an eine außerirdische Macht, weiter. „Vorsicht! Spielende Kinder“ weiterlesen

Unzeitgemäße Publikumsbeschimpfung

Irgendwann um das Jahr 2000 hatte der deutsche Film das Nationale für sich entdeckt. Fing es mit „Sonnenallee“ (1999) an? Jedenfalls kam die Welle der Histotainment-Schmonzetten, Doku-Fictions und Nationalepen dann so richtig ins Rollen: „Der Tunnel“ (2001), „Vera Brühne“ (2001), „Zwei Tage Hoffnung“ (2003), „Der Aufstand“ (2003), „Rosenstrasse“ (2003), „Das Wunder von Bern“ (2003), „Good Bye Lenin!“ (2003), „Das Wunder von Lengede“ (2003), „Der Untergang“ (2004), „Stauffenberg“ (2004), „Die Nacht der großen Flut“ (2005), „Die Luftbrücke – Nur der Himmel war frei“ (2005), „Dresden“ (2006), „Die Mauer – Berlin ’61“ (2006), „Nicht alle waren Mörder“ (2006), „Die Sturmflut“ (2006), „Die Flucht“ (2007) und „Contergan“ (2007). „Das Leben der anderen“ (2006) und die deutsch-österreichische Produktion „Die Fälscher“ (2007) konnten sogar den Auslandsoscar abräumen. Und auch im Filmjahr 2008 blieb das Interesse für eine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte ungebrochen: „Der rote Baron“, „Die Gustloff“, „Der Baader Meinhof Komplex“, „Anonyma – Eine Frau in Berlin“, „Die Buddenbrooks“, „Die Entdeckung der Currywurst“, „Mogadischu“, „Nordwand“, „Novemberkind“, „Wir sind das Volk – Liebe kennt keine Grenzen“, „Das Wunder von Berlin“, usw.
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Bond ist nicht hier – Ein Nachwort

Mit Casino Royale wurde die Bondreihe einer Generalüberholung unterzogen, die ihr auf Dauer nicht gut tun kann. Die Faszination für diesen neuen Anti-Bond funktioniert hauptsächlich über sein Spiel mit Verweisen auf das Original: Craig selbst verkörpert den britischen MI6-Agenten eher grobschlächtig, hemdsärmelig, mit wenig Sinn für Statussymbole, humorlos, menschelnd mit Hang zum Melodramatischen – kurz: als Antipoden zur coolen Bondikone, wie sie im Kern von Connery über Moore, Lazenby, Dalton bis Brosnan tradiert wurde. „Bond ist nicht hier – Ein Nachwort“ weiterlesen

Ungeniert realitätsflüchtig

Ohne Frage schuf das Team um Jungregisseur Toke Constantin Hebbeln mit „Nimmermeer“ ein beachtliches Filmpoem, das in handwerklicher und stilistischer Hinsicht voll überzeugen kann. Ebenso behagen die darstellerischen Leistungen, allen voran der zehnjährige Leonard Proxauf, der in der Rolle des Fischersohns Jonas den gesamten Film zu tragen vermag (und der in Breloers „Buddenbrooks“-Verfilmung den jungen Christian verkörpern wird). So überrascht es nicht, dass diese Produktion der Filmakademie Baden-Württemberg mit allerlei Preisen und Nominierungen überschüttet wurde: u.a. erhielt man von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences den begehrten Studenten-Oscar für den besten ausländischen Film.
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„Why do Cars mean so much to them?“

Mensch und Auto bilden eine fatale Symbiose: Diese Abhängigkeit hat auch irgendwann der Horrorfilm erkannt, so z. B. in „Christine“ (1983) und „Maximum Overdrive“ (1986, später folgt das TV-Remake „Trucks“), beides Stephen-King-Adaptionen, in denen sich die Vehikel gegen den Menschen wenden. Schon 1971 lieferte sich Dennis Weaver mit einem Stahlkoloss ein „Duell“ (Regie: Steven Spielberg), 1974 erwachte der „Killdozer!“ zu mörderischem Leben, 1977 folgte „The Car“, 1981 dann „Der Autovampir“ aus Tschechien. Das Auto symbolisiert wie kein anderer Gegenstand des Alltags Fluch und Segen des zivilisatorischen Fortschritts: als Klimakiller einerseits, als Garant für grenzenlose Mobilität und somit Freiheit andererseits.

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Blut und Tränen

Mick Garris, seines Zeichens ein eher mediokrer Regisseur, der vorzugsweise Stephen King für das Fernsehen adaptierte („The Stand“, „The Shining“), gebührt das Verdienst, die qualitativ hochwertige „Masters of Horror“-Serie für den amerikanischen Kabelsender Showtime ins Leben gerufen zu haben. Neben der Riege der Altmeister (Tobe Hooper, John Carpenter, John Landis, Stuart Gordon, Larry Cohen, Joe Dante, Dario Argento, Don Coscarelli, John McNaughton) durften auch einige Hoffnungsträger des jüngeren Horrorkinos ihre Visitenkarte abgeben, u.a. Tausendsassa (nicht nur in punkto Masse) Takashi Miike („Auditon“) mit seiner Episode „Imprint“,  Lucky McKee („May“) mit „Sick Girl“ und Rob Schmidt („Wrong Turn“) mit „Right to die“.

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Agitprop mit Biss

Rechtzeitig zum 40. Jahrestag der 68er-Revolte veröffentlicht Kinowelt nun endlich Hans W. Geißendörfers Vampirfilm „Jonathan“ auf DVD. Im 19. Jahrhundert blutet das Terrorregime eines finsteren Vampirgrafen (Paul Albert Krumm) eine ländliche Gegend nahe der Ostsee aus. Doch gegen den Usurpator formiert sich Widerstand, als ein Vampirismus-Professor seine Studenten zum Umsturz aufruft. Da die eigenen Streitkräfte den Feinden hoffnungslos unterlegen sind, wird der Student Jonathan (Jürgen Jung) vorausgeschickt, um die im Schloss des Grafen gefangengehaltenen Bauern zu befreien und als Waffenbrüder hinzuzugewinnen.

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Fisch und Fleisch in einem

Die Nachricht des Unfalltodes ihrer Familie auf einer Geschäftsreise in Rumänien wirft die junge Biologie-Studentin Lara (Friederike Kempter) völlig aus der Bahn. Ihr Freund Nicki versucht es mit Schocktherapie: er fährt sie kurzerhand (mit zwei Studienfreunden im Schlepptau) nach Bukarest, damit sie Abschied von den Leichnamen – insbesondere von ihrer geliebten kleinen Schwester – nehmen kann.
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Kein Grund sich zu schämen: Horror als Karrieresprungbrett

Nicht wenige renommierte Regisseure verdienten sich die Sporen im Horrorfilm: Steven Spielbergs erster Langfilm „Duell“ (1971) kann dem Genre ebenso zugeordnet werden, wie sein Haunted-House-Movie „Haus des Bösen“ (1972). Francis Ford Coppola lieferte mit „The Terror – Schloss des Schreckens“ und „Dementia 13“ (beide 1963) rund dreißig Jahre vor seinem Welterfolg „Bram Stoker’s Dracula“ (1992) zwei veritable B-Film-Schocker ab. Peter Weirs frühe Werke „Die Killerautos von Paris“ (1974) und insbesondere das elegische Mystery-Drama „Picknick am Valentinstag“ (1975) gelten als Klassiker des phantastischen Films. Oliver Stones „Die Herrscherin des Bösen“ (1974) und sein Kurzfilm „Mad Man of Martinique“ (1979) sind womöglich bisher zu recht unentdeckte Meisterwerke geblieben. Doch seinen Psycho-Horror „Die Hand“ (1981) mit Michael Caine darf man bedenkenlos empfehlen.

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Glokalisierungen des „American Nightmare“

In den letzten Jahren kann man im Genrekino einen Trend beobachten, der sich vielleicht vor dem Hintergrund der allgegenwärtig beschworenen Globalisierung plausibel als eine Strategie gegen drohenden Verlust nationaler Identitäten lesen lässt: Anstatt sich in Traditionalismen abzuschotten, begegnet man den Herausforderungen einer globalisierten Kulturindustrie aber trotzig mit einer affirmativen Haltung gegenüber dem Kulturtransfer. Und das mit finanziellem Erfolg, wie der österreichische Slasherfilm „In 3 Tagen bist du tot“ im vergangenen Jahr eindrucksvoll unter Beweis stellen konnte: Der Marktanteil einheimischer Produktionen ist in Österreich in der Regel kümmerlich. Im letzten Kinojahr konnte jedoch Andreas Prochaskas österreichische Version von „I know what you did last Summer“ (USA 1997, R: Jim Gillespie) als besucherstärkster österreichischer Film 2006 (83.000 Zuschauer) den Anteil einheimischer Produktionen immerhin auf 2,6% anheben (zum Vergleich: in Deutschland betrug der Anteil laut SPIO im selben Jahr 25,8%). Und auch international erwartet man für „The Austrian Schocker“ (Werbezeile) offenbar so hohe Gewinne, dass mittlerweile eine Fortsetzung angekündigt wurde.

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»Ein Sex-Schocker neuen Stils«

„Soll niemand sagen, es gäbe keinen Horror in Deutschland“, konstatieren Georg Seeßlen und Fernand Jung am Ende eines viel zu kurzen Kapitels zum bundesdeutschen Horrorfilm. Und für die Periode zwischen 1928 und 1969 verzeichnen die beiden gar keine deutschen Genrebeiträge, wobei unverzeihlicherweise die Gruselkrimis der Edgar-Wallace-Reihe (ab 1959) ebenso ausgespart bleiben, wie ihre Derivate (die Adaptionen der Bryan-Edgar-Wallace-Romane), die Dr. Mabuse- und Fu Manchu-Filme der 60er, aber auch so kleine verrückte Filme wie das Hans-Albers-Vehikel „Vom Teufel gejagt“ (1951), der Zirkusgrusler „Das Phantom des großen Zeltes“ (1954), das Serienmörder-Sequel „Dr. Crippen lebt!“ (1958) oder die psychotronischen Glanzstücke „Die Nackte und der Satan“ (1959) und „Ein Toter hing im Netz“ (1960). Mit der DVD-Veröffentlichung von „Alraune“ kehrt nun endlich ein Stück deutscher Horrorfilmgeschichte aus der Versenkung zurück – wenn man denn gewillt ist, den Film auch als Horrorfilm zu begreifen.

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