„Why do Cars mean so much to them?“

Mensch und Auto bilden eine fatale Symbiose: Diese Abhängigkeit hat auch irgendwann der Horrorfilm erkannt, so z. B. in „Christine“ (1983) und „Maximum Overdrive“ (1986, später folgt das TV-Remake „Trucks“), beides Stephen-King-Adaptionen, in denen sich die Vehikel gegen den Menschen wenden. Schon 1971 lieferte sich Dennis Weaver mit einem Stahlkoloss ein „Duell“ (Regie: Steven Spielberg), 1974 erwachte der „Killdozer!“ zu mörderischem Leben, 1977 folgte „The Car“, 1981 dann „Der Autovampir“ aus Tschechien. Das Auto symbolisiert wie kein anderer Gegenstand des Alltags Fluch und Segen des zivilisatorischen Fortschritts: als Klimakiller einerseits, als Garant für grenzenlose Mobilität und somit Freiheit andererseits.

In Peter Weirs „The Cars that ate Paris“ von 1974 , seinem ersten Beitrag zur Australian New Wave der 70er (es folgten „Picnic at Hanging Rock“ (1975) und „The Last Wave“ (1977)), dient das Auto ebenfalls als zentrales Motiv. Doch sein Ansatz unterscheidet sich grundlegend von den oben genannten Werken, so wie Weir generell eine diebische Freude darin zu finden scheint, die Erwartungen der Zuschauer zu unterlaufen, wie schon das Intro des Films zeigt, das anfänglich als heiterer Kinowerbespot für Coke und Zigaretten erscheint, sich dann aber mit schockartig als Exposition des schon eigentlichen Horrorfilms entpuppt. So ist auch der im Titel genannte Handlungsort ist nicht das „Paris“ an der Seine, sondern ein (fiktives) Kaff „Paris“ im australischen Nirgendwo. Und die „Cars that ate People“ (so der Verleihtitel der gekürzten US-Fassung) nicht, wie die Vermarktungskampagne (und also auch das DVD-Cover von Kinowelt / Arthaus) erwarten lassen, autonome (z.B. besessene) Killermaschinen, sondern „nur“ Ursache, Mittel und Zweck einer mörderischen gesellschaftlichen Ordnung, die sich mit dem Menschenbild des homo homini lupus ganz nüchtern arrangiert hat. Peter Weir beantwortet den zwischen den Ölkrisen (1973 und 1979) grassierenden allgemeinen Zivilisationspessimismus mit einem lupenrein kapitalismuskritischen Rundumschlag, wie schon die Zeilen auf dem Kinoplakat nahe legen: „148 people live in the Township of Paris and every one of them is a murderer“ und „Why do cars mean so much to them?“ und schlicht und einfach (auf dem US-Plakat): „They run on Blood.“ Nicht das Auto selbst ist also das Monstrum, sondern die von seiner Verbrechensökonomie deformierte Gesellschaft. Robin Woods Basisformel des Horrorfilms, „normality is threatened by the monster“ wird hier umgekrempelt: die Normalität ist monströs und der Einzelne wird von diesem System entweder assimiliert oder eliminiert:

Das an einer einsamen Landstrasse gelegene australische Städtchen Paris weiß den Standortfaktor „Verkehrsarmut“ gut zu nutzen. Als moderne Strandpiraten locken die wohlorganisierten Bewohner von Paris die in der Nacht vorbeifahrenden Fahrzeuge mit Blendscheinwerfern in den Abgrund, um sich an dem „Strandgut“ zu bereichern. Beim Ausschlachten der Wracks nimmt sich so jeder den Teil der Beute, den er selbst für seine Existenz verwerten kann, so auch der ortsansässige Arzt, der das Menschenmaterial (die Verletzten) für seine medizinischen Experimente erhält. Ganz Paris lebt unmittelbar oder mittelbar von diesem Trapper-Gewerbe, und da das Auto die alleinige Existenzgrundlage von Paris ist, wird ihm auch, in Freizeit und Kirche, kultische Verehrung zuteil.

Als nun der arbeitslose Arthur Waldo (Terry Camilleri) auf diese Weise in Paris strandet (sein Bruder kommt bei dem Unfall ums Leben), bleibt er wie durch ein Wunder völlig unversehrt. Dem Bürgermeister (John Meillon) ist klar: entweder muss Arthur, der allmählich das dunkle Geheimnis der Stadt zu wittern beginnt, sterben oder man spannt ihn ein. So wird der Langzeitarbeitslose kurzerhand mit dem neu geschaffenen Amt als Politesse beglückt, da es in der Kleinstadt allmählich zu brodeln beginnt, denn die Dorfjugend, ein Haufen psychopathischer Autonarren, hat sich aus Wrackteilen einen bizarren, teils mit Stacheln bewehrten Fuhrpark zusammengebastelt und sorgt für Ärger auf den Straßen. Als Parkwächter beweist Arthur jedoch wenig Fingerspitzengefühl, so dass der Generationenkonflikt schließlich auf blutige Weise eskaliert. Ein Bürgerkrieg verwandelt Paris schließlich in eine Geisterstadt, und das Schreckensregime der Autos scheint beendet. Doch nicht endgültig, so darf man erwarten, denn Arthur, der ein Jahr zuvor einen alten Mann in einem Verkehrsunfall tötete und daher unter einer Automobil-Phobie leidet, kann diese unter Anleitung des Bürgermeisters endlich überwinden, und so jubiliert der als fantatischer Automobilist am Ende: „I can drive!“ und fährt in seinem Wagen in die Welt hinaus. Dazu setzt ein französischer Chanson ein, der auf das echte Paris verweist und also sagen will: Paris ist überall.

Peter Weirs Langfilmdebüt ist mehr als „Ozploitation“, jenseits von High und Low Brow verdichtet er das gerade aufkommende Subgenre des Backwood Horror („Deliverance“, 1972 ,„The Texas Chainsaw Massacre“, 1973/74) zu einer bizarren und sehr grimmigen Gesellschaftsgroteske, die natürlich auch in den gegenwärtigen, krisengeschüttelten Tagen des Postfordismus ungebrochen aktuell bleibt (auch wenn man manchmal angesichts des hohen Ölpreises das Ende des Auto-Kultes heraufdämmern spürt…). Erfreulich, dass Kinowelt diesen Film endlich, mit „Arthaus“-Label, zum 8. August 2008 als DVD veröffentlicht. Damit ist aber hoffentlich die Rezeption des Films in Deutschland als Teil der E- und nicht U-Kultur besiegelt, denn „The Cars that ate Paris“ funktioniert auch wunderbar als Unterhaltungsfilm mit hohem Camp-Faktor.

Die Autos, die Paris auffraßen
(The Cars that ate Paris, AUS 1974, Peter Weir)
Regie: Peter Weir, Drehbuch: Peter Weir, Keith Gow, Piers Davis, Kamera: John McLean, Musik: Bruce Smeaton, Schnitt: Wayne LeClos, Darsteller: Terry Camillieri, John Meillon, Melissa Jaffa, Kevin Miles
Länge: 91 min.
Verleih: Arthaus / Kinowelt

Die DVD von Arthaus / Kinowelt

Kinowelt liefert den Film fast gänzlich ohne Extras, wenn man von den recht liebevoll gestalteten, animierten Menüs, dem Originaltrailer und einer Fotogalerie absieht. Bild und deutscher wie englischer Ton sind einwandfrei.

Die Ausstattung der DVD im einzelnen:

Bild: 2,35:1 (anamorph)
Sprachen/Ton: Deutsch, Englisch (Mono Dolby Digital)
Untertitel: Deutsch
Bild: Widescreen
Specials: Fotogalerie, Originaltrailer
FSK: ab 16 Jahren
Preis: 18,99 Euro
Veröffentlichung: 8.8.2008

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