Der Mann ohne Kanten

Peter Karmann (Peter Alexander) ist Lehrer für arabische Sprachen und pflegt einen lockeren Umgang mit seinen ausschließlich weiblichen Schülern, die ihn allesamt anhimmeln. Einen Ausgleich von seinem Beruf, den er zwar fachkompetent, aber immer mit spielerischer Leichtigkeit und Lockerheit ausübt, findet er in der „Dilli Dalli Band“, mit der er bis spät in die Nacht auftritt.

Der Oberkellner des Gasthofs „Im Weißen Rössl“ am Wolfgangssee, Leopold Brandmeyer (Peter Alexander), hat viel zu tun, wenn einer der zahlreichen Ausflugsdampfer vor dem „Rössl“ anlegt: Die aus aller Herren Länder stammenden Touristenmassen strömen hungrig und durstig in die Gasträume und müssen innerhalb kurzester Zeit bedient werden. Das zwangsläufige Tohuwabohu weiß Leopold immer lächelnd mit einem Liedchen zu meistern, das auch die Gäste zufrieden stimmt und sie vom Chaos ablenkt.

Als der brave Soldat Josef Schwejk (Peter Alexander) gleich an seinem ersten Tag in der Kaserne zum Arrest verdonnert wird, trifft er in der Zelle seinen alten Freund Loschek. Erfreut über das Treffen stimmen beide das Lied „Rosamunde“ an und tanzen durch ihre enge Zelle. Selbst der strenge Gefängniswärter ist verzückt.

Dr. Otto Wilder (Peter Alexander), ein Zahlenjongleur im diplomatischen Dienst, hängt ein Schild mit der Aufschrift „Konferenz“ von außen an eine der Türen in der brasilianischen Botschaft in Wien. Doch anstatt mit den eben angereisten Diplomaten über schweren Akten zu brüten, musiziert er ausgelassen mit ihnen.

„Mein ganzes Leben ist Musik“: So lautet der Untertitel des ersten in der Peter-Alexander-Box von Kinowelt enthaltenen Films, „Salem Aleikum“ von 1959, und der Titel ist wie man an den obigen Szenenbeschreibungen ablesen kann, nicht nur programmatisch für die Filme der Box, sondern für die gesamte Filmpersona Peter Alexanders. Ob Karmann, Brandmeyer, Schwejk oder Wilder: In Augenblicken der größten Emotionalität fällt es ihnen stets leichter, sich mit Gesang zu artikulieren als mit dem gesprochenen Wort, mehr noch: In solchen Momenten kommt die Musik ganz natürlich aus ihnen heraus. „Mein ganzes Leben ist Musik“ das bedeutet auch: Erst in der Musik sind Peter Alexanders Figuren ganz mit sich selbst identisch, werden sie – spirituell gesprochen – eins. Dennoch ist ihm die Musik in diesen Filmen auch Mittel zum Zweck, ein Instrument, um sich (und seine Zuhörer) von den Sorgen des Alltags zu befreien, sich (und anderen) Trost zu spenden und sich der eigenen Identität zu versichern.

Dass Musik und Gesang im deutschsprachigen Film der Nachkriegsjahrzehnte eine solch gewichtige Rolle spielte, ist kaum verwunderlich, genauso wenig wie ihre ins Absurde übersteigerte Sorglosigkeit. Mit Ausnahme der in schwarzweiß gehaltenen Literaturverfilmung „Schwejks Flegeljahre“, die dieses Manko aber mit einer lustvoll-schadenfrohen Bloßstellung des Militärs auffängt, sind die Filme quietschbunt und fröhlich. Das idyllische Alpensetting von „Im weißen Rössl“, mit seinem strahlendblauen Himmel, der pittoresken Dorfkulisse St. Wolfgangs und dem davorliegenden tiefen Blau des Wolfgangssees mutet in seiner ungebrochenen Farbenpracht beinahe surreal an, ebenso wie das einem Groschenheft entsprungene El Bara aus „Salem Aleikum“, in dem sich feurige orientalische Schönheiten und Fez-tragende Dunkelmänner die Klinke in die Hand geben, wenn sie nicht Schleiertänze aufführen respektive „Haschisch schlucken“, wie einer der Charaktere bezeichnenderweise suggeriert. In diesen Filmen – „Im Weißen Rössl“ und „Salem Aleikum“ (und in geringerem Maße auch in „Charleys Tante“) – wird eine Welt gezeichnet, in der das Leben aufregend, aber dennoch nie wirklich gefährlich ist, in der Gefühle tief und echt und ewig sind und ein Liedchen aus tiefstem Herzen kommend reicht, um alle Sorgen zu vertreiben. Insofern sind ihre Schauplätze St. Wolfgang, El Bara (und Wien) auch Utopien: exotische Orte, an denen es keinen Platz für den Alltag gibt, an denen alles geronnenes Gefühl ist.

Diesen eskapistisch-exotistischen Zug teilen die Peter-Alexander-Filme mit denen eines anderen Helden des deutschen Nachkriegsfilms, nämlich mit dem singenden Seemann Freddy Quinn, der in „Charleys Tante“ einmal sogar explizit erwähnt wird. Wie ich hier geschrieben habe, fungierte Quinn in seinen Filmen als Fremdenführer, der seine deutschen Zuschauer bei der Hand nahm und 90 Minuten lang sicher durch die gefährlichsten Gegenden der Welt geleitete. Auch Quinn hatte immer die Gitarre im Anschlag und ein Lied auf den Lippen, mit dem er Feinde für sich einnahm, vorher geschlossene Türen öffnete und Herzen eroberte. Doch so urdeutsch und spießig Quinns Filme auch waren, im Gegensatz zu Peter Alexander hing ihm auch immer etwas Antisoziales, etwas Rebellisches an. Quinn war ein Einzelgänger und Außenseiter, jemand an dessen kantigen Gesichtzügen, dem trotzig-wilden Blick, dem verkniffenen, dünnlippigen Mund und dem aufmüpfig vorgereckten Kinn sich ablesen ließ, dass er von einem unheilbaren Schmerz und auch von einem gewissen Zorn getrieben war. Quinn ist ein Musterexeemplar des drifters, der sich in der Gesellschaft immer nur kurz wohlfühlt, weil sie ihn zu sehr an sein eigenes Anderssein, seine Heimatlosigkeit erinnert, ihm verdeutlicht, dass der Traum vom Leben mit den Menschen für ihn nicht lebbar ist. Quinn ist der dunkle Zwilling des stets höflich-servilen Österreichers Peter Alexander, dem jeder negative Gedanke fremd zu sein scheint, der auch gegen einen Feind nie seine Hand heben würde und der in allem eine Verkörperung der bürgerlichen Durchschnittlichkeit zu sein scheint.

Dialektisch könnte man sagen, dass Peter Alexander es eigentlich nur in der Durchschnittlichkeit wirklich zur Meisterschaft bringt. Weil er genetisch nahezu indisponiert scheint, auch nur einen unanständigen Gedanken zu haben, verzeiht man ihm auch noch die schmierigsten Annäherungsversuche. Und wo sich Freddy Quinn körperlich behauptet – als Holzfäller, Angler, Kämpfer oder Floßfahrer, ja selbst das Musizieren ist bei ihm ein physischer Akt –, reichen Peter Alexander sein entwaffnendes Lächeln und das kindliche Glucksen seiner Stimme, die er mit schlafwandlerischer Sicherheit stets den einschmeichelndsten Tonfall anschlagen lässt. Dass selbst eine Travestiekomödie wie „Charleys Tante“ jede ja eigentlich durch das Genre legitimierte Schlüpfrigkeit umschifft, liegt eben darin begründet, dass Peter Alexander jede Körperlichkeit abgeht. Sein Körper ist nur eine Folie, an der sein Zustand permanent entgrenzter Lebensfreude sich abzeichnen kann, seine Sexualität rein platonisch: Nirgends tritt das so deutlich zutage, wie in seinem verzweifelten und letztlich hoffnungslosen Kampf gegen einen wildgewordenen Feuerwehrschlauch („Im Weißen Rössl“) oder im Tanz mit einer Python („Salem Aleikum“), die ihm seine stärkste sexuelle Waffe raubt: seine Stimme.

So ensteht auch der Witz der Travestieszenen von „Charleys Tante“ und genanntem „Salem Aleikum“ nicht etwa daraus, dass ein Mann sich als Frau verkleidet, in dieser Rolle überzeugt und dadurch sexuelle Verwirrung stiftet, sondern einzig und allein daraus, dass Peter Alexander die Rolle als Frau so unglaublich schlecht spielt. Während „gute“ Travestiekomödien Geschlechtergrenzen auflösen, indem sie das Weibliche im Männlichen (und umgekehrt) entblößen, festigen „Charleys Tante“ und „Salem Aleikum“ diese Grenzen vielmehr, indem sie die prinzipielle Unvereinbarkeit der beiden Geschlechter offenbart. Die alten Männer, die sich in die vermeintliche Tante Charleys verlieben, sind so von jeder Sexualität entfremdet, dass sie sich auch in einen Besenstiel verlieben könnten, trüge dieser Frauenkleider, und ein Charmeur und Kavalier wie Otto Wilder kann als Frauenversteher und -verführer dargestellt werden und dann doch offenbaren, dass er das andere Geschlecht nicht einmal ansatzweise verstanden hat bzw. ein sehr einseitiges Bild von ihm hat. Aber das ist in der in diesen Filmen porträtierten Welt auch gar nicht wichtig, weil alles in Symbolen erstarrt ist. Worin die Liebe besteht, die Leopold für die Wirtin des „Weißen Rössls“ Josepha empfindet, bleibt vollkommen unklar, entscheidend ist, dass er diese Liebe bekundet. Die Heirat wird vollzogen wie ein Autokauf und selbstredend wird auch das Geschäft Josephas mit der Eheschließung an den Gatten übertragen. Es gibt keine Konsequenz in den Lustspielen mit Peter Alexander: Kein Problem ist so groß, als dass es nicht mit einem Schlager hinfortgesungen werden könnte. Und wie die Sorgen und Nöte der Protagonisten und Zuschauer verflüchtigen sich auch die Lieder nach kurzer Zeit wieder.

„Schwejks Flegeljahre“ enden in der österreichisch-ungarischen Armee, nachdem der unbedarfte Hundefänger einigen Ärger verursacht hat, mit einem Paukenschlag: Während seines Strafdienstes jagt er ein Munitionsdepot in die Luft. Zu Schaden kommt niemand. Und Schwejk wird auch nicht erneut bestraft, sondern entlassen, weil man einsieht, dass er nicht zum Soldaten taugt. „Schwejks Flegeljahre“, nach dem unvollendeten Roman von Jaroslav Hasek entstanden, folgt den Gesetzen des Schelmenromans: Und ein solcher Schelm ist auch Peter Alexander. Er schlüpft überall hindurch, weil er keine Ecken und Kanten hat.

Salem Aleikum – Mein ganzes Leben ist Musik
(Salem Aleikum, BRD 1959)
Regie: Géza von Cziffra, Drehbuch: Richard Anden, Helmuth M. Backhaus, Kamera: Willy Winterstein, Musik: Kurt Feltz, Heinz Gietz, Schnitt: Alice Ludwig-Rasch
Darsteller: Peter Alexander, Rudolf Platte, Oskar Sima, Germaine Damar, Huvert von Meyerinck
Länge: 89 Minuten
Verleih: Kinowelt

Im Weißen Rössl
(Österreich/BRD 1960)
Regie: Werner Jacobs, Drehbuch: Helmuth M. Backhaus, Janne Furch, Kamera: Heinz Schnackertz, Musik: Heinz Gietz, Schnitt: Arnfried Heyne
Darsteller: Peter Alexander, Waltraut Haas, Gunther Philipp, Adrian Hoven, Karin Dor
Länge: 103 Minuten
Verleih: Kinowelt

Charleys Tante
(Österreich 1963)
Regie: Géza von Cziffra, Drehbuch: Gustav Kampendonk, Kamera: Willy Winterstein, Musik: Johannes Fehring, Schnitt: Arnfried Heyne
Darsteller: Peter Alexander, Maria Sebaldt, Peter Vogel, Eike Pulver, Marlene Rahn
Länge: 90 Minuten
Verleih: Kinowelt

Schwejks Flegeljahre
(Österreich 1963)
Regie: Wolfgang Liebeneiner, Drehbuch: Karel Kubala, Heinz Pauck, Kamera: Friedl Behn-Grund, Musik: Johannes Fehring, Schnitt:: Arnfried Heyne
Darsteller: Peter Alexander, Rudolf Prack, Gunther Philipp, Lotte Ledl, Hannelore Auer
Länge: 92 Minuten
Verleih: Kinowelt


Zur DVD-Box von Kinowelt

Die Bild- und Tonqualität der in der Box enthaltenen Filme ist ansprechend, leider sind die Extras mit einigen Texttafeln und Trailern aber sehr sparsam gehalten.

Zur technischen Ausstattung der Box:

Bild: 1,66:1 („Salem Aleikum“), 1,33:1 („Im Weißen Rössl“), 1,56:1 („Charleys Tante“, „Schwejks Flegeljahre“)
Ton: Dolby Digital 1.0 Mono
Extras: Biografien, Bildergalerien, Trailer
Länge: ca. 359 Minuten
Freigabe: ab 12
Preis: 18,95 EUR

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