Blut und Tränen

Mick Garris, seines Zeichens ein eher mediokrer Regisseur, der vorzugsweise Stephen King für das Fernsehen adaptierte („The Stand“, „The Shining“), gebührt das Verdienst, die qualitativ hochwertige „Masters of Horror“-Serie für den amerikanischen Kabelsender Showtime ins Leben gerufen zu haben. Neben der Riege der Altmeister (Tobe Hooper, John Carpenter, John Landis, Stuart Gordon, Larry Cohen, Joe Dante, Dario Argento, Don Coscarelli, John McNaughton) durften auch einige Hoffnungsträger des jüngeren Horrorkinos ihre Visitenkarte abgeben, u.a. Tausendsassa (nicht nur in punkto Masse) Takashi Miike („Auditon“) mit seiner Episode „Imprint“,  Lucky McKee („May“) mit „Sick Girl“ und Rob Schmidt („Wrong Turn“) mit „Right to die“.

In der zweiten Staffel durfte auch Brad Anderson hinter die Kamera, und zwar für seine Drehbuchadaption der Kurzgeschichte „Sounds Like“ von Mike O’Driscoll (enthalten in der 2006 erschienenen Horroranthologie „Unbecoming“). Wieder einmal, nach dem stimmungsvollen Haunted-House-Horror „Session 9“ und dem kafkaesken Psychothriller „The Machinist“, zeichnet Anderson das Psychogramm eines Paranoikers. Anderson produzierte, frei nach Linda Williams Definition des Melodrams als drittem Body Genre neben Horror und Pornographie, drei maskuline Weepies, Horrorfilme, deren Sadomasochismus doch stärker zum Masochistischen des Melodrams tendieren. Während „The Machinist“ noch ein trostspendenes Ende bieten konnte, beantwortet „Sounds Like“ das „too late!“ des Melodrams (L. Williams) ganz pessimistisch mit dem „too early!“ des Horrorfilms:

Larry Pearce (Chris Bauer), der als Leiter eines Callcenters tagtäglich den kakophonen Chor der Kundentelefonate von seiner Zentrale aus überwachen muss, bildet ein peinigendes Talent aus: sein Gehörsinn verfeinert sich derart, dass er schließlich sogar einen Herzfehler seines Sohnes hört. Doch die Diagnose kommt zu spät: die Ärzte können das Leben des Sohnes nicht mehr retten. Von der familiären Tragödie traumatisiert, stürzt sich Larry noch tiefer in die Arbeit und seine auditive Wahrnehmung steigert sich – auch zum Leidwesen seiner Umwelt – ins Gespenstische. Als seine Frau, die ebenfalls vom Kindstod in eine tiefe Nervenkrise geworfen wurde, plötzlich glaubt, erneut schwanger zu sein und aus ihrer Apathie erwacht, verschafft sich Larry ein für allemal seine erhoffte Ruhe: er bringt nicht nur alle enervierenden Geräuschquellen im Haus zum Verstummen, auch seine Frau wird mit einem Kissen erstickt. Dieser Zustand erlösender Stille währt freilich nicht lang.

„Sounds like“ verläuft – soviel sei vorweggenommen … (und das Coverdesign von splendid film mit den abgetrennten Ohren lässt das erahnen) – als ein spiegelbildlich verzerrtes Pastiche der Ödipus-Tragödie. Das ärgerliche Organ der Erkenntnis ist hier nicht das Auge, sondern das Ohr, dessen man sich in letzter Konsequenz entledigt. Im Gegensatz zu vielen Episoden aus ähnlich konzipierten Serien wie „Tales from the Crypt“ (1989-1996) und dem Relaunch der „Twilight Zone“ (2002-2003), die meist die eindimensionale Form eines morality plays nicht überschreiten, haben die Folgen der „Masters of Horror“, mit einigen unschönen Ausnahmen (z.B. die schwachen Argento-Episoden „Pelts“ und „Jenifer“),  ein Mehr an Horror zu bieten. So erinnert „Sounds like“ an einige wirklich beunruhigende Episoden der Original-„Twilight Zone“ von Rod Serling (1959-1964), die – seinem Konzept von „Science Fantasy“ folgend, das Unmögliche plausibel machen (und nicht wie die SF, die das Unplausible als Möglichkeit darstellen will). Wer erinnert sich nicht mit Schrecken an die Episode „Time enough at last“, in der ein Büchernarr endlich – nach einem Atomkrieg, der ihn als letzten Menschen auf Erden zurücklässt – alle Zeit der Welt zum Lesen hat, doch dieser dann unglücklicherweise seine Lesebrille zerstört und halbblind durch die Trümmer der Welt stolpern muss. Solche Geschichten gehen über die einfachen Moralitäten hinaus, es wird ein – an die großen Tragödien erinnerndes – Horrorszenario entworfen, dass eben das „To Late!“ des Melodrams mit dem „To Early!“ des Horrors engführt, ein Cocktail aus Blut und Tränen. Das „To Early!“, der Schock des Unvorbereiteten,  kommt in Brad Andersons nicht zu kurz: die Kaskaden des Horrors, „Terror“, „Horror“ und „Gross-Out“ (Stephen King), sind allesamt enthalten, und Brad Anderson spielt ganz ausgezeichnet auf dieser Klaviatur, weswegen man nicht nur diese Episode der „Masters of Horror“ empfehlen kann, sondern auch das weitere Schaffen des Regisseurs aufmerksam verfolgen sollte. Demnächst läuft „Transiberian“ in den Kinos an, die Episode „Spooked“ in der (ebenfalls von Mick Garris kreierten) Fernsehserie „Fear Itself“ läuft auf NBC und ein Serienkillerfilm („All Lost Souls“), der ebenso den Gehörsinn thematisieren wird, wurde in Interviews angekündigt.

Sounds like – Der Schrei der Stille
(Sounds like, USA 2005)
Buch und Regie: Brad Anderson basierend auf einer Kurzgeschichte von Mike O’Driscoll; Kamera: Attila Szalay; Schnitt: Andrew Cohen; Musik: Anton Sanko
Mit: Chris Bauer, Laura Margolis, Richard Kahan, Michael Daingerfield, uvm.
Verleih: Splendid Entertainment/WVG

Zur DVD von splendid film:

Die Episoden der „Masters of Horror“ erscheinen einzeln im „Limited MetalPak“ mit Making-Of-Featurettes und Audiokommentar des Regisseurs. Ob die Episode „Sound like“ ungeschnitten ist, war nicht herauszufinden. Jedenfalls ist ein auf dem Cover abgebildetes Bild von zwei abgeschnittenen Ohren im Film selbst nicht zu sehen gewesen …

Zur technischen Ausstattung der DVD:

Format: Dolby, PAL, Surround Sound
Sprache: Deutsch (Dolby Digital 5.1), Englisch (Dolby Digital 5.1)
Region: Region 2
Bildseitenformat: 16:9 (1,78:1)
FSK: Freigegeben ab 18 Jahren
DVD-Erscheinungstermin: 27. Juni 2008
Spieldauer: 56 Minuten
Extras: „Akustischer Wahnsinn“: The Making-Of Sounds like, Special Effects: Die Maden, Fischig, Die Gewinner, Audiokommentar von Regisseur Brad Anderson
Preis: 14,95 Euro

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Jörg Hackfurth

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