Porno-Politik

Linda Lovelace wusste nicht, was das Wort „Anarchie“ bedeutet. Zumindest behauptete sie das in einem Fernsehinterview, das in der aktuellen Dokumentation „Inside Deep Throat“ kurz eingeblendet wird. Dennoch erschien ihre Aktionen auf der Leinwand vielen „anarchisch“ genug, um die moralischen Grundsätze einer ganzen Nation ins Wanken zu bringen. Für andere war „Deep Throat“ dagegen ein Außnahmeporno, den man sich auch in Frauenbegleitung gerne anschaute und in einer guten Gesellschaft zum Gespräch brachte. Sogar Jacky Kennedy soll in einer Vorführung gewesen sein, was die Popularität der umstrittenen Pornoproduktion noch zusätzlich steigerte.

„Deep Throat“ hat sich schnell zu einem Kulturphänomen entwickelt, und es verwundert daher nicht, dass er jetzt auch zum Gegenstand eines Dokumentarfilms avanciert ist. Aber etwas befremdlich ist das ganze doch. Denn eine analytische Auseinandersetzung mit dem Thema setzt einen kühlen, sachlichen Blick voraus, den unsere Gesellschaft in Bezug auf Pornografie noch nicht gewonnen hat und in absehbarer Zeit vermutlich auch nicht gewinnen wird. Der Umgang mit dem Phänomen bleibt im allgemeinen immer noch verschämt (oder er ist sogar im Vergleich zu den rebellischen 70-ern noch verschämter geworden), und so muss sich das Publikum im Kino einen Film über einen Film anschauen, den es vermutlich öffentlich nie sehen wird. Das dokumentarische Genre dient hier dementsprechend nicht nur zur Aufdeckung historischer Tatsachen, sondern ist auch eine Art Legitimation, sich diesem heiklen Thema überhaupt zuzuwenden. Folgerichtig kreuzen sich hinter der Kamera der Blick eines Forschers und der eines Voyeurs, und die kulturgeschichtlichen Implikationen werden nicht ohne Freude an Enthüllung der „verbotenen“ und peinlichen Details vermittelt.

„Inside Deep Throat“ lässt uns in eine Welt blicken, die zugleich prüder und schamloser ist, als die, in der wir uns wohl fühlen. Die Moralapostel der Nixon-Ära kommen genauso zu Wort, wie gealterte Pornodiven, und erscheinen fast gleichermaßen skurril. Aber ist diese distanziert-ironische Betrachtungsweise, die der Film durchgehend suggeriert, nicht eine Schutzreaktion auf das Unbehagen, das die Pornographie immer noch auslöst? Wir müssen das Pornografische ins Skurrile verwandeln, um keine Angst davor zu haben und um uns nicht schämen zu müssen. Nur die Ironie macht die Nahaufnahmen der oralen Praktiken, die in die Dokumentation direkt aus dem titelgebenden Porno übernommen wurden, auf der heutigen Kinoleinwand erträglich. Das Kulturphänomen „Deep Throat“ ist also noch lange nicht abgeschlossen, es wirkt weiter, auch wenn die öffentlichen Diskussionen über das moralische Verderben, die uns die Doku in kaleidoskopartigen Fragmenten vorführt, heute weitgehend verstummt sind. In unserer Zeit ist die Pornografiedebatte aus der öffentlichen Sphäre nach innen verdrängt, was aber nicht heißt, dass das Individuum tatsächlich weniger Probleme damit hat.

Doch den Filmautoren ging es offensichtlich um mehr als einen Blick auf die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des vielleicht bekanntesten Pornos aller Zeiten. „Inside Deep Throat“ ist vor allem eine Satire auf die amerikanische Gesellschaft, die bereitwillig alles „schluckt“, was von oben kommt. So war die moralische Verurteilung bzw. Tolerierung von „Deep Throat“ immer von der Linie des jeweiligen Präsidenten abhängig. Was unter Nixon noch für Gerichtsverhandlungen sorgte, wurde unter seinem Nachfolger gerne unter den Tisch gekehrt. Und mitunter fiel die Hetzkampagne gegen den berühmt-berüchtigten Pornofilm mit der Werbekampagne für die nächsten Wahlen zusammen. Das ganze politische System wird somit als äußerst bedenklich und in gewisser Hinsicht „pornografisch“ entlarvt. Im Finale sehen wir Bilder von Passanten in New York, die mit dem Bild der startenden Rakete kombiniert werden, die in „Deep Throat“ auf visueller Ebene den Orgasmus vorwegnimmt, der auf Lindas „blowjob“ folgen soll. Lindas fleißiges Treiben wird also zu einer sarkastischen Metapher für den „american way of life“.

Inside Deep Throat
(USA 2004)
Regie Fenton Bailey, Randy Barbato; Buch: Fenton Bailey, Randy Barbato; Kamera: David Kempner, Teodoro Maniaci; Musik: David Steinberg; Schnitt: William Grayburn, Jeremy Simmons
Verleih: Constantin
Länge: 90 Minuten


Die DVD von Constantin

Constantin hat sich mit der Ausstattung der DVD von „Inside Deep Throat“ alle erdenkliche Mühe gegeben. Die Präsentation des Films in Ton und Bild ist makellos. Englische oder Deutsche Tonspur ist wählbar – leider ohne Untertitel (obgleich der Originalton in der deutschen Fassung ja immer im Hintergrund mit läuft). Zu Höchstleistungen läuft Constantin jedoch mit dem Zusatzmaterial auf. Neben den üblichen Trailern befinden sich 13 Minuten Intervewis und ein ein gefilmter Besuch bei Dennis Hopper im Synchron-Studio mit auf der DVD. Hinter der 60-minütigen Sektion „Deep Thoat Special“ verbergen sich dann noch einmal ein Dutzend kurze Interviews und Dokumentarfilme über den Film, seine Rezeption, sein Gerichtsverfahren und anderes mehr (etwa ein „Lehrgang“ der ehemaligen Porno-Actrice Marylin Chambers über den perfekten „Deep Throat“-Blowjob).

Die Ausstattund der DVD im Einzelnen:

Bild: 1.78:1 (16:9)
Ton: DD 5.1 (deutsch & englisch)
Untertitel: keine
Zusatzmaterial: Interviews (mit Brian Gazer, Fenton Bailey, Andy Barbato, Dennis Hopper und Sheila Nenvins), Besuch bei Dennis Hopper im Synchronstudio, Textafeln (Stabangaben), Deep Throat Spezial (Gerichtsverfahren in Birmingham 1972, Gerichtsverfahren in Tucson 1973, Linda – Legende des Erotikfilms, Statements zur Pornografie, Deep Throat in L.A. 1973, Linda kommt nach Hollywood 1973, Deep Throat in Princeton 1973, Erinnerungen an Linda 2002, Wo ist Bobby de Salvo? 1976, Harry Reems – Athletic Club 2003, Frauen gegen Pornografie 1979, Blowjob)
FSK: ab 16 Jahre
Preis: 17,99 Euro

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